Im Handelsblatt vom 24. März fordert Frank Wiebe bereits in der Überschrift seines Essays die Leser auf, den Kapitalismus neu zu definieren. Man ahnt schnell, was kommt, wenn ein Beitrag so beginnt. Und tatsächlich: Die Marktwirtschaft erscheint, wie so oft, als eine Maschine, die von gewieften Sozialingenieuren stets geschickt justiert werden muß, um die gewünschten Ergebnisse zu liefern. Man kann in Wiebes Essay ein Lehrbuchbeispiel dafür sehen, wie eine Generalvollmacht zum fröhlichen Interventionismus formuliert werden muß. Auf der einen Seite versucht er, den Glauben zu stärken, die Marktwirtschaft sei ein System, das man auf bestimmte, aus welchen Gründen auch immer gewünschte Resultate präzise hinsteuern kann. Auf der anderen Seite gilt: Was der Staat will, das kann er auch. Und selbstverständlich ist der Staat ein zuverlässiges Instrument, mit dem als sinnvoll Erkanntes problemlos durchgesetzt werden kann. Von den Restriktionen und Problemen des politischen Systems gilt es zu vollständig abstrahieren, sonst gerät die Steuerungsutopie in ernste Gefahr.
Was soll der Staat nun wollen, wenn es nach dem hier besprochenen Essay geht? Zunächst soll alles irgendwie im Gleichgewicht sein. Wettbewerbsfähigkeit sei zwar wichtig, aber so viel Wettbewerbsfähigkeit, daß man über längere Phasen Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaftet, sollte die Politik dann doch nicht zulassen. Die Konsumenten brauchen Kaufkraft, und dafür sollte die Politik auch intervenieren, aber bitte dann doch nicht so heftig wie früher in Italien. Wenn die Politik einen definitorischen Salto schlägt und die Stabilität der Finanzmärkte zum öffentlichen Gut erklärt, dann macht Wiebe diesen Salto gerne mit, anstatt ihn kritisch zu hinterfragen. Bei all dem Staatsvertrauen ist es kein Wunder, daß staatliche Organisation auch noch als „die einzige stabile Institution der Moderne“ gefeiert wird. Wie muß man diese Aussage eigentlich geographisch beschränken, und wie spät muß man den Beginn der Moderne festlegen, damit das Statement tatsächlich zutrifft?
Daß der intervenierende Staat in der Praxis eher selten eine Quelle von Stabilität ist, zeigt er immer wieder gerade dann, wenn er seine große Stunde haben könnte. Etwa in den USA vor einigen Jahren, als er der sich bildenden Immobilienblase nicht etwa die Luft nahm, sondern vielmehr Freddie Mac und Fannie Mae zu einer großzügigeren Hypothekenfinanzierung ermunterte. Oder vor gar nicht so langer Zeit in Deutschland, als noch eine ganze Zeit nach dem Platzen der Internetblase öffentliche Fördergelder an obskure Startups flossen. Sollte es also nicht endlich allgemein bekannt sein, daß Wirtschaftspolitik nicht funktionieren kann, wenn sie auf überlegenes Regulierungswissen staatlicher Stellen setzt, und auf Philosphenkönige, die Marktergebnisse im Detail manipulieren sollen? Kluge, stabile Regeln setzen und den Rest ergebnisoffen der Selbstorganisation freier Marktteilnehmer überlassen — wäre das nicht einmal einen Versuch wert?
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Die NZZ auf einem Irrweg zu höherer Staatsverschuldung - 21. Oktober 2024 - Wie steht es um den Bundeshaushalt 2025 – und darüber hinaus? - 19. September 2024
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Das ist ihre Antwort? Fanni und Freddi sind Schuld – Wir hätten den Markt machen lassen sollen…
Ich bin auf Ihrer Seite, wenn sie sagen, dass die Idee, die hinter Fanni Mae und Freddi Mac stand, nicht gerade die beste war. Aber daraus gleich eine/oder die Hauptursachen für die momentane Krise abzuleiten zu wollen, greift zu kurz.
Richtig ist, dass Fanni und Freddi tief im Subprime Geschäft mit drin steckten und auch die Konditionen für die Kreditvergabe gelockert haben. Allerdings: erst nachdem der „freie Markt“ sich in diesem Bereich gewaltig ausgedehnt hat und alle anderen Marktteilnehmer ebenfalls die Konditionen gelockert hatten. Freddi und Fanni haben demnach (zu letzt) einfach nur auf externe Marktkräfte reagiert (und damit die ganze Sache verschlimmert – aber nicht verursacht).
Um den ganzen Schlammassel zu verstehen, müssen wir wissen, woher diese „übertriebenen“ Marktkräfte kamen – bzw. warum die anderen Marktteilnehmer (ohne Freddi und Fanni) bereit waren soviel zusätzliche Risiken auf sich zu nehmen.
