Gastbeitrag:
Sind ARGEn wirklich besser?

Mit der zum 01. Januar 2005 in Kraft getretenen Reform der Grundsicherung (Hartz IV) wurde auch die institutionelle Form der Betreuung von Hilfebedürftigen einer grundlegenden Änderung unterzogen. Bis dahin oblag die Betreuung von Sozialhilfebeziehern den Kommunen, während die Betreuung von Arbeitslosenhilfebeziehern in der Verantwortung der Bundesagentur für Arbeit (BA) lag. Im Zuge der faktischen Abschaffung der Arbeitslosenhilfe war seitens der Bundesregierung ursprünglich geplant gewesen, den Verantwortungsbereich der BA auf sämtliche erwerbsfähigen Hilfebedürftige auszuweiten. Die kommunale Zuständigkeit sollte auf nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige begrenzt werden. Nach massiven Protesten der Kommunen setzten die Länder im Vermittlungsausschuss jedoch schließlich eine Mischverwaltung von Kommunen und BA in Form der sogenannten Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) durch und für eine begrenzte Zahl von sogenannten Optionskommunen (69) wurde darüber hinaus im Rahmen der sogenannten Experimentierklausel (§ 6 SGB II) eine autonome kommunale Zuständigkeit für erwerbsfähige Hilfebedürftige vereinbart. Der Gesetzgeber behielt sich allerdings vor, die Effektivität beider Verwaltungsformen nach einer Anlaufphase auf den Prüfstand zu stellen. Mit Hilfe wissenschaftlich abgesicherter Erkenntnisse sollte bis Ende 2008 ermittelt werden, welche der beiden neu zu schaffenden Organisationsformen effektiver arbeitet, um anschließend auf dieser Grundlage ggfs. eine einheitliche Verwaltungsform beschließen zu können.

Unter der Regie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) wurde 2006 eine breit angelegte Forschungsinitiative gestartet, um dem in der Experimentierklausel festgeschriebenen Evaluationsauftrag der Bundesregierung nachzukommen. In insgesamt vier Untersuchungsfeldern (Deskriptive Analyse und Matching, Implementations- und Governanceanalyse, Wirkungs- und Effizienzanalyse, Makroanalyse und regionale Vergleiche) war eine Vielzahl von Wissenschaftlern an der Durchführung beteiligt. Zugespitzt lautete die Kernfrage: ARGEn oder Optionskommunen: Wer kann es besser?

Der Ende 2008 vorgelegte Abschlussbericht kommt zu der Erkenntnis, dass die ARGEn im Hinblick auf die Überwindung der Hilfebedürftigkeit im Durchschnitt bislang besser abschneiden als Optionskommunen. Zu diesem Zeitpunkt war der Vergleich zwischen ARGEn und Optionskommunen durch ein Ende 2007 ergangenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts allerdings bereits obsolet geworden. Das Gericht betrachtet die Mischverwaltung von Bundesbehörden und Kommunen als verfassungswidrigen Eingriff in das Recht der Kommunen auf eigenverantwortliche Aufgabenerledigung. Für eine Neuregelung setzte es dem Gesetzgeber eine Frist bis Ende 2010 (Az.:2 BvR 2433/04).

Die Politik steht also nach wie vor in der Pflicht, eine einheitliche Organisationsform zu schaffen. Insofern können die vorliegenden Forschungsergebnisse zumindest grundsätzlich Anhaltspunkte dafür liefern, worauf bei einer künftigen Organisationsform geachtet werden sollte. Allerdings stößt man hier schnell an Grenzen der Belastbarkeit der Ergebnisse. Insbesondere das Untersuchungsdesign im zentralen Untersuchungsfeld 3 (Wirkungs- und Effizienzanalyse) kann im Hinblick auf die Ausgangsfrage nicht für sich in Anspruch nehmen, eindeutige Schlussfolgerungen zuzulassen.

