Ordnungspolitischer Kommentar
Der Staat als Unternehmer?
Keine gute Idee wegen unvermeidbarer Interessenkonflikte

Die Nachricht, dass der niedersächsische Ministerpräsident Weil, der gleichzeitig Aufsichtsratsmitglied der Volkswagen AG (VW) ist, eine Regierungserklärung zum Dieselskandal im Oktober 2015 zunächst mit dem VW-Vorstand abstimmte, hat eine Diskussion zur staatlichen Beteiligung an Unternehmen angestoßen. Als umsatzstärkstes deutsches Unternehmen und als größter Arbeitgeber Niedersachsens, von dem direkt oder indirekt etwa 250.000 Stellen abhängen, ist die Bedeutung von VW für die niedersächsische Politik enorm. Aber auch die Politik bestimmt über ihre Anteile wesentliche Unternehmensentscheidungen des VW-Konzerns. In Anbetracht der aktuellen Betrugs- und Kartellvorwürfe in der Branche stellt sich die Frage, ob diese Form der Verflechtung des Landes Niedersachsen und des VW-Konzerns noch zeitgemäß ist bzw. wie das Verhältnis von Politik und Unternehmen in der sozialen Marktwirtschaft grundsätzlich geregelt sein sollte.

Die Verflechtung ist historisch gewachsen

Ursprünglich als nationalsozialistisches Werk zur Produktion eines erschwinglichen Wagens für das Volk gegründet, wurde der Betrieb im heutigen Wolfsburg nach dem zweiten Weltkrieg zunächst von der Militärregierung der britischen Besatzungszone verwaltet. 1949 wurde das Unternehmen an das Land Niedersachsen übergeben. Die Eigentümerrechte wurden zusammen mit dem Bund ausgeübt. 1960 wurde das Unternehmen schließlich in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und teilweise privatisiert. Das Land Niedersachsen und der Bund behielten jeweils Anteile von 20 Prozent. Die Erlöse aus dem Verkauf der Aktien flossen, wie auch alle späteren Dividenden der staatlichen Aktionäre, in die Volkswagenstiftung, die der Wissenschaftsförderung dient. Das VW-Gesetz von 1960 sichert die Position der Landes- und Bundesregierung im Unternehmen. Das Gesetz legt fest, dass strategische Entscheidungen der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von 80 Prozent getroffen werden müssen. Ende der 80er Jahre verkaufte der Bund seine restlichen Anteile. Niedersachsen behielt mit 20,2 Prozent der Anteile eine Sperrminorität. Dazu gehören auch zwei Sitze im Aufsichtsrat, die aktuell von Ministerpräsident Weil und Wirtschaftsminister Lies besetzt werden.

Wer den Ordnungsrahmen gestaltet, kann nicht gleichzeitig Marktakteur sein, …

In einer marktwirtschaftlichen Ordnung schaffen politische Amtsträger mit Gesetzen einen Ordnungsrahmen, in dem Unternehmen agieren. Zu ihrer Rolle gehört es, über die Rahmensetzung Restriktionen zu schaffen aber nicht, Einfluss auf die einzelnen Entscheidungen der Marktakteure zu nehmen. Nur zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben treten staatliche Institutionen als Marktakteure auf.

Alle Wähler, unter ihnen auch Unternehmer, können sich in Interessengruppen organisieren und politische Akteure über ihre Interessen informieren, damit sie bei der Regelsetzung berücksichtigt werden. Auch in der Automobilindustrie wird diese Möglichkeit der Lobbyarbeit intensiv genutzt. Ein teilweise in staatlichem Besitz befindliches Unternehmen kann aber gegenüber Konkurrenten besondere Vorteile haben, die den Wettbewerb verzerren, wenn Regeln speziell auf die Bedürfnisse dieses Unternehmens zugeschnitten oder Finanzierungsprobleme durch staatliche Kredite aufgefangen werden.

… sonst sind Interessenkonflikte vorprogrammiert.

Durch die Anteile des Landes Niedersachsen und die daraus resultierende Sperrminorität sowie die personelle Verflechtung zwischen Landespolitik und VW-Konzern ist eine Trennung von Staat und Unternehmen nicht gegeben und es kommt in vielen Situationen zu Interessenkonflikten.

Politiker sollen grundsätzlich die vielfältigen Interessen aller Bürger abwägen und entsprechend handeln. Da Politiker aber wie alle Menschen auch eigene Interessen verfolgen, sollten institutionelle Regelungen mögliche Interessekonflikte minimieren. Demokratische Wahlen garantieren zumindest, dass Politiker die Interessen der Mehrheit der Wähler berücksichtigen müssen. Eine Regierung vertritt deshalb breite Interessen unter anderem in Bereichen wie Umwelt- und Verbraucherschutz. Auch aus eigenem Interesse heraus sollte die niedersächsische Regierung daher die Aufklärung des Dieselskandals vorantreiben. Allerdings sind zahlreiche Wähler direkt oder indirekt von VW abhängig. Hinzu kommen persönliche Interessen von Amtsträgern, die sie bei ihrer Arbeit beeinflussen können. Etwa in Bezug auf eine weitere Karriere außerhalb der Politik. Dies verringert aus polit-ökonomischer Sicht die Anreize zur Aufklärung des Dieselskandals.

