Kosteneffizienz spielte bei der Energiewende bislang keine nennenswerte Rolle. Die Vorstellung, dass ein klimaneutrales Energiesystem auch wirtschaftlich nachhaltig sein muss, wurde sogar lange Zeit als Störfaktor im Transformationsnarrativ betrachtet. Zugleich herrschte oftmals reines Wunschdenken vor. So stellte die Politik sinkende Strompreise in Aussicht, die durch den Ausbau erneuerbarer Energien ermöglicht werden sollte. Durch den Kernenergie- und den Kohleausstieg sorgte sie jedoch für eine massive Reduktion des Stromangebots.
Der moralistische Fehlschluss der Politik
Wie sich hierdurch die Strompreise verringern sollen, wenn zugleich erwartet wird, dass die Nachfrage nach Strom durch die politisch erwünschte Zunahme der Zahl an Elektroautos und Wärmepumpen künftig steigt, ist rätselhaft. Offenbar unterliegen große Teile der Politik einem sogenannten moralistischen Fehlschluss: Steigende Preise sind politisch unerwünscht, daher dürfen sie nur sinken – selbst bei reduziertem Angebot und steigender Nachfrage. Dies widerspricht der ökonomischen Logik.
Doch die ökonomische Realität sieht anders aus: Von geringen Preisen und Kosten kann leider keine Rede sein. Im Gegenteil: Zwar sind die Erzeugungskosten für grünen Strom gesunken, zumindest für Solarstrom, doch die Kosten für den unabdingbaren Ausbau der Stromnetze und -speicher steigen massiv an. Allein der Netzausbau wird laut Netzentwicklungsplan (NEP 2037/2045) bis zum Jahr 2045 weit über 500 Milliarden Euro verschlingen. Das Vorhalten von unverzichtbaren Reservekraftwerken und deren dringend erforderlicher Neubau erhöhen die Kosten der Stromerzeugung zusätzlich. Ein Hauptgrund für die Unverzichtbarkeit dieser Maßnahmen ist, dass Wind und Sonne nicht immer dann Strom liefern, wenn er gebraucht wird. Und auch nicht immer dort, wo er gebraucht wird.
Die Politik wäre gut beraten, die Erneuerbaren nicht exzessiv auszubauen
Diese sogenannten Systemkosten für Netze, Speicher und Reservekraftwerke werden bei Ankündigungen sinkender Strompreise gerne verschwiegen, könnten sich künftig aber auf hohe dreistellige Milliardenbeträge belaufen. Diese Kosten könnten weit geringer ausfallen, wenn das Ziel, bis zum Jahr 2035 einen Anteil von nahezu 100 Prozent grünem Strom an der Stromerzeugung zu erreichen, nicht angestrebt würde. Denn es ist eine Binsenweisheit, dass die letzten Prozentpunkte zur Erreichung eines Ziels die weitaus teuersten sind. Stattdessen sollte Deutschland der Kernkraft eine neue Chance geben – ebenso wie dies zahlreiche andere europäische Länder tun.
Der Kernkraft eine neue Chance geben
So wurde in vielen europäischen Ländern der Atomausstieg gestoppt, wie etwa in Belgien, der Schweiz oder in Schweden. Zudem werden die Laufzeiten bestehender Atommeiler verlängert, wie in Ungarn beschlossen und in Belgien geplant, oder es sind neue Atomkraftwerke im Bau oder in Planung. Beispielsweise hat sich der Atomnovize Polen das Ziel gesetzt, zwei Kernkraftwerke zu bauen, um die Abhängigkeit von der Kohle zu verringern. Dazu hat Polen im Jahr 2023 einen Vertrag zum Bau eines Kraftwerks unterzeichnet, womit im Jahr 2028 begonnen werden soll. Deutschland sollte nicht länger aus ideologischen Gründen ignorieren, was in zahlreichen europäischen Ländern als vernünftig angesehen wird, um Klimaziele zu erreichen und zugleich eine kostengünstige und stabile Stromversorgung zu gewährleisten.
Kernkraft ist viel sicherer als allgemein angenommen wird
Die Gegenargumente der Kernkraftgegner, wie das hohe Risiko des Betriebs von Atomkraftwerken und die ungelöste Endlagerproblematik, sind unzutreffend, wie die Technikhistorikerin Dr. Anna Veronika Wendland in einem Standpunkt für die Bundeszentrale für Politische Bildung fundiert dargelegt hat. So gehört die Kernenergie zu den sichersten und umweltfreundlichsten Technologien der Stromerzeugung (Ritchie 2020). Betrachtet man, wie viele Menschen pro Einheit erzeugtem Strom vorzeitig sterben mussten, liegt die Kernenergie in Bezug auf Sicherheit trotz der großen Atomunfälle auf dem Level von Windkraft und Photovoltaik. Auch die radioaktiven Emissionen in der Umgebung von Kernkraftwerken sind — entgegen aller Befürchtungen — äußerst gering. Sie machen nur einen winzigen Bruchteil der radioaktiven Belastung aus natürlichen Quellen aus. So lag beispielsweise im Jahr 2020 die höchste Dosis in der Umgebung eines Kernkraftwerks bei 0,2 Mikrosievert (Bundesamt für Strahlenschutz 2020), während die ionisierende Strahlung aus natürlichen Quellen mit rund 2 Millisievert ungleich höher ausfiel.
