Die deutsche Wirtschaft geht 2018 in ihr sechstes Aufschwungsjahr. Die Wachstumsraten liegen in den letzten Jahren durchweg bei um die 2 Prozent. Diese Robustheit verstärkt auch die Diskussion darüber, ob die deutsche Wirtschaft Gefahr läuft, sich derzeit zu überhitzen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung stellt in seinem aktuellen Gutachten fest, dass nicht nur die tatsächliche Wirtschaftsleistung stärker zulegt als das Wachstum des Produktionspotenzials. Gemäß SVR liegt auch die absolute Produktion über dem Produktionspotenzial. Auch die rückläufige Arbeitslosigkeit hin zum Niveau der strukturellen Arbeitslosigkeit deutet laut SVR auf Überhitzungsgefahren hin.
Dabei ist zu bedenken, dass eine hohe Auslastung oder selbst eine Überauslastung der Produktionskapazitäten nicht notwendigerweise eine Überhitzung darstellt (IW-Forschungsgruppe Konjunktur, 2017). Eine Überhitzung dürfte negative Folgewirkungen – wie zum Beispiel eine ausgeprägte Fehlallokation von Produktionsfaktoren, Übertreibungen oder Blasen auf bestimmten Märkten (z.B. Immobilien) oder Preis- und Lohnspiralen – nach sich ziehen.
Die Diagnose einer gesamtwirtschaftlichen Überauslastung ist nicht einfach. Zum einen muss in hinreichend guter Qualität das Produktionspotenzial der Volkswirtschaft bestimmt werden. Hierfür gibt es allenfalls grobe Schätzungen. Zum anderen muss geklärt werden, wann dieses als normalausgelastet, vollausgelastet oder überausgelastet gilt. Da es sich auch bei der Bestimmung der tatsächlichen Produktion im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen mehr oder weniger auch um eine Schätzung handelt, ist die empirische Ermittlung einer gesamtwirtschaftlichen Überhitzung oder zumindest einer überaus hohen Beanspruchung des Produktionspotenzials schwierig.
Vor diesem Hintergrund hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln im Rahmen seiner Konjunkturbefragung im Herbst 2017 die Unternehmen in Deutschland bezüglich ihrer Kapazitätsbeanspruchung konsultiert (Grömling, 2017). Hierbei kann zumindest unterstellt werden, dass sich das einzelbetriebliche Produktionspotenzial leichter bestimmen lässt und die Unternehmen leichter qualitative Aussagen zu dessen Auslastung vornehmen können. An der Befragung nahmen knapp 2.900 Unternehmen aus West- und Ostdeutschland und aus allen Branchen teil. Folgende Antworten gaben die Firmen auf die Frage, wie sie aus Sicht ihres Unternehmens die aktuelle Kapazitätsbeanspruchung beurteilen:
- Knapp 34 Prozent der Unternehmen melden, dass derzeit ihre Kapazitäten überausgelastet sind. Gut 54 Prozent sprechen von einer Normalauslastung und nur knapp 12 Prozent signalisieren eine Unterauslastung.
- Im Baugewerbe melden knapp 44 Prozent der Betriebe eine Überauslastung und nur 4 Prozent eine Unterauslastung. In der Industrie und im Dienstleistungssektor beobachtet knapp ein Drittel der Unternehmen eine Überauslastung.