Durch die Beteiligung des Landes Niedersachsen und die aktive Rolle der Landespolitik bei Unternehmensentscheidungen spitzen sich mögliche Interessenkonflikte zu. Während Amtsträger grundsätzlich die Interessen aller Bürger ihres Landes (mindestens aber die Mehrheit der Bürger) vertreten sollten, sind sie als Aufsichtsratsmitglieder den Interessen der Aktionäre und Arbeitnehmer des Unternehmens verpflichtet. Der Aufsichtsrat kontrolliert die Arbeit des Vorstands und sollte um den Erfolg des Unternehmens bemüht sein. Zu dieser Kontrollfunktion gehört es auch, geschäftsschädigendes Verhalten zu verhindern, um die Interessen der Aktionäre zu schützen. Dabei ist aber nicht klar, ob Aufsichtsratsmitglieder darauf aufmerksam machen müssen, wenn ihnen rechtswidriges Verhalten des Vorstands bekannt wird. Mitglieder des Aufsichtsrats werden vielleicht berücksichtigen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Fehlverhalten entdeckt wird und welche Konsequenzen eine Entdeckung hätte. In vielen Fällen werden Aufsichtsräte daher Fehlverhalten des Unternehmens nicht aktiv aufdecken, auch wenn es ein großes öffentliches Interesse daran gäbe.

Ein Verkauf der VW-Anteile des Landes Niedersachsen könnte einige Interessenkonflikte ausräumen und es den jeweiligen Amtsträgern ermöglichen, sich auf ihre politischen Ämter zu konzentrieren. Ob die diskutierte Besetzung der niedersächsischen Aufsichtsratsposten mit Experten als Kompromiss in Frage kommt, ist fraglich, da nicht erkennbar ist, wie deren Unabhängigkeit gesichert werden könnte.

Auswirkungen eines Verkaufs

Häufig wird die Sorge um Arbeitsplätze angeführt, um die andauernde staatliche Beteiligung an VW zu begründen. Tatsächlich wäre es wahrscheinlich, dass bei einem Verkauf der Anteile Veränderungen im Unternehmen stattfinden. Allerdings sichert das VW-Gesetz, wenn es weiter besteht, den Arbeitnehmervertretern ein Veto-Recht bei Standortentscheidungen. Dennoch könnten früher oder später auch Arbeitsplätze in Niedersachsen wegfallen oder verändert werden. Selbstverständlich führt das zu Sorgen bei potenziell betroffenen Arbeitnehmern. Daher ist es verständlich, dass der Vorschlag bei vielen Angestellten von VW in Niedersachsen keine Zustimmung findet. Allerdings kann bereits jetzt nicht jeder Wunsch nach staatlichem Schutz vor Veränderungen von der niedersächsischen Regierung erfüllt werden. Zum einen könnten daraus langfristige wirtschaftliche Schäden entstehen, die dann noch radikalere Einschnitte nötig machten. Und zum anderen sind dem Land Niedersachsen rechtlichen Schranken (z. B. im Beihilferecht) gesetzt. Aber auch aus polit-ökonomischen Erwägungen heraus müssen die Politiker auch die Interessen von Wählern berücksichtigen, die in der aktuellen Situation Nachteile haben und durch einen Verkauf der VW-Anteile besser gestellt würden. Die Beteiligung an VW führt somit zwangsläufig zu Interessenkonflikten. Es droht eine Situation, in der die Politiker keiner der ihnen zufallenden Rollen gerecht werden können.

Ein weiterer Grund, der gegen eine Veränderung angeführt wird, ist die Verwendung der VW-Dividenden aus den niedersächsischen Anteilen. Sie fließen, wie die Erlöse aus dem anfänglichen Verkauf der Aktien, in die Volkswagenstiftung. Das würde laut Satzung der Stiftung allerdings auch mit dem Erlös aus einem Verkauf der Anteile geschehen.

Ausnahmen für die Schlüsselindustrie?

Die Automobilbranche wird häufig als Schlüsselindustrie für Deutschland bezeichnet. Es ist aber nicht klar, warum dadurch eine staatliche Beteiligung an Automobilunternehmen gerechtfertigt sein sollte. Im Gegenteil zeigt der aktuelle Fall, dass die Unternehmen langfristig davon profitieren könnten, wenn die Politik ihre Aufgabe als Regelsetzer konsequent wahrnehmen würde. Dann hätten die Unternehmensmanager den größten Anreiz in zukunftsfeste Technologien zu investieren, weil sie unternehmerische Fehlentscheidungen nicht durch politische Hilfestellungen kaschieren könnten.

Fazit

Vermutlich wird nur eine klare Trennung von Staat und Unternehmen im Fall von VW die Interessenkonflikte eingrenzen können. Der Fall wirft die Frage auf, was passiert, wenn bestimmte Unternehmen durch Staatsbeteiligungen besonders geschützt oder beeinflusst werden. Ein Unternehmen, das durch die rechtlichen Folgen von Betrug in finanzielle Schwierigkeiten kommt, kann in einem marktwirtschaftlichen System eben nicht unbedingt weiter bestehen. Werden aufgrund von Staatsbeteiligungen oder Bewertung als Schlüsselindustrie Regeln aufgeweicht, droht das die Geltung und damit die Effizienz des gesamten Regelwerks zu zerstören.

Hinweis: Dieser Text ist auch als Ausgabe Nr. 09/2017 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.

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