Fragen Sie sich auch manchmal, warum wir eigentlich noch ein Klimaproblem haben? Wenn man den Ankündigungen und Werbebotschaften der vielen Firmen glaubt, dann müsste es eigentlich in allernächster Zeit gelöst sein. Vom Autobauer über die chemische Industrie bis zum Sportartikelhersteller: Alle sind klimaneutral oder werden es in naher Zukunft sein. Etwas muss doch an diesen Versprechen dran sein, denn kein Unternehmen kann es sich heute noch leisten, grob die Unwahrheit zu sagen. Greenpeace is watching you! Wie also machen die das?
Oftmals stecken sogenannte Kompensationsgeschäfte dahinter, bei denen angebliche CO2-Einsparungen weltweit verkauft werden. Daraus ist ein gewaltiger Markt entstanden. Auf ihm treten Unternehmen als Anbieter auf, die vornehmlich in Entwicklungsländern Projekte organisieren, die zur Minderung des Kohlendioxidausstoßes führen sollen. Diese Einsparungen werden in Form von Zertifikaten verbrieft und an andere Unternehmen verkauft, die dann behaupten können, die CO2-Vermeidung zwar nicht selbst durchgeführt, aber finanziert zu haben. Das lohnt sich, weil dies in Entwicklungsländern sehr viel billiger ist als in Industrieländern, in denen Produktion und Konsum schon sehr energieeffizient ablaufen.
Die Gefahr der Kompensation
Das Problem ist allerdings: Diese freiwilligen Kompensationsgeschäfte führen nur dann wirklich zu einer CO2-Einsparung, wenn sichergestellt ist, dass die zertifizierte Reduktion tatsächlich realisiert wurde und dass sie zusätzlich war. Das Beispiel der Kochöfen, die als Klimaschutzmaßnahme in ärmeren Ländern Afrikas verteilt werden, zeigt deutlich, dass Zweifel angebracht sind. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird ein Teil der Kompensationen, die durch die Zertifikate versprochen werden, faktisch nicht stattfinden. Ist das schlimm? Es kommt darauf an.
Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass jede CO2-Minderung, die in Entwicklungsländern stattfindet, zu begrüßen ist, dann könnte man über die dabei vorkommende Schummelei hinwegsehen. Ein Verbot solcher Geschäfte wäre in jedem Fall kontraproduktiv, weil die freiwilligen Leistungen der europäischen Unternehmen zu erheblich weniger CO2-Vermeidung führen würden, wenn sie im Inland erfolgen müssten. Wahrscheinlich würden sie dann ganz entfallen.
Problematisch sind die freiwilligen Kompensationsgeschäfte aber, weil die Gefahr besteht, dass die Kritik daran mit einer Kritik am verpflichtenden Emissionshandel verbunden wird. Dies droht, weil viele Kritiker der Kompensationsgeschäfte den fundamentalen Unterschied zwischen beiden „CO2-Märkten“ nicht verstehen – oder nicht verstehen wollen. So könnte es in der Forderung gipfeln, dass Emissionsvermeidung grundsätzlich zu Hause zu erfolgen hat, weil sie im Ausland nicht zu kontrollieren sei. Das wäre allerdings eine klimapolitische Katastrophe.
Was ist effektiver Klimaschutz?
Denn wenn die Menschheit beim Kampf um das Klima Erfolg haben will, dann muss sie sich auf kosteneffizienten Klimaschutz besinnen – und dazu gehört, dass die Kostenunterschiede zwischen den Ländern zur Senkung der Kosten ausgenutzt werden können. Eine vorrangig nationale Klimaschutzpolitik, wie sie Deutschland derzeit betreibt, ist zum Scheitern verurteilt. Um konstruktive Kritik an den CO2-Kompensationsgeschäften zu üben, muss man daher weiter ausholen und genauer hinsehen.
Im Grundsatz ist die Idee, CO2-Vermeidung in Ländern außerhalb Europas umzusetzen, weil die Vermeidungskosten dort geringer sind, durchaus sinnvoll. Eine kosteneffiziente Klimapolitik verlangt ja gerade, stets dort zu vermeiden, wo die Grenzvermeidungskosten am geringsten sind. Der Grund ist einfach. Nur kosteneffizientes Verhalten sichert, dass wir für die eingesetzten Ressourcen den größten Klimaschutzeffekt bekommen. Würden die Unternehmen, die Kompensationsgeschäfte abschließen, das dabei investierte Geld zu Hause einsetzen, würde nur ein Bruchteil der CO2-Reduktion dabei herauskommen, die in den Entwicklungsländern realisiert werden kann.
Es ist ein relativ naheliegender Gedanke, dass man bei der Suche nach der kostengünstigsten Form der Vermeidung von Treibhausgasen über die Landesgrenzen und über den eigenen Kontinent hinausgehen sollte. Schließlich ist es dem Klima egal, wo auf der Erde Kohlendioxid eingespart wird. So ist es nicht verwunderlich, dass diese Form der Klimapolitik schon im ersten namhaften Klimaabkommen – dem Kyoto-Protokoll – beschritten wurde.
Der Austausch mit Entwicklungsländern
Zwei Instrumente wurden dafür geschaffen: der Clean Development Mechanism (CDM) und die Joint Implementation (JI). Letztere sah vor, dass ein Staat, der sich den Zielen des Protokolls verpflichtet hatte, in einem anderen solchen Staat eine Maßnahme zur CO2-Reduktion durchführen oder finanzieren konnte und im Gegenzug die entsprechenden Emissionsrechte übernahm. Der CDM sah vor, dass ein Kyoto-Protokoll-Staat in einem Entwicklungsland eine Maßnahme durchführen und sich dann entsprechende Emissionsrechte gutschreiben konnte.
