Seit einigen Jahren besteht ein Trend zu kurzen FreiwilliÂgeneinsätzen als Teil von Erlebnisurlaub, vor allem in Entwicklungsländern. Touristen werden zu Voluntouristen (von engl. volunteer: Freiwilliger) und arbeiten für kurze Zeit in sozialen oder ökologischen Projekten mit. Neben jungen Menschen sind auch BeÂrufstätige, die eine Auszeit nehmen und aktive Rentner Voluntouristen. Sie tun das, weil sie den Menschen in ihrem Reiseland helfen möchten, können aber durch ihre Nachfrage unbeabsichtigte Auswirkungen auf SchutzbeÂdürftige und auf den Arbeitsmarkt hervorrufen.
Freiwilligendienst als Produkt
Ob Freiwilligeneinsätze in Entwicklungsländern grundÂsätzlich einen Beitrag zur Entwicklungszusammenarbeit leisten können, ist umstritten. Am ehesten werden lange Aufenthalte mit intensiver Vor- und Nachbereitung als sinnvoll bewertet. Diese geregelten Freiwilligendienste sind Bestandteil der Strategie der Bundesregierung zur Entwicklungszusammenarbeit. Voluntourismus-Anbieter ermöglichen Einsätze dagegen oft schon ab einer Woche Aufenthaltsdauer. Reiseveranstalter haben FreiwilligenÂdienste als Produkt entdeckt, das sie häufig neben Sprach- und Bildungsreisen anbieten. Sie werben armutsorientiert, mit Bildern von Kindern und Tieren und dem VerspreÂchen, einen wichtigen Beitrag zu leisten. Im Gegensatz zu Freiwilligendiensten mit gemeinnützigen Organisationen, die die Menschen in den Reiseländern in den Mittelpunkt stellen, geht es beim kommerziellen Voluntourismus um die Voluntouristen als Kunden. Reiseveranstalter bieten auf ihren Websites und in Katalogen verschiedene ProÂjekte zur Auswahl an. Die Beschreibungen lassen vermuÂten, dass sie unrealistische Erwartungen wecken und neoÂkoloniale Ansichten fördern können. Die Teilnehmer wollen einen abenteuerlichen Urlaub verbringen und zusätzlich das Gefühl bekommen, etwas Gutes zu tun. Sie möchten nebenbei die Lebensumstände der lokalen BeÂvölkerung kennenlernen, sie schnell und einfach verbesÂsern und sich dabei persönlich weiterentwickeln. Der Einsatz wird zum Programmpunkt einer Reise neben anderen Ausflügen. Der Reisepreis beinhaltet die VerÂmittlung, Betreuung und Unterbringung im Projekt und darüber hinaus meist eine Spende.
Der Markt für Voluntourismus
Grundsätzlich können sich auf einem Markt für Voluntourismus alle Teilnehmer besserstellen. ReiseverÂanstalter und Projekt teilen den Reisepreis unter sich auf und der Voluntourist hat ein bedeutsames Erlebnis. Für das Projekt steht der Nutzen aus der Arbeit und dem fiÂnanziellen Beitrag des Voluntouristen den BetreuungsÂkosten gegenüber. Kostet die Betreuung mehr, als die Arbeit nutzt, muss die zusätzliche Spende mindestens die Differenz zu den Betreuungskosten ausgleichen. Neben ihrer Rolle als Freiwillige sind Voluntouristen auch TouÂristen. Dabei fragen sie verschiedene Güter und DienstÂleistungen nach. Besonders wenn diese Nachfrage zu großen Teilen durch Produktion im Reiseland bedient wird, kann Tourismus einen Multiplikatoreffekt haben. Zusätzlich haben die persönlichen Erfahrungen im ReiÂseland das Potenzial, Kunden für wiederholte Reisen an das Land zu binden.