Die durchgeführte Wirkungsanalyse beruht im Kern auf einer Bestandsstichprobe von Hilfebeziehern aus ARGEn und Optionskommunen, die im Jahr 2006 im Hilfebezug standen und befragt wurden. Der ausgewählte Personenkreis wurde im Zeitraum 11/2007 bis 3/2008 erneut befragt, wobei der Verbleib im Hilfebezug als zentrales Messkriterium ermittelt wurde. Mit Hilfe verschiedener ökonometrischer Verfahren wurde auf dieser Grundlage die Wahrscheinlichkeit des Hilfebezugs modelliert. Zusammengefasst lautet das Ergebnis, dass Hilfebezieher in Optionskommunen im Durchschnitt länger im Hilfebezug verbleiben als Hilfebezieher in vergleichbaren ARGEn. Daraus leitet sich die Schlussfolgerung ab, dass Optionskommunen ihre Aufgabe weniger effektiv erfüllen als ARGEn. De facto ist eine solche Schlussfolgerung jedoch nur dann zulässig, wenn bestimmte Nebenbedingungen erfüllt sind, deren Gültigkeit in der Untersuchung aber nicht hinreichend überprüft wurde.

Auf den ersten Blick erscheint es zwar naheliegend, dass ein relativ niedriger Anteil von Personen, die im Hilfebezug verbleiben, als Ausdruck für besonders effiziente Vermittlung betrachtet werden kann. Unter bestimmten Voraussetzungen, die nicht sehr weit hergeholt sein müssen, kann jedoch gerade ein hoher Anteil von Langzeitbedürftigen Ausdruck für eine insgesamt effektivere Vermittlung sein. Der Vergleich der Anteile von Langzeitbedürftigen stellt somit kein hinreichendes Kriterium für die Beurteilung der Effektivität der Vermittlung der untersuchten Organisationsformen dar. Im Gegenteil: Ein solcher Vergleich kann unter Umständen sogar zu einer falschen Beurteilung führen.

Das gleiche Ergebnis kann nämlich von völlig gegensätzlichen Ursachen herrühren. Wenn ARGEn den Optionskommunen in allen Belangen überlegen sind, wird sich ihre bessere Performance mit dem gewählten Untersuchungsdesign selbstverständlich erweisen. Es gibt aber auch Konstellationen, in denen ARGEn bei dem gewählten Untersuchungsdesign besser abschneiden, obwohl in Wirklichkeit die Optionskommunen den besseren Job machen. Der Rückschluss aus der Performance-Messung auf die Performance ist deshalb nicht ohne Weiteres eindeutig. Die Frage „Wer kann es besser?“ muss damit nach wie vor als unbeantwortet gelten.

Eine dieser paradoxen Konstellationen liegt dann vor, wenn die Gesamtheit der Hilfebedürftigen aus einer Gruppe von eher leicht Vermittelbaren und einer anderen Gruppe von eher schwer Vermittelbaren besteht und ARGEn und Optionskommunen zwar gleich effizient bei der Vermittlung von schwer Vermittelbaren sind, Optionskommunen aber effizienter bei der Vermittlung von leicht Vermittelbaren. Das würde dazu führen, dass im Bestand von Optionskommunen tendenziell ein höherer Anteil von schwer Vermittelbare anzutreffen ist als bei ARGEn, weil die leicht Vermittelbaren in den Optionskommunen schneller aus der Hilfebedürftigkeit heraus geführt werden. Bezogen auf eine Ausgangsstichprobe brauchen die Optionskommunen dann scheinbar länger für die Vermittlung, weil die schwer Vermittelbaren das Geschehen dominieren. Für die Beurteilung der Performance wird das zum Problem, wenn eine Unterscheidung zwischen leicht Vermittelbaren und schwer Vermittelbaren nicht im Voraus möglich ist. Im Nachhinein ist sie natürlich immer möglich, aber das hilft nichts für die Beurteilung von Effizienzunterschieden, wenn keine Zuschreibung darüber möglich ist, zu welchen Teilen die Vermittlungsdauer von besonderen Vermittlungshemmnissen und zu welchen Teilen von der Effizienz des Vermittlungsprozesses geprägt war.