Ich denke eine denkbare Hauptursache war die Kombination einer zu lockeren Geldpolitik nach 2000 unter Greenspan, zusammen mit den schlechten (auch zu lockeren) Rahmenbedingungen im Finanzsektor, m.a.W. die Greenspan-Doktrin – also: Deregulierung der Finanzmärkte, die Geldpolitik macht das schon und spekulative Blasen spielen keine Rolle – ist gescheitert (allerdings ist auch zu hinterfragen, inwieweit die Geldpolitik, also das Herabsenken der kurzfristigen Zinsen, überhaupt einen Einfluss hat auf solche langfristigen Entscheidungen – vgl. Shiller, 2007: 11)
Mit freundlichen Grüßen
Knut
Eine ausführlichere Diskussion (Cafe Hayek, Mark Thoma, P. Krugman) über das Thema:
http://economistsview.typepad.com/economistsview/2008/09/once-again-it-w.html
Shiller, Robert J. (2007): “Understanding Recent Trends in House Prices and Home Ownership“, NBER Working Paper No. 13553.
http://www.macromarkets.com/about_us/publications/real_estate/shiller_jacksonhole.pdf
Das ist meine Antwort auf die Regulierungsutopie von Herrn Wiebe, nicht auf die Frage, was die Subprime-Krise ausgelöst hat. *Diese* Antwort würde mehr als drei Abschnitte erfordern.
Ich betrachte es nicht als meine Aufgabe, den Artikel des Kollegen Wiebe ausführlich zu diskutieren, aber der Fairness halber sei erwähnt, dass jeder unvoreingenommene Leser zu dem Schluss kommen wird, dass Jan Schnellenbach einen anderen Artikel als den im Handelsblatt veröffentlichten hier kommentiert hat. Weder ist dort von einer „Regulierungsutopie“ die Rede noch von einer „Generalvollmacht zum fröhlichen Interventionismus“. Wiebe betont, dass sich Markt und Staat gegenseitig bedingen – was man mindestens schon bei Eucken findet. Er erwähnt auch die Schwächen, die Staatshandeln haben kann. Konkret spricht er sich für eine aktivere Verteilungspolitik aus, die man nicht unterstützen muss (was ich auch nicht unbedingt tun würde). Ansonsten will er so viel im Detail gar nicht manipulieren.
Mir geht es aber weniger um den konkreten Artikel von Wiebe oder die konkrete Antwort von Schnellenbach, sondern um ein Phänomen, das sich in der Ideengeschichte mehrfach wiederholt hat und eine Falle darstellt, in die die Liberalen meines Erachtens zu fallen drohen. Sie meinen, es reicht, wenn man auf jene Kritiker einschlägt, die in der aktuellen Krise die totale Weisheit liberaler Lehren attackieren. Das kann man natürlich tun, aber die historischen Erfahrungen lehren etwas anderes: Wenn der Liberalismus sich nicht selbst kritisch hinterfragt, läuft er Gefahr, mehr Boden zu verlieren als für uns alle gut ist. Davon ist bisher allerdings wenig zu sehen. Eine vortreffliche wissenschaftliche Lektüre für das, was ich nachfolgend eher journalistisch ausführe, bietet Harry G. Johnsons berühmter Aufsatz „The Keynesian Revolution and the Monetarist Counter-Revolution“, aus dem man sehr viel lernen kann.
1. Das erste Beispiel: Die Weltwirtschaftskrise
Die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre wurde damals in der Öffentlichkeit und auch von vielen Ökonomen als ein Versagen des Liberalismus angesehen. Ob das so war, ist umstritten (Liberale sehen das anders), aber entscheidend ist, dass der allgemeine Eindruck so war. Die Reaktion war Keynes. Die Liberalen haben auf Keynes und später die Keynesianer eingeschlagen, zum Teil durchaus mit guten Gründen, aber das hat ihnen lange wenig genützt. Die bisher herrschende, aber diskreditierte Lehre gewinnt nichts dadurch, dass sie den Newcomer prügelt (auch wenn da vieles gar nicht so neu war).
Die Liberalen haben es dann verstanden, sich zu hinterfragen. Das geschah auf der Pariser Konferenz Ende der dreißiger Jahre, auf der der Neoliberalismus durchaus in Abgrenzung zum alten Liberalismus angedacht wurde und der etwa in Gestalt des deutschen Ordoliberalismus eine Alternative zu Keynes bildete. Sehr viel einflussreicher war der neue Liberalismus in Gestalt Milton Friedmans, der auch die Kirche im Dorf ließ und zum Beispiel am staatlichen Geldmonopol fest hielt im Unterschied zu Mises und Hayek.
2. Die monetaristische Gegenrevolution
Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre galt der Keynesianismus als gescheitert, weil er (scheinbar oder tatsächlich) mit dem Inflationsproblem nichts anfangen konnte. Das war die Stunde Friedmans. Nun schlugen die Keynesianer als herrschende, aber diskreditierte Lehre auf den Monetarismus ein. Zum Teil wieder mit guten Gründen, aber das änderte nichts daran, dass sich der liberal gefärbte Monetarismus durchsetzte. Von da an besaß der Keynesianismus nur eine Chance: Er musste sich neu definieren und das hat er ja auch getan. Der Keynesianismus hat der Feinsteuerung abgeschworen und akzeptiert, dass Finanzpolitik weniger effizient ist, als man einmal dachte. Und wenn er – in nicht mehr mit Keynes verbundener Form – die Makrolehrbücher dominiert, ist der Keynesianismus in der Realität doch nicht mehr als Krisenökonomie – als solche aber vielleicht nicht ganz absurd.
