Gastbeitrag:
Die Ökonomik ist keine zweite Physik
Zur Auseinandersetzung um das Fach Wirtschaftspolitik

Die Kontroverse, die um das Schicksal des Faches Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln entstanden ist, spiegelt eine Entwicklung wider, die in der Ökonomik seit langem im Gange ist, die sich aber in jüngerer Zeit durch die Etablierung standardisierter Beurteilungsverfahren, insbesondere bei Berufungen, beschleunigt hat. Wissenschaftliche Exzellenz bemisst sich danach fast ausschließlich nach Zahl und Rang der Veröffentlichungen in ausgewählten Zeitschriften, die nach ihrer Prominenz im Fach (gemessen an Zitationen) gewichtet werden. Solche Verfahren entlasten von der mühsameren inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Werk von Kandidaten und erlauben es, die Erstellung der für die Urteilsfindung notwendigen Daten an Hilfskräfte zu delegieren, die zur Nutzung entsprechender Internetdateien in der Lage sind. Für das Fach birgt ein solches Verfahren allerdings die Gefahr, einen sich selbst verstärkenden homogenisierenden Selektionsprozess in Gang zu setzen, der sich als verhängnisvoll erweisen mag. Dass die Ökonomik sich auf einem problematischen Entwicklungspfad befindet, war jedenfalls die These eines Artikels, der vor einigen Jahren in dem bekannten Monatsmagazin The New Yorker unter dem Titel „The Decline of Economics“ erschien. Die auf Recherchen an amerikanischen Universitäten und in ihrem Umfeld beruhende Diagnose des Autors, John Cassidy, war, dass die Profession sich aufgrund ihrer selbst gegebenen Qualitätskriterien mehr und mehr zu einem Zweig der angewandten Mathematik entwickle, gleichzeitig aber weniger und weniger Interesse bei den potentiellen Nachfragen ihrer Erkenntnisse finde, bei Studenten, die das Fach studieren möchten oder bei Verbandsvertretern und Politikern, die Rat in wirtschaftspolitischen Fragen suchen, und die den Bezug des wissenschaftlichen Ertrages, den das Fach zu bieten hat, zur Welt ihrer Erfahrung nicht mehr erkennen können.

Nun ist es zwar charakteristisch für jede Wissenschaft, dass sie ihren Gegenstand in mehr oder minder großer Distanz zum Alltagsverständnis behandelt, doch bleiben die Erklärungsfragen und praktischen Probleme, die aus ihrer Umwelt an sie herangetragen werden, ein wesentlicher Referenzpunkt für ihre Erkenntnisleistung. Die analytischen Konstrukte der theoretischen Physik sind Nicht-Fachleuten gänzlich unzugänglich, doch tut dies der allgemeinen Einschätzung keinen Abbruch, dass die Physik mit diesen Konstrukten dazu beiträgt, erfahrungsweltliche Erklärungsfragen zu beantworten und praktische Probleme zu lösen. Nun scheint es, wie der Theoriegeschichtler Philip Mirowski vermutet, gerade der die Ökonomen seit Walras plagende ‚Physik-Neid‘ zu sein, der das Fach auf jene Entwicklungsbahn brachte, die den Anlass zur Diagnose vom ‚Decline of Economics‘ gegeben hat. In ihrem Bestreben, den wissenschaftlichen Rang der exakten Naturwissenschaften zu erreichen, haben Ökonomen, so Mirowski, lediglich gewisse Attribute der Physik – insbesondere die formal-mathematische Sprache – imitiert, und dabei übersehen, dass es nicht diese formalen Attribute per se sind, die den wissenschaftlichen Rang der Physik begründen, sondern der Beitrag, den sie zur Lösung realweltlicher Erkenntnis- und Praxis-Probleme zu leisten vermag.

Die moderne Ökonomik ist in Gefahr, über ihre Fixierung auf die Werkzeuge – mathematische Modelle und ökonometrische Analysetechniken – , mit denen sie Erkenntnisse zu produzieren hofft, das Gespür dafür zu verlieren, ob das, was sie zu sagen hat, einen Beitrag zur Beantwortung von Fragen und zur Lösung von Problemen leisten kann, die jenseits des Kreises der unmittelbaren Fachkollegen Interesse finden. Dort, wo der formale Modellierungs- und ökonometrische Aufwand, den ihre Repräsentanten treiben, in einem angemessenen Verhältnis zum dadurch gewonnenen realweltlichen Erkenntnisgewinn steht, gibt es keinen Grund zur Kritik. Das Problem liegt in der allzu häufigen Verkehrung der Prioritäten, darin, dass der wissenschaftliche Wert von Beiträgen weniger an ihrer inhaltlichen Aussagekraft als vielmehr an dem formalen Aufwand gemessen wird, mit dem sie präsentiert werden.

