Bei der Analyse der aktuellen konjunkturellen Krise werden auch immer wieder Parallelen zur Großen Depression in den 1920er-Jahren gezogen. Die zunächst starken Einbrüche bei der Industrieproduktion haben einen solchen Vergleich durchaus nahegelegt. Eine Ähnlichkeit besteht zum Beispiel in der geplatzten Spekulationsblase oder den Finanzmarktproblemen, wobei es deutliche Unterschiede im Detail gibt. Auch war die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre von einer Agrarkrise begleitet, in deren Gefolge es zu einem starken Verfall der Agrarpreise bereits Mitte der 1920er-Jahre kam. Technischer Fortschritt hatte zu einer Expansion der Agrarproduktion geführt, was vor allem in den stark landwirtschaftlich ausgerichteten Volkswirtschaften – wobei auch in Deutschland rund 30 Prozent und in den USA rund 20 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig waren – erhebliche Anpassungslasten im Vorfeld der Großen Depression schuf.
Vor diesem historischen Hintergrund kann gefragt werden, ob die Rohstoffpreisentwicklung in den letzten Jahren ebenfalls zu einer Verschärfung der derzeitigen Krise beigetragen hat.
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Zunächst zu den Fakten: Die Abbildung veranschaulicht die Entwicklung ausgewählter Rohstoffpreise seit Januar 2007. Dabei darf nicht übersehen werden, dass bereits seit der Jahrtausendwende die Rohstoffpreise deutlich angestiegen waren: Die Preise für Eisenerz und Stahlschrott lagen beim Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung, also im Januar 2007, bereits um 190 Prozent über dem Jahresdurchschnitt 2000, Nichteisen-Metalle kosteten um über 150 Prozent mehr, und Energierohstoffe verteuerten sich auf US-Dollar Basis in diesem Zeitraum um insgesamt 90 Prozent. Diese starken Anstiege der Rohstoffpreise beruhen zum Teil auf der steigenden Energienachfrage im Gefolge der expansiven Weltkonjunktur. Vor allem die Rohstoffnachfrage in den aufstrebenden Volkswirtschaften China und Indien ist hier zu nennen. Daneben dürfte sich auch die überreichliche globale Liquiditätsversorgung in den steigenden Rohstoffpreisen niedergeschlagen haben.
Das unmittelbare Vorfeld der gegenwärtigen Krise war jedenfalls von deutlichen Preisanstiegen für Energie und anderen Rohstoffe – vor allem Eisenerz und Stahlschrott – gekennzeichnet. Allein in den eineinhalb Jahren von Januar 2007 bis zum Höhepunkt zur Jahresmitte 2008 verteuerten sich die Energierohstoffe nochmals um 150 Prozent, Eisenerz und Stahlschrott um weitere 90 Prozent. Das bedeutete einerseits für die Produktion in Deutschland einen erheblichen Kosten- und Angebotsschock und für die Nachfrageseite einen spürbaren Kaufkraftverlust. Die während des vergangenen Aufschwungs nicht allzu stark in Schwung gekommene Konsumkonjunktur ist zum Teil mit diesem negativen Preisschock zu erklären.
Andererseits kamen die rohstoffreichen Länder zu erheblich höheren Einnahmen, die teilweise in diesen Ländern eine beachtliche Investitionstätigkeit ausgelöst haben. Anders als bei früheren Ölpreisrallyes wurden die Einnahmen zuletzt stärker für die Kapitalstockbildung in den Rohstoffländern verwendet. Das hat wiederum die deutsche Wirtschaft mit ihrem starken Fokus auf Investitionsgüter außerordentlich gut belebt. Das „Recycling der Petro-Dollar“ über verstärkte Importe der Rohstoffländer hat die exportorientierte Wirtschaft in Deutschland begünstigt. Die ansteigenden Rohstoffpreise waren jedenfalls für die deutsche Wirtschaft insgesamt gesehen keine Einbahnstraße.
Der starke Einbruch der Rohstoffpreise ab Sommer 2008 hat dagegen die Exporteinnahmen der Rohstoffländer erheblich in Mitleidenschaft gezogen. So haben zum Beispiel die Energierohstoffe im Zeitraum Juli bis Dezember 2008 zwei Drittel ihres Wertes eingebüsst. Die Preise für agrarische Rohstoffe sanken im gleichen Zeitraum um ein Drittel, die für NE-Metalle um weit über 50 Prozent. Die Preise für Eisenerz und Stahlschrott lagen bei ihrem Tiefpunkt im Frühjahr 2009 um über 40 Prozent unter dem Höchstwert vom Sommer 2008.
Die aktuelle Krise – vor allem die Phase ab September 2008, als die Industrieaufträge und die Industrieproduktion schlagartig einbrachen – wird auch von einem enormen Verfall der Rohstoffpreise begleitet. Aus der Perspektive der deutschen Wirtschaft ist dies insofern negativ zu beurteilen, weil damit auch die Investitionstätigkeit in den rohstoffreichen Ländern stark zurückgefahren wurde, was den Einbruch der Auslandsaufträge der deutschen Industrie beschleunigte. Freilich muss auch gesehen werden, dass die erhebliche Verbilligung der Rohstoffe auf der Konsumebene mit markanten Kaufkraftgewinnen verbunden ist. Die sinkenden Einfuhrpreise im Gefolge der deutlich gesunkenen Rohstoff- und vor allem Ölpreise gehen derzeit mit nennenswerten gesamtwirtschaftlichen Realeinkommensgewinnen einher – im ersten Halbjahr 2009 waren es gut 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Auch die gegenwärtige Krise ist durch einen starken Verfall der Rohstoffpreise geprägt. Dieser Befund soll nicht die Beeinträchtigungen durch die Verwerfungen auf den Finanzmärkten verwässern. Unstrittig hat die Finanzmarktkrise – und ihr öffentlicher Höhepunkt im September 2008 mit der Lehman-Pleite – für erhebliche Unsicherheit und deren realwirtschaftliche Folgen gesorgt. Der zeitgleich startende Preiseinbruch bei Rohstoffen hat zusätzlich über die stark nachlassende globale Investitionstätigkeit auf die deutsche Investitionsgüterindustrie durchgeschlagen.
Möglicherweise dürften allerdings die größten Anpassungslasten bereits verarbeitet sein. Denn seit Anfang des Jahres 2009 hat sich die Rohstoffpreisentwicklung wieder stabilisiert. Zuletzt sind die Preise wieder angestiegen (Abbildung). Damit besteht auch die Hoffnung, dass sich die notwendige Investitionstätigkeit in den rohstoffreichen Volkswirtschaften und den Schwellen- und Entwicklungsländern im Allgemeinen wieder erholt. Vom Recycling der wieder ansteigenden Rohstoffeinnahmen wird dann auch wieder die deutsche Wirtschaft über ihre Exportflanke profitieren können.
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… deswegen steht da auch Lehman und Co.