Infrastrukturabgabe: Kein Schritt in die richtige Richtung

Die Hoffnung der Verkehrsexperten vor der Bundestagswahl war groß. Die Verkehrsministerkonferenz der Länder bestätigte die bekannten Zahlen zur Unterfinanzierung des Verkehrssektors und die politischen Parteien verkündeten im Wahlkampf, dieses Problem zu lösen. Dann kam der als bayerische Arabeske gestartete Aspekt der Gerechtigkeit zwischen Deutschen und Österreichern und entwickelte sich zum argumentativen Fundament der aktuellen Mautinitiative. Der Wahlausgang führte zu einem Kompromiss zwischen den Positionen von CDU (keine Steuererhöhungen, kein deutscher Autofahrer soll mehr bezahlen), CSU (keine Steuererhöhungen, ausländische Autofahrer sollen bezahlen) und SPD (Steuererhöhungen für die Infrastruktur, keine Maut), der sich im Koalitionsvertrag wie folgt liest: „Für die Verkehrsinfrastruktur des Bundes schaffen wir eine verlässliche Finanzierungsgrundlage. Wir werden in den nächsten vier Jahren die Bundesmittel für Verkehrsinfrastruktur substanziell erhöhen… Zur zusätzlichen Finanzierung des Erhalts und des Ausbaus unseres Autobahnnetzes werden wir einen angemessenen Beitrag der Halter von nicht in Deutschland zugelassenen PKW erheben (Vignette) mit der Maßgabe, dass kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute … Die Nettoeinnahmen aus der Nutzerfinanzierung werden ohne Abstriche der Verkehrsinfrastruktur zugeführt.“

Nach der Regierungsbildung wurde die Koalitionsvereinbarung unterschiedlich beurteilt. Hinsichtlich der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur waren viele Experten enttäuscht über den geringen Umfang zusätzlicher Mittel. Hinsichtlich der Vignette waren viele Experten überzeugt, dass die Schnittmenge von Europarecht und Koalitionsvertrag leer ist. Das vom Bundesverkehrsminister Dobrindt am 7. Juli 2014 vorgelegte 4-seitige Konzeptpapier kann die Zweifel an Letzterem nicht ausräumen. Das Papier enthält einige Überraschungen: Die Infrastrukturabgabe gilt für alle Fahrzeuge (also auch Motorräder) bis 3,5 t (darüber hinaus gilt die EU Richtlinie über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge). Die Gebühr, die ein deutscher Kraftfahrzeugbesitzer zahlen muss, wird von der Kfz-Steuer abgezogen. Die Kompensation wird aber in einem separaten Gesetze durchgeführt und nicht mit dem Vignetten-Gesetz gekoppelt. In Zukunft können sich Kfz-Steuer und Vignetten-Gebühr unabhängig voneinander entwickeln. Da die Benutzung aller Straßen bemautet wird, entstehen von Ausländern höhere Netto-Einnahmen als erwartet. Dazu heißt es, dass die um die Systemkosten geminderten Einnahmen aus dem Verkauf von Vignetten an Halter von nicht in Deutschland Kfz-steuerpflichtigen Pkw in Höhe von optimistisch geschätzten 600 Mio. Euro pro Jahr aus dem Bundeshaushalt in die Straßeninfrastruktur fließt.

Der Gesetzgebungsprozess ist noch lang und es wird weitere konstruktive Gespräche mit der EU geben, so dass die Gesetze wohl EU konform gestaltet werden können. Aber wird auch der Koalitionsvertrag erfüllt? Das Hauptargument des Bundesverkehrsministers ist, dass er eine Gerechtigkeitslücke zwischen Deutschen und Ausländern schließen möchte: Deutsche zahlen für deutsche Straßen, Ausländer zahlen nur indirekt oder gar nicht. Das Schließen dieser Lücke zwischen Deutschen und Österreichern öffnet jedoch eine neue Gerechtigkeitslücke beispielsweise zwischen Deutschen und Niederländern. Niederländer zahlen in Zukunft für deutsche Straßen, Deutsche aber nicht für niederländische. Man muss für die Gerechtigkeit (aber nicht für die Wettbewerbsfähigkeit) in Europa hoffen, dass auch diese Gerechtigkeitslücke bald geschlossen wird, indem die Niederlande eine Infrastrukturabgabe einführen. Somit würde zwar im Sinne des Ministers die Gerechtigkeit europaweit steigen, jedoch der Koalitionsvertrag (und ein Versprechen, dass die Kanzlerin vor der Wahl im Fernsehen jedem Wahlberechtigten gegeben hat) gebrochen. Alle Autofahrer in Deutschland, die die Niederlande, Dänemark und andere bisher mautfreie Länder besuchen, werden höher belastet.

Der zweite Widerspruch zum Koalitionsvertrag ist die Verwendung der Mittel. Der Verkehrsminister erwartet Nettoeinnahmen von jährlich rund 4,44 Milliarden Euro. Diese werden aber nicht ohne Abstriche der Verkehrsinfrastruktur zugeführt, wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Es werden lediglich 600 Millionen, also knapp 14 Prozent, für die Straßeninfrastruktur zweckgebunden. Der Rest der Mittel verbleibt als Staatseinnahmen zur freien Verfügung im Haushalt.

