Neben den Anleiheaufkaufprogrammen PSPP (2.253 Mrd. €), CBPP-III (285 Mrd. €), CSPP (224 Mrd. €), ABSPP (31 Mrd. €) und PEPP (383 Mrd. €)[1] sind die sogenannten (Gezielten) Langfristigen Refinanzierungsgeschäfte – Englisch: (T)LTROs – das zweite wichtige geldpolitische Instrument der Europäischen Zentralbank. Am 24. Juni 2020 haben die Banken des Eurogebietes die vierte Runde der Gezielten Langfristigen Refinanzierungsgeschäfte III (engl. TLTRO-III) kräftig genutzt und 548 Milliarden Euro zusätzliche Kredite aufgenommen (Schnabl und Sonnenberg 2020). Der Bestand an ausstehenden langfristigen Krediten, deren Laufzeit nun überwiegend drei Jahre beträgt, ist sprunghaft auf ca. 1600 Milliarden Euro angestiegen (siehe Abbildung). Die Obergrenze wird von der EZB derzeit auf 50% der Summe der ausstehenden Kredite der Geschäftsbanken an Unternehmen und Haushalte (außer Immobilienkredite) vom Februar 2019 gesetzt. Daraus lässt sich ein Kreditlimit der (T)LTRO-Kredite von ca. 3.000 Milliarden Euro ableiten (Lagarde 2020).
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Die ausstehenden langfristigen Kredite verteilen sich größtenteils auf vier Länder (Stand: Ende Mai): Italienische Banken sind mit einem Anteil von 29% die größten Abnehmer. Französische Banken kommen auf einen Anteil von 25% und spanische Banken auf 18%. Die deutschen Banken liegen bei 12%. Damit scheint die EZB bei der Vergabe der langfristigen Kredite nicht einer proportionalen Verteilung nach Kapitalschlüssel zu folgen, sondern sich in ihrer Vollzuteilungspolitik frei an der Nachfrage der einzelnen Banken auszurichten. Um Banken mit höheren Risiken den Zugang zu den langfristigen Refinanzierungsgeschäften zu sichern, wurden die Bedingungen an die hinterlegten Sicherheiten am 7.4.2020 gelockert (European Central Bank 2020).
Die Verzinsung der langfristigen Refinanzierungsgeschäfte orientiert sich am Zinssatz der Einlagenfazilität, der derzeit bei -0,5% liegt. Im Zuge der Corona Krise hat die EZB eine einjährige Sonderzinsperiode festgesetzt: Wenn die Geschäftsbanken die Nettokreditvergabe in der Periode von März 2020 bis März 2021 nicht reduzieren, dann kann der Zins in dieser Zeit sogar auf -1% abgesenkt werden. Banken erhalten also besonders große Zuschüsse von der EZB, wenn sie zusätzliche Kredite bei der EZB aufnehmen und an Unternehmen und Haushalte weiterreichen.
Dieses „Funding for Lending“ stützt die Unternehmen, weil günstigere Finanzierungen zur Verfügung stehen und damit auch wenig renditeträchtige Investitionsprojekte weitergeführt werden können. Auch die Banken profitieren, weil das Ausmaß an notleidenden Krediten reduziert wird und dank der negativen Zinsen die Zinsmargen wieder steigen können. Auf den privaten Kapitalmärkten wären die Refinanzierungskosten in der Regel positiv und damit höher als bei den aktuellen TLTRO-III-Krediten.
Ein Problem sind die möglichen negativen Anreizeffekte. Da die Bedingungen für die Weiterführung von Krediten aufgeweicht und damit auch Investitionsprojekte mit niedrigen oder sogar negativen Renditen am Leben erhalten werden – Sekine, Kobayashi und Saita (2003) sprechen für Japan von einer „nachsichtigen Kreditvergabe“ –, werden viele Unternehmen zombifiziert: Diese sind nur noch lebensfähig, weil die Banken das Kreditausfallrisiko nicht mehr ausreichend einpreisen. Die Renditeerwartung der Unternehmen nimmt im Durchschnitt ab.
Banerjee und Hofmann (2018) von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zeigen, dass der Anteil der Zombieunternehmen in den meisten Industrieländern bereits vor der Krise im Trend angestiegen ist. Dieser Prozess dürfte sich mit den umfangreichen Corona-Notkreditvergaben nochmals verstärken. Daten des IWF zeigen, dass der Anteil von notleidenden Krediten bei den südeuropäischen Banken höher als im nördlichen Euroraum ist. Kombiniert mit den negativen Zinsen, die Geschäftsbanken für Einlagen bei der EZB zu zahlen haben, ergibt sich ein regionaler Verteilungseffekt innerhalb der Währungsunion. Die Banken im nördlichen Eurogebiet halten überproportional viele Einlagen bei der EZB und zahlen damit überproportional viele Strafzinsen an die EZB. Hingegen profitieren die Banken im südlichen Euroraum überproportional von den negativen Zinsen der (T)LTRO-Kredite.
