Ausgangslage
Im deutschen Gesundheitswesen ist die langjährige Tradition nachzuvollziehen, dass die rechtlichen und faktischen Rahmenbedingungen regelmäßig Änderungen durch den Gesetzgeber erfahren. Die Änderungen werden mithin häufig als „Reform“ bezeichnet. Wenn eine „Reform“ als „die planvolle Umgestaltung bestehender Verhältnisse oder Systeme“ definiert wird, wobei das Ziel die Besserstellung der Betroffenen ist, ist die Frage, ob die Gesetzesvorhaben tatsächlich „Reformen“ darstellen.
Es tauchen Zweifel daran auf, denn die Grundstruktur und zentrale Mechanismen des deutschen Gesundheitswesens sind jedenfalls weit mehr als 130 Jahre alt. Überdies verfolgen die gesetzlichen Änderungen unterschiedliche Ziele: Mal soll der Wettbewerb gestärkt werden, mal wird er als ein Instrument neben vielen anderen zum erreichen alternativer Ziele angesehen. Ergänzend stehen alternative Probleme oder Teilbereiche des Gesundheitswesens im Fokus. Aus ordnungsökonomischer Sicht stellt sich mitunter die Frage, welcher ordnungspolitischen Vorgabe die Gesetzesvorhaben folgen.
Ausgangspunkt der nachfolgenden Ausführungen ist die soziale Marktwirtschaft, d. h. es soll an dieser Stelle keine Systemdiskussion geführt werden. Der Markt beinhaltet im Kern eine Sanktionierungs- und Belohnungsfunktion und führt zur höchstmöglichen Wohlfahrt, zu präferenzgemäßer Vielfalt, zur bestmöglichen Verfügbarkeit, zu höchstmöglichen Innovationstätigkeit, zu Anbieter- sowie Konsumentensouveränität und sowohl in statischer als auch in dynamischer Hinsicht zu Effizienz. Diese marktliche Allokation kann im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft bei Auftreten von Nachteilen durch geeignete wirtschaftspolitische Maßnahmen korrigiert werden. Der Staat hat also erstens die Aufgabe für funktionsfähigen Wettbewerb zu sorgen und zweitens, wenn schlechte Ergebnisse über den Markt nachzuvollziehen sind, über wirtschaftspolitische Maßnahmen Korrekturen vorzunehmen.
Zunächst ist festzuhalten, dass Gesundheitspolitik einen Teil der Wirtschaftspolitik darstellt. Damit sind die Grundprinzipien der sozial verfassten Marktwirtschaft auch im Feld der Gesundheitspolitik anzuwenden. Ordnungspolitisch sind im Rahmen der Ableitung einer rationalen Gesundheitspolitik zwei Ebenen zu trennen. Die erste Ebene ist die normative Ebene, also die Ableitung von legitimierbaren gesundheitspolitischen Ziele. Danach kann auf der zweiten, der positiv theoretischen Ebene geklärt werden, was geeignete ordnungskonforme Instrumente sind, um die Ziele zu erreichen, sowie anschließend herauszuarbeiten, wer sinnvollerweise Träger oder Instanz für die Instrumente und eingesetzten Mittel sein sollten.
Der theoretische Background einer solchen Analyse ist die moderne Theorie der Wirtschaftspolitik, die etwa auf dem institutionenökonomischen Ansatz von Buchanan beruht. Diese hat wichtige Kriterien einer rationalen, modernen Wirtschaftspolitik herausgearbeitet (Pareto-Superiorität, Homo Oeconomicus, Konsensentscheidungen usw.). Eine rationale Politik wird also insofern nicht durch außenstehende Politiker gelenkt oder vielmehr definiert, sondern der Maßstab ist, ob die Politik die Ziele besser verfolgt oder die Probleme löst für diejenigen, die von dieser betroffen sind.
Als ein erstes Ziel einer rationalen Gesundheitspolitik kann der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen angesehen werden. Diesem Ziel sollten alle Bürger, auch diejenigen, die bei einer staatlichen Garantie als Zahler zu identifizieren sind, zustimmen, denn ein Ausschluss führt zu hohen Nutzeneinbußen, zu Standortnachteilen und womöglich zu gesellschaftlichen Verwerfungen (Beschaffungskriminalität). Dies betrifft alle Bürger. Das Problem was jedoch bei einer staatlichen Zugangsgarantie auftritt ist, dass der Anreiz zur individuellen Absicherung gegen das Risiko von Krankheitskosten erheblich reduziert wird. Daher ist die staatliche Garantie streng subsidiär zu handhaben.
Als zweites Ziel ist die präferenzgemäße Versorgung zu nennen. Diese führt zur bestmöglichen Versorgung und damit zum höchsten Nutzen. Ein Konsens über dieses Ziel sollte daher bestehen. Eine präferenzgemäße Versorgung wird über Märkte erreicht, es sei denn es liegt ein (generelles) Marktversagen vor, d. h. nur wenn ein solches Marktversagen ohne Zweifel und generell zu erkennen ist, können (wie auch immer aussehende) politische Maßnahmen Sinn machen. Ein Marktversagen ist vor dem Hintergrund der Kriterien, die mithin bei der Begründung für das Vorliegen eines Marktversagens herangezogen werden, a) Subadditivität der Kosten, b) (technologischen) externen Effekten und c) öffentlichen Gütern nicht zu erkennen. Das vierte Kriterium der Informationsasymmetrien ist dagegen erfüllt. Die Größe oder Höhe der Informationsasymmetrien ist allerdings erstens nur unter Wettbewerbsbedingungen zu prüfen und zweitens bestehen vielfältige Möglichkeiten im Rahmen von wettbewerblichen Prozessen Informationsasymmetrien durch Screening und Signaling abzubauen. Wenn der Staat eingreifen sollte oder muss dann ist im Übrigen das Prinzip der Subsidiarität anzuwenden und insgesamt zu prüfen, welches das mildeste Mittel ist und insofern der Wettbewerb geringstmöglich gestört wird.
