Banker an die Laterne
Oder: Das Strafrecht soll seine Nase besser nicht in die Finanzkrise stecken

Der Film zur Finanzkrise, darauf hat der Tübinger Philosoph Chris Paret jüngst hingewiesen, ist nicht etwa Tom Tykwers Thriller über eine böse Bank („The international“), schon gar nicht Michael Moores unsäglicher „Kapitalismus. Eine Liebesgeschichte“, sondern die furiose Tragikomödie „Burn after reading“ (2008) mit George Clooney, Brad Pitt und Tilda Swinton. Die Diskrepanz zwischen dessen Shakespeareschem Ende (die meisten Akteure sind tot) und der Tatsache, dass keine einzige Figur auftritt, die diese Katastrophe verantwortet, ist die verstörende Stärke dieses Films. Systematisch wird der Zuschauer um das individuelle Drama betrogen: Alles ist aus dem Lot, wir halten dauernd Ausschau nach Schuldigen – und was sehen wir: „Keine Bösewichte, lauter Wichte“ (Chris Paret). Am Ende wissen wir gar nichts, nur, dass sich nach Einschätzung des CIA-Chefs „so etwas nicht mehr wiederholen darf.“

Haben wir nicht alle in der Finanzkrise dieselbe Erfahrung gemacht? Alles war „too big“ oder „too interconnected to fail.“ Aber die Schuldigen scheinen sich längst aus dem Staub gemacht zu haben. Dabei muss es irgendein „fail“ doch wohl gegeben haben, wo am Ende alles zusammen brach. Waren es die (besonders gern genommenen) Banker, waren es die Ratingagenturen, waren es die Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten oder waren es die Notenbanken, die versagt haben? Am Ende wollte es keiner gewesen sein. Waren deshalb womöglich alle schuld? Dann wäre neben „Burn after reading“ Agatha Christies „Mord im Orientexpress“ auch ein geeignetes Vorbild: alle stecken unter einer Decke; alle hatten sie ein Mordmotiv.

Der Befund ist für Liberale schwer auszuhalten, ist es ihnen doch gerade nicht gestattet, „das System“ zum Sündenbock der Krise zu machen. Sei es Marktversagen, sei es Systemversagen: Es muss Verantwortliche geben. Die Finanzkrise war kein „Tsunami“, auch wenn Bankenaufseher Jochen Sanio das Bild gerne verwendet. Doch Tsunamis macht die Natur, Finanzkrisen werden von Menschen gemacht. Wollen wir uns also auf die nächste Finanzkrise besser vorbereiten, gilt es, individuelle Verantwortung klarer auszuweisen und Haftung zu stärken. Das freilich ist eine Sache des Zivilrechtes.

Die Öffentlichkeit hat sich die Sache längst einfach gemacht und die Sache an das Strafrecht überwiesen. Danach sind es die Banker, gerne auch „Boni-Banker“ genannt, die an allem schuld sind und jetzt vor den Richter gehören. Schützenhilfe bekommt die öffentliche Meinung zunehmend von den Staatsanwälten, die in dem allseits beliebten Untreueparagraphen 266 im Strafgesetzbuch ein geeignetes Vermögensdelikt gefunden zu haben glauben, um der Finanzkrise beizukommen. „Untreue“ ist die Wunderwaffe der Justiz, welche die Anwälte auch schon im Mannesmannprozess zur Anwendung brachten. Mit dem Vorwurf der Untreue wird unter anderem gegen die Ex-Chefs von IKB, BayernLB und LBBW ermittelt. Allemal wird den CEOs vorgeworfen, ihrer Pflicht zur Vermögensbetreuung nicht nachgekommen zu sein und stattdessen das Vermögen (oder Teile davon) ihres Instituts vernichtet zu haben.