Insgesamt wird der Allokationsprozess von Kapital, wie er in marktwirtschaftlichen Systemen üblich ist, auf den Kopf gestellt. In der alten Welt strebten die Unternehmen nach Gewinnen, indem sie in effizientere Produktionsprozesse oder innovative Produkte investierten. Weil sie dadurch höhere Gewinne erwarteten, waren sie bereit einen positiven Zins zu bezahlen (siehe Böhm von Bawerk 1884). Die Banken preisten eine Risikoprämie ein, was den Unternehmen einen ständigen Anreiz gab das potenzielle Ausfallrisiko auch im Fall eines Abschwungs niedrig zu halten.
In der neuen Welt geht die Kreditvergabe von der EZB aus. Diese überweist bei gelockerten Anforderungen an die Sicherheiten den Banken eine Prämie für die Kreditvergabe an die Unternehmen. Wie in Folge der Eurokrise können schwache Banken schwache Unternehmen über Wasser halten (Storz et al. 2017), indem sie den Unternehmen keine ausreichend hohen Risikoprämien berechnen. Die Banken haben sogar einen Anreiz, Unternehmen zu überzeugen neue Investitionsprojekte mit geringer erwarteter Rendite auf den Weg zu bringen. Theoretisch ist sogar ein Projekt mit einer nominalen Rendite von null (z.B. Hortung von Bargeld) vorteilhaft, weil sich die Bank und das Unternehmen die von der EZB ausgezahlte Prämie teilen können.
Die Wachstumseffekte der (T)LTRO-Welle dürften deshalb auf die lange Frist negativ sein. Zwar werden kurzfristig Bankrotte und schmerzhafte Restrukturierungen verhindert, doch dürften längerfristig die Produktivitätsgewinne im Durchschnitt weiter abnehmen oder sogar negativ werden. Kornai (1986) sprach einst für die mittel- und osteuropäischen Planwirtschaften von weichen Budgetrestriktionen: Da Restrukturierungen der defizitären staatseigenen Unternehmen Tabu waren, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden, gewährte der staatlich kontrollierte Bankensektor weitgehend bedingungslose Kredite. Die Verluste der Banken wurden über die Notenpresse von der Zentralbank gedeckt.
In einem ähnlichen Prozess bewegt sich nun die Europäische Währungsunion unter anderem auf der (T)LTRO-Welle in eine zunehmend weiche Budgetrestriktion für eine wachsende Anzahl von Unternehmen. Die Zombifizierung, die im Süden der Währungsunion bereits seit Ausbruch der europäischen Finanz- und Schuldenkrise eingesetzt hat, dürfte fortan auch auf immer mehr Unternehmen im Norden der Währungsunion übergreifen. Wie in den Planwirtschaften werden Wohlstandsverluste unvermeidbar sein, wenn nicht bald eine geldpolitische Wende erfolgt.
Literatur:
Banerjee, Ryan / Hofmann, Boris (2018): The Rise of Zombie Firms: Causes and Consequences, BIS Quarterly Review, 67-78.
Böhm von Bawerk, Eugen (1884): Kapital und Kapitalzins. Wagner’sche Verlagsanstalt, Innsbruck.
European Central Bank (2020): ECB Announces Package of Temporary Collateral Easing Measures, Press Release 7.4.2020.
Lagarde, Christine (2020): Our Response to the Coronavirus Emergency, The ECB Blog 19.3.2020.
Kornai, Janos (1986): The Soft Budget Constraint, Kyklos, 39, 1, 3-30.
Schnabl, Gunther / Sonnenberg, Nils (2020): (T)LTRO-Tracker. Mimeo.
Storz, Manuela / Koetter, Michael / Setzer, Ralph / Westphal, Andreas (2017): Do We Want These Two to Tango? On Zombie Firms and Stressed Banks in Europe. ECB Working Paper Series, No. 2104.
Sekine, Toshitaka / Kobayashi, Keiichiro / Saita, Yumi 2003. Forbearance Lending: The Case of Japanese Firms. Monetary and Economic Studies, 21, 2, 69–92.
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[1] PSPP – Public Sector Purchase Programme, CBPP-III – Covered Bond Purchase Programme, CSPP – Corporate Sector Purchase Progamme, ABSPP – Asset-Backed Securities Purchase Progamme, PEPP – Pandemic Emergency Purchase Programme.
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