Gastbeitrag
Ökonomen und Schuldenbremse
Warum sind die Sichtweisen so geteilt?

Deutschlands Ökonomen sind zerstritten. Die einen wollen an den strengen Obergrenzen für staatliche Defizite festhalten, die anderen wollen höhere Defizite für höhere Investitionen erlauben. Warum?

Nach dem Karlsruher Urteil zur Schuldenbremse ist eine heftige Debatte um die Zukunft dieser Regel entbrannt. Das Bundesverfassungsgericht hatte im letzten November die Umgehung der Schuldenbremse durch Sondervermögen untersagt. In dieser Diskussion zeigen sich deutsche Ökonomen zerstritten. Während die einen an den strengen Obergrenzen für Defizite von Bund und Ländern unverändert festhalten wollen, können sich die anderen eine Reform vorstellen, bei der höhere Defizite für höhere Investitionen erlaubt würden. Aktuelle Umfragen zeigen, dass beide Lager in etwa gleich groß sind (ifo, 2023; ZEW, 2024). Wie lässt sich diese in etwa hälftige Spaltung erklären? Hier kommen die folgenden drei verschiedenen Erklärungen in Betracht.

Ein erster Erklärungsansatz ergibt sich aus unterschiedlichen persönlichen Interessen. Auch Ökonomen verfolgen individuelle Ziele, die in der Regel mit denen der eigenen Institutionen eng verbunden sind. So könnten Ökonomen in öffentlich finanzierten Einrichtungen im Unterschied zu Kollegen in der Privatwirtschaft Sorgen um einen Sparkurs des Staates haben. Sparmaßnahmen zur Einhaltung der Schuldenbremse machen möglicherweise auch vor den Budgets von Universitäten und Instituten keinen Halt. Ökonomen in der Industrie oder der Finanzbranche dürften dies entspannter sehen. Allerdings können auch Volkswirte in privatwirtschaftlich finanzierten Positionen ein Interesse an eine Lockerung der Schuldenbremse haben, wenn diese Lockerung höhere Subventionen für die Unternehmen erwarten lässt, die den eigenen Arbeitsplatz finanzieren.

Ein zweiter Erklärungsansatz ergibt sich aus einer unterschiedlichen politischen Orientierung. Ökonomen sind genauso wie andere Menschen durch politische Überzeugungen geprägt. Auch hier gibt es somit Personen, die grundsätzlich eine eher staats- oder eher marktgläubige Positionierung haben. Staatsgläubige Forscher, die erwarten, dass die Zukunftsaufgaben nur mit einem finanziell reich ausgestatteten öffentlichen Haushalt lösbar sind, sind eher für eine Lockerung der Schuldenbremse als diejenigen, die glauben, dass Marktprozesse die notwendigen Anpassungen anstoßen sollten. Dies lässt sich für die Klimapolitik verdeutlichen. Marktorientierte Ökonomen sehen wenig Gründe für große Transformationsbudgets beim Staat. Sie plädieren stattdessen dafür, CO2-Emissionen umfassender als bisher mit einem Preis zu versehen und dann die Transformation privaten Investitionen zu überlassen. Hingegen haben staatsfreundliche Forscher in der Regel eine große Skepsis, dass die Transformation ohne eine auch finanziell stark gestaltende Rolle des Staates funktionieren kann.

Ein dritter Erklärungsansatz betrifft die fachliche Ausrichtung der Experten. Hier unterscheiden sich Forscher in ihrer Denkweise erkennbar, je nachdem, ob sie durch eine politökonomische Analyse geprägt sind oder nicht. Mikro- und Makroökonomen, die davon ausgehen, dass politische Akteure gemeinwohlorientiert sind und langfristig denken, sind eher offen für eine Lockerung. Solche Volkswirte gehen davon aus, dass die Parlamente und Regierungen von Bund und Ländern höhere Defizite verantwortlich nutzen werden, um in erster Linie höhere Investitionen oder andere Zukunftsaufgaben zu finanzieren. Aus dieser Perspektive ist es gut zu vertreten, die Schuldenbremse zu lockern, um damit Zukunftsherausforderungen zu bewältigen. Anders die Sicht von Forschern, die politökonomisch denken. Die politische Ökonomie (oder auch „Public Choice“) betrachtet politische Entscheidungen aus der Perspektive der Eigeninteressen der Akteure. Staatsdefizite werden aus diesem Blickwinkel nicht in erster Linie genutzt, um Investitionen zu finanzieren, sondern um die nächste Wahl zu gewinnen. Und für die Wiederwahlchancen sind sind Transfers wie Renten oder Kindergeld wichtiger als Ausgaben für Grundlagenforschung oder den Klimaschutz, die sich erst nach Jahrzenten auszahlen. Aus dieser Perspektive heraus besteht eine große Skepsis, ob höhere Defizite wirklich für höhere Investitionen genutzt werden. Politökonomen befürchten, dass die Investitionsorientierung neuer Schulden nur eine Art von falschem Alibi ist. Die Erwartung dieser Denkschule ist daher, dass der Investitionsbezug zwar rhetorisch genutzt wird, um die Lockerung der Schuldenregel zu begründen, dies in der haushaltspolitischen Praxis aber nicht gelebt wird.

Ifo (2023): Die deutsche Schuldenbremse – Stabilitätsanker oder Investitionsblocker?, Ökonomenpanel von ifo und FAZ, www.ifo.de/fakten/2023-12-08/die-deutsche-schuldenbremse-stabilitaetsanker-oder-investitionsblocker

ZEW (2024): Finanzmarktexperten nehmen Bürokratie statt Schuldenbremse als Investitionshürde wahr, Sonderfrage im ZEW-Finanzmarkttest, www.zew.de/presse/pressearchiv/finanzmarktexperten-nehmen-buerokratie-statt-schuldenbremse-als-investitionshuerde-wahr

Hinweis: Der Kommentar erscheint in modifizierter Form als Leitartikel in Heft 4 (2024) der Fachzeitschrift WiSt.

Podcast zum Thema:

Wie geht es weiter mit der Schuldenbremse? Fiskalregeln auf dem Prüfstand

Ein Gespräch zwischen Prof. Dr. Friedrich Heinemann (ZEW) und Dr. Jörn Quitzau (Berenberg)

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