Es lässt sich zeigen, dass das in der BMAS-Studie verwendete Evaluationsdesign beim Vorliegen heterogener Maßnahmeneffekte paradoxe Resultate hervorrufen kann, die umso ausgeprägter sind

  • je effektiver die überlegene Organisationsform arbeitet,
  • je größer der Bevölkerungsanteil der Gruppe ist, bei dem sich die Effektivitätsunterschiede bemerkbar machen und
  • je später die Messung erfolgt.

Eine sinnvolle Strategie zur Vermeidung dieses Problems hätte darin bestanden, Zugangskohorten in den Hilfebezug zu erheben statt einer Bestandsstichprobe. Auf der Grundlage von Zugangskohorten lassen sich bedingte Übergangswahrscheinlichkeiten unter Berücksichtigung unbeobachteter Heterogenität schätzen, die zur Beschreibung von Wirkungsunterschieden wesentlich geeigneter sind als Bestandswahrscheinlichkeiten und die gegenüber Verzerrungen der beschriebenen Art robust sind.

Damit wird keineswegs behauptet, die Optionskommunen leisteten in Wahrheit die bessere Arbeit. Es kann durchaus sein, dass die ARGEn tatsächlich die bessere Arbeit leisten, aber die vorliegende BMAS-Studie liefert dafür keine hinreichende Rechtfertigung.

Wenn Unterschiede in der Performance unterschiedlicher Organisationsformen auftreten, liegt die Vermutung nahe, dass es dafür auch handfeste Ursachen gibt. Diese müssen identifiziert werden. Darüber hinaus ist zu klären, inwieweit solche Ursachen an eine bestimmte Organisationsform gebunden sind. Aber auch in dieser Hinsicht macht die BMAS-Studie ratlos. Folgt man ihren Ergebnissen, dann wirkt sich positiv auf die Vermittlung aus, wenn eine ganzheitliche Betreuung im Sinne eines generalisierten Fallmanagements betrieben wird, eine intensive Betreuung der zu Vermittelnden gewährleistet ist und einer Aktivierung Vorrang vor einer passiven Betreuung eingeräumt wird. Als negativ hat sich neben einer Kundensegmentierung ausgerechnet die Nutzung des gemeinsamen Arbeitgeberservice mit der BA erwiesen. Dahinter verbirgt sich im Wesentlichen das Stellenvermittlungssystem der BA. Der letztgenannte Punkt ist der einzige, der institutionenspezifisch ist, weil er nur den ARGEn zur Verfügung steht. Wenn ARGEn also wirklich besser sind als Optionskommunen, dann nicht wegen, sondern rätselhafterweise trotz der Nutzung des Arbeitgeberservice.

Auch wenn somit am Ende mehr Fragen bleiben als Antworten, bedeutet dies natürlich keineswegs, dass man aus empirischen Untersuchungen nichts lernen kann. Ganz im Gegenteil: Ohne empirische Validierung von hypothetischen Mutmaßungen kann es keinen Erkenntnisfortschritt geben. Ob dieser Erkenntnisfortschritt gelingt, hängt letztendlich vom jeweiligen Untersuchungsdesign ab. Hier ist die Praxis leider voller Beispiele für vertane Chancen.

Für die Diskussion um die anstehende Organisationsreform ist das sicherlich nicht hilfreich. Die Auseinandersetzung ist nunmal von föderalen Konflikten geprägt, der ein paar sachliche Argumente gut täten. Es geht letztlich um eine Lösung, die den Betroffenen zugute kommt. Eine solche Lösung hängt mutmaßlich weniger von einer bestimmten Organisationsform als vielmehr von den richtigen Aktivierungs- und Betreuungsstrategien gegenüber den Hilfebedürftigen ab.

Hilmar Schneider
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