Was Wissenschaften vor selbst-referentiellem Leerlauf wirksam zu schützen vermag, sind ihre angewandten Zweige, in denen sie vor der Notwendigkeit stehen, den Erkenntniswert ihrer Konstrukte am Beitrag zur Lösung realweltlicher Probleme zu testen. In der Ökonomik, und damit komme ich zum Ausgangspunkt zurück, gehört die Theorie der Wirtschaftspolitik seit jeher zu den wichtigsten Bereichen, in denen sich das Fach als angewandte Wissenschaft bewähren muss. In der Auseinandersetzung mit der realweltlichen Wirtschaftspolitik wird die Versuchung wirksam diszipliniert, sich in formal bestechender Eleganz in selbst-definierten Kunstwelten zu bewegen, kann man hier doch nicht umhin, sich mit den realen institutionellen und sonstigen Rahmenbedingungen und mit den realen menschlichen Handlungsantrieben zu beschäftigen, die die marktlichen und politischen Prozesse unserer Lebenswelt bestimmen.

Die Herausforderung, die ihre Anwendung im Bereich der Wirtschaftspolitik bereithält, könnte auch die Einsicht befördern, dass die Ökonomik – um eine Redewendung zu benutzen, die der Evolutionsbiologe Hans Mayr auf die Biologie gemünzt hat – „keine zweite Physik“ ist, sondern dass sie es, wie andere Lebenswissenschaften, mit komplexen offenen Systemen zu tun hat, deren Verhalten weit eher der kreativen Dynamik evolutorischer Prozesse entspricht als den Wirkungsmechanismen in geschlossenen Systemen, mit denen sich die klassische Physik beschäftigt hat. Zur paradigmatischen Bedeutung, die ihre Beschäftigung mit komplexen Phänomenen für die Erklärungs- und Prognoseansprüche der Ökonomik hat, lassen sich in Hayeks Kommentaren zu ‚Erklärungen des Prinzips‘ und ‚Mustervoraussagen‘ aufschlussreiche Überlegungen finden.

Als Adam Smith die von ihm vertretene politische Ökonomie als die ‚Wissenschaft von der Gesetzgebung‘ bezeichnete, hatte er ein Gespür für den Zusammenhang zwischen der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes und den Grenzen der wissenschaftlichen Aussagen, die darüber gemacht werden können. Bei komplexen offenen Systemen, für die Marktwirtschaften ein Musterbeispiel sind, kann man – im Sinne von Erklärungen des Prinzips oder von Mustervoraussagen – einiges über die allgemeinen Auswirkungen systematischer Änderungen in den Rahmenbedingungen sagen, unter denen sie funktionieren, aber unsere Möglichkeiten sind eng begrenzt, die konkreten Auswirkungen spezifischer Eingriffe voraus zu sagen. Dies ist der entscheidende Grund, weshalb der Theorie der Ordnungspolitik im Rahmen der Wirtschaftspolitik besondere Bedeutung zukommt als der Teildisziplin, die sich im Sinne der Smithschen ‚Wissenschaft von der Gesetzgebung‘ mit den Steuerungswirkungen befasst, die Änderungen in den institutionellen Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsprozess entfalten. Gerade die Theorie der Ordnungspolitik, die zu den spezifischen Errungenschaften der deutschen Wirtschaftswissenschaft zählt, wird aber im Zuge der Verdrängung der Wirtschaftspolitik in besonderem Maße durch den oben angesprochenen homogenisierenden Sog der Mainstream-Ökonomik marginalisiert.

