Die deutsche Volkswirtschaft steht auf den ersten Blick gar nicht so schlecht da, sie wirkt erstaunlich robust. Nach dem Rendezvous mit der Stagnation in den Jahren 2012 und 2013 legte das reale Bruttoinlandsprodukt hierzulande in den vergangenen beiden Jahren um deutlich mehr als 1 ½ Prozent zu. Für dieses Jahr wird ein Wirtschaftswachstum von 1 ½ Prozent und für das kommende Jahr ein etwas schwächerer Zuwachs von gut 1 ¼ Prozent erwartet (IW-Forschungsgruppe Konjunktur, 2016).
Dieses Beharrungsvermögen überrascht zunächst angesichts der gleichzeitig einsetzenden Abschwächung der Weltwirtschaft. Diese zunächst einlullende Robustheit reflektiert aber nur eine vordergründige Stabilität:
- Die derzeit robuste Inlandsnachfrage speist sich zum einen aus der anhaltend guten Arbeitsmarktentwicklung. Diese ist nicht neu und nur im Zusammenhang mit weit vorausgeschalteten Weichenstellungen zu verstehen. Die Arbeitsmarktreformen von 2005 (Agenda 2010) und die über lange Zeit beschäftigungsfreundliche Arbeitskostenentwicklung können zum Teil die anhaltend gute Entwicklung bei Beschäftigung, Konsum und letztlich auch bei den Steuereinnahmen erklären. Es dauerte, bis sich diese Effekte eingestellt haben. Laufen die Arbeitskosten jedoch der Produktivität wieder dauerhaft davon, dann wird dies zeitverzögert die Inlandskonjunktur wieder schwächen. Dieses Risiko besteht.
- Die vor allem im vergangenen Jahr deutlich gesunkenen Energiepreise haben zusammen mit den niedrigen Zinsen die Konsumkonjunktur in Deutschland erheblich angeschoben. Zunächst bekam die Konjunktur im ersten Quartal 2016 nochmals einen zusätzlichen kräftigen Schub. Das wird sich so nicht fortsetzen. Vielmehr ist bei wieder anziehenden Rohstoffpreisen mit einem merklichen Rückschlag zu rechnen. Auch dieses Risiko besteht.
- Außerdem sorgt auch die ultra-expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank für kräftigen Rückenwind. Zwar lösen die niedrigen Zinsen bisher keinen Investitionsboom aus. Die Vorsicht der Unternehmen ist offensichtlich zu groß. Die Geldpolitik begünstigt allerdings über den Wechselkurskanal das deutsche Exportgeschäft. Zumindest gegenüber dem US-Dollar hat der Euro deutlich abgewertet. Gegenüber den Währungen von Schwellenländern zeigen sich diese Wirkungen jedoch nicht.
Reicht das aus? Nein! Deutschland ist eine exportstarke Volkswirtschaft – ob man das (hören) will oder auch nicht. Das globale Geschäftsumfeld der deutschen Unternehmen ist derzeit von vielen Belastungsrisiken geprägt. Diese haben nach der globalen Finanzmarktkrise nicht abgenommen, sondern sie haben in der Breite zugenommen.
Risiko Schwellenländer: Die nachlassende Wirtschaftsdynamik in den aufstrebenden Volkswirtschaften spiegelt dort eine Reihe von beharrlichen Belastungsfaktoren wider:
- Es zeigen sich Rückwirkungen aus der anhaltenden Wachstumsschwäche in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Die auf den Export ausgerichteten Schwellenländer leiden unter der schwächeren Nachfrage aus Europa und den USA.
- Die ultra-expansiven Geldpolitiken in den Wirtschaftsräumen der großen Weltwährungen (USA, Euroraum, Japan) schaffen über den Wechselkurskanal zusätzliche Anpassungslasten im Güter- und Kapitalverkehr dieser Länder.
- Als Folge der globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/2009 wurden in vielen Schwellenländern Strukturprobleme sichtbar, die sich zum Beispiel in Überkapazitäten niederschlagen.
- Dies zeigt sich infolge der stark eingebrochenen Rohstoffpreise auch in den ressourcenreichen Volkswirtschaften. Die über lange Zeit hohen Rohstoffpreise haben dort möglicherweise den Strukturwandel verschleppt.
- Die Strukturprobleme, die sich auch in einer schwachen technologischen Leistungsfähigkeit äußern, sind nicht zuletzt auch die Folge von Governance-Probleme, die sich ein einer einschränkten ökonomischen und politischen Inklusion zeigen. Zudem leiden eine Reihe von Ländern unter ernsten innenpolitischen Spannungen.
All dies beeinträchtigt derzeit stark die ökonomischen Perspektiven, was sich in einer rückläufigen globalen Investitionstätigkeit niederschlägt. Im vergangenen Jahr waren die weltweiten Bruttoanlageinvestitionen mit Ausnahme des Krisenjahres 2009 erstmals seit Ende der 1990er Jahre rückläufig. Im derzeitigen Ringen um eine Neuorientierung großer Schwellenländer – in der es im Kern einerseits um das Bewahren des vermeintlich sichern Status Quo und der damit einhergehenden Besitzstände und andererseits um eine stärkere wirtschaftliche und politische Öffnung mit den damit einhergehenden Veränderungen geht – bleiben inländische und ausländische Investoren eher zurückhaltend. Während die Schwellenländer über lange Zeit eine hohe ökonomische Stabilität aufweisen und damit auch die Robustheit der deutschen Exportwirtschaft begründen konnten, so stehen sie derzeit eher für Unsicherheit und Vorsicht.