Zur Anklage ist es bislang noch in keinem Fall gekommen. Es ist auch fraglich, ob es je dazu kommen wird. Denn es muss prinzipiell bestritten werden, dass das Strafrecht zur Aufarbeitung der Finanzkrise taugt. Es kann aber zugleicht mit Sicherheit behauptet werden, dass die strafrechtliche Ermittlung einigen Akteuren als Ablenkungsmanöver ganz gelegen kommt. Für beide Vermutungen seien einige Indizien genannt:

1. Das Strafrecht ist systematisch blind für Marktprozesse. Nehmen wir das Beispiel LBBW. Dort werfen die Staatsanwälte den Ex-Vorständen vor, seit Ende 2006 pflichtwidrig Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe in „hochriskante Finanzgeschäfte“ getätigt zu haben. Sie seien dabei ein „unkalkulierbares Risiko“ eingegangen. Mit diesem Verdacht aber könnte gegen alle Banker dieser Welt ermittelt werden. Denn es gehört zum Geschäftsmodell der Banken, Risiken einzugehen und möglicherweise zu scheitern. Und zum Risiko gehört schon rein begrifflich die Eigenschaft, schwer kalkulierbar zu sein. Bankern das Hantieren mit unkalkulierbaren Risiken vorzuwerfen ist ungefähr so, als wollte man Fleischern das Töten von Tieren zu Last legen. Die Fehleinschätzung von Risiken war ja gerade der Kern, welcher die Krise ausgelöst hat. Im Nachhinein ist offenkundig, dass die Akteure diese Risiken besser nicht eingegangen wären, benötigte doch die LBB eine Fünf-Milliarden-Euro-Kapitalspritze und einen Rettungsschirm von zwölf Milliarden. Und im Nachhinein ist auch nicht zu bezweifeln, dass die BayernLB mit 1,6 Milliarden Euro deutlich zuviel Geld  für die Hypo Alpe Adria gezahlt hat. Denn heute war man froh, den Laden für einen Euro an die Österreicher zu verscherbeln. Zu damaligen boomenden Entscheidungszeitpunkten hatte „der Markt“ (die Ratinagenturen, die Wirtschaftsprüfer etc.) aber andere Preisvorstellungen, über die sich die Vertragspartner offenbar im freien Austausch verständigt haben. Sie mögen kollektiv verblendet gewesen zu sein. Aber waren sie individuell schuld?

Ganz offensichtlich hat das Strafrecht keinen Begriff für die subjektive Theorie der Preise. Für das Strafgesetzbuch hat eine Bank oder ein Wertpapier einen objektiven Wert, an dem gemessen ein Käufer zu viel oder zu wenig zahlt. Dass Preise und ihr Kollateral (die Banken oder die Häuser oder was auch immer) einer zyklisch sich wandelnden Einschätzung unterliegen, ist dem Strafrecht wesensfremd.

„Welche Güter knapp sind oder welche Dinge Güter sind, oder wie knapp oder wie wertvoll sie sind, dass ist gerade einer der Umstände, die der Wettbewerb entdecken soll“, schreibt Friedrich von Hayek. Wenn es aber stimmt, dass die menschliche Natur dem steten Wechsel von Übertreibung und Untertreibung unterliegt, dann werden Güter eben auch kollektiv im Lauf dieses Zyklus als „zu wertvoll“ oder „zu wertlos“ über den Tresen geschoben. Oder anders gesagt: Derselbe Münchner Staatsanwalt, der der BayernLB vorwirft, 2007 die Hypo Alpe Adria zu teuer gekauft zu haben, sollte vorsichtshalber jetzt schon ermitteln, ob die Bank jetzt (auch noch unter dem Druck der Krise) zu billig verschachert wurde. Spätestens, wenn Österreich die Bank in ein paar Jahren mit Gewinn verkauft, wird er „seinen Beweis“ dafür erhalten, dass der eine Euro den Untreuesachverhalt des Strafgesetzbuches erfüllt.

Auch das Strafrecht ist nicht ganz so blöd,  nur ex post Schuld feststellen zu wollen. Man müsste den Tätern zumindest einen Vorsatz zur Schädigung zum damaligen Zeitpunkt nachweisen können. Oder man müsste beweisen, dass sie damals schon Informationen über den wahren Preis hatten, von welchem sie wissentlich abgewichen sind. Doch genau dies wird schwer gelingen: Denn woher sollten die Banker dieses Geheimwissen haben, wenn die zeitgenössischen Marktteilnehmer (Rating, Prüfer etc) es nicht hatten? Und mehr noch: warum sollten sie diesen Blödsinn unternommen und Geld veruntreut haben, wofür es offenkundig keinen rationalen Grund gab. Was hätten sie davon gehabt? Persönliche Bereicherung – was ein guter Grund wäre – wird ihnen in keinem Fall vorgeworfen.