Doch unabhängig von Koalitionsvertrag und EU-Recht stellt sich die Frage, ob die geplante Maut ein Schritt in die richtige Richtung ist oder aber ob der Status quo (keine Maut) die bessere Lösung ist. So wie im Weißbuch Verkehr der EU Kommission beschrieben, ist auch im Verkehrssektor eine richtige Preissetzung und die Vermeidung von Verzerrungen sinnvoll. Wenn man verkehrsbezogene Steuern und Abgaben umstrukturiert sollte der Rolle des Verkehrs bei der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit Europas Rechnung getragen werden und gleichzeitig die Gesamtbelastung des Sektors die gesamten Verkehrskosten, d. h. Infrastrukturkosten und externe Kosten, widerspiegeln. Bis zum Jahre 2020 ist eine vollständige und obligatorische Internalisierung externer Kosten (u. a. für Lärm, lokale Umweltverschmutzung und Verkehrsüberlastung zusätzlich zur verbindlichen Abgabe zur Deckung von Verschleißkosten) im Straßenverkehr das im Weißbuch formulierte und ökonomisch sinnvolle Ziel. Eine Vignette ist ungeeignet, externe Kosten für Lärm, lokale Umweltverschmutzung und Verkehrsüberlastung zu internalisieren, da sie wie eine Flatrate die weitere Nutzung der Infrastruktur nicht beeinflusst. Dagegen ist eine Vignette zur Deckung von Kosten, die zur Bereitstellung von Straßen, die zwar wenig genutzt werden, deren Vorhandensein die Kunden aber im Sinne einer Realoption schätzen, gut geeignet. Von daher könnte man eine Vignette als richtigen Schritt in die Nutzerfinanzierung bezeichnen.

Nutzerfinanzierung von Clubgütern wie Straßen ist jedoch eine Medaille mit zwei Seiten. Auf der einen Seite steht die Anlastung der Kosten bei den Nutzern und der Ausschluss der Nutzer, die nicht zahlen können oder wollen. Die andere Seite der Medaille jedoch ist die Verwendung der Mittel für die Produktion des Clubguts, hier die Straßeninfrastruktur. Dabei ist die Nutzerfinanzierung einfach und gerecht. Ist das doppelt so gut ausgebaute Netz genau doppelt so teuer wie das einfache (konstante Skalenerträge der Kapazitätskostenfunktion), dann kann eine Vignette das Netz optimaler Größe vollständig finanzieren. Die Selbstfinanzierung ist jedoch nur zu erreichen, wenn es eine Zweckbindung gibt. Schon eine verkehrsträgerübergreifende Verwendung, beispielsweise für Wasserstraßen oder Schienenwege, würde zu Finanzierungsproblemen führen. Eine Verwendung von über 86 Prozent der Vignetten-Einnahmen, wie vom Bundesverkehrsminister vorgesehen, hat mit der Idee der Nutzerfinanzierung nur den Teil der Nutzerbelastung gemeinsam.

Der Finanzminister erlaubt nur die Zweckbindung der um Systemkosten geminderten Einnahmen aus dem Verkauf von Vignetten an Halter von nicht in Deutschland Kfz-steuerpflichtigen Pkw. Hofft man, dass das Veto des Finanzministers irgendwann zurückgezogen wird, oder dass die Bundeskanzlerin das Veto überstimmt, könnte man die Vignette als Schritt in die richtige Richtung sehen. Dabei übersieht man jedoch, dass man aufgrund guter Gründe die Bauträgerschaft von Bundesfernstraßen, Landesstraßen und kommunaler Straßen in Deutschland getrennt hat. Die Einnahmen aus einer Vignette für das gesamte Straßennetz müssen zwischen den Bauträgern aufgeteilt werden. Weder gibt es dafür bisher einen Schlüssel, noch gibt es einen Mechanismus, der die Zweckbindung garantieren kann. In diesem Zusammenhang könnte zwar die Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern mit einer Zuordnung nur des Fernverkehrs zum Bund neu geordnet werden, zweckmäßiger ist es jedoch, für jeden Bereich einen eigenen Fonds zu gründen. Die vorgeschlagene Infrastrukturabgabe ist also auch unter dem Aspekt der Zweckbindung von Nutzerfinanzierung weder inhaltlich, noch in ihrer institutionellen Ausgestaltung, ein Weg in die richtige Richtung. Man muss sogar befürchten, dass die zwingende Beteiligung von Ländern und Kommunen an den Vignetteneinnahmen eine sinnvolle Lösung auf Dauer verhindert.

Zusammenfassend gilt, dass der Vorschlag zur Verkehrsinfrastrukturabgabe weder zu mehr Gerechtigkeit in Europa noch zu mehr Verursachungsgerechtigkeit führt. Da nur ein Bruchteil der Einnahmen zweckgebunden wird, wird das Instrument der Pkw-Maut, das geeignet ist, einen straßenbezogenen nachhaltigen Einnahmen-Ausgaben-Kreislauf zu schaffen, langfristig politisch beschädigt. Da Kfz-Steuer und Pkw-Maut nach Einführung entkoppelt sind, entsteht ein weiteres Instrument, um nicht zweckgebundene Staatseinnahmen zu erzielen, ohne Effizienzgewinne durch eine institutionelle Reform in der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung zu realisieren. Ist die Verkehrsinfrastrukturabgabe Gesetz und der bayerische Löwe besänftigt, muss sich die Bundesregierung wieder dem eigentlichen Problem widmen: Der Weiterentwicklung der Infrastrukturfinanzierung und der Sanierung der Infrastruktur.

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