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Wenn ihre Arbeit im Verhältnis zu den Betreuungskosten einen Mehrwert bringt, treten Voluntouristen in KonkurÂrenz zu einheimischen Arbeitern. Kritiker befürchten dadurch Verdrängungseffekte. Projektbetreiber entscheiden allerdings rational, wenn sie Voluntouristen einstellen, sofern diese günstiger sind. Entsprechende Projekte sind oft durch private Spenden oder öffentlich finanziert und müssen mit knappen Mitteln auskommen. Einige Aufgaben würden ohne Voluntouristen vielleicht gar nicht erfüllt. Vorhandene Ressourcen können durch den Einsatz von Voluntouristen eingespart und für andere Vorhaben frei werden, wo dann Arbeitsplätze für Einheimische entstehen. Sie würden also nicht unbedingt schlechter gestellt. Allerdings ist das Arbeitsangebot durch Voluntouristen unsicher. Auch das müssen Projektbetreiber berücksichtigen. Der ReiÂsetrend kann sich, etwa nach Naturkatastrophen, schnell ändern. Mittel könnten dann für andere Vorhaben gebunden sein.
Voluntouristen können auch die langfristige Entwicklung von Kompetenzen im Reiseland beeinflussen. Qualifizierte Voluntouristen können Lückenfüller sein, wo qualifizierte Einheimische fehlen. Ihre Anwesenheit kann dazu führen, dass Kompetenzen lokal nicht entwickelt werden und damit Abhängigkeiten schaffen. In entsprechend ausgerichteten Projekten können Voluntouristen aber auch dazu beitragen, die Kompetenzen einheimischer Arbeiter aufzubauen und Hilfe zur Selbsthilfe leisten.
Auswirkungen auf Schutzbedürftige
Viele Voluntouristen verbringen ihre Einsätze in EinÂrichtungen für Kinder. Kinderheime sind besonders beÂliebt. Dabei kann der häufige Wechsel von Freiwilligen vor allem Kinder ohne feste Bezugspersonen emotional traumatisieren. Hier ist nicht klar, ob in Abwesenheit von Voluntouristen die ideale Betreuung bei FamilienmitglieÂdern oder durch langfristige Betreuer möglich wäre. Die Möglichkeit dazu können potenzielle Voluntouristen aber fördern, indem sie anstelle eines Arbeitseinsatzes eine seriöse Organisation mit einer Spende unterstützen. WeitÂgehend unkontrollierter Zugang zu Kindern durch Voluntouristen kann auch die Gefahr von sexuellen und körperlichen Übergriffen erhöhen. Eine hohe Nachfrage nach Kinderheimbesuchen kann außerdem zu einer höheÂren Nachfrage nach Kindern durch die Betreiber von tourismusorientierten Kinderheimen führen, als tatsächÂlich einen Platz im Kinderheim brauchen. Diese NachÂfrage können Betreiber mit Kindern aus armen Familien decken. Die Familien erhoffen sich dabei bessere ChanÂcen für ihre Kinder oder sind durch ihre Notlage zum Verkauf gezwungen. In einigen Ländern beobachten Hilfsorganisationen einen Anstieg der Anzahl von KinÂderheimen und Kindern, die dort betreut werden, obwohl sie mindestens einen lebenden Elternteil haben. Diese Entwicklung wird mit dem touristischen Interesse an den Heimen in Verbindung gebracht. Wie Reiseveranstalter mit der Situation umgehen ist unklar, da es kein ZertifiÂzierungssystem für Voluntourismus gibt. Wohlmeinende Voluntouristen können also durch ihre Nachfrage Anreize für kriminelles Verhalten setzen und unbeabsichtigt KinÂderhandel und Korruption fördern.
Wer kann unerwünschte Auswirkungen korrigieren?