Als drittes Ziel einer rationalen Gesundheitspolitik kann die Sicherung der Qualität der angebotenen Dienstleitungen angesehen werden. Dies kann aus ökonomischer Sicht Sinn machen, wenn erstens die Regelung des Zugangs zur Versorgung Bestandteil einer rationalen Gesundheitspolitik ist, denn dann wird der Preiswettbewerb – mehr oder weniger – ausgeblendet. Zweitens könnten Informationsasymmetrien über die Qualität bestehen. Insgesamt ist aber zu sehen, dass es erhebliche Probleme macht, die Qualität von medizinischen Dienstleistungen objektiv zu definieren und eine Objektivierung teilweise fraglich ist. Denn: Wichtig ist anzuerkennen, dass bei heterogenen Präferenzen auch heterogene Qualitätsbeurteilung nach sich zieht.
Nachfolgend sind die Fragen zu beantworten, erstens was geeignete Instrumente sind, um die genannten Ziele zu erreichen und zweitens, welcher Kompetenzträger diese Instrumente anwenden soll. Da Politiker keine wohlwollenden Diktatoren darstellen, d. h. eigene Ziele verfolgen, die nicht zwangsläufig mit den Betroffenen der Politik übereinstimmen müssen, hat die Ordnungstheorie Kriterien entwickelt, die bei einer rationalen Politik zu beachten sind. Hierzu zählen u. a. das Subsidiaritätsprinzip bzw. die Konsumenten- und Produzentensouveränität, die sogenannte ZMT-(Ziel-Mittel-Träger-)Regel, der Gleichheitsgrundsatz bzw. die Nichtdiskriminierung, die fiskalische Äquivalenz sowie das Wirtschaftlichkeitsprinzip.
Sicherung des Zugangs
Der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen wird in Deutschland zentral über das System der Gesetzlichen Krankenversicherungen garantiert, das Ziel wird also erreicht. Mit Blick auf die erarbeiteten Ansprüche an eine rationale Gesundheitspolitik ist jedoch anzuerkennen, dass nahezu sämtliche Kriterien verletzt werden. Beispielweise wird die Konsumentensouveränität verletzt, da es sich um eine Pflichtversicherung handelt. Gleichfalls herrscht keine Anbietersouveränität, weil viele potenziellen Wettbewerbsparameter aufgehoben sind. Gesetzliche Krankenversicherungen werden beispielweise gezwungen die Beiträge anhand des Einkommens zu berechnen. Da der Wettbewerb im klassischen Sinne vielfach ausgeblendet wird, wird das Wirtschaftlichkeitsziel nicht erreicht. Es kommt zu Ineffizienzen.
Präferenzgemäße Versorgung
Es ist äußerst fraglich, ob über ein wettbewerblich ausgerichtetes Gesundheitssystem keine präferenzgemäße Versorgung erreicht werden kann. Ein generelles Marktversagen ist so jedenfalls ohne Weiteres nicht zu erkennen. Dies gilt sowohl für die Versicherungsseite als auch für die Anbieterseite. Selbstverständlich ist, wie bereits ausgeführt, das Problem der Informationsasymmetrien allen Gesundheitssystemen immanent, jedoch wäre unter Wettbewerbsbedingungen zu prüfen, wie groß das Problem in einzelnen Teilbereichen überhaupt ist. Beispielsweise hat Kuchinke (2004) gezeigt, dass Marktversagen auf Krankenhausdienstleistungsmärkten eher kein Problem darstellt, wenn der Wettbewerb ordnungspolitisch garantiert wird. Dies bedeutet, dass auch der Wettbewerb zwischen den Versicherungen sichergestellt werden muss, die dann mit unterschiedlichen Preis-Leistungs-Angeboten um Versicherte konkurrieren. Per se ein generelles Marktversagen anzunehmen, ist ordnungsökonomisch falsch und führt über die Einführung von immer neuen Regeln, Instrumenten und Institutionen zu einem zunehmenden Staatsversagen. Dies wird im Übrigen häufig von der Politik als Marktversagen interpretiert und zu weiteren interventionistischen Schritten missbraucht, die typischerweise den Wettbewerb immer weiter ausblenden. Dies zeigt eindeutig die jüngste Reform aus dem Jahre 2016. Richtig ist: Die erzielten Ergebnisse des vermeintlichen Marktes sind nach staatlichen Eingriffen im besten Fall anders, aber ökonomisch immer noch genauso unsinnig, d. h. keine first-best-Szenarien. Als weiteres Beispiel für ein Marktversagen soll der Markt für ambulante Versorgung angeführt werden. Hier ist zu beobachten, dass etwa in den Bereichen Hausarzt- und Kinderversorgung ein Versorgungsproblem insbesondere in ländlichen und einwohnerschwachen Regionen nachzuvollziehen ist. Wie kommt dies zu Stande oder wie ist dies zu begründen? Der Arzt maximiert im Regelfall sein Einkommen, was als Motiv in keiner Weise aus ökonomischer Sicht verwerflich ist, in dem er in Regionen zieht, in der viele Privatpatienten leben. Das ist in ländlichen Gebieten häufig nicht der Fall. Dies tut der Arzt auch, weil er für gesetzliche Versicherte ein Budget zur Verfügung hat und die Preise reguliert sind. Die Politik blendet also den Preisewettbewerb aus und klagt gleichzeitig über das Ergebnis. Anstatt die Preise dem Wettbewerb auszusetzen, d. h. auf dem Land rauf, in der Stadt runter, werden weitere Maßnahmen, wie Subventionen und Pläne erstellt, die das Problem lösen sollen. Ähnliche Überlegungen lassen sich zu vielen anderen Märkten finden, wie etwa dem Apothekenmarkt, Rehabilitationsmärkte, Altenpflegeheimmärkten oder dem Pharmamarkt, aber auch auf Krankenversicherungsmärkten.