2. Wenngleich das Strafrecht zur Aufarbeitung der Finanzkrise nicht taugt, so ist doch zugleich unübersehbar, dass das Strafrecht vielen Beteiligten nützt. Am ehesten den Eigentümern, die die eigene Verantwortung für Aufsicht und Kontrolle überspielen und die Schuld an die Ex-Vorstände delegieren. Das Spiel kann für sie nur einen guten Ausgang haben. Denn entweder kommt es zum Schuldspruch. Dann sind sie fein raus. Oder es kommt nicht zum Schuldspruch. Dann sind sie erst recht fein raus, denn sie trifft es ja gerade nicht. Es ist gewiss kein Zufall, dass sich alle bisherigen strafrechtlichen Ermittlungen auf Landesbanken, also auf Staatsunternehmen kaprizieren. Hier gehört es mittlerweile zum Allgemeinwissen, dass diese Institute nach dem Wegfall von Gewährträgerhaftung und Anstaltslast sich auf Geheiß der Eigentümer noch einmal mit Kapital vollgesogen und dieses renditeträchtig angelegt haben (CDO, MBA etc.) Weil im „Kerngeschäft“ mit Sparkassen für die Eigentümer (Land und Sparkassen) zu wenig heraus sprang, wurden die Top-Manager in riskante und größenwahnsinnige Abenteuer getrieben, die diese gewiss gerne unternahmen. Die strafrechtliche Focusierung auf Ex-Manager kann somit ablenken vom fehlenden Geschäftsmodell und macht aus dem strukturellen Landesbankdesaster eine Frage individueller Schuld. Man muss dann schon nicht zugeben, dass Landesbanken selbst „überflüssig sind wie ein Kropf“ (Wernhard Möschel).

Mehr noch: Die Politik macht sich auf diese Weise gemein mit dem gesunden Volksempfinden. Das bringt öffentliche Anerkennung: Banker sind denkbar schlecht angesehen. Politiker erheischen Zustimmung und lenken zugleich von der eigenen (nicht strafrechtlichen) Schuld ab. Wenn aber Gesinnungsethik und Strafrecht sich verbünden, dann  muss an Rechtsstaatlichkeit interessierte Bürger auf der Hut zu sein. Denn dann ist das Strafrecht nicht mehr Ultima Ratio, sondern Instrument des Ressentiments. Zumindest die Zunft der Strafrechtler ist sich dieser Gefahr bewusst, wie jüngst aus Anlass eines Kongresses in Frankfurt deutlich wurde (mehr dazu unter http://www.ilf-frankfurt.de/)

3. Die Überweisung der Krisenbewältigung an das Strafrecht lenkt ab von der Notwendigkeit, die Finanzkrise zu analysieren und zu verstehen. Nicht nur die Strafrechtler, sondern auch die Ökonomen sollten sich das nicht gefallen lassen. Wer (vermeintlich) Schuldige gefunden hat, braucht schon nicht mehr nach Ursachen zu fahnden. Das ist fatal und begünstigt die Gefahr, dass wir genau so unvorbereitet in die nächste Krise schlittern wie jetzt. Es nährt die Illusion, dass, wenn die individuell Schuldigen („schwarze Schafe“) dingfest gemacht wurden, die Aufarbeitungstruppe ihre Schuldigkeit getan hat. „This Time is different“ (Kenneth Rogoff/Carmen Reinhart) rufen sie danach wieder munter und merken nicht, wie sehr sie dem Gesetz der ewigen Wiederkehr des Gleichen unterliegen.

3 Antworten auf „Banker an die Laterne
Oder: Das Strafrecht soll seine Nase besser nicht in die Finanzkrise stecken

  1. Ich denke Ihre Analyse, “ das Strafrecht taugt nicht zu Aufarbeitung der Finanzkrise“ trifft es. Speziell die Problematik von „objektiv“ richtigen Preisen steht dem entgegen. Allerdings braucht es das Strafrecht auch nicht. Firmen die derartig daneben liegen verschwinden (normalerweise) vom Markt.

    Aber genau hier wird ein Riegel vorgeschoben und damit jedweger Fehler „vergeben und vergessen“. Das ist das besonders schlimme. In einem Markt wo Preise keine Bedeutung mehr haben, kann es nicht zu wirtschaftlichem Handeln kommen. Woran sollte man sich denn orientieren?

    Somit ist es klar sobald es zu Preismanipulationen wie im derzeitigen Ausmaß kommt, wird das erwachen mit jeder neuen „Steigerung“ böser.

