Sneakers, Games, Legos & Trash
Reselling und der Kirzner’sche Unternehmer

Das Internet als vermeintliche Möglichkeit, weitgehend kostengünstig Informationen zu beschaffen, müßte eigentlich zu einem friction-less commerce führen. Das bedeutet, daß durch die Abnahme der Transaktionskosten Preise sinken, eine geringe Streuung der Preise und eine Abnahme der Produktdifferenzierung aufgrund der Skaleneffekte zu beobachten sein müßte. Tatsächlich kann nicht uneingeschränkt davon ausgegangen werden, daß die Transaktionskosten abnehmen und sich ein friction-less commerce einstellt (Daumann 2018); vielmehr zeigt sich, daß

  1. die Preise im Online-Handel oftmals höher ausfallen als im stationären Handel (Lal & Sarvary 1999; Ofek et al. 2011),
  2. selbst in hoch-kompetitiven Märkten erhebliche Preisunterschiede für das gleiche Gut auftreten (Ellison & Ellison, 2005) und
  3. das Internet nicht zu einer Abnahme der Produktdifferenzierung, sondern eher zum Gegenteil führt (Brynjolfsson, Hu, & Smith, 2006).

Insbesondere 2) schafft damit Platz für den Kirzner’schen Unternehmer, den Arbitrageur: Nach Kirzner (1978) besteht das unternehmerische Element darin, sich die ungleiche Informationsverteilung unter den Marktteilnehmern zunutze zu machen und aufgrund der eigenen Findigkeit aus dieser Unwissenheit resultierende Gewinnpotentiale aufzudecken. So können sowohl Preisdiskrepanzen auf einzelnen Märkten als auch die unzureichende Abstimmung zwischen Transaktionen auf den Ressourcenmärkten und Transaktionen auf den Produktmärkten Arbitragemöglichkeiten eröffnen, die durch das unternehmerische Element eruiert und genutzt werden. Unternehmerisches Handeln verkörpert sich somit in der Findigkeit bezüglich bisher nicht genutzter oder unbekannter Gewinngelegenheiten. Es ist offensichtlich, dass der durch Kirzner skizzierte Unternehmertyp in einer neoklassischen Gleichgewichtswelt nicht vorstellbar erscheint (Kirzner 1978, 21). Mit Blick auf den hier analysierten Sachverhalt zeigt sich einmal mehr, daß auch die moderne Informationstechnologie nicht dazu führt, daß sich die Unvollkommenheit der Gütermärkte reduziert, vielmehr kann in einigen Segmenten sogar eine erhöhte Neigung zu Unvollkommenheiten festgestellt werden.

Das Internet und die damit verbundenen Möglichkeiten schaffen dem findigen Unternehmer hier eine exzellente Plattform für Reselling, also für Arbitrage. Der Reseller verhält sich also wie der klassische Arbitrageur: Er kauft Produkte mit dem Ziel ein, durch einen Wiederverkauf mit einem höheren Preis Gewinn zu realisieren. Reselling nutzt also die Preisdifferenz zwischen Ein- und Verkauf aus. Ziel des Resellers muß es also sein, diese Marge möglichst groß zu gestalten. Dabei wird der weltweite Reselling-Markt allein für Sneakers auf zwischen zwei und sechs Mrd. US-Dollar pro Jahr geschätzt (Schwär, 2019).

Das Geschäftsmodell der Reseller basiert dabei im wesentlichen auf den folgenden Strategieelementen (Luke 2020, LeonDawi 2019):