3. Die aktuelle Krise
Jetzt schlägt das Pendel wieder einmal zurück. Der Liberalismus steht (zu Recht oder zu Unrecht) unter Beschuss und wieder ist das alte Muster zu sehen: Er haut wüst auf seine Gegner ein, wiederum zum Teil mit guten Gründen. Aber das wird den Liberalen nichts helfen. Sie werden erst dann wieder Oberwasser bekommen, wenn sie sich selbst hinterfragen und ihre Lehren revitalisieren.
Wie eine solche Revitalisierung aussehen könnte, wäre ein spannendes und nützliches Forschungsprogramm. Mit ihm könnte man vielleicht auch gegen die herrschende quantitative Ökonomik antreten. Nur – davon ist bisher überhaupt nichts zu sehen (aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen). Der 300. Artikel: „Die Interventionisten und Keynesianer sind blöde und haben nichts kapiert“ schreibt sich leicht herunter und, offen gesagt, erfordert auch keine große intellektuelle Anstrengung. All diese Artikel, auch hier in diesem Blog, sind nach einem Muster geschrieben wie in einer Endlosschleife. Aber das führt zu rein gar nichts. Nach meiner bescheidenen Einschätzung ist eines gewiss: Jedes simple digitale Denken nach dem Muster „Der gute Markt oder der böse Staat“ wird den Liberalismus eher ins Museum als in die Zukunft führen. Da haben Uhlig & Co. in ihrem F.A.Z.-Artikel recht: Die Welt ist weder schwarz noch weiß.
Herr Braunberger,
Ihr Kollege vom Handelsblatt macht all die Fehler, die Leute machen, die zu wenig politische Ökonomik gelesen haben. Seinem Artikel liegt ganz klar die Vorstellung zugrunde, es sei Aufgabe des Staates, beispielsweise so etwas wie einen optimalen Grad relativer Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Ich zitiere mal:
„Somit wäre in einem gigantischen Experiment nachgewiesen, dass Basis eines nachhaltigen Kapitalismus eine ausgeglichene Verteilung ist: Verteilung von Wettbewerbsstärke und Kaufkraft.“
Eine ausgeglichene Verteilung der relativen Wettbewerbsstärke von Ländern? Schwierig genug, sowas zu definieren. Wiebe macht es an Exportüberschüssen fest. Und der Staat soll dafür sorgen, daß es zu einer solchen ausgeglichenen Verteilung kommt. Wenn das keine Steuerungsutopie ist, was dann?
Ähnlich bei der Verteilungspolitik:
„Der Kapitalismus braucht also eine vernünftige Einkommensverteilung innerhalb der einzelnen Volkswirtschaften wie auch international.“
Von vernünftiger Einkommensverteilung zu reden, das ist „soziale Gerechtigkeit“ auf Stelzen. Funktioniert aber genauso: Niemand kann genau definieren, was eine vernünftige Sekundärverteilung ist, also gilt im Zweifelsfall: Lieber etwas mehr umverteilen. Nichts gegen einen Sozialstaat mit Versicherungsfunktion, aber das, was dort beim Handelsblatt gefordert wird, ist etwas völlig anderes.
So, nun soll der Staat also schon ein – wie auch immer definiertes – optimales Verteilungsziel durchsetzen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit optimal anpassen. Und das ist keine Steuerungsutopie?
Falls Sie sie nicht sehen, empfehle ich mal ein Wochenende mit Persson/Tabellini, Political Economics, MIT Press, 2000.
Nochmal bezogen auf den Kommentar von Herrn Braunberger:
Ich glaube übrigens, daß wir die politische und die methodologische Ebene strikt trennen sollten. Beim Konflikt, der in der FAZ derzeit zwischen Ordnungsökonomen und den Quantitativen ausgetragen wird, geht es nicht um Wirtschaftspolitik, sondern um Methoden. Soweit ich z.B. Harald Uhligs Blog verfolgt habe und seine Papiere kenne, kommt er in der aktuellen Krise zu einer ähnlich skeptischen Bewertung aktiver Fiskalpolitik wie die meisten Autoren hier.
Der Konflikt zwischen Ordnungsökonomen und Quantitativen ist überhaupt nicht deckungsgleich mit dem Konflikt zwischen Liberalen und Interventionisten. Das Buch, das ich Ihnen oben empfohlen habe, ist durch und durch quantitativ, untermauert aber, indem es die Imperfektionen des politischen Prozesses ökonomisch durchleuchtet, zahlreiche ordnungsökonomische Positionen. Vor allem die Skepsis gegenüber den Steuerungskapazitäten des Staates.
Niemand der etwas Ahnung von Ökonomie hat, will ein irgendetwas wie ein „gigantisches Umverteilungsprogramm“ zwischen den Ländern anstrengen, oder ihre unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeiten einebnen (wer an so etwas glaubt, der sollte einmal ein Lehrbuch der Außenwirtschaftstheorie zur Hand nehmen).
