Die jüngsten Enthüllungen der Panama-Papers sowie der Prozessauftakt gegen die Whistleblower der Luxemburg-Leaks haben der gesellschaftlichen Diskussion über GeÂwinnverlagerung neuen Auftrieb gegeben. Im Zuge der Debatte nimmt auch der Vorwurf zu, dass innerhalb der EU einige Mitgliedstaaten unter Nutzung des Gemeinschaftsrechts eine Erosion der Körperschaftsteuereinnahmen aus Unternehmensgewinnen forcieren.
Geordneter Steuerwettbewerb als Ziel
Steuerwettbewerb per se ist nicht negativ. Im Gegenteil, kommt dem Wettbewerb unterschiedlicher Staaten und Gebietskörperschaften doch eine zentrale Rolle bei der Disziplinierung staatlichen Handelns zu. Auf breite Akzeptanz stößt steuerlicher Wettbewerb aber nur, wenn er allgemeinverbindlichen Regeln folgt, die eine individuelle Vorteilsnahme bestmöglich begrenzen. Ein zentrales Prinzip der länderübergreifenden UnternehmensbeÂsteueÂrung ist daher, Gewinne am Ort ihrer ErwirtschafÂtung zur Versteuerung zu bringen. Ein gängiger theoretiÂscher Begründungsansatz für dieses Ziel ist, dass UnterÂnehmen bei der Erwirtschaftung von Gewinnen durch den RückÂgriff auf ausgebildete Fachkräfte, Infrastruktur usw. auf ein öffentliches Gut in einem Land zurückgreifen und daher auch an dessen Bereitstellungskosten beteiligt werÂden sollten. Mehrere Mitgliedstaaten sehen dieses Prinzip durch gezielte Gewinnverlagerung innerhalb und außerÂhalb der EU zunehmend verletzt.
Steigbügelhalter Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie
Die Regelungen der europäischen Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie nehmen eine zentrale Stellung bei der Gewinnverlagerung von Unternehmen in Europa ein. Ziel dieser Richtlinie aus 2003 war es, steuerliche Hindernisse bei grenzüberschreitenden konzerninternen Zahlung von Zinsen und Lizenzgebühren zu beseitigen. Sofern ein Unternehmensteil in einem Mitgliedsland durch die NutÂzung von Lizenzen oder Kreditlinien eines anderen Unternehmensteils Gewinne erzielt, so werden die resultieÂrenden Gewinne im Mitgliedsland des lizenz- oder kreditgebenden Unternehmensteils versteuert. Innerhalb der EU verzichten die Mitgliedstaaten also fortan auf die zuvor übliche Quellenbesteuerung von Lizenzausgaben oder Zinszahlungen ihrer ansässigen Unternehmen.
Strategische Steuerplanung als Folge
Auf Grundlage dieser Richtlinie haben Unternehmen Konstrukte zur Steuerminderung durch die Ausgestaltung konzerninterner Verrechnungspreise entwickelt. Als ein Steuermodell hat sich die VerschieÂbung von Lizenzen und Lizenzgebühren innerhalb von Unternehmensteilen eines Konzerns etabliert. Übliche Praxis ist, dass eine Unternehmenseinheit in einem steuÂergünstig gelegenen Mitgliedstaat Lizenzen, beispielsÂweise zur speziellen Röstung von Kaffeebohnen, an KonÂzernteile in anderen Mitgliedstaaten verÂkauft. Aus Unternehmensperspektive entspricht der KaufÂpreis der Lizenz im Idealfall der Höhe der in den anderen Mitgliedstaaten erzielten Gewinne. Ein beliebtes Zielland zur Bündelung der europaweiten KonÂzerngewinne sind gegenwärtig die Niederlande, die mit vielen Nicht-EU Staaten Steuerabkommen für Lizenzgebühren abgeschlosÂsen haben. Sofern die niederländische Konzerneinheit die in Europa weiterverkaufte Lizenz ihrerseits von einer Konzerneinheit in einem steuÂergünstigen Drittland zum Gegenwert (eines Teils) der gebündelten europäischen Konzerngewinne einkauft, können die Gewinne unter geringer Abgabenlast ins EU-Ausland abfließen. AlternaÂtiv bieten die Niederlande in Verhandlungslösungen atÂtraktive Steuersätze an, wenn Unternehmen die GewinnÂversteuerung direkt vor Ort vorziehen. Eine teilweise noch attraktivere GewinnverÂsteuerung bot sich in LuxemÂburg. Ebenfalls unter NutÂzung der Richtlinie nahmen europäische Konzernteile (teure) Kredite bei einer Luxemburgischen KonzerneinÂheit in Anspruch, um die jeweils in den Mitgliedstaaten erzielten Gewinne zu verringern. Nach Absprache mit der FinanzÂverwaltung musste in Luxemburg nur ein Bruchteil der erzielten Zinsgewinne versteuert werden.