Auswahl der richtigen Nische: Erfolgreiche Reseller kaprizieren sich auf seltene oder limitierte Produkte, für die es insbesondere aufgrund von Liebhabern oder Sammlern eine hohe Nachfrage gibt. Dabei werden Produkte bevorzugt, die einfach zu lagern und zu versenden sind. Besondere Bedeutung kommt dem Sachverhalt zu, daß die Produkte nach Möglichkeit fälschungssicher oder zumindest schwer nachahmbar sind. Freilich sind nur Produkte interessant, bei denen große Preisdifferenzen vorliegen oder entstehen können. Weiterhin fokussieren sich erfolgreiche Reseller auf solche Produkte, bei denen sie eine hohe Kompetenz bspw. durch ihre eigenen privaten oder beruflichen Interessen bedingt aufgebaut haben. In der Regel ist Reselling auf einen quick flip – also einen An- und zeitnaher Wiederverkauf ausgerichtet, da bei den meisten Produkten durch das 14-tägige Widerrufsrecht bei Onlinekäufen das Risiko reduziert erden kann. In manchen Fällen werden diese Strategiepartikel durch eine sog. buy-and-hold-strategy, bei der ein längerer Zeitraum zwischen Kauf und Verkauf liegt und die dadurch eine höhere Kapitalbindung bedingt (sinnvoll bei alten Nintendo-Spielen, speziellen Lego-Sets, limitierten Modellautomobilien oder Modelleisenbahnen) sowie durch die Aufwertung insbesondere der gebrauchten Produkte etwa durch Reparaturen etc. ergänzt. Offenbar hat sich für Reseller eine Art Daumenregel entwickelt, die besagt, daß pro Produkt mindestens ein Gewinn von 10 Euro erzielt werden solle.

Wareneinkauf: Der Wareneinkauf erfolgt über verschiedene Plattformen. Neben den klassischen Möglichkeiten wie dem Flohmarkt, bei Insolvenzversteigerungen und bei Großhändlern bietet sich freilich der Kauf durch die Nutzung des Internets an. Dabei läßt sich wiederum aktives Suchen und passives Suchen unterscheiden. Beim aktiven Suchen durchforstet der Reseller Shops und Portale wie deal finder im Internet mit Hilfe von Suchbegriffen. Dabei scheinen sich besondere Gelegenheiten oftmals aufgrund von Schreibfehlern bei der Produktbeschreibung des Verkäufers zu ergeben: So dürfte beispielsweise der „Nike Dunk SB Low Paris“ regulär nicht unter 30.000 US-Dollar momentan erhältlich sein. Ein falschgeschriebenes Angebot etwa der Form „Naik Dunk SB Low Paris“ wird schwerer zu finden sein und damit erheblich günstiger veräußert werden. Erleichtert wird derartiges Suchen durch spezielle Apps wie „Baysearch“. Passives Suchen erfolgt durch Signaling, daß man bestimmte Produkte sucht. Hierzu bedient man sich etwa der Ebay-Kleinanzeigen oder etwa Portalen wie „Shpock“ und wartet auf entsprechende Reaktionen. Daneben werden hier ebenfalls Facebook-Gruppen und Kleiderzirkle als Medien für die Beschaffung verwendet.

Preisvergleich: Eine wichtige Rolle spielt beim Reselling der Preisvergleich. Reseller bedienen sich dabei entsprechender Plattformen (z. B. „Idealo“) oder prüfen die Preise unter eBay unter beendeten bzw. verkauften Angeboten.

Verkaufsplattformen: Die in den letzten Jahren an Aufwind gewinnende Plattformökonomie (etwa Haucap 2020) lässt sich für den findigen Unternehmen im Rahmen des Reselling nutzen. Für den Verkauf eignen sich wiederum Plattformen wie Ebay. Hier kann entweder über eine Kleinanzeige oder über ein Angebot das Produkt feilgeboten werden. Eine stärkere Professionalisierung erfolgt durch das Erstellen einer eigenen Plattform, das wiederum durch einen Webhost erleichtert werden kann (Kopocz 2020). So unterhalten sehr erfolgreiche Reseller wie etwa Derek Lew mit Sole Supremacy eine eigene Website und einen eigenen Store (Gardt 2016). Um die Nutzungsgebühren von Portalen wie Ebay zu umgehen, verwenden viele Reseller ihre Instagram- und Facebook-Accounts, um ihre Waren anzupreisen.

