Donald Trump und die Europäische Union
Katalysator oder Spaltpilz?

„Die Europäische Union wurde gegründet, um die USA abzuzocken. Das ist der eigentliche Zweck der EU.“ (Donald Trump)

Der Prozess der europäischen Integration stockt. Die Idee, Europa wirtschaftlich zu integrieren, um politisch voranzukommen, ist verblasst. Der Motor der wirtschaftlichen Integration, der europäische Binnenmarkt, stottert. Die Öffnung der Güter- und Faktormärkte kommt nicht mehr voran. Das Unkraut nicht-tarifärer Handelshemmnisse im Binnenmarkt wuchert. Die Zolläquivalente liegen bei 45 % bei Industriegütern und 100 % bei Dienstleistungen (IWF). Auch die politische Integration verläuft ungeordnet, zufällig und zentralistisch. Die notwendige Diskussion um die Kompetenzordnung in der EU wird nicht geführt. Das könnte sich ändern. Welche Rolle spielt dabei die Politik von Donald Trump?

Politische Integration der EU – wie und wo?

Mit dem Binnenmarkt-Projekt haben sich die EU-Länder auf die Öffnung der Märkte als Integrationsstrategie verständigt. Das ist bei der politischen Integration anders. Dort gehen die Vorstellungen weit auseinander. Einige träumen von „Vereinigten Staaten von Europa“ (Winston Churchill), andere beharren auf einem „Europa der Vaterländer“ (Charles de Gaulle). Die meisten wären allerdings wohl zufrieden, wenn es in Europa gelänge, auf den Feldern zu kooperieren, die einen europäischen Mehrwert versprechen.

Wo ist es sinnvoll zu kooperieren, wo nicht? Die Theorie des fiskalischen Föderalismus liefert Anhaltspunkte (hier). Eine gemeinsame Verteidigungspolitik wirft einen europäischen Mehrwert ab. Das ist für eine einheitliche Handelspolitik und eine europäische Politik für Wettbewerb und Binnenmarkt nicht anders. Gemeinsames Handeln lohnt sich auch in der Flüchtlings- und Klimapolitik. Auf vielen anderen Feldern ist die EU-Kommission zu weit gegangen. Sie hat sich Kompetenzen angemaßt (hier). Eine Umkehr ist notwendig.

Öffentliche Güter und politischen Integration

Europäische öffentliche Güter sind wichtige Treiber der politischen Integration. Werden sie effizient produziert, bringen sie die Integration voran. Dagegen halten ineffiziente Lösungen die Integration auf. Und davon gibt es viele. Die Flüchtlingspolitik ist ein Beispiel. Sie hat die EU gespalten. Das ist auch in der Klima- und Energiepolitik nicht anders. Trotz des (gemeinsamen) Emissionshandelssystem divergieren die länderspezifischen Vorstellungen zur Energiepolitik. Das alles hemmt den Prozess der politischen Integration.

Die EU hatte lange keine Anreize, wichtige europäische öffentliche Güter zu produzieren. Das galt vor allem für die Verteidigungsfähigkeit. Sie nutzte den Schutzschirm der vor allem von den USA finanzierten NATO. Die Europäer fuhren Trittbrett. Das ist auch bei der Welthandelsordnung nicht anders. Die Kosten, die Märkte weltweit offen zu halten, wurden großteils vom amerikanischen Hegemonen getragen. Verkürzt: Die alleinige Finanzierung wichtiger weltweiter öffentlicher Güter durch die USA hat die politische Integration in Europa behindert. Europa hat es versäumt, weltweit stärker auf Freihandelsabkommen zu setzen.

Militärischer Schutzschirm der USA

Das Szenario hat sich mit Trump II verändert. Die USA sind nicht mehr bereit, das Trittbrettfahrer-Verhalten der Europäer zu akzeptieren. Das gilt vor allem für den militärischen Schutzschirm, den die NATO, faktisch die USA, auch über Europa aufspannt. Lange vor Donald Trump haben amerikanische Präsidenten höhere Verteidigungsbeiträge der Europäer gefordert. Passiert ist nichts. Erst Donald Trump hat den Europäern die Pistole des NATO-Austritts auf die Brust gesetzt und sie gezwungen, ein 5 %-Ziel zu akzeptieren. Ob sie die Mittel, wie versprochen, tatsächlich aufbringen, wird sich zeigen.

Mit dem Ukraine-Krieg sind die Ausgaben für das Militär weiter gestiegen. Donald Trump ist der Meinung, die Ukraine sei vor allem ein europäisches Problem. Die Europäer müssten deshalb die Kosten der militärischen Hilfe für der Ukraine tragen. Mit der Drohung, die Europäer militärisch im Regen stehen zu lassen, hat er sie zu einem „Deal“ erpresst. Die USA ziehen sich (weitgehend) aus der militärischen und finanziellen Unterstützung der Ukraine zurück. Sie liefern zwar die Waffen an die Ukraine, die Europäer bezahlen. Die USA wandeln sich von der Schutzmacht der Ukraine zum skrupellosen Waffenhändler.

Katalysator politischer Integration?

Mit einer neuen Verteilung der militärischen Lasten ist allerdings ein anderes Problem im Verhältnis zu den USA weiter nicht gelöst. Die Europäer sind in einem Handelskrieg mit den USA, wie ihn Donald Trump vom Zaun gebrochen hat, nur ein ebenbürtiger Gegner, wenn sie von den USA militärisch nicht erpressbar sind. Das macht es notwendig, dass die EU einen eigenen militärischen Schutzschirm aufbauen. Billig wird das nicht. Auf die Europäer kommen erhebliche finanzielle Lasten für die Verteidigung zu.

