GastbeitragIndustriepolitik ist Planwirtschaft

In einer sozialen Marktwirtschaft braucht es den Staat. Darüber sind sich Ökonominnen und Ökonomen einig. Nicht zu den staatlichen Aufgaben gehört aber die Industriepolitik – private Unternehmen im Wettbewerb können zukunftsfähige Branchen wesentlich effizienter identifizieren.

Bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit der Industriepolitik geht es um etwas ganz Grundsätzliches, nämlich um die Rolle des Staates in einer sozialen Marktwirtschaft. Die Frage ist dabei nicht, ob der Staat in einem solchen System überhaupt eine Rolle spielen soll. Dass er das soll, ist unter Ökonominnen und Ökonomen völlig unbestritten. Vielmehr geht es darum, welche Rolle das genau sein soll. Und hier empfiehlt die etablierte Volkswirtschaftslehre eine glasklare Arbeitsteilung zwischen Staat und privater Wirtschaft, welche einen möglichst effizienten Einsatz der knappen Ressourcen gewährleistet.

Der Staat ist dafür zuständig, den ordnungspolitischen Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit zu setzen: die Garantie der Eigentumsrechte oder die Milderung von klar definiertem Marktversagen beispielsweise mithilfe der Umweltpolitik oder der Wettbewerbspolitik. Zudem sorgt der Staat in einer sozialen Marktwirtschaft dafür, dass eine gewisse Umverteilung zugunsten Benachteiligter erfolgt. Die private Wirtschaft wiederum ist innerhalb dieses Rahmens zuständig für die Verwendung der Ressourcen. Dabei sorgt der Wettbewerb dafür, dass möglichst wenig Verschwendung stattfindet. Dieser Ressourceneinsatz wird letztlich über den Preis gelenkt, welcher die Knappheiten anzeigt. Es gehört zu den grundlegendsten Einsichten der klassischen Ökonomie, dass ein solches Setting den Wohlstand maximiert.

Schwarmintelligenz schlägt zentrale Planung

Die Alternative dazu ist die Planwirtschaft. Hier ist der Staat und nicht der Privatsektor für die Zuteilung der knappen Ressourcen zuständig. Nicht Preissignale, sondern behördliche Entscheide bestimmen dann, in welche Technologien oder Branchen investiert werden soll. Nicht zufällig ist das auch die Beschreibung der Industriepolitik. Sie basiert auf der Vorstellung, dass staatliche Stellen beurteilen sollen, welche Industrien in Zukunft für ein Land erfolgversprechend sein werden. Und diese Sektoren werden dann mit Instrumenten wie Subventionen, Steuererleichterungen oder Protektionismus gefördert.

Die Entwicklung der Nachkriegszeit –­ man denke an den wirtschaftlichen Zusammenbruch der Sowjetunion –­ lehrt uns aber eindrücklich, dass die Marktwirtschaft der Planwirtschaft bei der Ressourcenverwendung punkto Effizienz weit überlegen ist. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass eine staatliche Behörde besser als private Firmen beurteilen kann, in welche Aktivitäten investiert werden sollte. Beim Staat entscheidet eine einzelne Stelle in einer Monopolsituation, während es bei den Unternehmen viele sind, die im Wettbewerb miteinander stehen. Keine Frage, dass so bei Privaten wesentlich mehr Informationen genutzt werden und deshalb die Chance, die richtigen Entscheide zu treffen, wesentlich grösser ist als beim Staat.

Gerade weil wir bei Innovationen nicht wissen, was sich letztlich durchsetzen wird, ist es so entscheidend, möglichst viele an diesem Entdeckungsverfahren zu beteiligen und ihnen einen Anreiz zu geben, auf neue Informationen möglichst rasch zu reagieren. Zentral ist dabei, dass Private ihr eigenes Geld einsetzen und deshalb auch die Kosten einer falschen Strategie selbst tragen. Das ist beim Einsatz von Steuergeldern weniger der Fall. Eine fehlgeleitete Subvention zieht kaum direkte persönliche Konsequenzen beim Staatsangestellten nach sich. Selbst wenn man also annimmt, der Staat verfolge nach bestem Wissen und Gewissen das Ziel einer höheren Effizienz, ist eine staatliche Lenkung dem privatwirtschaftlichen Ressourceneinsatz unterlegen.

Lobbyismus kommt noch zur Ineffizienz dazu

Hinzu kommt die ganze politökonomische Dimension, welche die Bilanz staatlicher Lenkung nochmals stark verschlechtert. Bestimmt der Staat über den Einsatz von Ressourcen, so besteht ein starker Anreiz für Interessengruppen, den Entscheid zu ihrem Vorteil zu beeinflussen. Und da geht es dann verständlicherweise nicht mehr um gesamtwirtschaftliche Ziele, sondern um das Wohl der eigenen Klientel. Industriepolitische Entscheide werden deshalb meist überlagert von politischen Interessen und dienen dann eher der arbiträren Umverteilung zugunsten politisch einflussreicher Gruppen als der Effizienz.