In der Evolutionsbiologie gibt es den Begriff der ‚vicarious selection‘, der ’stellvertretenden Auswahl‘. Damit ist gemeint, dass in Subsystemen, die sich im Rahmen einer wettbewerblichen Umwelt behaupten müssen, Selektionsmechanismen existieren, die die systeminternen Prozesse so steuern, dass die Überlebensfähigkeit des Systems in seiner Umwelt gefördert wird. Auch die Ökonomik ist als wissenschaftliche Disziplin ein Subsystem in einer umfassenderen wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umwelt, und ihre Erfolgschancen hängen davon ab, dass intern Selektionsmechanismen wirken, die ihre Fähigkeit zur Behauptung im Wettbewerb um öffentliche Anerkennung und Förderung stärken. Die im sich im Fach verfestigenden, standardisierten Selektionsmechanismen bergen die Gefahr in sich, eine perverse Selektionswirkung in dem Sinne zu entfalten, dass sie intern einseitig Entwicklungen prämieren, die die Fähigkeit der Disziplin, sich in ihrer Umwelt, von deren Anerkennung und Ressourcenzufuhr sie abhängt, zu behaupten, mehr und mehr untergräbt. Dies ist die Gefahr, auf die Cassidys Artikel „The Decline of Economics“ aufmerksam gemacht hat.

Literatur

Cassidy, John (1996): „The Decline of Economics“, The New Yorker (2. Dez.), 50-60 (erhältlich: hier).

Mirowski, Philip (1994): More Heat than Light, Cambridge.

Vanberg, Viktor (2006): „Der Markt als kreativer Prozess: Die Ökonomik ist keine zweite Physik“, in: G. Abel (Hrsg.), Kreativität, XX. Deutscher Kongress für Philosophie, Kolloquienbeiträge, Berlin, 1101-1128.

11 Antworten auf „Gastbeitrag:
Die Ökonomik ist keine zweite Physik
Zur Auseinandersetzung um das Fach Wirtschaftspolitik

  1. Sehr geehrter Prof. Vanberg

    1.) Gerade formalistisch geschulte Ökonomen spielen eine große Rolle in der Politikberatung (vor allem in den USA), deshalb ist diese These falsch:

    „…die Profession (…) weniger und weniger Interesse bei den potentiellen Nachfragen ihrer Erkenntnisse finde, (…) bei Verbandsvertretern und Politikern, die Rat in wirtschaftspolitischen Fragen suchen, …“

    Schauen sie sich alleine die letzten vier Vorsitzenden des Council of Economic Advisers an:
    Greg Mankiw, Ben Bernake, Edward Lazear, Christina Romer. Außerdem ist Larry Summer, Neffe des Godfather des Formalismus Paul Samuelson, der wohl wichtigste ökonomische Berater des neuen Präsidenten Obama.

    Auch Cassidy liegt falsch, wenn er behauptet: „…Today, even the most eminent economists are largely unknown outside their field…“

    Es gibt zumindest einen Ökonomen, der (aus welchen Gründen auch immer) mittlerweile auch bei Nicht-Ökonomen bekannt ist – der Nobelpreisgewinner Paul Krugman, der nebenbei ein großer Fan der fromalen Methodik ist (s.u.).

    Vielleicht suchen die Politiker und Verbandsvertreter nur den Rat einer bestimmten Kategorie von Ökonomen, die Mankiw (2006) als Ingeneure bezeichnet.

    2.) Grunsätzlich scheinen sie ja aber auch überhaupt kein Problem mit formalen Modellen zu haben (warum dann dieser Aufsatz, frag ich mich):

    „Dort, wo der formale Modellierungs- und ökonometrische Aufwand, den ihre Repräsentanten treiben, in einem angemessenen Verhältnis zum dadurch gewonnenen realweltlichen Erkenntnisgewinn steht, gibt es keinen Grund zur Kritik.“

    Allerdings schreiben sie:

    „In ihrem Bestreben, den wissenschaftlichen Rang der exakten Naturwissenschaften zu erreichen, haben Ökonomen, so Mirowski, lediglich gewisse Attribute der Physik – insbesondere die formal-mathematische Sprache – imitiert, und dabei übersehen, dass es nicht diese formalen Attribute per se sind, die den wissenschaftlichen Rang der Physik begründen, sondern der Beitrag, den sie zur Lösung realweltlicher Erkenntnis- und Praxis-Probleme zu leisten vermag.“

    Krugman (1998) schreibt:

    „I have not done this exercise, but I would guess that if one took the 100 economists most cited in the Social Science Citation Index and summarized the nature of their work, it would turnout to be mostly focussed either on real-world problems, or on techniques that other economists have found very useful in addressing real-world problems. So where does the picture of economists as a tribe engaged in pointless, abstract mathematical games come from? (…)

    McCloskey (1997) has recently make an eloquent appeal for a return to a „Marshallian“ style of economic discourse: a style based on verbal, intuitive exposition rather than formal modeling. Marshall (quoted in Sills and Merton 1991, p. 151) himself, of course, famously described his method:

    „(1) Use mathematics as a shorthand language, rather than as an engine of inquiry. (2) Keep to them till you have done. (3) Translate into English. (4) Then illustrate by examples that are important in real life. (5) Burn the mathematics. (6) If you can’t succeed in 4, burn 3.“

    Was he right?

    Here, then, is a revised version of Marshall’s rules:
    (1) Figure out what you think about an issue, working back and forth among verbal intuition, evidence, and as much math as you need. (2) Stay with it till you are done. (3) Publish the intuition, the math, and the evidence – all three – in an economics journal. (4) But also try to find a way of expressing the idea without the formal apparatus. (5) If you can, publish that where it can do the world some good.“

    3.) Warum sollte eine Universität sich nicht ein eigenes unverkennbares Profil geben. In diesem Fall weiß der Abiturient in Freiburg steht die Ordnungspolitik an erster Stelle, in Frankfurt konzentriert sich das gebündelte Wissen der Finanzwelt, an einem anderen Standort werden alle Fragen der Umweltökonomie groß geschrieben, anderswo sind die besten Spieltheoretiker am Werk, während in Köln seit neuestem die Makroökonomie eine bedeutende Rolle spielt.

    Im Grunde wäre das eine richtige Entwicklung hin zu Kernkompetenzen und weg von einer all zu breit aufgestellten „Produktpalette“. Falls es dem Kunden (Studenten) an einem Standort nicht gefällt, steht es ihm frei nach dem Bachelor zu wechseln. Oder anders ausgedrückt, die Universitäten sehen sich einem Zielkonflikt zwischen dem Vorteil einer umfassend angelegten Lehre und dem Vorteil der Spezialisierung gegenüber – Ich plädiere (in der Tradition von A. Smith) für Spezialisierung.

    Mit freundlichen Grüßen

    Knut

    Krugman, P.R. (1998): “Two Cheers for Formalism“, The Economic Journal, 108(451), pp 1829-1836.

    Mankiw, G. N. (2006): “The Macroeconomist as Scientist and Engineer“, NBER Working Paper 12349.

  2. Nur zu einem Punkt von Knut:
    „1.) Gerade formalistisch geschulte Ökonomen spielen eine große Rolle in der Politikberatung (vor allem in den USA), deshalb ist diese These falsch:“

    Genau das ist ja ein Problem. Ich weiß nicht wieviele „Praktiker“ es gibt aber so wie es sich „anfühlt“ sind es viel zu Wenige….

  3. Ein kleiner Hinweis:

    In der kommenden Montagsausgabe der F.A.Z. erscheint ein unter anderem von Herrn Uhlig (Universität Chicago) verfasster Beitrag, der eine volle Breitseite gegen die deutsche Ordnungsökonomik darstellt. Er ist keine direkte Reaktion auf Viktor Vanbergs Beitrag in diesem Blog (der Artikel lag schon vorher vor), behandelt aber die von Herrn Vanberg behandelten Themen ebenso wie die von den Herren Willgerodt und Watrin geäußerte Kritik an einem geplanten Maro-Schwerpunkt an der Uni Köln.

    Zugespitzt schreiben Uhlig & Co.: Wissenschaftlicher Fortschritt entstehe durch konkrete und kontrovers diskutierte Arbeit an aktuellen Theorien. Dies leiste die quantitative Ökonomik. Die deutsche Ordnungsökonomik betreibe Heiligenverehrung (Eucken, Müller-Armack…), biete aber keine aktuelle relevante Forschungsleistung und sei deswegen irrelevant.

    Ein konkreter Punkt: Uhlig & Co.nehmen zur Kenntnis, dass seit Ausbruch der Krise deutsche Ordnungsökonomen das Versagen der Fed und der amerikanischen Förderpolitik des Immobilienmarktes anprangern. Sie stellen die Frage, ob ein Ordnungsökonom vor der Krise ein wissenschaftliches Papier verfasst habe, in dem auf die kommende Krise hingewiesen wurde (Das würde mich im übrigen auch interessieren. Für Quellenhinweise wäre ich dankbar.)

