Ordnungspolitischer Kommentar
Mit der Deutschland-Rente gegen Altersarmut?

Drei Minister der schwarz-grünen Landesregierung Hessens schlagen eine sogenannte „Deutschland-Rente“ vor. Sie meinen damit ein staatlich verwaltetes, kapitalgedecktes Altersvorsorgeprodukt, in das jeder Arbeitnehmer automatisch einzahlt, es sei denn er beantragt ausdrücklich davon ausgenommen zu werden (Opt-out). Inwiefern ist dieser Vorschlag geeignet, zur Lösung der Probleme des deutschen Rentensystems beizutragen?

Status quo

Seit 2001 werden in Deutschland private Altersvorsorgeprodukte, welche bestimmte vom Gesetzgeber festgelegte Kriterien erfüllen, staatlich gefördert. Ziel der staatlichen Riester-Förderung ist es, die durch das demographisch bedingte Absinken des GRV-Rentenniveaus entstehende Versorgungslücke zu kompensieren. 15 Jahre nach der Einführung haben weniger als die Hälfte der förderberechtigten Personen einen Riester-Vertrag abgeschlossen, was die Initiatoren der Deutschland-Rente für „völlig unzureichend“ halten. Ihr Vorschlag soll deshalb die ergänzende Altersvorsorge stärken.

Die Deutschland-Rente wirkt …

Einer der schwerwiegendsten Kritikpunkte an der bestehenden Förderung ist die geringe Verbreitung unter Geringverdienern, welche zur Vermeidung von Altersarmut besonders dringend auf zusätzliche Vorsorge angewiesen sind. Der Vorschlag der Deutschland-Rente sieht vor, dass sich Arbeitnehmer aktiv gegen statt aktiv für ergänzende Altersvorsorge entscheiden müssen. Die Initiatoren verweisen darauf, dass in anderen Ländern durch einen solchen „sanften Zwang“ die Verbreitung ergänzender Altersvorsorge erheblich gesteigert werden konnte. Im Unterschied zu einer verpflichtenden Altersvorsorge kann zwar nicht gewährleistet werden, dass tatsächlich alle Geringverdiener in einen Altersvorsorgevertrag einzahlen. Denn Personen mit fehlender Zahlungsfähigkeit sowie Trittbrettfahrer, welche trotz finanzieller Möglichkeiten im Vertrauen auf Transferleistungen in der Rentenphase auf eigene Vorsorge verzichten, können von der Möglichkeit zum Opt-out Gebrauch machen. Dennoch ist der Vorschlag politisch reizvoll, da kaum mit größerem politischen Widerstand oder staatlichen Mehrausgaben gerechnet werden muss.

… hat aber erhebliche Nebenwirkungen

Dem stehen allerdings erhebliche Nebenwirkungen entgegen. Häufig sind sich Individuen eines solchen vom Staat ausgeübten sanften Zwangs nicht bewusst. Ein beachtlicher Teil des Effekts solcher paternalistischer Schubser dürfte darauf zurückzuführen sein, dass Bürger eben keine eigene und bewusste Entscheidung treffen, sondern dem gesetzlichen Default folgen. Daher bedarf es gesicherter Erkenntnisse, dass die angestrebte Lösung tatsächlich im individuellen Interesse der betroffenen Personen ist. Andernfalls haben Individuen, welche in eine nicht ihren individuellen Interessen entsprechende Richtung geschubst werden, erhebliche Präferenzverfehlungskosten zu tragen.

Es stellt sich somit die Frage, ob es Gründe geben kann, warum die Einzahlung in eine Deutschland-Rente nicht im Interesse eines Individuums liegen könnte. Ein Grund könnte darin bestehen, dass ein Individuum eine hohe Gegenwartspräferenz aufweist und eine möglichst gleichmäßige Verteilung des eigenen Lebenseinkommens zwischen Erwerbstätigkeitsphase und Ruhestandsphase gar nicht anstrebt. Ein solcher Lebensentwurf ist eine zulässige individuelle Entscheidung, solange in der Ruhe¬standsphase keine gesellschaftliche Hilfe benötigt wird.

Ein zweiter Grund könnte darin bestehen, dass mit dem Berufseinstieg beginnende Einzahlungen in ein Altersvorsorgeprodukt nicht stets anderen Formen der Ersparnisbildung, etwa in Form von Immobilien oder dem eigenen Unternehmen, überlegen sind. Angesichts höchst unterschiedlicher Risikoneigungen und Präferenzen der Individuen kann man nicht zwingend annehmen, dass Personen ohne ergänzenden Altersvorsorgevertrag ihre Altersvorsorge vernachlässigen.

Drittens könnten Individuen eines der zahlreichen verschiedenen privaten Altersvorsorgeprodukte gegenüber dem staatlich privilegierten Altersvorsorgeprodukt bevorzugen. Dies könnte deshalb der Fall sein, da private Anbieter angesichts erfolgsabhängiger Vergütungsstrukturen Anlageentscheidungen ausschließlich unter Renditegesichtspunkten treffen, während ein staatlicher Anbieter neben der Rendite in der Regel auch politische Vorgaben berücksichtigt. Zwar kann durch formale Unabhängigkeit des staatliche Fonds möglicherweise verhindert werden, dass die Regierung das Kapital zweckentfremden oder direkten Einfluss auf die Anlageentscheidungen nehmen kann. Trotzdem besteht allerdings die Gefahr, dass mit der Verwaltung des Fonds betraute Personen zum Erhalt des eigenen Postens oder aus Loyalität zur Regierung politische Vorgaben in vorauseilendem Gehorsam berücksichtigen. Dies könnte sich etwa im Ausschluss politisch, moralisch oder ökologisch vermeintlich nicht korrekter Branchen oder Unternehmen sowie in gezielten Anlageentscheidungen im Interesse der Regierung (z.B. Infrastruktur, Staatsanleihen von europäischen Krisenstaaten) manifestieren. Einige Individuen werden eine politisch korrekte Anlagestrategie bevorzugen, andere Individuen werden hingegen nicht bereit sein, aufgrund dessen Renditeeinbußen in Kauf zu nehmen.