Die Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll ist ein lösbares Problem
Auch das Problem der Suche nach einem Endlager für radioaktiven Abfall sollte lösbar sein, wie Beispiele aus Finnland und der Schweiz zeigen. Finnland hat bereits ein betriebsbereites Endlager in Granit gebaut und die Schweiz hat unweit der deutschen Grenze einen Standort mit Tongestein bestimmt. Endlager basieren auf dem Prinzip der passiven Sicherheit. Das heißt, die sichere Abdichtung des Atommüllendlagers gegen die Außenwelt wird nicht durch technische Vorkehrungen und menschliches Überwachungspersonal gewährleistet, sondern allein durch das Wirtsgestein. Dessen günstige Eigenschaften können die Wärme ableiten, die der Atommüll in der Anfangszeit der Einlagerung noch entwickelt. Deutschland verfügt über alle drei für nukleare Endlager geeigneten Wirtsgesteine – Granit, Ton- und Salzgestein – und hätte daher gute Chancen, ein Endlager zu finden. Mit dieser Aufgabe ist die Bundesanstalt für Endlagersuche betraut.
Ungeachtet der vorhersehbaren Widerstände der Bevölkerung gegen mögliche Endlagerstandorte stellt sich allerdings die Frage, warum die Europäische Kommission festgelegt hat, dass jedes EU-Mitgliedsland seinen radioaktiven Müll auf eigenem Territorium lagern muss. Diese Bestimmung verhindert Effizienzgewinne durch innereuropäische Zusammenarbeit. Dabei erscheint es nicht völlig undenkbar, dass die Finnen auch hochradioaktiven Atommüll aus Deutschland in ihr betriebsbereites Endlager einlagern würden, wenn sie dafür angemessen entlohnt würden. Dies könnte für beide Länder eine Win-Win-Situation sein, wenn sich Deutschland dadurch den Bau und die Suche nach einem Endlager ersparen könnte.
Ob die Atomkraft eine teure Technologie ist, hängt entscheidend auch von der Laufzeit ab
Schließlich ist auch das Argument, dass Kernkraft eine sehr teure Technologie sei, nicht notwendigerweise zutreffend, denn dies hängt in entscheidender Weise von der genehmigten Laufzeit von Atomreaktoren ab. Beträgt diese 60 Jahre und mehr, wirken auch hohe Investitionskosten von deutlich über 10 Milliarden Euro nicht unbedingt abschreckend, denn die Stromgestehungskosten je erzeugter Kilowattstunde (Levelized Cost of Energy, LCOE), die die durchschnittlichen Kosten der Stromerzeugung über die gesamte Lebensdauer einer Anlage darstellen, können bei sehr langen Laufzeiten die Stromgestehungskosten aller übrigen Technologien unterbieten – selbst wenn die Kosten der Endlagerung vollständig von den Betreibern übernommen werden müssen und daher die Gesellschaft, anders als aktuell zu befürchten, keinen Teil der Endlagerkosten übernehmen muss.
Reaktivierte abgeschaltete Atomkraftwerke könnten die Erneuerbaren gut ergänzen
In jedem Fall wäre die Reaktivierung der zuletzt abgeschalteten Meiler eine kostengünstige Möglichkeit, um klimaneutralen Strom verlässlich zu produzieren, denn Atomstrom wäre für Grenzkosten von 3 bis 4 Cent je Kilowattstunde zu haben. Damit würden sich die reaktivierten Atomkraftwerke in der Angebotskurve (Merit Order) gleich hinter den Erneuerbaren einordnen. Der Bau einiger neuer Erdgaskraftwerke, die ein Vielfaches an Grenzkosten aufweisen werden, wäre somit überflüssig. Noch viel höher lägen die Grenzkosten dieser Gaskraftwerke, wenn sie dereinst mit grünem Wasserstoff betrieben werden, wie dies ab Mitte des nächsten Jahrzehnts vorgesehen ist.