Quantitativ war der CDM weitaus bedeutender als die JI. Laut Umweltbundesamt wurden bis Anfang 2022 weltweit 2,141 Milliarden Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente verifiziert. Allerdings war die Konjunktur für dieses Instrument nur sehr kurz. 2013 war mehr oder weniger Schluss mit dem Instrument. Was war geschehen?
Eine Maßnahme in einem Entwicklungsland durfte nur dann zu einer Gutschrift von Emissionsrechten führen, wenn die CO2-Vermeidung auch tatsächlich stattfand und wenn sie zusätzlich erfolgte, also ohne den europäischen Partner nicht stattgefunden hätte. Ob diese Bedingungen erfüllt sind, ist nicht zweifelsfrei feststellbar. Denn man braucht dafür ein Referenzszenario, aus dem abgeleitet werden kann, was ohne die Intervention der Europäer geschehen wäre. Das kann zu Fehlern in zwei Richtungen führen. Entweder werden zu viele Maßnahmen lizensiert, weil das Referenzszenario zu viel CO2-Emission annimmt, oder es werden zu wenige CDM-Maßnahmen genehmigt, weil das Gegenteil der Fall ist.
Ein privates Geschäft
Anfang der 2010er Jahre gab es viele Kritiker des Emissionshandels, die behaupteten, dass durch den CDM der Emissionshandel unbrauchbar geworden sei und deshalb abgeschafft werden sollte. Die Politik hat darauf reagiert. Zwar wurde nicht der Emissionshandel abgeschafft, aber faktisch der CDM. Zunächst wurde eine Quote eingeführt, dann das gesamte Instrument stillgelegt. Ein funktionierendes Nachfolgeinstrument gibt es nicht.
Stattdessen boomen nun die Kompensationsgeschäfte, bei denen die Überwachung und die Zertifizierung eine rein private Angelegenheit sind. Alle daran Beteiligten haben ein großes Interesse, dass möglichst hohe CO2-Einsparungen zertifiziert werden. Die Missbrauchsgefahr wächst dadurch.
Mit dem europäischen Emissionshandel, dem EU Emissions Trading System (ETS) haben diese privaten und freiwilligen Kompensationsgeschäfte nichts zu tun, auch wenn beides häufig in einem Atemzug genannt wird. Weil es dazu immer noch viele Missverständnisse gibt, sei kurz erklärt, wie dieses System funktioniert.
Der entscheidende Unterschied
Die Europäische Union legt fest, welche Emittenten in das Emissionshandelssystem fallen – zum Beispiel die Kraftwerke der Stromerzeuger – und bestimmt die europaweite Höchstmenge an CO2, die innerhalb dieses Sektors noch ausgestoßen werden darf. Über diese Menge werden Emissionsberechtigungen ausgestellt, und ein Emittent darf nur dann emittieren, wenn er im Besitz der entsprechenden Berechtigungen ist. Mit diesem ersten Schritt des ETS wird die CO2-Menge gesteuert und systematisch abgesenkt, denn jedes Jahr dürfen weniger Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen werden.
Um das Klimaziel zu erreichen, braucht man nur diese Mengenbegrenzung, ein Markt ist dafür nicht notwendig. Der kommt erst auf der zweiten Stufe des ETS ins Spiel, auf der es darum geht zu entscheiden, wo die CO2-Einsparungen durchzuführen sind, die man braucht, um unter der Höchstmenge zu bleiben. Emittenten mit geringen Vermeidungskosten treten auf diesem Markt als Anbieter auf und die mit hohen Kosten als Nachfrager. Im Ergebnis wird die Vermeidung dort durchgeführt, wo sie am wenigsten kostet.
Der freiwillige CO2-Markt und die dort gehandelten Kompensationszertifikate sind etwas anderes. Im ETS werden nur die Emissionsberechtigungen gehandelt, die die EU ausgegeben hat und die von der zuständigen Emissionshandelsstelle überwacht werden. Ein Kompensationszertifikat ist dagegen ein Stück Papier, auf dem ein Unternehmen versichert, auf Rechnung des Käufers CO2-Vermeidung in einem Entwicklungsland betrieben zu haben. Das ist kein Emissionshandel, wie er im ETS zum Einsatz kommt.
Zertifikatehandel ist ein Erfolg, Kompensation nicht
Denn der setzt voraus, dass eine Höchstmenge festgelegt wird, die nicht überschritten werden kann. Das führt dazu, dass jeder Emittent, der etwas von dem damit festgelegten Budget in Anspruch nimmt, die Kosten tragen muss, die an anderer Stelle anfallen, um seine Emission einzusparen. Er trägt diese Kosten, indem er einem anderen Emittenten die Emissionsrechte abkauft, der daraufhin die entsprechende Menge CO2 vermeiden muss.
Die Erfahrung der vergangenen 17 Jahre hat gezeigt, dass das ETS exzellent funktioniert. Es ist das weltweit erfolgreichste Instrument des Klimaschutzes. Wir müssen den Emissionshandel stärken und ausbauen – das ist die richtige Lehre aus allen Erfahrungen, über die wir verfügen. Das bedeutet konkret, dass wir weitere Sektoren integrieren müssen – vor allem Verkehr und Wärmemarkt – und dass wir weitere Länder, insbesondere Entwicklungsländer, integrieren müssen.
Das ist möglich, wenn wir es mit einer klugen Entwicklungspolitik verbinden. Innerhalb des Emissionshandels verschwindet das Problem, das weder beim CDM noch bei den Kompensationsgeschäften gelöst werden konnte: Eine Überprüfung der „Zusätzlichkeit“ ist bei vorgegebener Höchstmenge nicht notwendig.
Hinweis: Der Beitrag erschien am 30. Mai 2023 in Cicero.
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