Ein berühmter Vortrag veranschaulicht die Bedeutung von Fortschritt und Wohlstand, leider bekommen Schüler und Studenten in Deutschland ihn selten zu hören. Die Rede verändert den Blick auf die Welt.
»Ich war erst vier Jahre alt, als ich meine Mutter das erste Mal in ihrem Leben eine Waschmaschine beladen sah. Das war ein besonderer Tag für meine Mutter.« So beginnt der mittlerweile berühmte »TED Talk« des schwedischen Mediziners Hans Rosling von 2011, in dem er brillant veranschaulichte, welche Möglichkeiten Wohlstand bietet. Rosling, 2017 gestorben, war berühmt für seine Erforschung von Infektionskrankheiten in Afrika und seine Strategien zur Eindämmung von Epidemien. Armut erkannte er als zugrunde liegendes Problem.
»Meine Mutter und mein Vater hatten seit Jahren Geld gespart, um sich die Waschmaschine leisten zu können. Und an dem Tag, als sie das erste Mal laufen sollte, wurde Oma eingeladen, um die Maschine zu sehen«, erzählte Rosling in seiner Rede. »Ihr ganzes Leben lang hatte sie mit Feuerholz Wasser erhitzt, und sie hatte die Wäsche für sieben Kinder mit der Hand gewaschen.« Und jetzt würde Oma zusehen, wie Elektrizität diese Arbeit verrichtet.
Roslings Mutter schob die Wäsche in die Maschine. »Und dann, als sie die Tür schloss, sagte Oma: ›Nein, nein, nein, nein. Lass mich, lass mich den Knopf drücken‹«, berichtete Rosling. »Oma drückte auf den Knopf und sagte: ›Oh, fantastisch. Ich möchte das sehen. Gib mir einen Stuhl.‹« Roslings Oma setzte sich vor die Maschine und sah sich das gesamte Waschprogramm an, wie hypnotisiert: »Für meine Großmutter war die Waschmaschine wie ein Wunder.«
Heutzutage gehören Maschinen aller Art zur Grundausstattung in wohlhabenden Industrieländern. »Und doch gibt es auf der Welt so viele Menschen, die immer noch Wasser auf Feuer erhitzen und die ihr Essen auf Feuer zubereiten«, setzte Rosling seinen Vortrag fort. »Manchmal haben sie nicht einmal genug Essen. Sie leben unterhalb der Armutsgrenze.« Wie waschen sie? Per Hand, so auch jene vielen Menschen, die zwar Elektrizität haben, aber keine Waschmaschine, sagte Rosling.
Eine Arbeit, die zumeist Frauen erledigen würden: »Es ist eine schwere, zeitaufwendige Arbeit.« Manche müssten sogar von weit her Wasser holen oder die Wäsche zu einem Fluss bringen – und würden den gleichen Wunsch hegen wie einst Roslings Oma: »Sie möchten eine Waschmaschine«, betonte er. »Aber wenn ich eine Vorlesung für umweltbewusste Studenten halte, sagen die mir: ›Nein, es können nicht alle auf der Welt Autos und Waschmaschinen haben.‹«
Rosling hatte seine Studenten befragt: »Wie viele von euch waschen eure Jeans und die Bettwäsche mit der Hand?« Niemand habe die Hand gehoben. »Selbst die harte Szene in der Umweltbewegung nutzt Waschmaschinen«, resümierte Rosling.
Er erläuterte das Ungleichgewicht: Die Hälfte der Energie weltweit werde von einer Milliarde Menschen verbraucht, also einem Siebtel der Weltbevölkerung konsumiert; zwei Milliarden verfügten über Waschmaschinen. Aber Wirtschaftswachstum werde mehr Menschen den Zugang ermöglichen: Die Hoffnung, Menschen würden auf eine Waschmaschine verzichten, bräuchten sich Klimaschützer nicht zu machen, sagte Rosling. CO2-arme Energie sei nötig, um das Klimawandel-Risiko nicht zu erhöhen.
»Meine Mutter erklärte den Zauber der Waschmaschine am aller-ersten Tag«, erzählte Rosling. »Sie sagte: ›Jetzt, Hans, haben wir die Wäsche hineingetan; die Maschine wird die Arbeit machen. Und wir können in die Bücherei gehen.‹« Denn das sei der Zauber: »Man füllt die Wäsche hinein, und was bekommt man aus der Maschine heraus? Du bekommst Bücher aus der Maschine heraus, Kinderbücher.«
Seine Mutter bekam Zeit, ihm vorzulesen, so habe er das Alphabet gelernt. »Das war der Punkt, an dem ich meine Karriere als Professor begann.« Auch für sich selbst habe sie gelesen. »Sie hat es geschafft, Englisch zu lernen«, schwärmte Rosling. »Wir haben diese Maschine wirklich, wirklich geliebt.« Er schloss seine Rede mit einem Dank: »Und wir haben gesagt, meine Mutter und ich: ›Danke, Industrialisierung. Danke, Stahlwerk. Danke, Elektrizitätswerk. Und danke, Chemie-Industrie, die uns Zeit verschafften, Bücher zu lesen.‹«
Mit seiner Rede wollte Rosling nicht Sorglosigkeit ausdrücken. »Die Leute nennen mich oft einen Optimisten, weil ich ihnen die enormen Fortschritte zeige, von denen sie nichts wussten«, schrieb er in seinem Buch »Factfulness«, das 2018 posthum veröffentlicht wurde. Aber er sei kein Optimist, sondern ein »Possibilist«: Jemand, der weder grundlos hoffe noch grundlos fürchte, sondern jemand, der sich der überdramatischen Weltanschauung widersetze. Rosling war überzeugt, dass weiterer Fortschritt möglich ist.
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