Die EU-Länder sind kaum in der Lage, diese Militärausgaben national zu finanzieren. Viele von ihnen sind bis zur Halskrause verschuldet. Weitere Lasten wollen sie nicht stemmen. Die Europäer werden tun, was sie in der Vergangenheit schon getan haben. Sie werden den Weg der gesamteuropäischen Verschuldung wählen (Stabilisierungsfonds). Damit lösen sie über kurz oder lang einen zentralistischen Integrationsschub in der EU aus. Die Ironie: Donald Trump bekäme, was er nicht will, ein politisch stärker integriertes (zentralistisches) Europa. Ob das für die Europäer von Vorteil ist, steht auf einem anderen Blatt.

Spaltpilz der EU?

Allerdings: Die Trump’sche Handelspolitik kann sich zu einem Spaltpilz für die EU entwickeln. In der Zollpolitik haben die EU-Länder mit Handelsbilanz-Defiziten und -überschüssen unterschiedliche Interessen. Die gemeinsame Zollpolitik der EU vernachlässigt die Interessen der Überschussländer. Sie wollen keinen Zollkrieg. Verstärkt Donald Trump den Zollstreit und kann sich Deutschland in der EU mit einer moderaten Zollantwort nicht durchsetzen, steigen die Anreize der Überschussländer, separat zu verhandeln. Die gemeinsame Handelspolitik wäre Makulatur. Das täte der politischen Integration nicht gut.

Auch der Umgang der Europäer mit der Ukraine gibt einen weiteren Hinweis, wohin sich die EU entwickelt. Die finanziellen Lasten für die EU könnten sie spalten. Einige Länder, wie Spanien, scheren aus der länderspezifischen Finanzierung aus. Andere, wie Deutschland, verhindern eine gemeinschaftliche Verschuldung. Der „worst case“ wäre: Die EU gibt die Ukraine auf. Das würde die EU zerreißen. Die Nordländer, das Baltikum und die Mittelosteuropäer würden der Ukraine helfen wollen. Einige Westeuropäer würden dagegen den Verlust der Ukraine akzeptieren und sie militärisch und finanziell im Stich lassen.

Heterogenität und Kompetenzordnung

Es ist unklar, wie die Politik von Donald Trump den Prozess der politischen Integration in Europa beeinflusst. Seine Verteidigungs- und Handelspolitik schweißt die Mitgliedsländer einerseits zusammen, weil sie nun mehr Anreize haben, europäische öffentliche Güter zu produzieren. Die Schwierigkeiten, sie national zu finanzieren, verstärkt andererseits die Tendenzen zu gesamteuropäischer Verschuldung. Das bringt nicht nur die EWU in Schwierigkeiten. Es verstärkt auch die zentralistischen Tendenzen in der EU.  

Um den Prozess der politischen Integration auf sicherere Beine stellen will, muss die EU endlich die ungeordnete Kompetenzordnung vom Kopf auf die Füße stellen. Nur was einen europäischen Mehrwert schafft, sollte künftig zentral geregelt werden. Alles andere muss auf nationaler und regionaler Ebene angepackt werden. Eine erfolgreiche EU sollte sich stärker dezentral aufstellen. Das ist in einer Welt wachsender heterogener (nationaler und regionaler) Präferenzen die einzig sinnvolle integrationspolitische Strategie in der EU.

Schub für den Binnenmarkt?

Will Europa die Idee der politischen Integration nicht aufgeben, braucht es nicht nur eine neue föderale Kompetenzordnung, es braucht auch eine solidere ökonomische Basis. Es gilt, die alte Idee wieder zu beleben, Europa wirtschaftlich stärker zu integrieren, um auch politisch voranzukommen. Die handelspolitischen Raubzüge des Donald Trump gegen Europa sind ein Anlass. Europa kann nur bestehen und sich politisch weiterentwickeln, wenn es seine eigenen wirtschaftlichen Stärken stärkt. Stellt es Europa richtig an, kann Donald Trump der EU einen Schub für die wirtschaftliche Erneuerung geben.

Der Ansatzpunkt eines solchen Neustarts ist die Magna Carta der europäischen Integration, der europäische Binnenmarkt. Er muss wiederbelebt werden (hier). Die vielfältigen (nicht-tarifären) Hemmnisse im Binnenmarkt müssen abgebaut, Unternehmen von der wuchernden Bürokratie befreit, (grüne) industriepolitische Luftschlösser aufgegeben werden. Und noch etwas muss sich ändern: Europa muss seine protektionistischen Anwandlungen, sich zur Festung auszubauen, aufgeben. Neue Handelsabkommen ohne den moralischen Zeigefinger der EU, könnten Europa im globalen Wettbewerb wieder nach vorne bringen.

Fazit

Die europäische Integration stagniert. Das könnte sich ändern. Den Anstoß könnte ausgerechnet Donald Trump geben, ein bekennender Gegner der EU. Mit seiner Politik schafft er Anreize für die EU, die Strategie der politischen Integration zu überdenken und die Kompetenzordnung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die zollpolitischen Raubzüge des Donald Trump gegen die EU sind auch ein Weckruf für Europa, die eigene wirtschaftliche Basis zu stärken, intern (Europäischer Binnenmarkt) und extern (weltweite Freihandelsabkommen). Die alte Idee, Europa wirtschaftlich zu integrieren, um politisch schneller voranzukommen, würde wiederbelebt.

Blog-Beiträge zum Thema:

Norbert Berthold (JMU, 2017): Europäische Union auf Widerruf? 60 Jahre und (k)ein bißchen weise

Norbert Berthold (JMU, 2024): Binnenmarkt, Währungsunion und Subsidiarität. Wie kommt die EU wirtschaftlich wieder auf die Beine?

Norbert Berthold (JMU, 2025): Handelskriege sind leicht zu gewinnen?

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