    Wir reden dann letztendlich nicht mehr um einige (oder alle?) Landesbanken sondern um Pleiten von Staaten. Die ersten Anzeichen dürften dazu in Griechenland zu erkennen sein….

    Island hat es schon „hinter sich“….

  2. Ich muß mich etwas korrigieren. So gibt es zwar keinen objektiv richtigen Preis aber einen Preis der die Präferenzen der Käufer und Verkäufer in Einklang bringt, der Marktpreis. Es ist der „beste Preis“ den wir haben. Wenn nun der Staat für 1/4 der Aktien eines Unternehmens das 9-fache des Börsenwerts zahlt, dann kann man sicher von Veruntreuung reden.

    Es ist klar, wir kommen da in modrige Fahrwasser. Denn die Argumentation wird dann laufen. Hätten wir der Commerzbank nicht das Geld gegeben wäre der „Schaden“ für das Volk grösser gewesen. Und das ist das Totschlagargument, wer will das beweisen oder widerlegen können. Es wäre mit Sicherheit ein Schaden entstanden aber ob er größer wäre als die zig MIlliarden für ein Viertel des Kapitals?

    Somit muß ich einschränkend sagen für excessive vom Marktpreis abweichende Zahlungen könnte das Strafgesetzbuch doch das richtige Korrektiv sein….

    Wir haben aber auch mit Marktpreisen ein Riesenproblen wenn der Staat auftritt kann er sicherlich die Marktpreise verschieben, somit sind es dann „staatlich garantierte“ Preise und wo diese hinführen ist klar….

  3. Sehr geehrter Herr Hank,

    ich habe mir sehr über Ihren Artikel gefreut, der mir aus der Seele spricht.

    Insbesondere um die Zusammenhänge einer solchen Krise zu erarbeiten und daraus zu lernen sollte man die Frage nach der Suche von Ursachen nicht durch die Suche nach Schuld überlagern lassen.

    M.E. sind die Ursachen im wesentlichen im strukturellen Bereich zu suchen. Banken und hier insbesondere Investmentbanken haben in den Jahren vor der Krise ein breites Wachstum trotz wesentlicher globaler Ungleichgewichte ermöglicht. Das bedeutet, dass die wachstumsorientierte Geldmengensteuerung der Zentralbanken und der Politik über den Transformations-Mechanismus der Banken ein globales Wachstum gegen den fundamentalen Trend ermöglichte (beispielhaft: die oft über verbriefte Immobiliendahrlehen ermöglichte überzogene Konsumquote der US Haushalte bei einer gleichzeitigen durch die erzeugte Kreditblase beschleunigten ständigen Aufwertung der Immobilien). Dieses Wachstum war immer stärker kreditfinanziert, wodurch die Risiken im System logischerweise weiter stiegen. Gleichzeitig entwickelten sich durch die Verriebsstrukturen finanztechnische „Monokulturen“ insbesondere bei investierenden Banken, aber auch bei vielen Investoren.

    Banken haben vertrieblich geeignete Finanzprodukte an Käufer vertrieben, die sich von eben diesen Banken beraten fühlten. Die Käufer haben den vertrieblich motivierten Aussagen der Banken gerne geglaubt, da sie so hofften ihre eigenen Renditeziele ereichen zu können.

    Die Lösung für eine Vielzahl der entstandenen Fehlentwicklung liegt m.E. in einer Entkoppelung von Produktion und Vertrieb bei Banken, bzw. auch bei einem Verbot indirekter Provisionen. Es muss klar sein, ob eine Bank verkauft oder berät und die Bank sollte dann auch nur an der primären Leistung verdienen, bzw. am Erfolg des Kunden beteiligt sein.

    Das hätte natürlich erhebliche Strukturänderungen zur Folge, aber den grossen Vorteil, dass der Markt in einem transparenteren System bei einer Interesssengleichrichtung zwischen Kunde und Bank wieder besser funktionieren könnte. Die Akzeptanz von transparenten, transaktionskostenarmen Produkten würde steigen, das Phänomen der grossen Lemming-Bewegungen könnte reduziert werden und die Risikostreuung in den Portfolios der Investoren würde wahrscheinlich verbessert werden.

    Im gesamten System müssten darüber hinaus die Geldmenge sehr viel restriktiver gesteuert werden, Eigenkapital anforderungen erhöht und künstlich induzierte Niedrigzinsphasen vermieden werden. Das Wachstum wäre deutlich niedriger, aber erheblich nachhaltiger.

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