Dabei scheinen sich bei manchen Produkten für den Reseller erhebliche Gewinnmargen einzustellen:

  • Sneakers (Gardt 2016; Lang 2020): Bei Sneakers ergeben sich offenbar bei Nike-Schuhen, die in Kooperation mit Michael Jordan, Travis Scott (einem US-Rapper), Ben & Jerry’s (einer amerikanischen Eiskrememarke) und Virgil Abloh (ein amerikanischer Designer und Musikkünstler) konzipiert wurden, erhebliche Preissteigerungen. So wurde etwa der „Nike SB Dunk Low Cactus Jack“ mit einem Verkaufspreis von 135 Euro in limitierter Auflage auf den Markt gebracht; mittlerweile (Juni 2020) wird er bei Stockx für 1.500 Euro gehandelt. Manche der limitierten Schuhe der Air Jordan-Serie von Nike erzielen bei Einkaufspreisen von 200 US-Dollar Erlöse bis um die 20.000 US-Dollar. Ähnliches gelingt Adidas mit Sneakers, die zusammen mit dem Rapper Kanye West – dem Ehegatten von Kim Kardashian, die ihrer Tochter sinnigerweise den Vornamen North gegeben haben, um ihr offenbar eine lebenslange Orientierung zu vermitteln – auf dem Markt platziert wurden. Diese Yeezy-Schuhe erzielen beim Weiterverkauf Preise von über 1.200 US-Dollar.
  • Originalverpackte Konsolenspiele: Sehr seltene Konsolenspiele wie z. B. Hagane: The Finale Conflict, Donkey Kong Country Competition Edition, Nintendo Campus Challenge 1991 und 1992 und Nintendo Powerfest 1994 für das Super Nintendo Entertainment System erzielen sehr hohe Preise. So wurde das Nintendo Campus Challenge 1991 bspw. für über 20.000 US-Dollar veräußert (o. V. 2020a). Ähnliches läßt sich auch für alte Spiele von Atari oder von Sony feststellen.
  • Lego-Bausätze: Alte oder limitierte Bausätze des Spielebausteinherstellers Lego erfahren sehr große Wertsteigerungen. Dabei wird sich häufig auf sog. „End of Life-Produkte“ fokussiert, deren Produktion gerade am Auslaufen ist und die oft preisvergünstigt abgegeben werden (Eckhardt 2020). So wird etwa für die „SHELL Service Station“ ein Preis von rd. 700 Euro aufgerufen. Für den limitierten Starwars-Todesstern-Bausatz werden etwa 2.700 Euro verlangt (o. V. 2019).
  • Sonstiges: Teilweise lassen sich auch corona-bedingte Lieferschwierigkeiten entsprechend nutzen: Bei der Spielekonsole Nintendo Switch bspw. entstand ein Lieferengpaß, der von Resellern genutzt wurde. Die ursprünglich für einen Verkaufspreis von 330 Euro erhältliche Spielekonsole, die nun wegen der Pandemie nicht mehr lieferbar ist, läßt sich mittlerweile auf Ebay für etwa 500 Euro erwerben (o. V. 2020). Ähnliches läßt sich über bestimmte Produkte des hardware-Produzenten Logitech berichten (hier waren zeitweise die Webcams ausverkauft).

Um die Reseller herum entstehen verschiedene Märkte. Zum einen sind hier vorgelagerte Informationsmärkte zu nennen. Auf diesen sind Marktteilnehmer tätig, die etwa in Blogs oder auf YouTube-Kanälen ihre Informationen anbieten (z. B. Resellingmitkopf.de). So existiert für die Lego-Bausätze mit den Seiten brickklink.com, steinehelden.de, promobricks.de, stonewars.de, lego.com, zusammengebaut.com, spielwaren-investor.com und brickmerge.de eine Vielzahl von Informationsportalen (Eckhardt 2020), die sich wiederum unterschiedlichster Geschäftsmodelle zur Finanzierung bedienen. Andere Anbieter offerieren Echtheitsüberprüfungen (authenticity checks) für verschiedene Produkte (z. B. trusted.com). Daneben bieten Akteure Seminare an, mit denen das Reselling „erlernt“ werden kann (z. B. udemy.com). Eine erhebliche Rolle spielen zudem Märkte für sog. Bots (Softwareroboter): Der Reseller kann auf spezialisierte automatische Kaufprogramme zugreifen, die das Produkt mit hoher Geschwindigkeit, sobald es auf einem Verkaufsportal verfügbar ist, in den Warenkorb legen und automatisch bezahlen. So existieren für den Sneaker-Erwerb Bots wie AIOBot und Sneakerbots4all; Spielekonsolen lassen sich mit Bird Bot, Phantom, Scottbot und Swift kaufen. Dabei können diese Bots freilich wieder Opfer einer Gegenstrategie der Online-Shops werden: Teilweise werden Online-Shops so programmiert, daß bestimmte Seiten für den Bot als angebotene Produkte wahrgenommen werden und dann diese vermeintlichen Produkte (oftmals handelt es sich um Bilder, bei denen die Rückgabe durch die AGBs ausgeschlossen ist) von den Bots gekauft werden. Ein menschlicher Nutzer würde hier kein zu kaufendes Produkt erkennen können. Ergänzt wird dieses Angebot durch spezialisierte Handelsplattformen wie etwa Fightclub, Stockx usw. für Sneakers, Grailed für Menswear und Stadium Goods für Sneakers und Streetswear. Zudem werden sogar „Ansteh“-Dienstleistungen angeboten, die darin bestehen, daß sich Leute dafür honorieren lassen, vor der betreffenden Verkaufsstelle in der Warteschlange zu warten.

Aus ordnungsökonomischer Perspektive zeigt sich hier ein interessantes Phänomen: Es entstehen durch das Internet, indem die Informationskosten – zumindest für manche Akteure abgesenkt werden – gänzlich neue Märkte, die auf Arbitrage basieren (Reselling). Diese weitgehend unregulierten und in erheblichem Maße unvollkommenen Märkte locken neue Anbieter an, die die Bedürfnisse dieser Arbitrageure befriedigen, indem sie die Arbitrage erleichtern (Bots-Anbieter etc.). Dabei bedienen die einzelnen Anbieter extrem enge Marktsegmente, die zudem meist nur einen sehr kurzen Marktlebenszyklus aufweisen. Die Geschwindigkeit, mit denen in diesen Märkten vor- und nachstoßende Handlungen auftreten, läßt das Entstehen einer vermutenden Monopolisierung (Stichwort: Internet-Märkte als Winner-takes-it-all-Märkte) nicht möglich werden. Zudem besteht aufgrund der geringen Markteintrittsschranken für viele Akteure die Möglichkeit, nahezu ungehindert in den Markt einzutreten. Dies führt wiederum zu einer Reduktion der Handelsspannen der Reseller. Eine staatliche Wettbewerbsregulierung dieser Märkte ist deswegen nicht nur unnötig, sie ist auch kaum möglich. Selbst der Fiskus hat auf diesen Märkten das Problem, entsprechende Steuerpflichtige ausfindig zu machen und die Steuern zu erheben.

Für die produzierenden Unternehmen hat der Reselling-Markt zudem noch einen erheblichen Marketing-Effekt: Durch die Verknappung der Produkte wie sie etwa bei den Sneakers erzeugt wird, werden Begehrlichkeiten initiiert, die der ‚Marke‘ wertvolle Facetten bei den Zielgruppen hinzufügen.

Quellen

Brynjolfsson, E., Hu, Y. J., & Smith, M. D. (2006), From Niches to Riches: Anatomy of the Long Tail, in: MIT Sloan Management Review, Vol. 47(4), pp. 67 – 71.

Frank Daumann und Florian Follert

Eine Antwort auf „Sneakers, Games, Legos & Trash
Reselling und der Kirzner’sche Unternehmer

  1. Professionelle Sneaker- oder Game-Reseller in Europa und der ganzen Welt haben es sich mittlerweile zur Aufgabe gemacht ihren Lebensunterhalt mit dem Wiederverkauf von limitierten Sneakern zu verdienen. Bei Wiederverkaufspreisen die über 1000% des ursprünglichen Retailpreises erreichen (bei Sneakers durchaus möglich), lässt es sich damit auch durchaus gut leben. Leicht ist der Erfolg eines solchen Geschäftsmodell aber mit Sicherheit nicht! Und: eBay ist schon lange nicht mehr die einzige Verkaufsplattform! Die Reseller haben gemerkt, dass sich beispielsweise in der Schweiz mehr verdienen lässt: Wenn man auf schweizer Plattformen verkauft, erzielt man eine viel grössere Marge. Dort ist eh alles teurer. https://trovas.ch ist mit weit mehr als drei Millionen Inseraten die grösste kostenlose Kleinanzeigen-Plattform in der DACH-Region. Am meisten wird wohl mit Sneakers und Spielkonsolen verdient. Genaue Zahlen sind jedoch schwerig zu recherchieren.

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