Bei fehlendem Wettbewerb kommen überdies die geschilderten marktlichen Instrumente nicht zur Entfaltung, die wiederum zum Abbau oder zur Reduktion von Marktversagen beitragen können. Wird der Wettbewerb ausgeblendet, so taucht noch ein weitere Problem auf, was spätestens seit Schumpeter bekannt ist: Die Innovationskraft des Wettbewerbs. Wettbewerb als Such- und Entdeckungsverfahren wird auf Gesundheitsmärkten vielfach ausgeblendet. Einzelne Akteure haben beispielweise kein Interesse an effizienten Behandlungs- und Versorgungsformen, weil diese a) nicht vergütet werden und somit b) kein Wettbewerbsvorteil erzielt werden kann. Die Anbieter haben sich im Übrigen vielfach daran gewöhnt, dass der Staat die Vorgaben für ihr Handeln macht.
Eine Begründung für das nachvollziehbare politische Handeln kann nur sein, dass hierüber das stumpfe Ziel der Ausgabenreduktion erreicht werden soll, wobei die Ausgabenreduktion nur aufgrund des fehlenden Wettbewerbs im Gesundheitssystem notwendig zu sein scheint. Neben der Frage welche Rolle der Wettbewerb in der Gesundheitspolitik spielen kann oder sollte, sollte sich die Politik die Frage stellen, warum eine Ausgabenerhöhung eigentlich per se schlecht ist? In allen anderen Wirtschaftsbereichen würde sich die Politik über eine Ausgabenerhöhung durch mehr Nachfrage freuen. Natürlich liegt die Begründung darin, dass erhöhte Ausgaben zu erhöhten Beiträgen und potenziell auch zu höheren Lohnnebenkosten führen können. Dies kann gesamtwirtschaftlich negative Auswirkungen auf das Wachstum bzw. den Arbeitsmarkt habenhaben. Aber was wäre in einem wettbewerblich geprägten Gesundheitssystem der Fall? Die optimale Ausgabenhöhe würde sich erstens im Wettbewerb ergeben. Zweitens ist Nachfolgendes zu erkennen: Bei abnehmender Bevölkerung, technischem Fortschritt und hohem Einkommen der Älteren bei gleichzeitig steigenden Ansprüchen ist eine Ausgabenerhöhung nicht verwunderlich und genau dann ökonomisch auch sinnvoll, wenn die Ausgaben gemäß der vorhandenen Präferenzen unter Berücksichtigung des Budgets nutzenmaximierend getätigt werden. Ökonomisch macht dies auch Sinn mit Blick auf die Drei- bzw. Vier-Sektoren-Hypothese, die zunehmende Ausgaben im Bereich der Dienstleistungen begründet, wenn das Einkommen in einer Gesellschaft über die Zeit steigt. Dies erkennt die Politik jedoch nicht oder will dies nicht erkennen, weil die Ausgaben politisch motiviert, über eine nicht einzuordnende Ordnungspolitik begründet werden und die Ausgabenhöhe und -verteilung zu großen Teilen der Politik unterliegt.
Nun sei einmal angenommen, dass die Ausführungen der letzten Abschnitte falsch sind. Es sei also angenommen, es bestehen sowohl Marktversagen als auch Probleme bei der präferenzgemäßen Gesundheitsversorgung, die nicht über den Markt gelöst oder geheilt werden können. In diesem Falle wäre zu fragen, wie die geeigneten Instrumente und Kompetenzträger einer rationalen Gesundheitspolitik auszusähen hätten. Grundsätzlich kommen zwei mögliche Kompetenzträger in Frage, nämlich der Staat und die Ausgabenträger, sprich die Versicherungen. Wenn der Staat die Aufgabe der Garantie einer präferenzgemäßen Versorgung übernimmt, so müssten staatliche Stellen schlechten Anbietern oder Versicherungen z. B. den Zutritt zum Markt verwehren oder diese finanziell sanktionieren. Die Auswahl der geeigneten Instrumente und staatlichen Kompetenzträger müsste den angeführten Kriterien genügen. Außerdem müsste bei dieser Regulierungslösung die Glaubhaftigkeit gewährleistet sein, d. h. das eine konstante Politik betrieben wird, die beispielsweise schlechte Anbieter immer in gleicher Weise sanktioniert. Allgemeiner formuliert, müsste über die politischen Maßnahmen ein Allokationsergebnis bewirkt werden, wie es sich bei wirksamen Wettbewerb und einem funktionierenden Markt einstellen würde. Und: Es ist zu beachten, dass eine solche Regulierung auch immer Kosten mit sich bringt. Wenn diese Mechanismen nicht über den Ordnungsrahmen garantiert werden, dann haben Leistungserbringer, aber auch Versicherungen, keinen Anreiz das Angebot an der Nachfrage auszurichten und in der Produktion das Wirtschaftlichkeitsgebot einzuhalten. Nur wenn die Vorteile der Regulierung, verstanden als Nutzenerhöhung oder Effizienzrealisierung, die Kosten übersteigt, macht eine Regulierung ökonomisch Sinn.
Übernehmen die Kostenträger die Aufgabe der Sicherung der präferenzgemäßen Versorgung muss es auch hier darum gehen, dass Sanktions- und Belohnungsmechanismen greifen. Gleichzeitig sind die erarbeiteten Kriterien einer rationalen Gesundheitspolitik zu berücksichtigen. Beispielsweise ist die fiskalische Äquivalenz einzuhalten, die Zahler sollten also den Nutzern entsprechen. Gemäß des Gleichheitsgrundsatzes dürfen ferner keine Leistungserbringer willkürlich diskriminiert werden. Bei diese Lösung besteht jedoch ein klassisches Prinzipal-Agent-Problem, denn die Kostenträger treten gewissermaßen als Agent ihrer Prinzipale, also der Versicherten bzw. der Patienten auf, verfolgen jedoch gleichzeitig eigene Interessen. Dies kann zu den bekannten ökonomischen Problemen führen. Zur Lösung dieser Probleme scheint es erstens wiederum angezeigt, ordnungspolitisch den Wettbewerb zwischen den Krankenassen zu garantieren. Die Kostenträger buhlen dann im Wettbewerb um Patienten mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Zweitens, falls sich Probleme im Wettbewerb zwischen den Versicherungen ergeben, sollte erst dann nachgelagert über weitere staatliche Eingriffe nachgedacht werden.
Mit Blick auf das aktuelle Gesundheitssystem ist zu erkennen, dass ein Mix aus staatlichen Kompetenzträgern auf verschiedenen Ebenen und Kompetenzträgern aus dem Bereich der Kostenträger vorliegt. Damit wird konsequent gegen die ZMT-Regel und andere Kriterien verstoßen. Ein ordnungspolitisch schlimmeres Szenario ist kaum vorstellbar. Die Regulierungskosten müssen damit höher als die effizienten sein. Konsumenten- oder besser Patientensouveränität, aber auch Leistungsanbietersouveränität wird zum Großteil wie in sozialistischen oder kommunistischen System durch politische Willkür ersetzt: Wer, was, wann, wie erhält oder tut bzw. zu tun hat, ist von den Akteuren oder Akteursgruppen weitestgehend nicht souverän zu entscheiden. Bester Ausdruck dessen ist die sogenannte Landesbedarfsplanung für Krankenhausdienstleitungen. Diese Planungen sind über die letzte Reform noch weiter verstärkt und über Bundesmittel ausgebaut worden. Im Grunde ist es nun dem politische Willen überlassen, welches Krankenhaus vom Markt verschwindet und welches belohnt wird. Der Wettbewerb wird fast vollständig ausgeblendet oder zumindest erheblich verzerrt.
Insbesondere wird über die Regelungen dem Patienten auch vorgegeben, was dieser für eine gute Qualität zu halten hat. Was der Patient für eine gute Qualität hält bzw. welchen Qualitätsparameter er höher bewertet als andere, sollte dem Patienten überlassen sein. Das gilt umso mehr, als das auch wissenschaftliche Studien keine eindeutigen Qualitätsparameter belegen können. Dieses Phänomen oder besser Problem ist auch in anderen Bereichen zu finden, wie beispielsweise mit Blick auf den Widerspruch zwischen freier Arztwahl und Hausarztmodellen zu erkennen ist. Ein ambulanter Arzt hat überdies bei der Notwendigkeit einer stationären Behandlung in eines der zwei nächstgelegenen Krankenhäuser einzuweisen. Entscheidet sich der Patient für ein drittes, hat er für die Mehrkosten aufzukommen. Eine Abstimmung per Wanderung wird verhindert und das Geld folgt eben nicht der politisch immer wieder zitierten Qualität. Ganz im Gegenteil wird dies über die letzte Reform immer mehr verhindert. Eine ordnungspolitische Line ist insofern nicht zu erkennen.
Es ist insgesamt zu beobachten, dass unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit oder der bedarfsgerechten Versorgung nahezu jede Maßnahme begründet wird oder begründet werden kann. Im Kern geht es auch nicht um eine präferenzgemäße Versorgung, sondern um eine gleiche Versorgung. Das bedeutet bei Ausbremsen des Wettbewerbs immer aber die Schlechterstellung von vielen Bürgern, um wenige besser zu stellen. Das Soziale in der sozialen Marktwirtschaft wird mithin ad absurdum geführt und einer perversen Auslegung unterzogen. Nahezu sämtliche Anreize der Eigenvorsorge gehen nicht nur verloren, weil das Subsidiaritätsprinzip nicht beachtet wird, sondern mehr noch gilt: Derjenige der vorsorgt, wird bestraft, weil seine Ersparnisse, etwa im Falle der Versorgung in einem Altenheim, aufgebraucht werden, während im gleichen Heim, bei gleicher Ausstattung Personen versorgt werden, die keinerlei Ersparnisse haben. Das Gleiche gilt teilweise für Akutleistungen, wie etwa Zahnarztbehandlungen. Wenn der Empfänger von staatlichen Sozialleistungen auf Grundlage eines Gutachtens nur hochwertige Leistungen verträgt, bekommt dieser diese Leistungen vom Staat bezahlt. Derjenige, der aber ein Einkommen bezieht, der die gleiche Leistung benötigt, sich diese aufgrund der Zuzahlungsregeln aber nicht leisten kann, bekommt diese nicht. So lange wie die Politik dieses Problem, die Nichtbeachtung des Subsidiaritätsprinzips nicht erkennt oder umsetzen will, werden viele Problems des Gesundheitswesens weiter bestehen und nicht zu lösen sein.