Aber es ist doch klar worauf die meisten Kommentatoren hinaus wollen: Wir brauchen einen internationalen Ordnungsrahmen des Kapitalismus, ohne dabei die Dynamik des Systems zu zerstören (ein neues Gleichgewicht zwischen nationalstaatlichen, supranationalen Institutionen und der Globalisierung).
Und man kann doch festhalten, dass die Internationale Wirtschaftspolitik der letzten 30 Jahre im Zeichen der Monetären Konterrevolution stand (s. pro-zyklische, fehlerhafte Politk des IMF):
“(…) beautifully expressed by Keynes 70 years ago: “Practical men, who believe themselves to be quite exempt from any intellectual influence, are usually the slaves of some defunct economist. Madmen in authority, who hear voices in the air, are distilling their frenzy from some academic scribbler of a few years back.“
What the “madmen in authority“ heard this time was the distant echo of a debate among academic economists begun in the 1970s about “rational“ investors and “efficient“ markets. This debate began against the backdrop of the oil shock and stagflation and was, in its time, a step forward in our understanding of the control of inflation. But, ultimately, it was a debate won by the side that happened to be wrong.“ (Anatole Kaletsky – Goodbye, homo economicus)
Dani Rodrik – In Kürze: Kapitalismus 3.0 (ins Deutsche übersetzt von Project Syndicate)
„Die Geschichte des Kapitalismus ist ein Prozess des Lernens und erneuten Lernens dieser Lektionen. Adam Smiths idealisierte Marktgesellschaft benötigte wenig mehr als einen „Nachtwächterstaat“. (…)
Das begann sich zu ändern, als die Gesellschaften demokratischer wurden und Gewerkschaften sowie andere Gruppen gegen die empfundenen Missbräuche des Kapitalismus mobilisierten. (…)
Dieses Modell der „gemischten Ökonomie“ war die krönende Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Das damit errichtete neue Gleichgewicht zwischen Staat und Markt schuf in den entwickelten Ökonomien die Voraussetzungen für eine beispiellose Phase des sozialen Zusammenhalts, der Stabilität und des Wohlstands, die bis Mitte der 1970er Jahre anhielt.
In den 1980er Jahren bekam das Modell erste Risse und nun scheint es zusammengebrochen zu sein. Der Grund dafür ist mit einem Wort erklärt: Globalisierung.
Die gemischte Ökonomie der Nachkriegszeit war für die nationalstaatliche Ebene geschaffen, wo sie auch funktionierte. Die internationale Wirtschaft musste auf Distanz gehalten werden. (…)
Die aktuelle Krise führt vor Augen, wie weit wir uns von diesem Modell entfernt haben. Vor allem die Finanzliberalisierung machte diesen alten Regeln den Garaus. (…)Es waren keine Schutzmechanismen vorhanden, um die Entwicklung einer globalen Liquiditätsflut und, in Kombination mit den regulativen Mängeln in den USA, einen spektakulären Immobilienboom mit anschließendem Crash zu verhindern. (…)
Die Lehre daraus ist nicht, dass der Kapitalismus tot ist. Sie besteht vielmehr darin, dass wir den Kapitalismus für ein Jahrhundert neu erfinden müssen, in dem die Kräfte der wirtschaftlichen Globalisierung noch viel stärker wirken werden als zuvor. Ebenso wie sich Smiths Minimalkapitalismus zur gemischten Ökonomie Keynes’ entwickelte, müssen wir den Übergang von der nationalen Version der gemischten Ökonomie zu deren globalem Pendant schaffen.
Das bedeutet die Entwicklung eines verbesserten Gleichgewichts zwischen den Märkten und deren unterstützenden Institutionen auf globaler Ebene. In manchen Fällen wird dazu die Ausweitung der Institutionen über den Nationalstaat hinaus und eine verstärkte globale Steuerung nötig sein. In anderen Fällen wird es bedeuten, die Ausbreitung der Märkte über den Einflussbereich jener Institutionen hinaus zu verhindern, die auf nationaler Ebene bleiben müssen. Der richtige Ansatz wird von Land zu Land und von Thema zu Thema verschieden sein.“
Ich bin gespannt, inwieweit akzeptiert wird, dass das Modell der „gemischten Ökonomie“ die krönende Errungenschaft des 20. Jahrhunderts war.
Vielleicht kann man in dieser Hinsicht auch ein „optimales Verteilungsziel“ sprechen, dass den „sozialen Zusammenhalt, die Stabilität und den Wohlstand“ einer Gesellschaft garantiert.
Mit freundlichen Grüßen
Knut
Kaletsky, Anatole – „Goodbye, homo economicus“. http://www.prospect-magazine.co.uk/article_details.php?id=10683/t_blank
Rodrik, Dani – „In Kürze: Kapitalismus 3.0“. http://www.project-syndicate.org/commentary/rodrik28/German
Ein Artikel von der FAZ, der genau in die gleich Richtung geht:
http://www.faz.net/s/Rub58241E4DF1B149538ABC24D0E82A6266/Doc~EB1512453DD9B4638BE8B704670DF90C7~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Herr Hank hat anscheinend auch Rodrik gelesen und sich Roslings Statistik Vorlesung angeschaut:
http://www.youtube.com/watch?gl=DE&hl=de&v=RUwS1uAdUcI
Herr Braunberger,
ich kann Ihre Forderung nach einem kritischen Hinterfragen des Liberalismus zwar nachvollziehen, aber in dieser Form nicht teilen. Gerade in der Krise, in der wir heute leben, kommt es auf Prinzipientreue an.
