Nobelpreis
Empirie ernst nehmen
Der Nobelpreis für Angus Deaton

In der Ökonomie gibt es viele Theorien, die sich breiter Zustimmung erfreuen und in Lehrbüchern schon als gesichertes Wissen dargestellt werden. Dabei liefern empirische Überprüfungen dieser Theorien durchaus widersprüchliche Resultate. Ein gutes Beispiel ist die private Ersparnisbildung von Haushalten, eine enorm wichtige Größe, da die private Ersparnis Investitionen ermöglicht und auch den privaten Konsum beeinflusst, der wiederum von großer konjunktureller Bedeutung ist. Mit den Theorien von den Nobelpreisträgern Modigliani und Friedman wird erklärt, dass der private Konsum nicht vom laufenden Einkommen, sondern vom Lebenseinkommen (nach Modigliani) bzw. dem permanenten Einkommen (nach Friedman) abhängt. Kurzfristige Änderungen des Einkommens (wie z.B. eine Bonuszahlung, Arbeitslosigkeit, oder eine temporäre Steuersenkung) sollte dementsprechend kaum den Konsum beeinflussen, wohl aber die private Ersparnis, die dann zur Konsumglättung genutzt wird. Das ist alles höchst plausibel und liefert interessante empirische Vorhersagen: z.B. sollten stärker wirtschaftlich wachsende Länder höhere Sparquoten aufweisen, da dort die Lebenseinkommen höher sind und Haushalte mehr sparen müssen, um diesen wachsenden Lebensstandard im Alter zu sichern. Und Länder, in denen Haushalte zumeist privat für das Alter vorsorgen müssen sollten höhere Sparquoten ausweisen als umlagefinanzierte Rentensysteme wie das in Deutschland.

Angus Deaton, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Princeton, USA, hat sich in seiner Forschung zum Beispiel mit diesen Fragen empirisch beschäftigt. In seinem Buch Understanding Consumption analysiert er Haushaltsdaten aus verschiedenen Ländern, um die eben diskutierten Theorien empirisch zu überprüfen. Diese Arbeit ist exemplarisch für seine Vorgehensweise: Es werden theoretisch fundierte ökonometrische Modelle aufgestellt, die den verschiedenen Theorien entsprechen, und anhand von Mikrodaten aus verschiedenen Ländern sorgfältig überprüft. Er stellt fest, dass Konsum- und Sparverhalten viel komplexer ist und nicht mit den oben genannten Theorien in Einklang gebracht werden kann. Insbesondere hängt das Sparverhalten zu einem bestimmten Zeitpunkt viel stärker vom derzeitigen Einkommen ab als die Theorien vorhersagen würden. Konsumglättung findet nur recht wenig statt und das Sparverhalten in unterschiedlichen Ländern lässt sich nicht mit den Theorien in Einklang bringen. Zum Beispiel sparen Deutsche, Italiener, und Japaner viel mehr als theoretisch vorhergesagt und Amerikaner zu wenig und auch der Einfluss von Wachstum auf das Sparverhalten ist viel weniger klar als die Lebenszyklushypothese suggeriert. Das Buch endet wie viele der Arbeiten von Deaton mit der Aussage, dass wir das empirische Verhalten von Haushalten viel weniger gut verstehen als unsere (durchaus plausiblen) theoretischen Modelle suggerieren.

Dies gilt nicht nur für das Verhalten von Haushalten. In anderen empirischen Untersuchungen hat er festgestellt, dass unsere theoretischen Modelle auch nicht wirklich in der Lage sind, die Entwicklung von Rohstoffpreisen zu erklären (geschweige denn vorherzusagen). In all diesen Fällen hat Deaton damit wichtige Anregungen geliefert, lieb gewonnene theoretische Modelle zu überarbeiten. Im Fall von Konsum und Ersparnis haben beispielsweise vor allem verhaltensökonomische Modelle in letzter Zeit sich damit beschäftigt, die von Deaton genannten Ungereimtheiten zu erklären.

