Ein europäisches Finanzministerium
Zwei (unterschiedliche?) Meinungen: Jens Weidmann und Otmar Issing

Europa braucht ein gemeinsames Finanzministerium
von François Villeroy de Galhau und Jens Weidmann

„Eine stärkere Integration scheint der naheliegend Weg zu sein, um das Vertrauen in den Euro-Raum wiederherzustellen, denn dies würde die Entwicklung gemeinsamer Strategien für die Staatsfinanzen und für Reformen begünstigen und damit das Wachstum fördern. Zu diesem Zweck müssten die Euro-Länder natürlich in erheblichem Maße Souveränität und Befugnisse auf die europäische Ebene übertragen, was wiederum eine größere demokratische Rechenschaftspflicht erfordern würde. In einem solchen neuen Rahmen würde der Euro-Raum auf einem stärkeren institutionellen Fundament ruhen, dem die zentrale Idee der währungspolitischen Integration in Europa zugrunde läge – die Idee, dass die Währungsunion Stabilität und Wachstum gewährleistet.

Den neuen Rahmen zu gestalten wäre Aufgabe der Politik, doch könnte sie sich dabei beispielsweise an folgenden Eckpunkten orientieren: Aufbau einer effizienten und weniger fragmentierten europäischen Verwaltung, Schaffung eines gemeinsames Finanzministeriums für den Euro-Raum in Verbindung mit einem unabhängigen Fiskalrat sowie der Bildung eines stärkeren politischen Gremiums, das politische Entscheidungen trifft und der parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Diese neuen Institutionen könnten dafür sorgen, das Gleichgewicht zwischen Haftung und Kontrolle wiederherzustellen.

Sollten die Regierungen und Parlamente im Euro-Raum jedoch vor der politischen Dimension einer umfassenden Union zurückschrecken, dann bliebe nur noch ein gangbarer Weg übrig – ein dezentraler Ansatz auf der Grundlage von Eigenverantwortung mit strengeren Regeln. Dabei müssten die Fiskalregeln, die insbesondere durch den Fiskalpakt und das Europäische Semester bereits gestärkt wurden, gehärtet werden. Bei einer solchen Ausweitung der Eigenverantwortung müsste auch sichergestellt werden, dass Risiken, und zwar auch die mit Forderungen an Staaten verbundenen Risiken, von allen Beteiligten angemessen berücksichtigt werden – nicht zuletzt, um die Anfälligkeit der Banken zu verringern, sollten einzelne Länder in eine finanzielle Schieflage geraten.

Ferner wäre zu prüfen, wie private Anleger stärker in die ESM-Rettungsprogramme eingebunden werden können und wie eine Restrukturierung von Staatsschulden gestaltet werden kann, ohne die Finanzstabilität im gesamten Euro-Raum zu gefährden. Würde man diesen Weg beschreiten, so könnten die Euro-Länder ihre nationale Souveränität behalten – bei entsprechend geringerer Solidarität. Dies wäre die andere Möglichkeit, Haftung und Kontrolle wieder in Einklang zu bringen.“

Quelle: Europa braucht ein gemeinsames Finanzministerium, in: Süddeutsche Zeitung vom 8. Februar 2016

 

Die unvollendete Wirtschafts- und Währungsunion?
von Otmar Issing

„Im Kern basiert der Bericht auf der Vorstellung, dass am Ende des vorgeschlagenen Prozesses eine Politische Union steht. Entsprechend sollen die Schritte zur Stärkung der Institutionen und der demokratischen Legitimierung parallel erfolgen. Hält man jedoch diesen Endpunkt für obsolet – jedenfalls für die absehbare Zukunft – erweist sich der Ansatz als problematisch, ja sogar als gefährlich für die europäische Integration. Eine ganze Reihe von Vorschlägen bedingen Übertragungen staatlicher Kompetenzen von der nationalen auf die europäische Ebene. Für die demokratische Legitimierung bedarf es dabei im Einzelnen Änderungen des europäischen Vertragswerks sowie Änderungen der nationalen Verfassungen. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Finanzpolitik und der geforderten expliziten oder impliziten finanziellen Transfers.

Zwischen dem Appell im Bericht, europäische Bedürfnisse an die erste Stelle zu setzen, und dem verfassungsrechtlichen Status quo der Mitgliedstaaten, besteht ein grundlegender Konflikt. Dieser lässt sich jedoch nicht lösen, indem sukzessive de facto Kompetenzen von der nationalen auf die europäische Ebene verlagert werden. Die Kombination einer begrenzten Übertragung fiskalpolitischer Souveränität „nach Europa“ ohne demokratische Legitimierung widerspricht fundamental den Prinzipien des Rechtsstaates und der Demokratie. Wenn man es mit dieser Art der „Vollendung“ der Wirtschafts- und Währungsunion ernst meint, muss man das Vorhaben an die Bedingung einer demokratischen Legitimierung durch Änderungen des europäischen Vertragswerks und der nationalen Verfassungen knüpfen. Aber welcher führende Politiker würde gegenwärtig und wohl auf absehbare Zeit das Wagnis eines entsprechenden Referendums eingehen?

Mit der Antwort auf diese Frage erledigt sich eine ganze Reihe von Vorschlägen im Bericht der Präsidenten wie auch aus anderen Quellen. Die EWU muss folglich bis auf weiteres ohne Politische Union und entsprechende Initiativen auf diesem Weg auskommen. Die Verantwortlichen sollten daher ihr Bemühen darauf ausrichten, die Währungsunion als Gemeinschaft einheitlichen Geldes, aber souveräner Staaten zu stärken. Dazu bedarf es einer Rückbesinnung auf das bestehende Vertragswerk und nicht zuletzt einer Rückkehr zum Prinzip des no-bail-out.“

Quelle: Die unvollendete Wirtschafts- und Währungsunion?, in: Wirtschaftliche Freiheit vom 21. November 2015

3 Antworten auf „Ein europäisches Finanzministerium
Zwei (unterschiedliche?) Meinungen: Jens Weidmann und Otmar Issing

  1. Zukunft der Währungsunion
    Weidmann: Euro-Finanzminister nicht durchsetzbar

    Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat mit seinem französischen Kollegen einen Artikel über die Zukunft der Euro-Zone geschrieben. Gegen dessen Wahrnehmung wehrt er sich nun.
    in: FAZ vom 8. Februar 2016

  2. Und was genau geht ihn das an ? Er soll seinen Job machen, nicht Politik. Aber soweit sind wir schon: es gibt keine Grenzen mehr, alles ist möglich und deshalb ist nichts möglich.

  3. Ohne Änderung von Art.23 GG ist die Errichtung einer „Politischen Union“ (Europäischer Bundesstaat, Vereinigte Staaten von Europa) nicht möglich. Es gibt aber einen sehr einflussreichen Verein, die „Europa Union e.V. Deutschland“, die mit ihrem Grundsatzbeschluss vom Oktober 2012 genau das anstrebt: Einen europäischen Bundesstaat mit eigenem Haushalt und eigenen Steuern. Prominente Mitglieder sind: Wolfgang Schaeuble, Ursula von der Leyen, Peter Altmaeier, Jürgen Trittin. Insgesamt 163 Mitglieder des Bundestags, 66 Mitglieder des EU-Parlament (darunter auch Elmar Brok) und hunderte von Landtagsmitgliedern.

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