Der Neoliberalismus mag zum Ende des „Dritten Reiches“ eine mit Ach und Krach gesellschaftsfähige Variante gewesen sein. Auch heute noch haben Neoliberale uns viel zu sagen. Gleichwohl ist der Ansatz des marktkonformen Interventionismus personell und strukturell gescheitert. Zwangsläufig – gilt es hinzuzufügen. Es gibt keine tragfähige Versöhnung von Liberalismus und Interventionismus, die Sie mit Ihrer Forderung nach einem kritischen Hinterfragen liberaler Positionen verfolgen, wenn ich Sie richtig interpretiere.
Wir brauchen keinen Dritten Weg, denn der führt bekanntlich nach nirgendwo. Interventionismus ist eine Sackgasse, auch als Amalgam mit der Marktwirtschaft.
Was wir brauchen ist Prinzipientreue. Heute kommt es mehr denn je darauf an, jeden noch so kleinen Schritt in Richtung des klassischen Liberalismus zu gehen. Die Forderung unserer Zeit muss für Liberale lauten: Reduzierung der Staatsaufgaben auf den Schutz von Leib, Leben und Eigentum. Wir brauchen die Herrschaft des Rechts und nicht die Herrschaft von Männern (und Frauen). Wir brauchen den Schutz des Privateigentums, und nicht seine Aushöhlung durch Einschränkung der Verfügungsrechte. Wir brauchen eine Regierung, die (sozialen) Frieden stiftet, in dem sie zu aller erst nicht handelt, ob innen- oder außenpolitisch.
Prinzipientreue ist die im Wortsinn notwendige Aufgabe unserer Zeit. Das wünsche ich mir in weitaus grundsätzlicherer Form von den Redakteuren auch Ihrer Zeitung und möchte dies nicht nur hin und wieder von Gastautoren lesen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass konsequente Liberale sich von den alten Medien abwenden, weil dort allenfalls Positionen eines Lifestyle-Liberalismus vertreten werden. Sie erweisen den Menschen meiner Überzeugung nach einen Bärendienst, wenn Sie Kritiker ordnungspolitisch unzulänglicher Positionen kritisieren.
Ergreifen Sie das Wort für die Freiheit, für das Privateigentum, für werthaltiges Geld, schreiben Sie gegen Zentralismus und gegen Interventionismus an. Wir müssen bei den Grundlagen der Freiheit anfangen, also ganz von vorn – insbesondere mit Blick auf die Masse der Intellektuellen in Deutschland. Konsequente Liberale werden Ihnen dann applaudieren. Und Sie werden Ihnen zurufen: Ja, lassen Sie uns gemeinsam den Liberalismus revitalisieren!
Mit freundlichem Gruß
Michael von Prollius
Herr Schnellenbach,
alles, was ich sehe, ist, dass Sie in Ihrer Replik auf meinen Kommentar Äußerungen Wiebes zu Verteilungsfragen zitieren. Ich habe doch selbst geschrieben, dass ich diesen Aspekt Wiebes nicht teile. Where’s the problem?
Tabellini/Persson habe ich in der Tat nicht gelesen, aber eine Reihe Arbeiten von Alesina, der sich ja mit denselben Themen befasst hat und nach meiner trüben Erinnerung zumindest auch zusammen mt Tabellini publiziert hat (Ich müsste jetzt googlen, um das zu verifizieren, erspare mir aber das).
Bloß: Wenn man durch quantitative Methoden ordnungsökonomische Erkenntnisse bestätigen kann, worin besteht dann eigentlich noch der Methodenstreit? Das spielt doch Uhlig in die Hand. Ich halte es für wahrscheinlich, dass er die Arbeiten dieser Autoren kennt, aber das sind nicht die Arbeiten deutscher Ordnungsökonomen, die sich heute gegen die quantitative Ökonomik aussprechen, sondern Arbeiten internationaler Ökonomen, die quantitative Methoden auf die politische Ökonomie angewendet haben. Das wäre eine moderne Weiterentwicklung deutscher Ordnungsökonomik gewesen, die man sich hierzulande gewünscht hätte. Nach meiner bescheidenen Kenntnis – aber ich lasse mich gerne korrigieren – wurde sie hier doch nie erbracht. Statt dessen zitiert man ehrfürchtig Eucken, Hayek, Buchanan oder Mises.
Die verbliebene deutsche Ordnungsökonomik befindet sich in der gleichen Gefahr wie die deutsche Historische Schule vor 100 Jahren. Sie isoliert sich in einem Sonderweg, der methodisch ins Nirwana führt, auch wenn die eine wie die andere Schule ihre Meriten besitzt/besaß. Ähnliches galt übrigens für die deutsche Wirtschaftshistorik, die auf deskriptiven Methoden beharrte, als die ausländische Konkurrenz längst auch quantitativ arbeitete. Wirtschaftshistoriker wie Herr Ritschl haben das zu korrigieren versucht, aber es ist kein Zufall, dass er jetzt in London arbeitet.
