Gastbeitrag
Arbeiten die Deutschen zu wenig?
Worauf es ankommt

In Bezug auf den Arbeitseinsatz im Vergleich zu den anderen EU-Ländern ist Deutschland je nach gewähltem Indikator deutlich abgeschlagen oder rangiert im unteren Mittelfeld. Hier werden zunächst die relevanten Einzeldaten präsentiert. Im Anschluss wird gefragt, was die Wirtschaftspolitik tun muss, um dem „kranken Mann Europas“ durch Mehrarbeit wieder auf die Beine zu helfen und um den absehbaren finanziellen Kollaps der sozialen Sicherungssysteme abzuwenden.

Deutschland im Arbeitszeitvergleich weit abgeschlagen

Das Europäische Statistikamt Eurostat hat die durchschnittlichen Wochenarbeitsstunden unter Einbezug von Urlaub und Krankheit in den Ländern der EU im Jahr 2024 ermittelt. Demnach rangierte Deutschland mit 33,2 Wochenstunden auf dem drittletzten Platz (Matthias Janson, 22.05.2025). Noch schlechter schnitten nur Dänemark und die Niederlande ab. In der Spitzengruppe befanden sich viele Länder aus Ost- und Südeuropa. In Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Polen, Lettland und Litauen beträgt die Wochenarbeitszeit im Schnitt 38 Stunden und mehr.

Bei den Urlaubstagen ist Deutschland Spitzenreiter innerhalb der EU. Außer Dänemark leistet sich nur Deutschland 30 Urlaubstage. Die Slowakei, Kroatien, Litauen, Griechenland, Lettland, Slowenien, Rumänien, Irland, Lettland, Irland, Estland, Belgien und die Niederlande haben demgegenüber nur 20 Urlaubstage, in Zypern sind es 21, in Portugal und Spanien 22, in Bulgarien 24, in Österreich, Finnland, Tschechien, Frankreich, Italien, Schweden und Norwegen 25, in Luxemburg 26 und in Malta 28 (Statista Research 2023).

Zu den reichlichen Urlaubstagen in Deutschland kamen nach Angaben der OECD im Jahr 2022 noch stattliche 24,9 Tage an Krankmeldungen hinzu. (IGES 2025). Das war der höchste Wert der amtlich gemeldeten bezahlten Krankheitstage innerhalb der EU. Es folgten Lettland mit 20,4 Tagen und Tschechien mit 19,2 Tagen. Im Mittelfeld lagen Länder wie Belgien (15,5 Tage), Niederlande (15 Tage) und Frankreich (14,2 Tage). Diese OECD-Daten sind jedoch nur eingeschränkt vergleichbar, da unbezahlte Krankheitstage in einigen Ländern wie Frankreich, Italien und Frankreich nicht mitgezählt werden. Auch ist Deutschland eines der wenigen Länder mit Vollerhebung (ebenda). Aussagefähiger ist der „European Labour Force Survey“ der OECD. Hier wurde ermittelt, wieviel Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit im Jahr 2023 aufgrund von Krankmeldungen verloren gegangen sind. Bei diesem Indikator lag Deutschland mit 6,8 Prozent im Jahre 2023 im oberen Mittelfeld. Dort waren auch Länder wie Belgien (6,7 Prozent), Schweden (6,6 Prozent) und Island (6,1 Prozent) angesiedelt. Spitzenreiter war Norwegen mit 10,7 Prozent. Malta mit 1,6 Prozent, Bulgarien mit 0,6 Prozent sowie Griechenland mit 0,4 Prozent hatten die niedrigsten Verluste an Wochenarbeitszeit aufgrund von Krankheit zu verbuchen.

Die normalerweise geleistete durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 20-64 jährigen Erwerbstätigen betrug im Jahr 2023 laut Statistischem Bundesamt im EU-Durchschnitt 37,4 Stunden, in Deutschland lag sie dagegen nur bei 35,1 Stunden (Statistisches Bundesamt).