    Im Anschluss an ihre Breitseite laden Uhlig und sein Co-Autor die deutschen Ordnungsökonomen ein, auf ihre Kritik zu antworten und sie vom Gegenteil zu überzeugen. Bin mal gespannt, ob jemand in die Bütt steigt…

  4. @ Friedrich

    „Genau das ist ja ein Problem. Ich weiß nicht wie viele “Praktiker“ es gibt aber so wie es sich “anfühlt“ sind es viel zu Wenige….“

    Michael Glos war doch einer von den von ihnen (anscheinend) verehrten Praktikern und der ist z. T. auch daran gescheitert, dass er „nur“ ein Müllermeister/Politiker ist.

    Er hat in seinem Leben einfach zu wenig über Ordnungspolitik, Mikro- und Makroökonomie gelesen, um auch nur annähernd mit der Finanzkrise schritt halten zu können (das Gegenbeispiel ist doch der ausgebildete Volkswirt Peer Steinbrück. Man mag nicht alles gut finden, was der Mann so von sich gibt, allerdings kann er die Thematik sicherlich besser überschauen, als viele eher juristisch geschulte Politiker, oder auch so mancher Praktiker).

    Aber natürlich haben Praktiker in manchen Bereichen eine bessere Intuition, oder auch die besseren Erfahrungen (spüren so auch Fehler im Theoriegebäude auf). Ich denke aber, dass wir nicht in die Philosophie-, bzw. Theoriegeschichte einsteigen müssen, um zu belegen, dass beide – die Praktiker, aber auch die Theoretiker – ihre Daseinsberechtigung haben – alleine dadurch, dass die reale Welt der Intuition gelegentlich zu wider läuft (die Erde ist rund und keine Scheibe).

    Mit freundlichen Grüßen

    Knut

  5. Die Physik ist immerhin eine empirische Wissenschaft. Ich wäre ja heilfroh, wenn die meisten Ökonomen der Physik nacheifern würden. Dann wären sie zumindest bemüht, Kausalhypothesen aufzustellen und zu testen. Das Problem ist doch, dass immer mehr Ökonomen lediglich logische Transformationen anbieten. Vorne stecken sie ihre nicht empirisch überprüften Annahmen hinein, und hinten kommen dann die entsprechenden Schlussfolgerungen heraus, die ebenfalls nicht getestet werden. Alle „Ergebnisse“ sind bereits in den Annahmen enthalten. Dagegen ist die ökonometrische Analyse ja ein Segen – besonders wenn sie Hypothesen über die Wirkung wirtschaftspolitischer Instrumente und Institutionen testet. Es gibt aber auch außerst wichtige Dinge, die man nicht genau messen kann. In diesem Bereich operiert die Ordnungsökonomik. Zum Beispiel die Verfassungsökonomik hat in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Davon wissen unsere Schmalspurökonomen überhaupt nichts.
    Roland Vaubel

  6. Das Thema ist in der deutschen Ökonomik mindestens 150 Jahre alt und offenbar wirkt diese Geschichte unbewusst immer noch nach. Man hat wirklich den Eindruck, hier würden alte Schlachten neu geschlagen, während die Welt sich anderswo weiterentwickelt.

    Gehen wir nur 100 Jahre zurück. Damals hatte die Historische Schule mit Schmoller, Brentano, Sombart (der aber ein Solitär war) etc dominiert. Die Historische Schule hatte es dank der engen Beziehungen Schmollers zur Preußischen Regierung (Althoff) verstanden, dafür zu sorgen, dass Lehrstühle in Deutschland mit ihren eigenen Leuten besetzt wurden. Dass die Historische Schule theoriefrei war, wird man heute nicht mehr behaupten (da existiert eine Menge moderner Literatur, nicht zuletzt aus dem Metropolis-Verlag), aber sie betrieb keine formale Theorie. Nun war es ja nicht so, dass im deutschen Sprachraum keine Leute vertreten waren, die irgendwo formale Theorie betrieben hatten (auch wenn sie überwiegend verbal ausgedrückt war), man denke an von Thünen, Gossen, Launhardt, Auspitz/Lieben und dann an die Wiener. Leute dieser Denkungsart mussten aber von deutschen Lehrstühlen ferngehalten werden. Schumpeter wurde noch 1930 die Sombart-Nachfolge in Berlin versagt, weil er ein theoretischer Ökonom war. Den Lehrstuhl bekam Emil Lederer, der auch kein unbedeutender Mann war, aber er musste Deutschland nach 1933 verlassen.