Gerade aus diesen Gründen ist eine strikte Trennung der staatlichen und der privatwirtschaftlichen Tätigkeit für eine funktionierende Marktwirtschaft so wichtig. Industriepolitik verwischt diese Trennung und damit die Verantwortlichkeit. Oder extrem ausgedrückt: Wenn man glaubt, dass staatliche Stellen Privaten im Wettbewerb bei der Ressourcenallokation überlegen sind, wieso soll man dann eigentlich nicht gleich alle «wichtigen» oder am besten gleich alle Unternehmen verstaatlichen? Und dann wäre man bei der reinen Planwirtschaft.

Auch in der empirischen ökonomischen Literatur zum Thema kommt deutlich zum Ausdruck, dass gegenüber Industriepolitik höchste Skepsis angebracht ist. Gerade bei Erfolgsstorys wie den südostasiatischen Tigerstaaten zeigen Studien, dass ihr schnelles Wachstum mit der Öffnung gegen aussen, politischer Stabilität und Investitionen in die Bildung zu tun hat und nicht mit ihrer Industriepolitik.[1] Diese generelle Einschätzung bestätigen auch neuere Studien.[2]

Skepsis gegenüber freien Märkten

Warum erfreut sich die Industriepolitik dennoch so grosser Beliebtheit, ja erlebt sie gar seit Kurzem eine weitere Renaissance? Es ist wohl letztlich die Vorstellung, (gewisse) volkswirtschaftliche Entscheide sollten besser sorgfältig zentral geplant werden, da sie zu wichtig seien, als dass sie dezentralen Entscheiden in wenig kontrollierten Märkten überlassen werden könnten. Das aktuelle Thema ist hier die Klimapolitik, bei deren Umsetzung auch eine starke Skepsis gegenüber dezentralen Marktentscheiden spürbar ist. Da die Klimaproblematik grösstenteils auf ein Marktversagen (nicht eingepreiste Externalitäten der Umweltverschmutzung) zurückzuführen ist, sind hier staatliche Interventionen zwar legitim. Aber auch hier wäre es aus volkswirtschaftlicher Sicht viel effizienter, mit marktwirtschaftlichen Instrumenten für nicht verzerrte Marktpreise zu sorgen (etwa über Lenkungsabgaben), als mit Subventionen und gelenkter Innovation industriepolitisch zu agieren.

Die aktuelle Popularität von Staatsinterventionen hat sicher auch damit zu tun, dass es für Politikerinnen und Politiker offensichtlich verlockend ist, sich als Macher zu präsentieren, die, beseelt von einer Vision der wirtschaftlichen Zukunft des Landes, tatkräftig Branchen oder – noch schlimmer – einzelne Unternehmen unterstützen. Wie viel langweiliger ist es, das aus Effizienzsicht einzig Richtige zu tun, nämlich wettbewerbsfreundliche, unverzerrte Rahmenbedingungen zu setzen und es der Privatwirtschaft zu überlassen, in welchen Branchen sie investieren möchte.

Industriepolitik auch bei Dienstleistungen

Und aus aktuellem Anlass: Industriepolitik ist keineswegs auf die Industrie im engeren Sinne beschränkt, sondern lässt sich auch bei Dienstleistungen beobachten. So wird seit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS oft betont, wie wichtig es sei, dass die Schweiz eine global tätige Grossbank habe und dass man deshalb mit der Regulierung der neuen UBS vorsichtig sein solle. Diese Einschätzung hat einen stark industriepolitischen Beigeschmack. Welche Art von Finanzinstituten die Schweiz in Zukunft «braucht», kann und sollte nicht der Staat entscheiden, sondern der Markt. Und damit dieser effizient spielt, sollten Grossbanken nicht durch eine De-facto-Staatsgarantie geschützt werden, die darin besteht, dass sie «too big to fail» sind und deshalb – anders als alle anderen Unternehmen – im Krisenfall durch den Staat gerettet werden müssen.

Die Schweiz ist bislang wirtschaftlich sehr gut damit gefahren, die Ressourcenallokation weitgehend dem privaten Sektor zu überlassen und auf eine Industriepolitik zu verzichten. Weder in der Klimapolitik noch in der Finanzmarktpolitik besteht aufgrund aktueller Entwicklungen ein Anlass, von diesem Verzicht auf planwirtschaftliche Ansätze abzuweichen.

  1. Siehe Noland und Pack (2003). 
  2. Siehe etwa Irwin (2023) sowie Taylor (2023). 

Literaturverzeichnis

  • Irwin, Douglas (2023). The Return of Industrial Policy, Finance and Development, IMF, Washington DC.
  • Noland, Marcus und Howard Pack (2003). Industrial Policy in an Era of Globalization: Lessons from Asia. Institute for International Economics, Washington, DC.
  • Taylor, Timothy (2023). Qualms about Industrial Policy, Blog «Conversable Economist».

Hinweis: Der Beitrag erschien zuerst in: Die Volkswirtschaft, 18. Juli.

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