Die Politik sollte sich im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung überdies einmal die Frage stellen, wie die Relation von Ausgaben im Gesundheitsbereich und in anderen Wirtschafsbereichen absolut bzw. im Vergleich zu anderen Ausgaben ausfällt und insofern ihre Politik auf Konsistenz prüfen. Interessant ist hierbei ein Blick auf absolute Zahlen. Eine einfache Bypass-OP am schlagenden Herzen kostet eine Krankenkasse nach aktuellem Vergütungssystem etwa 12.000 €. Warum sollte eine Gesellschaft einem Rentner, der alle fünf Jahre 30.000 € für einen neuen PKW ausgibt, diese OP kollektiv finanzieren? Mehr noch: Dieses Geld steht dann für andere, Verwendungen nicht zur Verfügung, etwa die Krebstherapie eines 12-jährigen Kindes eines Arbeitslosen. Dieses soeben angeführte Beispiel ist im Übrigen eines der Kernprobleme des Gesundheitswesens und der schlagende Grund, warum ökonomische Kriterien anzulegen sind.
Mit Blick auf Versicherungsmärkte und dem Ziel der präferenzgemäßen Versorgung ist eine ähnliche Schlussfolgerung zu ziehen. Viele Kriterien einer rationalen Ordnungspolitik finden auch hier keine Anwendung. Innovative Versicherungsmodelle und Versorgungsformen werden politisch bzw. über die gegebenen Regeln blockiert. Die Konsumentensouveränität bei den Versicherungsleistungen ist über die Pflichtversicherung nicht gegeben, wie bereits bei der Sicherung des Zugangs ausgeführt worden ist. Mit Blick auf die Beziehungen zwischen Versicherungen und Leistungserbringer gilt auch hier, dass Entgeltsysteme nicht im Wettbewerb gebildet werden, sondern per staatlicher Anordnung. Auch hierdurch werden innovative, präferenzgemäße Angebote verhindert. Ferner sind in einzelnen Versorgungsbereichen alternative Entgeltsysteme implementiert worden. Eine ökonomische Logik ist hierbei ebenfalls nicht erkennbar. Da der Wettbewerb zwischen Kassen großflächig ausgeblendet wird, kann auch hier das Wirtschaftlichkeitsziel nicht erreicht werden.
Qualität der Gesundheitsgüter
Hinsichtlich der Sicherung der Qualität ist zunächst zu erkennen, dass nicht eine Mindestqualität gesichert wird und darauf aufbauend wettbewerblich alternative Qualitäten für einzelne Patienten oder Versicherte möglich werden, sondern die politische Motivation ist, die faktisch alleinig anzubietende Qualität vorzugeben. Weil eine präferenzgemäße Versorgung unterbleibt und eine gleiche Versorgung aller offenbar das Ziel ist, gilt dies auch für die Qualität. Die Qualität der Anbieter richtet sich also im Markt an den Vorgaben des Staates aus und bestenfalls wird diese staatlich vorgegebene Qualität erreicht. Eine höhere Qualität macht unter dem gegebenem Status Quo aus Anbietersicht vielfach ökonomisch keinen Sinn, sondern es besteht wenn überhaupt der Anreiz von der vorgegebenen Qualität nach unten abzuweichen. Erstens wird nur die festgelegte Qualität vergütet. Wenn eine höhere Qualität auch höhere Kosten versursacht, dann sinkt der Gewinn pro Einheit und daher ist das Angebot einer höheren Qualität betriebswirtschaftlich unsinnig. Für eine niedrige Qualität gilt der umgekehrte Zusammenhang. Zweitens, wenn davon ausgegangen wird, dass eine hohe Qualität höhere Patientenzahlen bedeutet, werden beispielsweise Krankenhäuser oder niedergelassene Ärzte monetär bestraft, wenn sie aufgrund einer sehr hohen Qualität mehr Patienten haben als ihr Budget erlaubt. Wiederum gilt für die laufende Periode bezüglich einer niedrigeren Qualität als die vorgegebene der umgekehrte Zusammenhang. Dies heißt auch, dass neue Versorgungsformen nicht zum Zuge kommen, weil diese über Entgeltsysteme nicht abgebildet werden und langwierige Prüf- und Beantragungsverfahren Innovationen ausbremsen. Ferner wird die immer wieder beschriebene Verzahnung der Versorgungssektoren gleichfalls durch alternative, parallel bestehende Entgeltsysteme ausgebremst, so dass die höchsten oder alternativen Versorgungqualitäten nicht erreicht werden können.
Überdies ist fraglich, ob diese eine staatlich verordnete Qualität, die als Standard verstanden werden kann, der optimalen, effizienten Qualität entspricht. Abgesehen davon, dass diese nicht den heterogenen Präferenzen der Nachfrager entsprechen kann, wird in der Literatur die staatliche Standardsetzung im Vergleich zur Standardsetzung durch alle Beteiligten, also im Einvernehmen von Anbietern und Nachfragern, oder aber durch den Wettbewerb typischerweise als die schlechteste Variante beschrieben. Die Festlegung einer hohen Qualität für alle kann überdies damit begründet werden, dass die bestmögliche Versorgung aller im aktuellen Ordnungsrahmen nicht finanzierbar ist. Es werden dann faktisch alle schlechter gestellt.
Da die Beurteilung einzelner Qualitätsdimensionen auch wissenschaftlich fraglich ist, ist ferner anzuzweifeln, ob alle staatlich formulierten Anforderungen an die Leistungserbringer ordnungsökonomisch sinnvoll sind. Beispielsweise bestehen in Versorgungsbereichen für unterschiedliche Erkrankungen und Anbieter alternative Vorgaben. Im Übrigen bestehen für Patienten nicht die gleichen Regeln, d. h. der Patient wird nicht in gleicher Weise verpflichtet bei einer Erkrankung bestimmte Richtlinien einzuhalten wie Leistungserbringer, obwohl dies sinnvoll sein könnte. Der Gleichheitsgrundsatz ist somit nicht gewahrt.
