«Wieso hat das niemand kommen sehen?» Das fragte Queen Elizabeth II ihre peinlich berührten Gastgeber, als ihr im November 2008 bei einem Besuch der renommierten London School of Economics die Auswirkungen der eben ausgebrochenen globalen Finanzkrise erläutert wurden. Diese oft zitierte Frage fasst eine mögliche Interpretation der Rolle der Ökonomie bei der Politikberatung zusammen: Als es darauf ankam, hatten die Ökonominnen und Ökonomen weder eine brauchbare Prognose zu bieten noch taugten ihre Modelle, um die Auswirkungen dieses Finanzmarkt-Erdbebens auf die Gesamtwirtschaft abzuschätzen. Es gibt allerdings auch eine zweite, völlig diametrale Interpretation des gleichen Ereignisses. Die Ökonomie hat die vorletzte globale Finanzkrise – die Grosse Depression der 1930er-Jahre – so gut analysiert, dass sie beim nächsten Mal die Politik erfolgreich beraten konnte, welche wirtschaftspolitischen Massnahmen nötig waren, um eine Wiederholung dieser Katastrophe zu verhindern. Tatsächlich verhinderte die Kombination ausserordentlicher geldpolitischer Massnahmen, Bankenunterstützung und fiskalpolitischer Reaktionen wohl, dass 2008 eine zweite Grosse Depression ausbrach. Diese wirtschaftspolitische Reaktion beruhte zu einem guten Teil auf der wissenschaftlichen Analyse der Versäumnisse in Beratung und Massnahmen in den 1930er-Jahren.
„Politik(er)beratung (7)Zur Rolle von Ökonominnen und Ökonomen in der Politikberatung“ weiterlesenDas RKI nach Wieler und nach der Pandemie
In der Pandemie hat das RKI unter Leitung von Lothar Wieler viele Aufgaben gewiss zufriedenstellend erfüllt. Herr Wieler hat es aber nicht vermocht, seine öffentlichen Stellungnahmen zum Stand der Wissenschaft von Werturteilen politischer Art hinreichend zu trennen. Wieweit er dies zu verantworten hat, kann hier dahingestellt bleiben. Angesichts seines Ausscheidens besteht jedenfalls Anlass, über die angemessene Rolle von staatlich gesponserten wissenschaftlichen Instituten und der sie vertretenden Wissenschaftler(innen) politisch nachzudenken. Angesichts der zunehmenden Möglichkeiten wissenschaftlicher Politikvorbereitung wären gewisse Reformen des RKI eine gemeinwohlsichernde Maßnahme.
„Das RKI nach Wieler und nach der Pandemie“ weiterlesenModelle in den Wirtschaftswissenschaften
1. Auf der einsamen Insel
Wer das Wesen seines eigenen wissenschaftlichen Fachs besser kennenlernen will, tut manchmal gut daran, sich die Witze anzuschauen, die Wissenschaftler anderer Fächer über ihn machen. Hier ein typisches Exemplar von Witzen über uns Ökonomen:
Ein Physiker, ein Chemiker und ein Ökonom stranden auf einer einsamen Insel. Sie haben als einzige Nahrung eine Dose Corned Beef (ohne Ringpull) und beratschlagen, wie sie die Dose öffnen können. Der Physiker bastelt aus Ästen und Steinen, die am Strand liegen, eine Hebelkonstruktion, aber die Dose bleibt verschlossen. Der Chemiker setzt die Dose im Meereswasser der Korrosion aus, wobei er die Sonnenstrahlen nutzt, um die Korrosion zu beschleunigen, aber die Dose bleibt verschlossen. Mit wenig Hoffnung sehen sie jetzt den Ökonomen an. Der strahlt vor Zuversicht und sagt: „Nehmen wir an, wir hätten einen Dosenöffner.“
Der Insel-Ökonom hat offenbar eine Modellwelt vor Augen, in der das benötigte Werkzeug zur Verfügung steht. Unter dieser Annahme wäre sein Modell zweifelsohne nützlich – für die Situation auf der Insel war es aber leider nicht zu gebrauchen.