    Nach dem Ersten Weltkrieg meldete die Historische Schule bankrott an und dann gab es formal arbeitende Ökonomen nicht nur in Wien, sondern auch in Kiel (Löwe und andere). Dieses Intermezzo beendete das Jahr 1933. Dann gab es zwar noch von Stackelberg, aber der war ja wohl eine Ausnahme.

    Eucken hat sein theoretisches Werk von 1940 als Abkehr von der Historischen Schule bezeichnet, aber diese Interpretation wurde ihm schon damals in einer Rezension von Stackelbergs um die Ohren gehauen (Stackelberg wies überzeugend auf viele Parallelen zwischen Eucken und Sombart hin, während Eucken gerade Sombart als Feindbild aufgebaut hatte), und moderne Autoren wie Peukert und Goldschmidt weisen auf die Verbindungen zwischen der Historischen Schule und dem Ordoliberalismus hin.

    Bertram Schefold hat in einem höchst interessanten Artikel über die Entwicklung des Theoretischen Ausschusses des Vereins für Sozialpolitik beschrieben, wie in den fünfziger Jahren damals junge Ökonomen wie Herbert Giersch und Rudolf Richter über den ihres Erachtens untheoretischen Charakter des Ordoliberalismus spotteten und lieber harte ökonomische Theorie machen wollten. Harte ökonomische Theorie war damals der sich entfaltende Keynesianismus.

    Muss man diese uralten Schlachten im Jahre 2009 immer noch schlagen wollen? Nehmen wir doch einmal drei deutschsprachige Ökonomen, von denen man gewiss sagen kann, dass sie bei aller Unterschiedlichkeit in ihren Fachgebieten intenationales Ansehen genießen, und die breite Bildung mit der Fähigkeit zu harter Theorie verbinden: Martin Hellwig, Bertram Schefold und Carl-Christian von Weizsäcker.

    Ohne mit einem der dreien darüber gesprochen zu haben: Glaubt irgend jemand, dass man solche hervorragenden Ökonomen in einen Glaubenskrieg über den Sinn oder Unsinn moderner Theorie verwickeln könnte? Das würde mich sehr wundern. Es ist kein Zufall, dass sich Schefold (schon 1981) und von Weizsäcker (2005) für eine Synthese von Liberalismus und Keynes ausgesprochen haben. Das geht aber nur, wenn man keine ideologischen Scheuklappen besitzt und Verständnis dafür wird man vielleicht gerade in diesem Blog nicht erwarten können…aber wäre es nicht einen ernstgemeinten Versuch wert?

  7. Viel wäre für diese leidige Diskussion gewonnen, wenn man einmal den Gegenstand etwas präziser fassen würde: geht es wirklich um den Sinn und Unsinn „moderner Theorie“? Oder nicht doch eher um den Sinn und Unsinn einer ganz *bestimmten* Art von Theorie, nämlich einer, die sich auf die Konzepte von Gleichgewicht und Optimierung beschränkt? Die Debatte darüber ist eben keineswegs von gestern, sondern es geht dabei um die zukünftige Ausrichtung der Ökonomik. Die entsprechenden Diskussionen drehen sich zwar keineswegs in erster Linie um den Wert mathematischer Methoden, aber schon um die Gefahr, daß eine bestimmte Art von Methodenfetischismus die Disziplin auf Abwege führen könnte. Und es beteiligen sich daran (neben Herrn Vanberg) „unorthodoxe“ Leute wie Amartya Sen, Vernon Smith, Robert Sugden, Daniel Kahneman, Richard Thaler, Geoff Hodgson, Douglass North, Ronald Coase, usw. Immerhin, einige Nobelpreisträger, was zur Hoffnung Anlaß gibt. Nur eben mal wieder (mit der Ausnahme Herrn Vanbergs) praktisch keine deutschen Ordnungsökonomen.
    Also: Das Gespenst der Historischen Schule hervorzuholen, bringt hier nicht viel Erkenntnisgewinn. Und Kritik an neoklassischer Gleichgewichts-Fixierung bedeutet noch nicht Blindheit gegenüber den Vorzügen formaler Modelle insgesamt.

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