Putin ist ein Autokrat, also ein Alleinherrscher. Wirklich allein hat allerdings noch niemand geherrscht – nicht Hitler, nicht Stalin, nicht Mao, nicht einmal Idi Amin und auch nicht Putin. Denn Putin sitzt nur in einem seiner Büros und erteilt Befehle. Selbst ausführen kann er sie ebenso wenig wie irgendein anderer Autokrat. Also ist er darauf angewiesen, dass seine Befehle von oben nach unten weitergeleitet und schließlich ausführt werden. Von ganz oben bis nach ganz unten sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie einmal nicht ausgeführt oder gar bewusst in ihr Gegenteil verkehrt werden. Warum? Ganz unten müssten zu viele ihre Befehlsverweigerung miteinander koordinieren, damit sie den Durchgriff des Diktators unterbinden können. Wer dennoch im Alleingang den Befehl verweigert, ist in der Regel verloren, sofern er sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringt. Daher werden Befehle auf der untersten Ebene fast immer ausgeführt. Einige spektakuläre Massen-Befehlsverweigerungen – zum Beispiel der deutsche Matrosenaufstand am Ende des Ersten Weltkriegs oder die russischen Massendesertionen ein Jahr zuvor – sind dennoch geschehen. Aber es ist bezeichnend, dass sie regelmäßig historisch geworden sind. Denn ihr Erfolg war nur ein Zeichen dafür, dass das gesamte Machtsystem bereits marode war.
Wie Sanktionen ein Regime stärken können
Sanktionen schwächen die Wirtschaft des betroffenen Ziellandes. Das bedeutet aber nicht, dass sie auch immer und notwendigerweise das Regime schwächen. Viele autokratische Regierungen leben mit Sanktionen recht gut, relativ stabil und vor allem erstaunlich lange, wie zum Beispiel die Regime von Fidel Castro in Kuba, Saddam Hussein im Irak, Bashar al-Assad in Syrien, dem Kim-Clan in Nordkorea oder den Mullas im Iran zeigen.
Anleitung zur Zerstörung einer Demokratie in zehn Schritten
Eine moderne Anleitung zur Zerstörung einer Demokratie muss zwei empirische Beobachtungen des 20. Jahrhunderts beherzigen.
Erstens: Bis zum Ersten Weltkrieg und teilweise auch noch in der Zwischenkriegszeit waren Autokratien elitär. Für die meisten Vertreter der Eliten war die Herrschaft des Volkes eine lächerliche Vorstellung, denn das gemeine Volk war bei weitem zu einfältig, um vernünftigerweise in staatspolitische Entscheidungen eingebunden werden zu können. Daher sahen sich politische Eliten auch nicht als Vertreter des Volkes, sondern als Repräsentanten von Kopfgeburten wie der Nation oder gar gleich des Allmächtigen. Das Volk dagegen war Material, das man für Kriege und andere Dinge von nationaler oder göttlicher Bedeutung nach Belieben einsetzte wie einen Produktionsfaktor. Spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs änderte sich das. Seither verstehen sich praktisch alle Regierungen als Repräsentanten des Volkes, jedenfalls in ihrer Kommunikation. Deshalb spielen auch Autokratien formal das demokratische Spiel, obwohl das inhaltlich natürlich keine Bedeutung hat: Sie halten Wahlen ab, sie behaupten, die einzig wahren Vertreter der Interessen des Volkes zu sein, und sie verweisen gern und überall auf die Unabhängigkeit ihrer Parlamente und Gerichte, weshalb ihnen in vielerlei Hinsicht – etwa bei der Verurteilung von Dissidenten – die Hände gebunden seien. Schließlich achten sie sehr auf ihre Popularität.
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Die Politik wirtschaftlicher Sanktionen
Ökonomisch kostspielig, politisch ineffizient?
„Wegen der europäischen Abhängigkeit vom russischen Gas wird es schwierig sein, Russland vom Swift auszuschließen. Wie sollen die Europäer dann noch für das Gas bezahlen?“ (Nicholas Mulder)
Die westliche Welt droht mit wirtschaftlichen Sanktionen. Russland ist der Adressat der Drohungen. Es ist schon in der jüngeren Vergangenheit wiederholt auffällig geworden: in Georgien, in Moldawien, auf der Krim, im Donbass. Nun lässt es massiv Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren. Aber auch in den baltischen Staaten, allesamt Mitglieder der NATO, geht die Angst vor einer russischen Intervention um. Die Diplomatie stößt an ihre Grenzen. Das Normandie-Format scheint zu einem Muster ohne Wert zu verkommen. Der Westen schließt den Einsatz des Militärs kategorisch aus, sollte Russland die Ukraine tatsächlich überfallen. Als letztes Mittel, Putin in die territorialen Schranken zu weisen, scheint der EU und den NATO-Ländern somit nur zu bleiben, mit neuen, härteren wirtschaftlichen Sanktionen zu drohen, wie sie Putin noch nie gesehen habe (Joe Biden). Ultimativ wird mit dem Ausschluss Russlands aus dem internationalen Nachrichten- und Zahlungsverkehr SWIFT gedroht. Ob diese Drohung den russischen Präsidenten schreckt, bleibt abzuwarten. Russland wird schon seit 2014 von EU und den NATO-Staaten sanktioniert, als es die Krim annektierte. Geholfen hat es wenig. Wie ein hochrangiger deutscher Konter-Admiral es kürzlich ausgedrückt hat: Die Krim ist weg.