Risiko Europa: Neben dieser Konstellation der Schwellenländer wird das Risikoumfeld der deutschen Wirtschaft von einer Reihe von zusätzlichen Belastungsfaktoren in Europa geprägt:
- Die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist nicht unumstritten. Einerseits soll sie auch die realwirtschaftliche Restrukturierung der europäischen Krisenländer unterstützen. Mit der Stabilisierung des Bankensektors soll eine adäquate Kreditversorgung der Haushalte, Unternehmen und des Staates gewährleistet werden. Andererseits wird davor gewarnt, dass eine andauernde Niedrigzinspolitik die ökonomischen Spar- und Investitionsentscheidungen verzerrt, zu Blasen und Turbulenzen an den Vermögensmärkten und in einzelnen Branchen führt und den Strukturwandel eher hemmt. Ist dies der Fall, dann stabilisiert die Politik des billigen Geldes die Erwartungen der Investoren nicht, sondern sie destabilisiert.
- Die Europäische Union steckt in einer Orientierungskrise. Dies zeigt sich in verschiedenen Situationen: Es gibt offensichtlich unter den einzelnen Ländern keine einheitliche Linie bezüglich des adäquaten Reformkurses angesichts der hohen Staatsverschuldungen und der notwendigen fiskalischen und realwirtschaftlichen Anpassungsschritte. Die Geduld für angebotsorientierte Maßnahmen ist nur eingeschränkt vorhanden. Getroffene Vereinbarungen werden in Frage gestellt. Verschärft werden dieses Problem und die damit einhergehende Verunsicherung durch den Bedeutungsgewinn von EU-kritischen Parteien in vielen Ländern.
- Die Unstimmigkeit in der EU zeigt sich auch in der Flüchtlingsfrage. Die einzelnen Regierungen haben unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich dieser humanitären Herausforderung. Zum Teil führte dies zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen. Derzeit besteht zwar keine Gefahr für die Funktionsfähigkeit länderübergreifender Wertschöpfungsketten. Gleichwohl wird die hohe Freizügigkeit nicht mehr mit der längst gewohnten Selbstverständlichkeit gesehen. Dazu tragen möglicherweise auch die jüngsten Terroranschläge bei.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Firmen hierzulande auch mittelfristig eher gedämpfte Wirtschaftserwartungen haben. Die Gefahr einer anhaltenden Stagnationsphase wird von den deutschen Unternehmen durchaus gesehen (Grömling, 2016). Investitionen erfolgen im internationalen Verbund. Das globale Umfeld begünstigt diese derzeit jedoch nicht.
Was folgt daraus für die konjunkturelle Entwicklung hierzulande?
- Die schwächere Weltkonjunktur – vor allem die Unterbrechung des globalen Investitionszyklus – dämpft die deutsche Exporttätigkeit und beeinträchtigt die Investitionstätigkeit der exportorientierten Unternehmen mit den entsprechenden Ausstrahlungen in deren Verbundunternehmen. Exporte und Unternehmensinvestitionen bleiben hierzulande eher schwach.
- Die Konsumkonjunktur bleibt dagegen robust. Dabei materialisieren sich jedoch ausgeprägte Sondereffekte: Zum einen stimulieren die niedrigen Energiepreise und Finanzierungskosten den privaten Konsum. Diese Effekte tragen aber nur vorübergehend – weitere Impulse sind unwahrscheinlich. Zum anderen erfolgen merkliche Konjunkturimpulse über den Konsum und die Investitionen der öffentlichen Haushalte infolge der zusätzlichen Staatsausgaben für die Versorgung und Integration der Flüchtlinge.
Folgen für die Politik: Dieses Umfeld eröffnet keine Spielräume für zusätzliche Wünsche und Begehrlichkeiten an den Staat.
Literatur:
Grömling, Michael, 2016, Säkulare Stagnation – Erwartungen und Begründungen deutscher Unternehmen, in: IW-Trends, 43. Jg., Nr. 1, S. 3–19
IW-Forschungsgruppe Konjunktur, 2016, Vordergründig robust, hintergründig anfällig, IW-Konjunkturprognose Frühjahr 2016, in: IW-Trends, 43. Jg., Nr. 2, Online-Sonderausgabe 1.2016, S. 3–33
- Kumulative Angebotsschocks bremsen Konjunktur und treiben Kosten - 11. September 2021
- Konjunkturprognosen im Wechselbad der Pandemie - 31. März 2021
- Einige Überlegungen zu möglichen Verhaltenseffekten der Corona-Krise - 8. Oktober 2020
Und nicht zu vergessen: die Chance der Einwanderung. Was das nicht für eine tolle konjunkturelle Spritze darstellt: der Wohnungsmarkt wird belebt und der Konsum steigt rasant an. Was für eine wunderbare Welt in der wir Leben: Menschen aus aller Welt, kommt nach Deutschland – Mutti gibt Euch Gutscheine … . Mir wird schlecht.