Besonders krass fällt der Rückstand Deutschlands aus, wenn man über den europäischen Tellerrand hinausblickt und die hierzulande geleisteten Arbeitsstunden mit jenen in den USA vergleicht. In den USA hat die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit pro Erwerbstätigen im Jahr 2022 1811 Stunden betragen, in Deutschland dagegen war sie mit 1341 Stunden um ganze 35 Prozent niedriger (Jan Priewe 2024). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die wegen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub bezahlte Arbeitszeit in Deutschland wesentlich höher liegt – ein Luxus, den sich die Amerikaner nicht gönnen, so dass die höhere Wirtschaftsdynamik kaum verwundert.

Verzerrung der Rankings durch strukturelle Faktoren

Freilich muss man sehen, dass die Rankings durch strukturelle Faktoren verzerrt sein können. Ein besonders hoher Anteil an Dienstleistungs-, Teilzeit- und Minijobs drückt auf den Durchschnittswert. So gelangt die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier denn auch nach näherer Prüfung der Daten zu folgendem Urteil:“ Die Deutschen, die Vollzeit arbeiten, die arbeiten gar nicht zu wenig. Man kann darüber sprechen, ob es noch ein bisschen ausgeweitet werden soll, aber das sind so kleine Verbesserungen am Rande“ (Interview vom 31.5.2025). Diese Einschätzung beruht darauf, dass Deutschland bei der normalerweise geleisteten durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 20 bis 64 jährigen Vollzeiterwerbstätigen in Deutschland mit 40,3 Stunden nur unwesentlich schlechter abschneidet, als dies für den Durchschnitt aller EU Länder der Fall ist. Dieser Wert lag 2023 mit knapp 40,4 Stunden nur knapp darüber (Statistisches Bundesamt). Freilich sind bei dieser Rechnung Urlaubs-, Feier- und Krankheitstage nicht einbezogen.

Deutschland ist zwar bei den Urlaubstagen zusammen mit Dänemark Spitzenreiter und liegt bei den Krankschreibungen im oberen Mittelfeld, hat aber mit 7 gesetzlichen Feiertagen die geringsten innerhalb der EU. So haben Zypern, die Slowakei, Bulgarien und Malta gleich 12 Feiertage, Österreich, Finnland und Kroatien 11, Rumänien, Slowenien, Lettland, Griechenland, Litauen Spanien, Portugal, Frankreich und Tschechien 10, Italien, Schweden, Polen, Irland und Luxemburg 9 und Ungarn, Estland, Belgien und die Niederlande 8. (Statista Research 2023). In manchen Ländern kommen regionale Feiertage hinzu.

Dass Deutschland bei den normalerweise durchschnittlich geleisteten Wochenarbeitsstunden aller Erwerbstätigen unter dem EU-Durchschnitt rangiert (mit 35,1 Stunden im Vergleich zu 37,4), liegt zum einen am relativ hohen Anteil der Teilzeitkräfte an den Erwerbstätigen und beruht somit nicht auf einem Mangel an Erwerbsfleiß. Deutschland hatte im 4. Quartal 2024 mit 29,3 Prozent die dritthöchste Teilzeitquote innerhalb der EU. Davor lagen Österreich mit 30,2 Prozent und die Niederlande als Spitzenreiter mit 42,6 Prozent. Die nicht zur EU gehörige Schweiz kam auf 39,9 Prozent. Der Durchschnitt innerhalb der EU 27 bezifferte sich auf 17,2 Prozent. (Statista Research 2025).

Außerdem lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Teilzeitkräfte in Deutschland unter dem EU-Durchschnitt, was aber vor allem darauf zurückzuführen ist, dass sich im Alterssegment der 15 bis 24 jährigen in Deutschland überdurchschnittlich viele Personen in der Aus- und Weiterbildung befinden. In dieser Altersgruppe lag der Anteil der Teilzeitkräfte bei nur 13,9 Prozent, verglichen mit 16 Prozent im Durchschnitt der EU-Länder. In den anderen Altersgruppen der 25 bis 54 jährigen und der 55 bis 64 jährigen lag Deutschland nur marginal unter dem EU-Durchschnitt (mit 23,1 Prozent gegenüber 23,4 Prozent und 21,7 Prozent gegenüber 27,9 Prozent) (Statistisches Bundesamt).