Ein zweiter wichtiger Beitrag von Deaton ist seine Arbeit zu empirischen Nachfragemodellen. Diese benötigt man, um Einkommens- und Preiselastizitäten berechnen zu können. Hier war der zentrale Beitrag von Deaton (in gemeinsamen Arbeiten mit John Muellbauer von Oxford) ökonometrische Modelle zu entwickeln, die überhaupt mit der Theorie konsistent sind. Vorher wurden viel einfacher, aber theoretisch nicht plausible Modelle, geschätzt. Seine sogenannten Almost Ideal Demand Systems sind seither der Standard in der Literatur geworden und werden in Arbeiten in der VWL aber besonders auch in der Agrarökonomie angewandt.

Ein wichtiger weiterer Verdienst von Deaton ist, dass er erheblich in die Erhebung von neuen Haushaltsdaten, vor allem auch in Entwicklungsländern, investiert hat. Er war einer der geistigen Väter der so genannten Living Standards Measurement Surveys, mit denen die Weltbank in den 1980er Jahre anfing, vergleichbare Haushaltsstichproben in Entwicklungsländern zu erheben. Er schrieb auch die Handbücher und Textbücher, wie man solche Daten erhebt und danach analysiert, was unzählige Datenerhebungen vor allem in Entwicklungsländern seitdem beeinflusst hat. Sein 1997 Buch ,Analysis of Micro Data“˜ ist ein Standardlehrbuch geworden, in dem die Analyse dieser Haushaltsstichproben gelehrt wird.

Erst mithilfe dieser Haushaltsdaten aus Entwicklungsländern können wissen wir etwas über Armut und Ungleichheit in Entwicklungsländern sagen. Und nur mit diesen Daten können wir Analysen zum Haushaltsverhalten in Entwicklungsländern anstellen und auch über Länder hinweg vergleichen. Das hat die entwicklungsökonomische Forschung enorm befördert und vor allem der seit den 90er Jahren dominanten empirisch-orientierten mikro-basierten Entwicklungsforschung den Weg bereitet. Diese Forschung liefert auch die Grundlagen für evidenzbasierte Entwicklungspolitik. Gerade in Institutionen wie der Weltbank hat dies enorme Wirkungen gehabt. Ein erheblicher Teil Politikberatung der Weltbank zum Beispiel zum Thema Armutsreduktion in Entwicklungsländern ist ohne die Analyse von Mikrodaten, für die Deaton in der Weltbank den Weg bereitet hat, undenkbar.

In gewisser Weise fällt Angus Deaton etwas aus dem Rahmen der typischen Nobelpreisträger in Ökonomie. Die meisten Preisträger wurden für neue zentrale theoretische Erkenntnisse ausgezeichnet, die eine neue Sicht auf die Ökonomie erlaubt haben und sich als besonders wichtig erwiesen haben. Die wenigen eher empirisch orientierten Preisträger wurden entweder für die Entwicklung von anspruchsvollen ökonometrischen Methoden (wie z.B. McFadden, Engle, oder Granger) oder bestimmte substantielle Erkenntnisse (wie Ostrom oder Kahnemann) ausgezeichnet. Deaton passt nicht gut in dieses Raster. Er ist weder ein reiner Methodenentwickler, noch lässt sich sein Beitrag auf ein oder zwei bahnbrechende substantielle Erkenntnisse reduzieren. Stattdessen steht er für einen bestimmten Ansatz in der ökonomischen Forschung insgesamt. Sein Credo ist, dass wir viel mehr Augenmerk darauf verwenden sollten, unsere Theorien rigorosen empirischen Tests zu unterziehen. Dazu benötigen wir anspruchsvolle Ökonometrie, verlässliche Daten (vor allem auch auf der Haushaltsebene), hervorragende theoretische Erkenntnisse, um daraus empirisch belastbare Hypothesen zu entwickeln, und ein Gespür für die wichtigen wissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Fragestellungen. Es ist gut zu sehen, dass eine solche fundierte empirische Ökonomie nun auch mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird.

Hinweis: Den ganzen Beitrag können sie in der WiSt (2015), Heft 12 nachlesen.

Stephan Klasen
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