Aufgrund des eingeschränkten Wettbewerbs werden nicht alle wettbewerblichen Instrumente zum Abbau von potenziellen Informationsasymmetrien genutzt oder ausreichend angewendet. Sämtliche staatliche Maßnahmen der Informationsbereitstellung sind insofern fraglich, d. h. fraglich ist, ob diese notwendig sind. Denkbar sind natürlich private Akteure, die Informationen bereitstellen. Bei einem Preis- Leistungs-Wettbewerb würde der Parameter Qualität und die damit verbundene Information über diese als Wettbewerbsparameter erheblich an Gewicht gewinnen. Es wäre beispielweise auch möglich von Seiten der Leistungsanbieter Garantien zu geben.
Reformorientierungspunkte
Eine entscheidende Forderung, um einer rationalen Gesundheitspolitik nachzukommen, ist die konsequente Umsetzung, Stärkung und Garantie von freiem, wirksamem Wettbewerb im Gesundheitswesen. Dies muss Kern einer rationalen Gesundheitspolitik sind. Nur dann, wenn der Wettbewerb nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt, wobei solche nicht gewünschten Ergebnisse nicht irgendwie, sondern über die Kriterien, die in der hier vorgenommenen Analyse deutlich gemacht worden sind, zu definieren sind, kann über staatliche Maßnahmen nachgedacht werden.
Das Wettbewerbspotenziale in erheblichem Maße vorhanden sind, arbeitet Kuchinke (2017) heraus. Diese Potenziale werden nur nicht konsequent genutzt bzw. der Wettbewerb ist nicht in ausreichendem Maße vorhanden, um die bestehenden Potenziale zu heben. Ein Beispiel: Dittmann/Kuchinke (2016) zeigen etwa, dass Kliniken das Internet zur Bereitstellung von Informationen über ihre Leistungen kaum nutzen. Auf schwach konzentrierten Märkte, auf denen ein hoher Wettbewerbsdruck besteht, ist überdies keine stärkere Nutzung des Internets durch Krankenhäuser zur Verbreitung von Qualitätsinformationen nachzuweisen, obwohl hierüber Wettbewerbsvorteile zu erzielen wären. Wettbewerbsvorteile sind insbesondere deswegen zu erwarten, weil (auch ältere) Nachfrager zunehmend häufiger das Internet nutzen, um Informationen über Erkrankungen, Behandlungen oder Beratungen zu bekommen (Screening). Souveräne Entscheidungen der Nachfrager sind also möglich.
Forderung I: Zur Sicherung des Zugangs zu medizinischer Versorgung
Der Zugang zur medizinischen Versorgung sollte gesichert werden, um dem (meritorischen) Problem der Mindereinschätzung eines Versicherungsschutzes vorzubeugen und eine daraus resultierende Nicht- oder Unterversicherung sowie die Sozialisierung von Behandlungskosten zu verhindern. Dies kann über eine Versicherungspflicht erfolgen. Die Bereitstellung der Versicherungsleistung sollte über private Krankenversicherungen erfolgen, denn die Absicherung des Krankheitsrisikos unterscheidet sich nicht von der Absicherung alternativer Risiken und ist insofern versicherungstechnischer Alltag. Die gesetzliche Krankenversicherung in der jetzigen Form als sozialromantisches Überbleibsel der Bismarkschen Reform von 1883 ist abzuschaffen. Genauso ist eine wie auch immer geartete Bürgerversicherung strikt abzulehnen. Die Konsumentensouveränität leidet bei diesem Eingriff, einer Versicherungspflicht, vergleichsweise gering, genauso wie die Souveränität der Krankenkassen. Der Staat kann selbstverständlich als normaler Marktteilnehmer, d. h. zu gleichen Bedingungen wie private Versicherer, auf dem Markt tätig sein. Härter wäre die Einführung einer Pflichtversicherung, die Art und Umfang der Versicherungspolice festlegt und wo sich zu versichern ist. Entscheidend bei der Versicherungspflicht ist hierbei die „alte“ Forderung nach dem Mindestversicherungsniveau, denn es müssen Zusatzangebote möglich sein, d. h. das Mindestversicherungsniveau darf nicht maximal ausfallen. Nur dann herrscht Krankenkassenwettbewerb. Übersteigen die Beiträge die finanziellen Möglichkeiten der Bürger muss über weitere Maßnahmen nachgedacht werden. Dies dürfte dann der Fall, wenn es zum sogenannten Rosinenpicken zwischen den Versicherungen kommt. Schlechte Risiken müssten also einen höheren Beitrag zahlen. Dies wird erst dann zum Problem, wenn über die hohen Beiträge ein Ausschluss von der Versorgung erfolgt. Im einfachsten Fall können dann Einkommenszuschüsse gewährt oder beispielsweise Versicherungsgutscheine verteilt werden.
Forderung II: Zur präferenzorientierten Versorgung
Diese Versicherungslösung ist der erst Schritt auf dem Weg einer präferenzorientierten Versorgung, denn es würde gleichzeitig freie Arztwahl herrschen oder der Versicherte würde sich für eine Versicherung mit guten Anbietern im Portfolio entscheiden. Das bedeutet, es muss konsequent auf das sogenannte selektive Kontrahieren umgestellt werden. Kostenträger würden also mit Leistungsanbietern separate Verträge schließen. Dies ist Usus in allen anderen Wirtschaftsbereichen und es ist daher ökonomisch unbegreiflich wie dies für das Gesundheitswesen als nicht akzeptabel angesehen wird. Verhandlungslösungen auf Landes- oder Bundeseben zwischen Verbänden, die nichts anderes als Kartelle darstellen und sich nicht über absolute oder relative Transaktionskostenvorteile rechtfertigen lassen, sind abzuschaffen. Es muss insgesamt ein Preis-Leistungs-Wettbewerb auf allen Ebenen herrschen. Auch bei den Leistungserbringern ist konsequent auf die Einführung von Wettbewerb zu setzen. Auch hier gilt: Der Staat kann als Anbieter auftreten, aber nur zu gleichen Bedingungen wie alle anderen Marktteilnehmer. Nur bei einem äußerst unwahrscheinlichen Auftreten eines punktuellen Marktversagen kann über Staatliche Maßnahmen, wie etwa finanzielle Unterstützung nachgedacht werden.