Trotz der Indikatoren, die in die umgekehrte Richtung weisen, wurde im Jahr 2023 in Deutschland nach einer DIW-Studie mit 55 Mrd. Arbeitsstunden so viel gearbeitet wie noch nie zuvor, weil so viele Menschen in den Arbeitsmarkt eingetreten sind. Das war der höchste Wert seit der Wiedervereinigung (Wirtschaftswoche). Im Jahr 1991 bezifferte sich das Arbeitsvolumen auf 52 Mrd. Stunden.

Deutschland – der „kranke Mann Europas“

Die Ausführungen haben gezeigt, dass Deutschland vom Arbeitseinsatz her innerhalb der EU Länder nach der Ausschaltung von Struktureffekten im unteren Mittelfeld rangiert. Das sollte aber keinesfalls ein Anlass für die Wirtschaftspolitik sein, die Hände in den Schoß zu legen. Angesichts des hierzulande stotternden Wachstumsmotors und der sich aus demographischen Gründen heraus verschärfenden Finanzkrise der sozialen Sicherungssysteme ist Mehrarbeit erforderlich ist, wenn es nicht zum Sinken der Renten und sonstigen Ansprüche oder Steigen der Beiträge oder beidem kommen soll. Denn das Geld fällt nicht vom Himmel, sondern muss hier auf Erden verdient werden, wie die „eiserne Lady“ Margaret Thatcher treffend bemerkte. Die von Gewerkschaftsseite aus angestoßene Diskussion um die Viertagewoche führt ebenso in die Irre, wie wir uns die „Rente mit 64“ nicht länger leisten können. Dies zu fordern zeugt von Realitätsverlust und schürt Illusionen. Was ist zu tun, damit Deutschland nicht länger als „kranker Mann Europas“ eingestuft wird?

Der Ökonom Moritz Schularick hat gerade die sofortige Abschaffung von 2 Feiertagen in die Diskussion gebracht (IfW Mai 2025). Das ist sicher erwägenswert, ist aber allenfalls eine Zweit- oder Drittbest-Strategie. Denn erstens geht mit der Streichung von zwei Feiertagen lediglich ein einmaliger Niveaueffekt einher und keine dauerhafte Stärkung der Wachstumskräfte. Zweitens ist auch das gar nicht so gesichert. Denn es würden zwei Kurzurlaube und somit produktivitäts- und motivationssteigernde Erholungsphasen entfallen, die sonst unter Einsatz von Brückentagen realisierbar gewesen wären. Der Per Saldo Effekt ist also offen. Drittens haben Feiertage religiöse Wurzeln und beruhen auf kulturell fest verankerten Traditionen. Sie dienen auch der Familienpflege. Viertens wird hoheitlicher Zwang ausgeübt, statt Leistungsanreize zu setzen und bürokratische Hemmnisse für Mehrarbeit abzubauen.