Zunächst kommen die Reiseländer, auf deren Gesellschaft sich der Voluntourismus direkt auswirkt, als ordnende Instanz in Betracht. Ein Verbot von Menschenhandel und besonderer Schutz von Kindern sind theoretisch BeÂstandteile des Ordnungsrahmens, in dem der Voluntourismus stattfindet. Nahezu alle Staaten haben entsprechende Abkommen ratifiziert. In der Praxis setzen sie diese Verpflichtungen aber nicht immer durch. Eine hohe Anfälligkeit für Korruption und schlechte KontrollÂmöglichkeiten machen eine effektive Regelung von Voluntourismus unwahrscheinlich. Zudem setzen Voluntouristen in ihrer Rolle als Touristen Anreize für die Regierungen der Reiseländer, mögliche Nebenwirkungen des Voluntourismus zu ignorieren. Positive Effekte durch Tourismus werden unter Umständen höher bewertet als unerwünschte Nebenwirkungen. Voluntouristen, die sich auf altruistische Motive berufen, werden die möglichen Auswirkungen ihrer Einsätze auf Schutzbedürftige und Arbeitsmärkte in den Reiseländern vermutlich nicht gutÂheißen. Vielleicht könnten sie sich selbst über die mögliÂchen Nebenwirkungen ihres Handels informieren und so fragwürdige Projekte ausschließen. Allerdings ist die Bewertung einzelner Projekte schwierig. Dazu sind deÂtaillierte Informationen nötig. Die Informationskosten sind sehr hoch. Kunden sind auf die Informationen angeÂwiesen, die die Reiseveranstalter bereitstellen. Auch für Reiseveranstalter entstehen Kosten, wenn sie die Qualität ihrer Projekte bewerten und glaubhaft signalisieren wolÂlen, sie würden nur bei einer entsprechend höheren ZahÂlungsbereitschaft für gute Projekte private Signale setzen. Bisher lässt sich das nicht beobachten. Es scheint also kein ausreichend großes Interesse an den Informationen zu geben. Können anstelle der Kunden ihre Heimatstaaten das Informationsproblem lösen? Eine Möglichkeit besteht in der Aufklärung von potenziellen Voluntouristen. Viele Staaten betreiben entwicklungspolitische Bildungsarbeit. Dabei können sie auch das Thema Voluntourismus aufÂgreifen. Ein stärkerer Eingriff wäre es, heimischen ReiseÂveranstaltern Auflagen, z. B. zum Kinderschutz, zu maÂchen. Ein Verbot bestimmter Angebote könnte dann die Aufmerksamkeit für das Thema erhöhen.
Fazit
Durch fehlende Aufsicht in den Reiseländern gibt es eiÂnen ungeordneten Markt für Voluntourismus, der zum Teil unerwünschte Nebenwirkungen hat. Die LeidtragenÂden sind dabei vor allem Kinder. Für Voluntouristen als Kunden ist dieser Markt intransparent. Sie laufen Gefahr, entgegen ihrer guten Absichten zu handeln. Aufgeklärte Kunden könnten besser entscheiden, ob und wie Voluntourismus für sie in Frage kommt. EntwicklungsÂpolitische Bildungsarbeit kann dazu eine geeignete MaßÂnahme sein. Wenn es darum geht, einen Beitrag zum Engagement einer seriösen Organisation im Reiseland zu leisten, ist Voluntourismus vermutlich nicht der richtige Weg. Normaler Tourismus und eine unabhängige Spende könnten den Betroffenen vor Ort mehr nutzen. Kommt Selbstverwirklichung als Motivation hinzu und ein gereÂgelter Freiwilligendienst nicht in Betracht, können aufgeÂklärte Voluntouristen möglichst verantwortungsvolle Reiseveranstalter und Projekte auswählen. Sie können Projekte ausschließen, die sehr wahrscheinlich unerÂwünschte Auswirkungen haben. Dazu zählen insbesonÂdere Projekte in Kinderheimen.
Hinweis: Dieser Text ist auch als Ausgabe Nr. 06/2016 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.
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