Forderung III: Zur Sicherung des Wettbewerbs
Damit der Wettbewerb funktioniert, ist eine konsequente Anwendung der bestehenden Instrumente des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) notwendig. Das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, die Missbrauchsaufsicht und die Zusammenschlusskontrolle in Verbindung mit den Vorschriften zur Subventionskontrolle sind geeignet, um einen wirksamen Wettbewerb nachhaltig zu schützen. Die Aufsicht über die Einhaltung dieser Vorschriften hat das Bundeskartellamt. Damit das GWB angewendet werden kann, muss § 69 SGB V abgeschafft werden. Dieser Paragraf beinhaltet den sogenannten (unechten?) Kontrahierungszwang, wodurch gesetzliche Krankenkassen nicht als Unternehmen angesehen werden und somit Vorschriften des GWB nicht greifen. Kartelle sind aktuell beispielsweise nachgewiesen, aber kartellrechtlich nicht bestrafbar. Es ist gesundheitspolitisch außerdem darauf zu achten, dass über den aktuell viel diskutierten Verbraucherschutz und die dementsprechenden Instrumente eine rationale Gesundheitspolitik nicht gefährdet und der Wettbewerb nicht ausgeblendet wird.
Schlussbemerkungen
Die Ausführungen, die weder im Hinblick auf einzelne Regelungen, institutionelle Gegebenheiten und bezüglich von Reformvorhaben einen Anspruch auf Vollständigkeit haben, haben verdeutlicht, dass eine ordnungspolitische Diskussion in und um das deutsche Gesundheitswesen nicht geführt wird. Ausdruck dessen sind die beliebig formulierten Ziele der einzelnen Gesetzesänderungen, die zum einen für das gesamte Gesundheitswesen aufgeschrieben und zum anderen kleinteilig mit zahlreichen Ausnahmen verabschiedet werden. Zusätzlich beinhalten die Neureglungen Zielkonflikte. Diese Unordnungspolitik führt in letzter Konsequenz zu Eingriffen in alternative Teilbereiche des Gesundheitswesens, die kaum durchschaubar und ökonomisch nur als unzulänglich, nicht effizient zu bewerten ist.
Diese Entwicklung hat zu schwerwiegendem Staatsversagen und zu gewichtigen Anreizproblemen geführt. Die immer wieder angeführten Gesundheitsreformen verdienen diesen Titel nicht, wenn als Definition für eine „Reform“ die Verbesserung der bestehenden Ordnung für alle akzeptiert wird. Die ordnungspolitische Problematik hat sich über die letzten Reformen noch verschärft und wird sich weiter verschärfen, weil eine Diskussion über weitere ordnungspolitisch rational begründete Reformen nicht zu erkennen ist. Vielmehr wird an beliebigen Problemen politisch „herumreformiert“ ohne Probleme ordnungspolitisch einzuordnen, ohne Zielkonflikte zu erkennen und ohne geeignete Instrumente und Kompetenzträger zu identifizieren.
Die fehlende ordnungspolitische Orientierungslosigkeit ist jedoch nicht nur in der Politik zu erkennen, sondern ist gleichfalls in so gut wie allen gesundheitsökonomischen Beiträgen zum deutschen Gesundheitswesen seit Jahren zu erkennen. Dies gilt international, aber noch viel mehr im nationalen Kontext. Gesundheitsökonomen sind in jüngster Zeit fast ausnahmslos damit beschäftigt Versorgungsforschung zu betreiben und damit im Auftrag die Daten von Versicherern oder Leistungsanbietern auszuwerten. Damit geht es fast ausnahmslos um Maximierungsfragen in einem ordnungspolitisch völlig ineffizienten und ökonomisch fraglich bis sinnlosem System. Die Versorgungsforschung macht aus Sicht von Beteiligten des Systems selbstverständlich deshalb Sinn, weil damit die Dringlichkeit ihres Sektors, ihres Teilbereiches oder ihres Unternehmens, „wissenschaftlich“ untersucht und gestärkt wird. Im besten Fall werden Kosten gesenkt und/oder die Qualität der Versorgung erhöht, jedoch immer und ausschließlich in einem ineffizienten Rahmen, der kein first-best-Szenario darstellt. Dies ist aus ordnungsökonomischer Sicht nicht nur mehr als fraglich, sondern bedenklich, denn die Ökonomen, die sich mit Fragen aus dem Gesundheitsbereich beschäftigen, blenden vielfach ordnungsökonomische Fragen aus und lassen keine Diskussion zu oder führen diese.