Diese Befunde können als eine wichtige originäre Unternehmensevidenz hinsichtlich der Gefahren einer konjunkturellen Überauslastung in Deutschland interpretiert werden. Im Rahmen der IW-Konjunkturumfrage wurde darüber hinaus ermittelt, anhand welcher Indikatoren die Unternehmen eine hohe Beanspruchung ihrer Produktionskapazitäten diagnostizieren. Dies gibt sowohl Aufschluss über mögliche Ursachen als auch über mögliche Folgewirkungen der aktuellen Kapazitätsauslastung. Die Untersuchung (Grömling, 2017) zeigt, dass derzeit keine breit angelegten Preiserhöhungen zu beobachten sind. Lediglich im Baubereich zeigen sich überdurchschnittlich hohe Preissteigerungen. Vielmehr zeigt sich, dass das Arbeitskräftepotenzial der limitierende Produktionsfaktor in Deutschland ist. 47 Prozent aller im Herbst 2017 befragten Firmen geben an, dass fehlende Fachkräfte ein Indiz für eine betriebliche Überlastung darstellen. Von den überausgelasteten Firmen sind es sogar zwei Drittel, die fehlende Fachkräfte nennen. Auch der Aufbau von Überstunden und von Arbeitszeitkonten wird von der Hälfte der überausgelasteten Firmen als ein Indiz der hohen konjunkturellen Beanspruchung genannt. Knapp zwei Fünftel dieser Firmen greifen derzeit auf Zusatzschichten oder Wochenendarbeit zurück, um die Nachfrage zu bedienen. Ein Viertel der Firmen mit Überauslastung berichtet von Engpässen bei Zeitarbeitern.
Offensichtlich befindet sich die deutsche Volkswirtschaft in einer Situation hoch beanspruchter Produktionskapazitäten. Die Folgewirkungen einer Überhitzung sind derzeit nicht erkennbar. Überauslastung entsteht in erster Linie durch fehlende Arbeitskräfte. Dies stellt in erster Linie ein strukturelles und kein konjunkturelles Problem dar. Die konjunkturelle Situation ist somit also nicht durch einen wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf auf der Nachfrageseite geprägt. Vielmehr bestehen ernsthafte Begrenzungen auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft. Die Wirtschaftspolitik darf die konjunkturelle Dynamik nicht durch eine expansive Ausrichtung weiter befördern, sondern sie muss die zukünftigen Wachstumschancen durch eine potenzialorientierte Wirtschaftspolitik stärken.
Literatur:
Grömling, Michael, 2017, Fehlende Arbeitskräfte deckeln die Konjunktur, IW-Kurzbericht, Nr. 85, Köln
IW-Forschungsgruppe Konjunktur, 2017, Die deutsche Konjunktur am Limit? Fachkräftemangel als Wachstumsbremse, in: IW-Trends, 44. Jg., Online-Sonderausgabe Nr. 2/2017
SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 2017, Für eine Zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik, Jahresgutachten 2017/2018, Wiesbaden
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Hände weg von der Nachfragepolitik? Hat die Nachfragepolitik denn nur eine Richtung? Wäre es derzeit nicht durchaus angebracht, ein wenig abzubremsen?
Der Staat könnte z.B. seine Überschüsse nicht für fragwürdige Wohltaten ausgeben, sondern die Steuern spürbar senken. Das mindert die Gesamtnachfrage, da die Steuerzahler einen Teil der Mittel nicht ausgeben, sondern sparen, während der Staat vermutlich alles ausgeben würde.
Dennoch kann der Staat Infrastrukturlücken schließen und dazu auf Überschüsse sowie Umschichtungen im Haushalt zurückgreifen. Das wäre dann Wachstumspolitik, keine Konjunkturpolitik.
Der Staat sollte seine Überschüsse weniger in konsumorientierte Investitionen & „neuen Rentenwohltaten“ sondern mehr z.B. in nachhaltig wirkende Infrastrukturinvestionen (wie Breitbandausbau, Digitalisierung, Brückenerneuerungen uvam), in einen Staatsfonds (ähnlich Thomas Mayer) zur Sicherung der Renten, (nachhaltigen Aufbau von) Altersrückstellungen (auch durch einen Staatsfonds) & Reform der Krankenversicherungen (GKV),(hochverzinsliche) Schuldentilgung, Umschichtungen und „Steuerstrukturänderungen“ zur nachhaltigen Entlastung der Steuerzahler einsetzen.