Politik(er)beratung (6)
Vertrauen verlangt Verantwortung
Ukraine-Krieg und Ökonomen-Streit
Die Wissenschaft wird mehr gebraucht denn je: Wie lässt sich eine Pandemie in Schach halten, ohne das gesellschaftliche Miteinander abzuwürgen, wie lässt sich die Wirtschaft auf erneuerbare Energien umstellen, ohne unsere industrielle Basis zu zerstören, wie setzt man wirksame Signale gegen den russischen Aggressor in der Ukraine, die man auch langfristig durchhalten kann? Schwere Fragen wie diese verlangen nicht nur nach Antworten der Natur- oder Technikwissenschaften, auch die Sozialwissenschaften, allen voran die Ökonomik, sind unverzichtbar. Schließlich geht es vielfach um die Entscheidungen und das Handeln von Menschen, nicht nur um Viren und Moleküle.
Gastbeitrag
Die Bedeutung systemischer Komplexität und Kritikalität für volkswirtschaftliche Prognosen
Wie immer um diese Jahreszeit stecken wir mitten in den Festvorbereitungen und manch einer fasst auch wieder gute Vorsätze für das neue Jahr – und wie immer erstellen wir Volkswirte unsere Ausblicke mit Prognosen für die nächsten zwölf oder vierundzwanzig Monate. Dabei gibt es noch immer viele Prognostiker, die Phillip Tetlock in seinem Buch Superforecasting als „Igel“ bezeichnet. Diese halten unbeirrt an ihrer sehr subjektiven Sicht auf die Welt und die Funktionsweise der Wirtschaft fest, blicken niemals zurück auf ihre früheren Fehlprognosen und können daher ihre neuesten Prognosen ohne jedwede Selbstzweifel im Brustton der Überzeugung verkünden. Und sie finden auch ihr Publikum, das diese Prognosen gern und dankbar hört – denn schließlich wird damit unser aller tief verwurzeltes Bedürfnis nach Sicherheit bedient.
Besondere Regeln für Geimpfte?
Der erste Satz der ad-hoc Empfehlung des Deutschen Ethikrates „Besondere Regeln für Geimpfte?“ vom 04.02.2021 lautet:
„Spätestens seit Beginn des Impfprogramms wird auch in der breiteren Öffentlichkeit kontrovers diskutiert, ob eine Impfung gegen Covid-19 zu besonderen Regeln für geimpfte Personen führen dürfe oder sogar müsse.“
Nach ziemlich viel Zwischentext lesen wird dann als letzten Satz der ad-hoc Empfehlung:
„Nur soweit der Zugang zu Angeboten privater Anbieter für eine prinzipiell gleichberechtigte, basale gesellschaftliche Teilhabe unerlässlich ist, ist eine Beschränkung des Zugangs auf geimpfte Personen nicht zu rechtfertigen.“
Formuliert man den letzten Satz um, so wird die Sache transparenter:
- Eine privatvertragliche „Beschränkung des Zugangs auf geimpfte Personen“ ist grundsätzlich erlaubt;
- Die Vertragsfreiheit darf ausnahmsweise eingeschränkt werden, um zu verhindern, dass „der Zugang zu Angeboten privater Anbieter“, die „für eine prinzipiell gleichberechtigte, basale gesellschaftliche Teilhabe unerlässlich“ sind, nicht gewährleistet ist.