Angesichts eines ständigen Wandels des Kapitalmarktumfeldes ist grundsätzlich nicht zu erwarten, dass ein bestimmtes staatlich oder privat angebotenes Produkt in jedem Fall und zu jeder Zeit am besten in der Lage sein wird, den unterschiedlichen Risikoneigungen und Präfe-renzen der Individuen gerecht zu werden. Vielmehr ist gerade der Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Anbietern und Vorsorgeformen das Instrument, neue erfolgversprechende Strategien zur präferenzgerechten Bedürfnisbefriedigung zu entdecken sowie gescheiterte Strategien zu identifizieren und zu beseitigen. Dieser Wettbewerbsprozess wird durch die Ausübung von sanftem Zwang zugunsten eines bestimmten Produkts massiv verzerrt.

Altersvorsorge ist mit Unsicherheit verbunden

Die Wahl zwischen unterschiedlichen Anbietern, Produktarten und Anlagestrategien ist bei einem über Jahrzehnte laufenden Vorsorgeprodukt eine schwierige, da mit einem hohen Maß an Unsicherheit verbundene, Entscheidung. Vor diesem Hintergrund sind die Initiatoren der Deutschland-Rente bestrebt, Arbeitnehmern, „die nicht selbst aktiv werden wollen“ oder die sich bei der Wahl eines privaten Altersvorsorgeprodukts überfordert fühlen, die Entscheidung abzunehmen. Ein staatlicher Fonds unterliegt bei der Anlagestrategie allerdings derselben Unsicherheit, so dass es eine Anmaßung von Wissen darstellt, dem Bürger zu suggerieren, diese Unsicherheit könne überwunden werden, indem die Entscheidung einer staatlichen Stelle überlassen wird. Vielmehr sinken dadurch die Anreize für Individuen sich überhaupt mit dem Thema Altersvorsorge zu beschäftigen, wodurch Lerneffekte ausbleiben. Die Annahme der Initiatoren, ein staatlicher Fonds würde als vertrauenswürdiger wahrgenommen, bürdet den Verantwortlichen eine Verantwortung auf, die sie nicht tragen können. Der Gesetzgeber verspielt gerade dieses Vertrauen der Bevölkerung, wenn er auch in Bereichen bessere Informationen zu haben vorgibt, in denen er keine besondere Kompetenz vorweisen kann. Dies zeigt nicht zuletzt die kritische Debatte um die bestehenden Riester-Produkte, in welcher die bei Einführung der Riester-Förderung gehegte Erwartung, die staatliche Förderung würde die Vertrauenswürdigkeit der zertifizierten privaten Produkte gewährleisten, zunehmend erodiert.

Alternativen gegen Altersarmut

Angesichts dieser erheblichen Nebenwirkungen stellt sich die Frage, inwiefern andere Wege zur Stärkung der ergänzenden Altersvorsorge existieren. Die Initiatoren des Vorschlags der Deutschland-Rente halten die bestehenden Riester-Produkte für „zum Teil vollkommen überteuert“ und führen dies als einen der Gründe an, warum Individuen derzeit auf einen solchen Vertrag verzichten. Trifft dies zu, könnte die ergänzende Altersvorsorge durch Maßnahmen, welche zur Senkung der Kosten beitragen, gestärkt werden. Überprüft werden könnten etwa die gesetzlichen Regeln für derartige Produkte, welche z.B. für Wohn-Riester-Produkte einen enormen Komplexitätsgrad aufweisen. Zusätzlich könnte die öffentliche Hand als Eigentümerin der im Privatkundenmarkt einflussreichen Sparkassen diese zu einem Strategiewechsel anhalten. Dieser könnte die Entwicklung neuer kostengünstiger Altersvorsorgeprodukte sowie das Angebot von bereits heute existierenden, aber von den meisten Banken und Sparkassen nicht angebotenen, Produkten mit niedrigen Kosten wie Riester-Banksparplänen für sicherheitsorientierte Sparer sowie Riester-Fonds-sparplänen auf ETF-Basis für renditeorientierte Sparer umfassen. Sofern derartige Produkte von den Kunden tatsächlich als besser erachtet werden, werden diese sich im Wettbewerb durchsetzen.

Fazit

Altersarmut, welche in Zukunft zunehmen wird, ist ein gesellschaftliches Problem, das es durch geeignete Maßnahmen zu begrenzen gilt, soweit dies angesichts der beschränkten Zahlungsfähigkeit von Geringverdienern möglich ist. Die Ausübung von sanftem Zwang zugunsten einer Deutschland-Rente ist dazu geeignet, privates Vorsorgesparen zu beeinflussen, dies ist allerdings mit massiven Nebenwirkungen verbunden. Vorzuziehen sind daher solche Maßnahmen, welche ohne derartige Nebenwirkungen die ergänzende Altersvorsorge von zukünftig besonders stark von Altersarmut bedrohten Geringverdienern rentabler machen.

Hinweis: Dieser Text ist zugleich als Ausgabe Nr. 02/2016 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.

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