Durch eine Reaktivierung einer großen Zahl der zuletzt abgeschalteten Atomkraftwerke könnten auch die hohen Systemkosten, die durch den exzessiven Ausbau der Erneuerbaren verursacht werden, weit geringer ausfallen. So müssten nicht nur weniger Backupkraftwerke gebaut werden, sondern auch weit weniger Stromspeicher und der Netzausbau könnte in geringerem Maße erfolgen. Somit wäre eine Reaktivierung abgeschalteter Reaktoren eine sehr naheliegende Ergänzung zum Ausbau der Erneuerbaren. Der dadurch zusätzlich anfallende Atommüll wäre jedenfalls kein Gegenargument gegen diese pragmatische Kombination aus grundlastfähigen Atomkraftwerken, bei Bedarf schnell anfahrbaren Erdgaskraftwerken und volatilen Erneuerbaren, denn das Endlagerproblem muss ohnehin gelöst werden. Und die vermeintliche Inflexibilität von Atomkraftwerken, die laut Branchenexperten weit flexibler in ihrer Betriebseise sind, als dies immer wieder fälschlicherweise kolportiert wird, wäre keinerlei Problem, wenn zu Zeiten von Stromüberschüssen, etwa durch zu viel Solarstrom an sonnigen Tagen, der Atomstrom in Elektrolyseuren zur Produktion von (rotem) Wasserstoff genutzt würde.
Die Reaktivierung abgeschalteter Atomkraftwerke wäre möglich und höchst wirtschaftlich
Eine Studie der Radiant Energy Group (2025) vom Mai 2025 kommt daher auch zu dem Schluss, dass die Umkehr des deutschen Atomausstiegs nicht nur technisch machbar, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll wäre. So könnte die Stromerzeugung aus elf reaktivierten deutschen Reaktoren laut Radiant Energy Group über eine Laufzeit von 20 Jahren einen Marktwert von 230 Milliarden Euro haben. Bei einem Preis von 100 Euro pro Megawattstunde bzw. 10 Cent je Kilowattstunde könnten die möglichen Betreiber mehr als 110 Milliarden Euro an steuerpflichtigen Gewinnen erwirtschaften. Dabei wird angenommen, dass vier Atomkraftwerke bis zum Jahr 2029 wieder in Betrieb gehen, Brokdorf bereits im Jahr 2027, und sieben weitere Reaktoren bis Ende 2032 wieder angefahren werden. Die beiden dringlichsten Maßnahmen dazu wären ein sofortiges Rückbaumoratorium für stillgelegte Reaktoren und eine Änderung des Atomgesetzes, um den Betrieb von Kernkraftwerken wieder zu ermöglichen.
Im Gegensatz zu den Erneuerbaren und neuen Erdgaskraftwerken würden reaktivierte AKW den Steuerzahler nichts kosten, sondern sogar Steuereinnahmen einbringen
Unter diesen Voraussetzungen stünde eine Reihe von privaten Investoren bereit, bei einer Laufzeitgenehmigung von mindestens 20 Jahren die nötigen Investitionen zu tätigen. Eine Reaktivierung der abgeschalteten Atomkraftwerke würde den Staat und die Gesellschaft demnach nichts kosten – im Gegensatz zu den neuen Erdgaskraftwerken. Deren Betrieb könnte den Steuerzahler nach Schätzungen der nun nicht mehr amtierenden Ampelregierung einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten und die Stromverbraucher müssen deren Betrieb nach aktuellen Plänen mit bis zu 2 Cent je Kilowattstunde subventionieren.
Mit Blick auf die Stimmungslage in Deutschland hätte wohl auch eine absolute Mehrheit der Bevölkerung nichts gegen eine Reaktivierung von Atomkraftwerken einzuwenden: Seit der repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap für das ARD-Morgenmagazin im April 2023, bei der sich rund 59 Prozent der Befragten gegen die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke aussprachen, haben zahlreiche repräsentative Erhebungen immer wieder bestätigt, dass eine absolute Mehrheit der Deutschen gegen den Atomausstieg ist. Vor diesem Hintergrund sei an das Fazit der Studie der Radiant Energy Group erinnert: „Es kommt nun allein auf den politischen Willen an.“
Quellen:
Bundesamt für Strahlenschutz (2020) Jahresbericht Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung. Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung – Jahresbericht 2020, Seite 138f.
Hannah Ritchie (2020) What are the safest and cleanest sources of energy? Published online at OurWorldinData.org. https://ourworldindata.org/safest-sources-of-energy
Radiant Energy Group (2025) Wiederinbetriebnahme deutscher Kernkraftwerke: Machbarkeit und Zeitplan. https://drive.google.com/file/d/1Jhh1Hq3LKV18zxYO-K4szwCJH13hsZWi/view
- Energiewende
Neukonzeption statt moralistischer Fehlschlüsse - 9. August 2025