Christentum, Islam und die Renaissance des Liberalismus
Nein, man möchte in diesen Tagen nicht für die SPD verantwortlich sein. Der Schulz-Effekt konnte nur kurz davon ablenken, dass es ihr nicht mehr gelingen will, sich links von der Mitte ein stabiles Lager zu errichten. Davor steht die Linkspartei. Das gute alte Medianwählermodell der Demokratie besagt, dass zwei konkurrierende Parteien auf einem Links-Rechts-Schema immer um denjenigen Wähler buhlen, der genauso viele Mitwähler links wie rechts von sich hat. Das zwingt die beiden Parteien in die Mitte, hin zum Medianwähler, denn der entscheidet. Aber so funktioniert das nur in einer Welt von zwei Parteien. Lassen wir die GRÜNEN und die FDP mal für den Moment außen vor und stellen uns links und rechts jeweils als ein größeres oder kleineres Maß an Umverteilung vor, dann stellen wir fest: Sobald die SPD sich in die Mitte bewegt, grast ihr die LINKE jene Wähler ab, die hinreichend weit links vom Medianwähler stehen. Versucht die SPD das zu verhindern, indem sie nach links rückt, sahnt die CDU in der Mitte und auch bis nach links davon Wähler ab. So ist es geschehen mit der SPD im Saarland, und so hat es den Schulz-Effekt entzaubert, der allein daraus bestand, dass Schulz mit dem Messias verwechselt wurde, der das Dilemma der SPD zwar auch nicht auflösen, es aber durch salbungsvolle Reden in Wahlsiege verwandeln kann. Anders als der Wein auf der Hochzeit zu Kana sind Wahlergebnisse allerdings empirisch überprüfbar.
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Die neue Weltunordnung?
Schon kurz nach dem Eintreten der Finanzkrise von 2008 wurde von verschiedenen Seiten die Sorge geäußert, dass sich die Geschichte in gewisser Weise wiederholen könnte und die unruhigen Zeiten nach der ersten Finanzkrise zu Ende der Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts „unfröhliche Urstände“ feiern könnten. Diejenigen, die mit den direkten wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Finanzkrise umzugehen hatten, ließen sich dies zur Warnung dienen und haben mit insgesamt erstaunlicher Umsicht und Übersicht versucht, unmittelbare dramatische Verwerfungen zu vermeiden. Der gewonnene Aufschub, insbesondere die Abfederung der entstehenden Arbeitslosigkeit durch die öffentlichen Sozialsysteme haben dramatische symbolpolitisch relevante Krisenerscheinungen, wie wir sie alle noch aus den Filmaufnahmen aus den frühen dreißiger Jahren kennen, verhindert.
Populäre Autokraten
Das Handelsblatt titelte jüngst mit dem „Jahr der Autokraten“. Tatsächlich dürfte das Jahr 2016 das vorerst dunkelste Jahr für die Geschichte der Demokratie nach dem Umbruchjahr 1989 sein. Ein Ende ist leider nicht absehbar, denn dem Beispiel Russlands, der Türkei, Ungarns und Polens können leicht weitere folgen, und dies sind ja nur die Länder im europäischen Umfeld. Zwar dürfen wir hoffen, dass der Spuk in Ungarn und Polen in absehbarer Zeit einmal ein Ende findet, aber sicher ist das auf keinen Fall. Und es könnte noch schlimmer kommen, denn mindestens in Frankreich und in den Niederlanden lauern weitere Gefahren. Alle diese Beispiele erinnern uns daran, dass Diktaturen keineswegs immer von einer elitären, zumeist militärischen Clique im Wege eines Putsches installiert wurden. Es ist nur so, dass uns diese Fälle durch die Nachkriegsgeschichte Mittel- und Osteuropas und Lateinamerikas zuletzt so geläufig geworden waren. In Lateinamerika installierten die Militärführer die rechten Diktaturen und im Osten errichteten die (Post-)Stalinisten und Maoisten die linken Diktaturen. Allesamt aber wurden diese Diktaturen der Bevölkerung von oben aufgezwungen. Populäre Diktatoren oder solche, die es zumindest zunächst einmal waren, finden wir in der Nachkriegszeit hauptsächlich in der islamischen Welt, und hierfür haben wir mit dem Islamismus eine scheinbar naheliegende Erklärung.