Sieben Prognosen zur Ratifikation des Lissabon-Vertrags

  1. Die Ratifikation des Reformvertrags von Lissabon wird den stärksten Zentralisierungsschub auslösen, den Europa bisher in Friedenszeiten erlebt hat.
  2. Begründung: Das bindende Entscheidungsquorum im Ministerrat wird von rund 74 auf 65 Prozent abgesenkt, und die Kompetenzkompetenz der europäischen Institutionen wird von Fragen des gemeinsamen Marktes auf alle Vertragsziele ausgeweitet.

  3. Je mehr die Politik zentralisiert werden wird, desto mehr Macht erhält der Staat über die Bürger.
  4. Begründung: Es ist schwieriger, sich Zwangsmaßnahmen eines Zentralstaats zu entziehen als Zwangsmaßnahmen der einzelnen Gliedstaaten. Außerdem nimmt die Zentralisierung den Bürgern die Möglichkeit, die Leistungen der nationalen Regierungen zu vergleichen. Dadurch wird die demokratische Kontrolle der Herrschenden geschwächt.

  5. Im Bereich der Wirtschaftspolitik wird die Absenkung des Entscheidungsquorums eine Flut zusätzlicher EU-weiter Regulierungen auslösen, die vor allem die Arbeitsmärkte, die Finanzmärkte und die Produktmärkte betreffen werden.
  6. Begründung: Die Minderheit der liberalen Länder, die bisher viele von der Kommission vorgeschlagene Regulierungen verhindert hat, kann nun überstimmt werden. Außerdem kann die Mehrheit der stark regulierten Länder nun der Minderheit der weniger regulierten Länder leichter ihr hohes Regulierungsniveau aufzwingen, um den Wettbewerbsvorteil der Minderheit zu beseitigen. Diese sogenannte „strategy of raising rivals‘ costs“ erklärte schon in der Vergangenheit einen Großteil der EU-Arbeitsmarktregulierungen und auch die Regulierung des Kunstmarktes (Folgerecht).

  7. Die Einschränkungen der wirtschaftlichen Freiheit werden Europa nicht stärken, sondern im globalen Wettbewerb zurückwerfen.
  8. Das neue Verfahren, wonach ein Drittel der nationalen Parlamente eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips geltend machen kann, wird keine nennenswerte Wirkung entfalten.
  9. Begründung: Die Kommission braucht der Beschwerde nicht stattzugeben. Sie ist lediglich verpflichtet eine Antwort zu geben und Gründe für ihre Ablehnung zu nennen.

  10. Es wird auf lange Zeit keine Vertragsrevisionen mehr geben, die die Kompetenzen der europäischen Institutionen verändern.
  11. Begründung: Die unrühmliche Art und Weise, wie der Reformvertrag von Lissabon trotz ablehnender Volksabstimmungen durchgesetzt wurde, wird den Europapolitikern eine Lehre sein. Der Prozess war zu unangenehm, als dass sie ihn möglichst bald wiederholen möchten. Außerdem können die Kompetenzen der EU in Zukunft ohne Vertragsänderung über die neue Kompetenzkompetenz mit Leichtigkeit geändert werden. In Deutschland muss dem zwar – wie das Bundesverfassungsgericht bestimmt hat – das Parlament zustimmen, aber angesichts des deutschen Traumas werden es die deutschen Abgeordneten nicht wagen, sich dem Wunsch der europäischen Institutionen zu widersetzen.

  12. Volksabstimmungen über kompetenzerweiternde Vertragsänderungen wird es in Zukunft kaum mehr geben.
  13. Begründung: Dort, wo Volksabstimmungen nicht obligatorisch sind, werden die Regierungen aus Angst vor dem Votum der Bürger Volksabstimmungen nach Kräften zu vermeiden suchen. Dort, wo – wie in Irland – die Verfassung vorschreibt, dass verfassungsändernde Vertragsrevisionen vom Volk gebilligt werden müssen, wird die Regierung darauf bestehen, dass die EU-Kompetenzen nicht durch Vertragsänderung, sondern geräuschlos mit Hilfe der Kompetenzkompetenz erweitert werden.

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