Problem konzerninterne Verrechnungspreise
Die Beispiele zeigen, dass konzerninterne VerrechÂnungsÂpreise eine zentrale Rolle bei der GewinnverlageÂrung spielen. Ein vermeintlich naheliegender Ansatz wäre es daher, verzerrte Verrechnungspreise in der SteuerprüÂfung auf Basis des bestehenden „FremdvergleichsgrundÂsatzes“ zu unterbinden. Der Fremdvergleichsgrundsatz besagt, dass der Verrechnungspreis dem Marktpreis entÂsprechen soll, also dem Preis, der bei einem Geschäft mit unabhänÂgigen Dritten zu zahlen wäre. In der praktischen SteuerÂprüfung ist die Umsetzung dieses Grundsatzes aber reÂgelmäßig unmöglich, da es häufig keinen vergleichbaÂren Marktpreis für (vermeintlich zu hoch angesetzte) imÂmateÂrielle Vermögenswerte oder Risikoprämien gibt. MitÂgliedstaaten beklagen zudem, dass der EuGH BeanÂstanÂdungen von Verrechnungspreisen regelmäßig als Eingriff in die Kapital- und Niederlassungsfreiheit ausgelegt hat. Als ein Lösungsweg wird daher die gezielte Änderung der Lizenzgebührenrichtlinie diskutiert. Ein Vorschlag ist, dass LizenzgebühÂren künftig nur noch in dem Maße abzugsfähig wären, wie ihnen im Land des lizenzhaltenÂden UnternehmensÂteils tatsächliche F&E-Aufwendungen gegenüberstehen.
Eine konsolidierte Körperschaftsbesteuerung …Â
Aufgrund der schwierigen Definition von marktgerechten Verrechnungspreisen zielt die von der europäischen Kommission bevorzugte Lösung der schrittweisen EinÂführung einer konsolidierten Körperschaftsbesteuerung (GKKB) darauf ab, ab einer bestimmten UnternehmensÂgröße Verrechnungspreisen in der EU die Relevanz bei der Gewinnerermittlung zu nehmen. Die GKKB sieht eine dreistufige Gewinnermittlung vor. Zunächst soll jede Konzerneinheit ihr steuerliches Ergebnis, also ihren GeÂwinn oder Verlust, nach einheitlichen Regeln ermitteln. Anschließend sollen alle Teilergebnisse bei der Muttergesellschaft zu einem Konzernergebnis konsolidiert werÂden. In einem letzten Schritt soll der Gewinn auf alle Mitgliedstaaten aufgeÂteilt werden, in denen das UnterÂnehmen tätig war. Die Mitgliedstaaten können den auf sie entfallenden GeÂwinnanteil dann mit dem jeweiligen nationalen Körperschaftssteuersatz versteuern, sodass weiterhin Raum für einen gewünschten SteuerwettbeÂwerb bliebe. Ein Aufteilungsschlüssel soll aber gewährÂleisten, dass Gewinne im Idealfall dort versteuert werden, wo sie tatsächlich erwirtschaftet wurden. Zur Diskussion steht ein Schlüssel, der die Aufteilung des KonzerngeÂwinns entsprechend der drei gleichgewichteten mikroÂökonomischen Faktoren UmÂsatz, Arbeit und Vermögen vorsieht. Es soll für jeden Mitgliedstaat bestimmt werden, wieviel die nationalen Unternehmenseinheiten zum GeÂsamtumsatz beigetragen haben und welchen Anteil die nationalen Einheiten an den Gesamtaufwendungen des Konzerns für die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital getragen haben. Maßgeblich für die Zurechnung des UmÂsatzes wäre bei Waren der Bestimmungsort und bei Dienstleistungen der Ort, an dem die Leistung erbracht wurde. Beim Faktor Arbeit soll einerseits die Lohnsumme und andererseits die Anzahl der BeschäftigÂten herangezoÂgen werden. Als Vermögen würde das geÂsamte SachanlaÂgevermögen berücksichtigt. Immaterielle VermögensÂwerte sollen, auch aufgrund der leichten Transferierbarkeit, nicht berücksichtigt werden.