Abbau politischer Hemmnisse für Mehrarbeit geboten

Es kommt jetzt vor allem darauf an, dass die Politik endlich daran geht, die vielfältigen bürokratischen und finanzpolitischen Hindernisse, die Mehrarbeit im Wege stehen und die die Leistungsanreize lähmen, aus dem Weg zu räumen. Erforderlich sind Maßnahmen, die dafür sorgen, dass Teilzeitkräfte das Arbeitsvolumen ausweiten, dass Hausfrauen und Rentner in den Arbeitsmarkt eintreten und dass Vollzeitkräfte vermehrt Überstunden leisten, um dem Problem der Fachkräfteknappheit zu Leibe zu rücken. Geeignete Mittel sind etwa die Abkehr von Arbeitszeit-Vorschriften und Höchstgrenzen, die Abschaffung des Ehegatten-Splittings, welches Frauen vom Arbeitsmarkt fernhält, die Abflachung der leistungshemmenden Einkommensteuerprogression und Senkung des demotivierend hohen Abgabenniveaus sowie eine ganztägige und -jährige Öffnung von KiTas. Außerdem muss die „Rente mit 64“ wieder abgeschafft und das Renteneintrittsalter heraufgesetzt und flexibilisiert werden. Ferner müssen Bürgergeldempfänger dazu motiviert werden, in den Arbeitsmarkt einzutreten. Die marginale Grenzbelastung von teils über 100 Prozent ist nicht länger tragbar. Nicht zuletzt sollte der Staat von den peniblen gesetzlichen Regelungen der einzuhaltenden Ruhe- und Pausenzeiten abrücken. Sollen doch Private in Verhandlungen entscheiden, wie sie es gerne hätten und wie lange und wie viel sie arbeiten möchten. Der eine hat gerne viele Erholungspausen und arbeitet dann dafür umso effizienter und konzentrierter, der andere braucht weniger Auszeiten und geht aber die Arbeit umso gemächlicher an. Kurzum: Die vielfältigen staatlichen Eingriffe in Deutschland in den Prozess der Einkommenserzielung und die Manie, alles einheitlich zu regeln, bewirken in ihrer Summe, dass die private Abwägung zwischen Freizeit und Einkommenserzielung massiv zu Lasten der Arbeit und zugunsten von Freizeit verzerrt wird

Neben dem Bemühen, das im Inland verfügbare Arbeitspotential durch Abbau verfehlter Regeln und finanzielle Entlastungen zu steigern, braucht Deutschland natürlich auch mehr qualifizierte Zuwanderer. Die Mobilisierung des im Inland schlummernden Arbeitskräftepotentials reicht nicht aus, um die Zukunftslasten stemmen zu können und das erforderliche Wachstum zu generieren. Nach Ulrike Malmendier darf die Beschaffung von Arbeitskräften aus dem Ausland nicht mehr länger mit dem Migrationsthema vermischt werden. Sie plädiert dafür, die Anwerbung geeigneter Fachkräfte den privaten Unternehmen zu überlassen: “ Lassen wir doch die Firmen entscheiden. Wenn die sagen: ‚Ich habe da jemand gefunden in Indien oder Argentinien, der möchte gerne ins Land kommen. Ich glaube, dessen Ausbildung ist gut genug. Ich habe einen Job für den, sobald er hier ankommt‘- dann sollten wir denen doch um Himmel Willen nicht ins Handwerk pfuschen sondern die Marktwirtschaft machen lassen“ (Interview vom 31.05.2025).

Fazit: Die Politik ist gut beraten, wenn sie diese Maßnahmen auf die Agenda setzt. Der Koalitionsvertrag zeigt allerdings, dass der Ernst der Lage offensichtlich noch nicht hinreichend erkannt worden ist, als dass man die notwendigen Schlüsse daraus zieht.

LITERATUR

DIW (17.04.2024). In Deutschland wird so viel gearbeitet wie noch nie – durchschnittliche Wochenarbeitszeit geht seit Wiedervereinigung aber zurück. (hier)

IGES (2025). OECD-Vergleich: Deutschland beim Krankenstand im Mittelfeld. (hier)

Janson, M. (22.05.2025). Deutschland bei Arbeitszeit im EU-Vergleich weit hinten. (hier)

Malmendier, U. (31.05.2025). Wirtschaftsweise zum Fachkräftemangel. „Jeden Tag wird das Problem ein bisschen schlimmer“. (hier)

Schularick, M. (Mai 2025). „Ich wäre sofort dafür, zwei Feiertage abzuschaffen“. IfW.Kiel. (hier)

Statista Research (März 2025). Europäische Union: Anteil der Teilzeitbeschäftigten an den Gesamtbeschäftigten in den Mitgliedstaaten, aufgeschlüsselt nach Geschlecht im 4. Quartal 2024. (hier)

Statista Research (Oktober 2023). Durchschnittliche Zahl der Urlaubstage und der gesetzlichen Feiertage in Europa im Jahr 2022. (hier)

Statistisches Bundesamt . Wöchentliche Arbeitszeit im EU-Vergleich. (hier)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert