Nachhaltigkeit gilt heute als unternehmerischer Imperativ – ökologisch geboten, politisch gefordert und zugleich Treiber des Unternehmenserfolgs. In der Praxis dürften hingegen viele Betriebe mit Zielkonflikten konfrontiert sein. Diese entstehen durch Investitionsbeträge, technologische Grenzen und strategische Unsicherheit. Dieser Beitrag beleuchtet den Trade-off zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und ökonomischem Erfolg. Dabei wird deutlich: Nachhaltiges Wirtschaften ist kein Selbstläufer, sondern mit realen Opportunitätskosten verbunden. Wettbewerb und regulatorische Eingriffe erzeugen zusätzliche Dynamiken, die kooperatives Verhalten erschweren oder Fehlanreize setzen können. Anstatt auf idealisierte Win-Win-Versprechen zu vertrauen, erscheint ein ehrlicher Umgang mit dem Nachhaltigkeitsdilemma geboten
Einführung
Kaum ein Begriff hat gesamtgesellschaftlich in den letzten Jahren so viel Beachtung erfahren wie „Nachhaltigkeit“. Die originäre Perspektive einer nachhaltigen Ressourcennutzung, die von Carlowitz bereits 1713 am Beispiel des nachwachsenden Rohstoffs Holz in die forstwirtschaftliche Literatur einführte, wurde im 20. Jahrhundert zugunsten eines breiten Verständnisses des Nachhaltigkeitsbegriffs, der auch soziale Belange umfasst, erweitert. Wenngleich heute das Akronym „ESG“ zum Paradigma ganzer Industrien avanciert, nimmt der ökologische Aspekt insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit einem sich verändernden Klima eine prominente Stellung ein. Supranationale Organisationen, nationale Regierungen, Investoren, Kunden und Mitarbeiter formulieren Erwartungen an Staaten und private Akteure, ökologische Verantwortung zu übernehmen und führen immer neue Instrumente zur Messung der Zielerreichung ein. Die Regulierungsdynamik wird in hohem Maße durch den Druck zahlreicher Nichtregierungsorganisationen beschleunigt (vgl. Gleißner/Follert/Daumann/Stöckl,2024). Dabei wird der Nachhaltigkeitsbegriff grundsätzlich mit positiven Entwicklungen in Verbindung gebracht und es wird häufig suggeriert, dass es sich bei ökologischer Nachhaltigkeit und wirtschaftlichem Wohlstand um komplementäre Ziele handle: Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell, das sich rechnet. Diese „Win-Win“-Logik ist attraktiv, aber sie greift zu kurz. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene wird zunehmend für einen rationalen Umgang mit Klimarisiken (vgl. Pritzl/Söllner, 2021; Gleißner/Daumann/Follert, 2021; Gleißner/Follert/Daumann/Stöckl,2024) und insbesondere für eine „Kostenwahrheit“ (Eichenberger/Stadelmann 2020) plädiert. Gleißner (2023) spricht sich in diesem Zusammenhang für „mehr ökonomisches Denken in der Klimapolitik“ aus.
Nachhaltigkeit kostet – zumindest in der kurzen Frist
Ökonomik als Denkansatz geht von tendenziell unbegrenzten Bedürfnissen von Individuen mit unterschiedlichen Präferenzen aus, die diese jedoch mit knappen Mitteln verfolgen. Notwendigerweise entstehen Kosten des Verzichts, wenn eine Ressource einer bestimmten Verwendung zugeführt wird und dafür andere Verwendungen ausgeschlossen werden. Entscheider müssen abwägen wofür sie ihre Mittel und Möglichkeiten einsetzen, es entstehen Trade-offs. Der vorliegende Beitrag möchte die betriebliche Sphäre betrachten und auf die insbesondere kurzfristig zu identifizierenden Trade-offs zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und dem wirtschaftlichen Erfolg aufmerksam machen. Eine transparente Kommunikation gegenüber den verschiedenen Stakeholdern ist unerlässlich, um eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, die insbesondere in temporaler Hinsicht an die gegenwärtigen rechtlichen Rahmenbedingungen und sich verändernde Kundenpräferenzen angepasst ist. Ökologische Nachhaltigkeit ist kein „free lunch“. Viele Nachhaltigkeitsmaßnahmen erfordern Investitionen in neue Technologien, veränderte Lieferketten und die interne Ablauforganisation und es entstehen weitere Kosten, bspw. durch Zertifizierung, Dokumentation, Kontrolle und Berichterstattung. Oftmals sind Effizienzgewinne erst in späteren Perioden zu erwarten, während die Umstellungskosten einer veränderten Produktion sofort anfallen.
Es besteht daher in vielen Fällen ein Zielkonflikt zwischen einem zu maximierenden Gewinn und einer zu minimierenden Umweltbelastung. Solange ein Unternehmen mit gegebener Technologie produziert, gilt: Eine Reduktion der Umweltbelastung lässt sich nur durch eine Reduktion des Outputs – also durch weniger Produktion – erreichen. Das wiederum bedeutet bei gegebenen Absatzpreisen c.p. niedrigere Erlöse und damit Gewinne. Das Spannungsverhältnis zeigt sich insbesondere in energie- und rohstoffintensiven Branchen, in denen technologische Alternativen noch nicht voll ausgereift oder flächendeckend verfügbar sind. In der Praxis entsteht somit ein Zielkonflikt: Die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit braucht Ressourcen, die möglicherweise an anderer Stelle nutzenstiftender eingesetzt werden könnten.
Strategische Dilemmata
Unternehmen agieren nicht isoliert wie Robinson Crusoe, sondern stehen in Kooperations- und Konkurrenzverhältnissen mit anderen Akteuren, die ihrerseits Ziele verfolgen und strategisch agieren (vgl. z.B. Homann/Suchanek, 2005). Die Wettbewerbssituation kann Anreize schaffen, die freiwillige Investitionen in Nachhaltigkeit hemmen. Unternehmensentscheider stehen vor interdependenten Entscheidungsproblemen: Wer beispielsweise früh und umfassend in emissionsarme Produktionstechnologien investiert, seine Prozesse umstellt, nachhaltige Verpackungen verwendet und Vorprodukte von ebenfalls nachhaltigen Unternehmen zu höheren Preisen bezieht, geht zunächst in Vorleistung. Wettbewerber, die zögern oder abwarten, können zumindest kurzfristig günstiger produzieren – sie profitieren vom Status quo, während der Vorreiter höhere Kosten trägt. Die Struktur einer Interaktion, bei der das soziales Optimum nicht erreicht wird, weil die individuell rational agierenden Akteure in einem stabilen Nash-Gleichgewicht verharren, ist als Gefangenendilemma bekannt (vgl. etwa Jost, 2001; Homann/Suchanek, 2005). Unter der Annahme, dass beide Akteure ihren Gewinn maximieren wollen, ist das Ergebnis der simultanen Interdependenz ein kollektives Nicht-Handeln. Jeder wartet auf den anderen, niemand will als Erster Kosten tragen. Neben die strategische Unsicherheit über das Verhalten des Wettbewerbers tritt noch eine exogene Unsicherheit. Ein praktisch relevanter Fall ist die Möglichkeit, dass Investitionen in Nachhaltigkeit zu „stranded assets“ der bisherigen Technologie führen – also zu Vermögenspositionen, in die früher in der Hoffnung auf Rentabilität investiert wurde, die sich dann aber durch den Schwenk hin zur Nachhaltigkeit nicht mehr amortisieren. Das kann auch neue Investitionen betreffen, wenn sich Technologien oder Regulierungen schneller ändern als erwartet. Dieses strategische Abwarten ist zwar individuell rational – aber gesellschaftlich suboptimal. Es verhindert Innovation, verlangsamt Transformationsprozesse und trägt dazu bei, dass ambitionierte Klimaziele verfehlt werden.
Regulierung als Lösung?
Die Allokation knapper Mittel in Nachhaltigkeitsinitiativen wird folglich in hohem Maße durch Anreize bestimmt. In solchen Konstellationen könnte gesetzgeberische Regulierung als koordinierendes Element wirken. Sie schafft klare Spielregeln, erzeugt Anreize zur Veränderung und verhindert, dass einzelne Akteure vom Abwarten profitieren. CO?-Bepreisung, Emissionsgrenzwerte oder Berichtspflichten könnten so Wettbewerbsvorteile der Inaktivität beseitigen und Unternehmen einen klaren Rahmen für Investitionsentscheidungen geben. Doch Regulierung ist kein Allheilmittel. Erfolgt sie abrupt oder unter der Anmaßung von Wissen (vgl. Hayek, 1942a, 1942b, 1945, 1974) im Hinblick auf bestimmte Technologien, kann sie bislang erfolgreiche Geschäftsmodelle gefährden und dazu führen, dass subventionierte Unternehmen ohne tragfähiges Geschäftsmodell im Markt verbleiben. Derartige Verzerrungen des Wettbewerbs können auf betrieblicher Ebene zu erheblichen Erfolgseinbußen führen und auf gesamtwirtschaftlicher Ebene Wettbewerbsvorteile der Industrie und in der Folge den Wohlstand gefährden. Zwar ist die Festlegung politischer Ziele in demokratischen Gesellschaften den gewählten Parlamenten vorbehalten und Wissenschaftler sind grundsätzlich gut beraten, sich allenfalls – im Rahmen einer praktisch-normativen Wirtschaftswissenschaft – im Hinblick auf die Wahl der adäquaten Mittel einzubringen. Dennoch kann es notwendig sein, über Ziele zu debattieren, sofern diese technisch oder wirtschaftlich kaum zu realisieren sind. In bestimmten Industrien ist das Ziel der Null-Emissionen kaum erreichbar. So wird etwa in der Produktion von Ammoniak als Grundchemikalie der Düngemittelindustrie fossiler Wasserstoff verwendet. Ein Umstieg auf grünen Wasserstoff ist in der kurzen Frist unrealistisch.
Zudem entsteht eine implizite Erwartungshaltung seitens des privaten Sektors: Unternehmen könnten sich darauf einstellen, dass der Staat früher oder später eingreift – etwa durch Subventionen – und deshalb bewusst warten. Es entsteht ein neues Gleichgewicht, bei dem Unternehmen nur dann investieren, wenn der Staat mitfinanziert. Der Staat betreibt dann zunehmend Industriepolitik auf der Mikroebene – eine Interventionsspirale droht (vgl. Mises, 1976 [1929], 2008 [1983]). Regulierung kann ein Weg aus der Sackgasse sein, aber sie muss klug, glaubwürdig und ökonomisch konsistent ausgestaltet sein. Sie sollte sich auf den ordnungspolitischen Rahmen konzentrieren, sollte Unternehmen Planungs- und Rechtssicherheit bieten und dem Markt als Wettbewerb der Ideen und somit Entdeckungsverfahren (vgl. Hayek, 1969) – auch im Hinblick auf Lösungen bestehender Umweltprobleme – vertrauen.
Mehr Realismus wagen!
In der öffentlichen Debatte dominiert das Narrativ, dass sich Nachhaltigkeit und ökonomischer Erfolg problemlos verbinden ließen – man müsse sie nur „richtig wollen“. Dieses Denken verkennt oftmals die Realität unterschiedlicher Planungsperioden, die unternehmerischen Entscheidungen zugrunde liegen, sowie Opportunitätskosten, die durch den Einsatz knapper Mittel in eine Nachhaltigkeitstransformation entstehen.
Es kann argumentiert werden, dass sich die beiden Ziele in bestimmten Bereichen ergänzen: Investitionen in ressourcenschonende Produktionstechnologien inklusive der Wiederverwertung überschüssiger Materialien können ökologische und ökonomische Vorteile zugleich bringen. Doch diese sogenannten „low-hanging fruits“ erscheinen in vielen Branchen begrenzt – sowohl technisch als auch betriebswirtschaftlich. Je weiter Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsbemühungen ausdehnen, desto geringer werden die zusätzlichen ökonomischen Vorteile, während die Kosten steigen. Der Nutzen sinkt am Rand – eine klassische Kurve abnehmender Grenzerträge.
Gleichzeitig bestehen technologische und physikalische Restriktionen, die sich auch mit ambitionierten Zielsetzungen nicht einfach auflösen lassen. Die Produktion von Zement, Stahl, Kunstdünger oder Kunststoffen ist derzeit ohne fossile Energieträger kaum realistisch darstellbar. Nachhaltigkeit stößt hier an Grenzen, die sich nicht durch Willenserklärungen, sondern nur durch langfristige technologische Entwicklungen verschieben lassen.
Vor diesem Hintergrund wirken politische oder unternehmerische Ankündigungen, innerhalb kurzer Zeit vollständig „klimaneutral“ oder „emissionsfrei“ zu werden, als teuer erkauft und in globalem Maßstab als wirkungslos (vgl. z.B. Sinn, 2022). Zu ambitionierte Ziele, die mit Blick auf die Nebenbedingung der Existenzsicherung revidiert werden müssen, können zu Reaktanz, und Vertrauensverlust seitens der Stakeholder führen. Wer tatsächlichen Fortschritt will, muss zuerst die realen Zielkonflikte anerkennen – und danach handeln. Hierzu zählt eine offene Kommunikation der Geschäftsleitung gegenüber allen relevanten Interessengruppen, insbesondere den Eigenkapitalgebern.
Literatur
von Carlowitz, H. C., Sylvicultura oeconomica, Hausswirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht, Leipzig 1713.
Eichenberger, R., Stadelmann, D., Die politische Ökonomik der Klimapolitik: So wird ein Land mit Kostenwahrheit zum Vorbild beim Klimaschutz, in: GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society, 29. Jg. (2020), S. 148-153.
Gleißner, W., Wir brauchen mehr ökonomisches Denken in der Klimapolitik, in: WirtschaftsWoche (2023), vom 14.01.2023, https://www.wiwo.de/politik/konjunktur/klimaschutz-wir-brauchen-mehr-oekonomisches-denken-in-der-klimapolitik/28922526.html (letzter Zugriff 13.05.2025)
Gleißner, W., Daumann, F., Follert, F., „Alles zu seiner Zeit“: ein kritischer Diskussionsbeitrag zum Thema Nachhaltigkeit, in: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht, 44. Jg. (2021), S. 500-515.
Gleißner, W., Follert, F., Daumann, F., Stöckl, S., Ökonomische Rationalität versus Aktivismus: Eine Analyse der deutschen Klimadebatte mit dem Structural-Cognitive Model, in: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht, 47. Jg. (2024), S. 563-582.
Hayek, F.A., Scientism and the Study of Society. Part II, in: Economica, New Series, Vol. 9 (1942a), S. 267–291
Hayek, F.A., Scientism and the Study of Society. Part III, in: Economica, New Series, Vol. 11 (1942b), 27–39.
Hayek, F.A., The Use of Knowledge in Society, in: The American Economic Review, Vol. 35 (1945), S. 519–530.
Hayek, F.A. Der Markt als Entdeckungsverfahren, in: Hayek, F.A. (Hrsg.), Freiburger Studien, Tübingen 1969, S. 249-265.
Hayek, F.A., The Pretence of Knowledge. Lecture to the memory of Alfred Nobel, December 11 1974, abrufbar unter: https://www.nobelprize.org/prizes/economic-sciences/1974/hayek/lecture/ (letzter Zugriff 13.05.2025).
Homann, K., Suchanek, A., Ökonomik. Eine Einführung. Tübingen 2005.
Jost, P.-J., Theoretische Grundlagen der Spieltheorie, in: Jost, P.-J. (Hrsg.), Die Spieltheorie in der Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 2001, S. 43-78.
von Mises, L., Kritik des Interventionismus. Darmstadt 1976 (1929).
von Mises, L., Vom Wert der besseren Ideen. Sechs Vorlesungen über Wirtschaft und Politik. Dritte Vorlesung: Interventionismus. Stuttgart 2008.
Pritzl, R./Söllner, F., Rationale Klimapolitik – ökonomische Anforderungen und politische Hindernisse, in: List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik, 46. Jg. (2021), S. 423-449.
Sinn, H.-W., Kein Alleingang in der Klimapolitik, Die Covid-Krise als natürliches Experiment zeigt, weshalb es ohne einen Klimaklub mit den größten Ländern nicht geht, in: Neue Zürcher Zeitung, vom 19.02.2022, S. 28.
Endlich mal ein Beitrag, der die Dinge realistisch aufbereitet und keine „Win-Win-Illusionen“ schürt!!!
Schön, dass man sich wieder traut, ein paar mikroökonomische Trivialitäten beim Namen zu nennen. Auf der anderen Seite: Ist die Not wirklich so groß?