… könnte einen Teil des Problems lösen.
Tatsächlich könnten Verrechnungspreise bei Anwendung der konsolidierten Körperschaftsbesteuerung nicht mehr zur strategischen Gewinnverlagerung genutzt werden, da sich die gewählten, unternehmensinternen VerrechnungsÂpreise im konsolidierten Unternehmensergebnis gegenÂseitig aufheben und die Höhe der Verrechnungspreise keinen der drei Faktoren des diskutierten VerteilungsÂschlüssel beeinflussen würde. Kritiker befürchten jedoch, dass dann die gezielte Beeinflussung der Faktoren des VerteiÂlungsschlüssels zur Gewinnverlagerung genutzt werden könnte. Für den Faktor Umsatz ist diese Kritik teilweise berechtigt. Grundsätzlich würde der Umsatz-Faktor im Verteilungsschlüssel die Konzerngewinne den Staaten zuteilen, in denen die Waren schließlich auf den Markt gebracht werden. Wenn aber Umsätze in einem Land erfolgen, in dem das Unternehmen nicht vertreten ist, würden solche Umsätze dem Versandstaat zugeordnet und unterlägen so der direkten strategischen unternehmeÂrischen Steuerbarkeit. Denkbar wäre, dass ein UnternehÂmen den überwiegenden Teil der Wertschöpfung (z.B. Entwicklung und Produktion) in Land A erzielt und Land B ausschließlich zum europaweiten Endversand nutzt. Durch diese Aushebelung des Bestimmungsortsprinzips dürften hier die tatsächliche Gewinnerwirtschaftung und die formelbasierte Gewinnzuteilung deutlich abweichen. Eine formelbasierte Zuteilung wird daher immer nur eine Annäherung beim Versuch sein, Gewinne dort zur Versteuerung zu bringen, wo sie erwirtschaftet werden.
Ausblick: Kein zeitnaher Konsens in Sicht
Die konsolidierte Körperschaftssteuer würde den strategischen Raum für Gewinnverlagerungen in der EU deutlich beschneiden. Und genau das ist eine der größten Hürden bei ihrer Umsetzung: Da mit einem wirksamen InstruÂment zwangsläufig verteilungspolitische Auswirkungen verbunden sind, leisten mehrere Mitgliedstaaten beharrliÂchen Widerstand. Aufgrund der bei Steuerfragen erforÂderlichen Einstimmigkeit im Rat ist eine zeitnahe UmsetÂzung nicht in Sicht. Einseitige nationale Lösungen wie beanstandete Verrechnungspreise oder die WiedereinfühÂrung eines Quellensteuerabzugs auf Lizenz- und ZinsausÂgaben stoßen beim bestehenden Vertragswerk wiederum schnell an europarechtliche Grenzen. Letztlich bleibt die (ernüchternde) Erkenntnis, dass eine weitreichende EinÂdämmung von Gewinnverlagerungen einen europäischen Konsens erfordert, unabhängig davon, ob am Ende eine Anpassung der Lizenzrichtlinie oder eine konsolidierte Körperschaftsbesteuerung steht. Zeitnahe Lösung ungeÂwiss…
Hinweis: Dieser Text ist zugleich als Ausgabe Nr. 05/2016 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.
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