Onkel Doktor spricht über Covid-19
Seit Beginn der Covid-19 Epidemie häufen sich insbesondere im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Auftritte nicht nur von “Doctores”, sondern auch von Wissenschaftlern aus dem medizinischen Bereich. Das ist an sich zu begrüßen. Weniger erfreulich ist es, dass die Wissenschaftler nicht bei ihrem wissenschaftlichen Leisten bleiben. Sie unterscheiden nicht hinreichend zwischen einer Auskunft über wissenschaftliche Ergebnisse und einer Auskunft darüber, welche praktischen Konsequenzen aus solchen Ergebnissen (bzw. deren Fehlen) zu ziehen sind.
Sen and safe
Sind „safe spaces“ mit dem Liberalismus vereinbar?
Seit einigen Jahren lässt sich in den USA und auch im Vereinigten Königreich beobachten, dass im universitären Raum (und auch an anderen Stellen) sog. „safe spaces“ gefordert und auch eingerichtet werden. Bei einem „safe space“ handelt es sich um einen „Raum, der vor Konfrontation mit Äußerungen schützen soll, die als verletzend oder angreifend empfunden werden und ein Missbehagen zumindest bei bestimmten Gruppen von Personen auslösen können“ (Froese 2018, 480). Durch diese „safe spaces“ werden „Lehrende und Forschende zu einer ganzbestimmten Konformität gezwungen. Die Studierenden sollen vor unorthodoxen und als missliebig angesehenen Gedanken geschützt werden. In diesem Zusammenhang hört man oft die Begriffe ,safe spaces‘ und ,micro-aggression‘“ Frey (2020).
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Sind „safe spaces“ mit dem Liberalismus vereinbar? “ weiterlesen
Gastbeitrag
Das Drehen an vielen Rädchen ist einer großen Lösung überlegen
Das Corona-Dilemma: Gesundheitsbedrohungen und Wirtschaftsrisiken
Dwight D. Eisenhower, vormals General und Präsident der Vereinigten Staaten, soll einmal gesagt haben: „Ich habe zwei Arten von Problemen, die dringenden und die wichtigen. Die dringenden sind nicht wichtig, und die wichtigen sind niemals dringend.“ Solche Probleme sind leichter lösbar, da sie das Zusammentreffen von Dringlichkeit und Wichtigkeit vermeiden. Gerade dieses Zusammentreffen erschwert in der gegenwärtigen Corona-Krise gute und richtige Entscheidungen. Hinzu kommt noch, dass das Wissen über das neue Virus sowie die dadurch ausgelöste Krankheit und Pandemie nicht sehr groß sind. Weder gibt es erprobte Behandlungsmethoden noch eine vorbeugende Impfung. Zudem kann man sich extrem leicht anstecken. Wie schwer die Erkrankung – bezogen auf die Zahl der tatsächlich infizierten Personen – ist, kann momentan niemand genau sagen, da gerade deren Zahl wegen der großen Menge nahezu symptomloser Infekte unbekannt ist.
Gastbeitrag
Wissenschaft, Medien und Politik aus ökonomischer Perspektive
Bild: Unsplash
Wissenschaft und Medien
In der medialen Berichterstattung bezüglich aktueller gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen wird sich oftmals auf Forschungsergebnisse berufen, dies zeigt sich vor allem in besonders komplexen Fragen wie dem Klimawandel oder der derzeitigen Pandemie. Auch in der deutschen Talkshow-Landschaft sind Wissenschaftler regelmäßig als Experten präsent, deren Autorität und Unabhängigkeit zur Versachlichung der oftmals durch parteipolitische Interessen dominierten Debatte beitragen soll. Dabei wird seitens der medialen Akteure häufig simplifizierend von der Wissenschaft als Institution gesprochen. Dies mag im allgemeinen Sprachgebrauch gerechtfertigt sein, sobald wissenschaftliche Positionen in ihrer Allgemeinheit jedoch der Untermauerung von Argumenten dienen und ein Absolutheitsanspruch verbreitet wird, sollte der aufmerksame Zuschauer respektive Leser hellhörig werden.
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Wissenschaft, Medien und Politik aus ökonomischer Perspektive“ weiterlesen