Ein Letztes, das eigentlich eine Antwort auf den Beitrag von Herrn Vaubel darstellt. Wenn sich die Altvorderen (der Begriff ist nicht abwertend gemeint) wie Herr Vaubel und Herr Starbatty über die, ihres Erachtens, Verirrungen ihrer Nachfolger aufregen: Welche Generation von Professoren hat eigentlich die Generation der Uhlig & Co. ausgebildet? Warum hat Uhlig (um nur ein Beispiel für viele zu nennen) bei Prescott studiert und nicht bei einem deutschen Ordnungsökonomen? Wo sind die forschungsstarken Schüler von Starbatty, Vanberg, Vaubel & Co.? Warum hat man an diesen Lehrstühlen nicht Arbeiten initiiert, wie sie von Alesina, Tabellini und Persson stammen? Die deutsche Ordnungsökonomik hat sich ihr Grab doch selbst geschaufelt- leider Gottes (und das meine ich ernst).
Lieber Herr Braunberger,
also, in diesem Methodenstreit bin ich vielleicht ohnehin nicht der beste Ansprechpartner, da ich ein wenig zwischen den Stühlen sitze. Ich glaube, daß sowohl quantitative Ökonomik, als auch Ordnungsökonomik nötig sind und daß beide sich hervorragend ergänzen können. Daß gelegentlich die Vertreter einer Seite der jeweils anderen gleich die Existenzberechtigung absprechen, kann ich nicht wirklich nachvollziehen.
Jedenfalls hat die Ordnungsökonomik Pionierleistungen erbracht: Als alle Welt noch damit beschäftigt war, Third-Best-Lösungen für den wohlwollenden Sozialplaner auszurechnen, trieb die Ordnungsökonomik schon die politisch-ökonomische Aufklärung voran. Wenn jetzt eine quantitativ arbeitende Poitische Ökonomik oft zu ähnlichen Aussagen kommt — wieso mindert das die Leistung der Ordnungsökonomik? Sogar das mit dem Nobelpreis gekrönte Motto „rules rather than discretion“ ist ja eigentlich reine Ordnungspolitik. Aber wieso ist es *besser*, in einem formalen Modell gezeigt zu haben, was Hayek und Eucken schon vor sechzig Jahren wußten? Es ist ein anderer Kontext, es ist schön zu sehen, daß man auch in diesem Kontext zu solchen Aussagen kommen kann — aber besser? Wieso?
So, und dann sehe ich auch nicht, wieso solche aktuellen ordnungsökonomischen Fragen, wie sie z.B. in Freiburg erforscht werden, irrelevant wären, oder auch nur uninteressant. Gucken Sie sich mal das Kyklos-Papier von Wohlgemuth zu politischer Innovation an, oder Vanberg im American Journal of Economics and Sociology zu moralischen Präferenzen. Was ist daran irrelevant, uninteressant, altmodisch oder Heldenverehrung? Oder an der empirischen Ordnungsökonomik, die Voigt in Marburg macht? Und zum Schluß: Einen forschungsstarken Vaubel-Schüler finden Sie z.B. in Göttingen.
Lieber Herr Schnellenbach,
sie schreiben: „Kluge, stabile Regeln setzen und den Rest ergebnisoffen der Selbstorganisation freier Marktteilnehmer überlassen ““ wäre das nicht einmal einen Versuch wert?“
Das Problem, das ich mit den Adjektiven „klug“ und „stabil“ habe ist folgendes:
Ob Regeln klug und stabil sind, können wir selbst bei genauester theoretischer wie empirischer Analyse nicht a priori (!) sagen. Das hat einen banalen Grund: Märkte als (im mathematischen Sinne) globale Objekte sind aus spiel- bzw. systemtheoretischer evolutionär und emergent. D.h. es lassen sich im strengen Sinne keine Gesetzmäßigkeiten aus dem Verhalten von Märkten abstrahieren, denn gäbe es solche Gesetzmäßigkeiten, dann sprächen wir vom Markt als deterministischem System. Es lassen sich allenfalls näherungsweise erfüllte, trendartige Aussagen über solche Systeme machen, aber auch nur dann, wenn man die beobachteten Märkte in quasi-statischen Zuständen betrachtet.
Wenn man nun aber nach Spielregeln fragt, die den Anspruch der „Stabilität“ und „Chancengleichheit“ erfüllen sollen, man aber nur über (systemimmanent) unvollständige Aussagen verfügt, so lassen sich diese Regeln erst a posteriori bewerten, ob sie denn tatsächlich obige Ansprüche erfüllen oder nicht.
Die einzige Chance, die man somit zur klugen und stabilen Regelfindung hat, ist ganz einfach die, das System ständig(!) zu analysieren und zu bewerten, ob der Entwicklungstrend des Systems von den definierten Ansprüchen weg oder zu ihnen hin tendiert. Danach muss man nun entscheiden, ob die bis dato bestehenden Regeln adäquat oder nicht adäquat gewesen sind, sie also weiterbestehen zu lassen oder zu ändern.