Die wenige wissenschaftliche Diskussion über Regulierungsszenarien bzw. Ordnungspolitik ist im Übrigen qualitativ weit von den Diskussionen über eine effiziente Regulierung in anderen Wirtschaftsbereichen entfernt. Sie ist im Grunde aus heutiger Sicht als naiv zu beschreiben, denn wichtige Erkenntnisse und Diskussionen von der regulierungsökonomischen „Forschungsfront“ werden gar nicht aufgegriffen oder diskutiert. Hierzu zählt konkret, dass keinerlei Diskussionen über die Vor- und Nachteile von alternativen Preisregulierungsmöglichkeiten, wie Grenzkosten, Durchschnittskosten, Retail-Minus-Regel, Ramsey-Preise usw. geführt werden. Die Preisregulierung über andere Möglichkeiten, wie Price Cap, Rate Of Return, Franchise Bidding usw. findet nicht statt, obwohl diese, genauso wie unterschiedliche Kostenregulierungsszenarien, in bestimmten Bereichen relevant sein könnten und denkbar wären. Obwohl Versicherungen als zweiseitige Märkte definiert werden könnten, findet eine Diskussion hierüber nicht statt. Die Begrifflichkeit der Long Run Incremental Costs existiert in der gesundheitsökonomischen Literatur nicht, obwohl diese natürlich relevant sind. Ferner werden alternative Entgeltsysteme, die in der Gesundheitsökonomie diskutiert und in anderen Ländern angewendet werde oder worden sind und völlig andere Anreize setzen, nicht diskutiert. Beispielsweise wäre es denkbar, dass Krankenkassen Teilen von Leistungserbringern, wie z. B. ein niedergelassener Arzt, ein Budget zur Verfügung stellt und der Arzt sich verpflichtet, alle Versicherten mit bestimmten Qualitätsstandards zu behandeln. Der Arzt maximiert also (langfristig) sein Einkommen, wenn alle seine Patienten gesund sind. Aktuell verdient ein Arzt, wenn er möglichst viele kranke Patienten hat. Dies dokumentiert insgesamt, dass es ordnungsökonomisch erhebliche Probleme bestehen.
Es ist mit Blick auf die hier abgeleiteten Kriterien für eine rationale Gesundheitspolitik keine Rationalität zuerkennen und viel mehr noch es ist gar keine ordnungspolitische Handschrift oder Vorstellung abzuleiten. Beim gegebenem Status Quo werden staatlich organisierte Steuerungsbereiche – nach sozialistischem Vorbild – mit unterschiedlichen Zuständigkeitsebenen mit wenigen wettbewerblichen Elementen oder pseudowettbewerblichen Elementen vermischt. In jedem Fall ist die politische Vorstellung was Wettbewerb ist und was diesen ausmacht nicht in Einklang mit einem ordnungsökonomischen Verständnis zu bringen. Dies ist umso verstörender als das viele, bis in die 1990er Jahre meist national hoch regulierte und abschottete Märkte, wie Strommärkte, Ver- und Entsorgungsmärkte, Telekommunikationsmärkte, Energiemärkte usw., einer Deregulierung bzw. Re-Regulierung zugeführt worden sind. D. h., das Ziel war auf diesen Märkten einen europäischen Markt zu schaffen und die Frage war, wie die neue Regulierung auszusehen hat, damit der Wettbewerb funktioniert. Hierzu sind viele neue Theorien entwickelt und empirisch sowie über die Zeit in der Anwendung geprüft worden. Im Nachhinein können mit Stand des Jahres 2017 sicherlich Fehler im Rahmen der De- und Re-Regulierung auf Märkten identifiziert werden. Und selbstverständlich wird die Regulierung stetig hinterfragt und diskutiert. Die Erfolge sind auf vielen dieser Märkten jedoch unbestritten. Als bestes Beispiel sei der Telekommunikationsmarkt erwähnt auf dem, nach oder seit der Deregulierung im Jahre 1996 und bei allen bestehenden Problemen, große Wohlfahrtsgewinne nachzuweisen sind. Das deutsche Gesundheitswesen hat sich jedoch einer solchen Deregulierung und Re-Regulierung stets entziehen können. Ausdruck dessen ist auch, dass es noch einen Bundesgesundheitsminister, ein Bundesgesundheitsministerium und die dazugehörigen Landesminister und -ämter gibt, wohingegen es seit dem 1.1.1998 keinen Post- und Telekommunikationsminister gibt. Der entscheidende Grund hierfür wird wahrscheinlich sein, dass der Druck der EU nicht so groß wie auf anderen Märkten war und ist und gleichzeitig die Organisiertheit und Lobbyarbeit in Zusammenarbeit mit den Interessen der staatlichen Akteure im Gesundheitswesen viel stärker war und ist als auf anderen Märkten. Es ist jedoch ordnungspolitisch nicht fassbar, wieso sich das Gesundheitswesen einer solchen Diskussion völlig entziehen konnte.
Die Frage warum die Gesundheitspolitik die vorgeschlagenen Reformschritte auch zukünftig nicht aufgreifen wird, ist einfach zu beantworten. Die im System vorliegenden und zu verteilenden Renten sind so groß, dass keiner der entscheidenden Beteiligten, insbesondere Politiker, gesetzliche Krankenversicherungen und viele Leistungserbringer sowie Verbände, ein Interesse an wirklichen Reformen haben. Mehr Wettbewerb würde den politischen Handlungsspielraum verkleinern und somit die Möglichkeit das Ziel der Wiederwahl über das Verteilen von „Geschenken“ an bestimmte Gruppen zu verfolgen. Die aktuell anfallenden Renten für die gesetzlichen Krankenversicherungen und die Leistungserbringer, die vergleichbar mit Renten in einem Kartell oder Monopol sind, würden sich drastisch reduzieren. Verbände würden mithin überflüssig. All dies zusammengenommen wird zu keinerlei wesentlicher Änderung im Gesundheitssystem bzw. in der Gesundheitspolitik in absehbarer Zeit führen.
Blog-Beiträge zum Thema:
Norbert Berthold: Die (linke) Bürgerversicherung ist tot. Es lebe die (liberale) Bürgerversicherung! „Private Krankenversicherungen für Alle“
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- Gastbeitrag
Die deutsche Gesundheitspolitik
Eine ordnungsökonomische Einschätzung - 20. Dezember 2017
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Die deutsche Gesundheitspolitik
Eine ordnungsökonomische Einschätzung“