Zudem hat man zur erfolgreichen Erfüllung der Ansprüche auf diverse andere Größen zu achten; die Sensitivität des Systems auf Regeländerung z.B. ist eine dieser Größen.
Es mag vielleicht befremdlich klingen, aber es existiert für diese Problemstellung keine erfolgreichere Strategie als trial and error. D.h. Regeln, die unsere (vom System selbst nicht ausgezeichneten) Ansprüche (Stabilität, Chancengleichheit, etc.) befriedigen sollen, müssen einem ständigen Anpassungsprozess unterliegen.
Man kann sicherlich lang darüber streiten, wem diese Regelanpassungen obliegen. Wichtig ist jedenfalls mir die Erkenntnis, dass dieser ständige Anpassungsprozess, obigen Erwägungen folgend, ausgeführt werden muss. Es gibt aus spieltheoretischer Sicht keinen plausiblen Grund, aus dem sich dieses System auf einen unseren Wünschen entsprechenden Zustand hinbewegen sollte. Es ist gegenüber jeglicher wertenden Aussage indifferent.
Herr von Prollius,
das Problem ist, dass wir beide offenbar in völlig verschiedenen Welten leben.
In der Welt, in der ich lebe, hat es in den Industrienationen in den vergangenen Jahrzehnten eine in der Geschichte einmalige Bildung wirtschaftlichen Wohlstands gegeben und mittlerweile findet diese Wohlstandsbildung auch in anderen Regionen statt, immer mal wieder unterbrochen durch Krisen, aber der Trend ist eindeutig.
Alle Staaten, in denen diese erfreuliche Entwicklung stattgefunden hat, sind in irgendeiner Form Ausprägungen eines „Dritten Weges“, in der sich Staat und Markt ergänzen, und zwar in sehr unterschiedlicher Form. In diesen Staaten ergänzen sich seit Jahrzehnten Markt und Interventionismus, sicherlich nicht auf perfekte Weise, und immer wieder in unterschiedlicher Form, einfach, weil es sich um evolutorische Prozesse handelt. Man muss kein Anhänger eines „Dritten Weges“ sein, aber er hat sich durchgesetzt und insgesamt – historisch betrachtet – wohl nicht schlecht bewährt. Dass die Ergebnisse dort besser sind, wo dem Interventionismus Zügel angelegt werden, ist empirisch offenbar.
Das ändert aber nichts daran, dass es nach meiner Kenntnis keinen Staat gibt, der sich einem Minimalstaatskonzept verschrieben hat, wie Sie es befürworten, und es mag ja durchaus sein, dass dies auch eine Antwort der Evolution darstellt.
Prinzipientreue zur obersten Maxime zu machen unabhängig von den konkreten Folgen derselben, mag eine Strategie für den Elfenbeinturm sein, sie kann keine Handlungsweise für Personen sein, die eine Verantwortung für ein Gemeinwesen empfinden. Prinzipientreue hätte in den vergangenen Monaten zum Kollaps eines gesamten Finanzsystems mit völlig unabsehbaren wirtschaftlichen, politischen und sozialen Folgen geführt. Aus meiner (und nicht nur aus meiner) Sicht wäre ein solches Handeln völlig verantwortungslos gewesen. Dass diese Interventionen selbst wieder Probleme schaffen, ist unbestritten, aber es existieren nun einmal Situationen, in denen die Anwendung einer reinen Lehre ins Chaos führen würde.
Was die Leserschaft der F.A.Z. betrifft: Alle mir bekannten deutschsprachigen Mitglieder der Mont-Pèlerin-Society lesen die F.A.Z., auch wenn ihnen nicht alles gefallen mag, was dort geschrieben wird. Nur – als Journalisten müssen wir uns mit der Welt befassen, wie sie ist, und die Antworten fallen nicht immer leicht. Es schreibt sich leicht herunter, wie schön eine Goldwährung wäre (ob sie tatsächlich schön wäre, bliebe noch zu hinterfragen), aber es ist eine sehr viel schwierigere Frage, in der konkreten Situation eine Antwort auf die konkrete und realitätsbezogene Frage zu finden, ob „quantitative easing“ auch für die EZB eine sinnvolle Strategie wäre.
Lieber Jan Schnellenbach,
ein paar Worte zu Deinen Anmerkungen, die mich nun doch unruhig haben werden lassen:
Du fragst: „Wieso ist es *besser*, in einem formalen Modell gezeigt zu haben, was Hayek und Eucken schon vor sechzig Jahren wußten?“
Die Frage so zu stellen setzt voraus, daß „Hayek und Eucken“ bereits alles vorweggenommen haben, was die moderne politische Ökonomik heute umtreibt. Das ist, mit Verlaub, haarsträubend. Die Einsichten, die wir den Ordoliberalen verdanken, sind doch ganz anderer Natur. Vielleicht sollte man sich öfter Gedanken darüber machen, wie man beide Arten von Wissen – die wirtschaftliche Intuition der einen und die präzise Mikroanalyse der anderen – konstruktiv miteinander in Verbindung bringen kann, statt sie gegeneinander auszuspielen.
Abgesehen davon ist es unbefriedigend, Eucken und Hayek in diesem Kontext in einen Topf zu werfen – die normativen und praktisch-politischen Implikationen beider Varianten liberalen Ordnungsdenkens unterscheiden sich signifikant.
Du schreibst: „Sollte es also nicht endlich allgemein bekannt sein, daß Wirtschaftspolitik nicht funktionieren kann, wenn sie auf überlegenes Regulierungswissen staatlicher Stellen setzt, und auf Philosphenkönige, die Marktergebnisse im Detail manipulieren sollen? Kluge, stabile Regeln setzen und den Rest ergebnisoffen der Selbstorganisation freier Marktteilnehmer überlassen ““ wäre das nicht einmal einen Versuch wert?“
Tut mir leid, das ist mir zu oberflächlich. Wir sollten uns einmal Gedanken machen, ob der „Staat“ tatsächlich niemals und unter keinen Umständen wertvolles Regulierungswissen (z.B. über Finanzkrisen und ihre Eindämmung) erwerben kann. Ist das eine empirisch gesicherte Erkenntnis oder ein Dogma? Sehen wir vor lauter Staatsversagen jetzt kein Marktversagen mehr? Genau dieser Dogmatismus bzgl. der möglichen konstruktiven Rollen staatlichen Handelns ist es doch, der die deutsche Ordnungsökonomik daran hindert, Anschluß zu finden an aktuelle Debatten in der internationalen Wohlfahrtsökonomik, etwa zu den „policy implications“ der verhaltensökonomischen Forschung.
Und der Verweis auf „Philosophenkönige“ ist pure Polemik – viel interessanter wäre es doch zu überlegen, wie „kluge“ Regeln beschaffen sein sollten, wenn wir „klug“ auch als „allgemein zustimmungsfähig“ auffassen und die Präferenzen realer Wahlbürger ernst nehmen, unter denen es – pace Schnellenbach – ja auch den einen oder anderen Nicht-Marktradikalen geben soll. Wenn „vernünftige“ Verteilungsmuster gefordert werden, mag man das verurteilen, aber „vernünftig“ mit „optimal“ zu übersetzen ist schlicht unfair.
Ganz grundsätzlich: Der immer gleiche ermüdende Verweis auf die politische Ökonomik beantwortet noch nicht eine einzige der hier zu klärenden *normativen* Fragen (vgl. dazu übrigens demnächst Wegner im JITE zum Konflikt zwischen substantiellem und prozeduralem Liberalismus). Mir scheint, daß die normative Kompetenz der Ordnungsökonomen, d.h. die Sensibilität für die normativen Dimensionen komplexer evolvierender Marktwirtschaften schonmal höher war.
Du behauptest: „Beim Konflikt, der in der FAZ derzeit zwischen Ordnungsökonomen und den Quantitativen ausgetragen wird, geht es nicht um Wirtschaftspolitik, sondern um Methoden.“
Falsch. Es geht um Methoden und um Konzepte der Theorie der Wirtschaftspolitik. Das sehen wir an dem Beitrag von Ritschl (FAZ vom 16.3.), der die Freiburger Schule bizarrerweise als Steigbügelhalter der „individualistischen“ axiomatischen Wohlfahrtsökonomik fehldeutet. Tatsächlich entwickelten die Ordoliberalen ein alternatives Konzept von Wirtschaftspolitik und Wohlfahrt (liest eigentlich niemand mehr Hans Albert?). Insofern gibt es eindeutige Bezüge zu divergierenden Einschätzungen der Aufgaben von (z.B.) Fiskalpolitik.
Ich stimme Herrn Braunberger zu: Die liberalen Ordnungsökonomen sollten sich ab und zu der Gefahr bewußt werden, die darin liegt, immer wieder in die sattsam bekannten rhetorischen „Endlosschleifen“ zu verfallen – sie führen geradewegs ins gemütliche, aber weder theoretisch noch praktisch ernstzunehmende Nirwana des Marktpositivismus.
Christian,
„Die Frage so zu stellen setzt voraus, daß “Hayek und Eucken“ bereits alles vorweggenommen haben, was die moderne politische Ökonomik heute umtreibt.“
Das habe ich nicht geschrieben. Es ging hier um ein konkretes Beispiel, bei dem ich überzeugt bin, daß die Ordnungsökonomik lange vor der quantitativen Ökonomik wichtige Einsichten hatte. „Alles vorweggenommen“ — ich denke, Du weißt, daß ich nicht dazu neige, toten Ökonomen einen Prophetenstatus zu verleihen.
„Vielleicht sollte man sich öfter Gedanken darüber machen, wie man beide Arten von Wissen – die wirtschaftliche Intuition der einen und die präzise Mikroanalyse der anderen – konstruktiv miteinander in Verbindung bringen kann, statt sie gegeneinander auszuspielen.“
Naja, aber da wird es dann eben sehr knifflig. Das Paradebeispiel ist Brennans und Buchanans konstitutionelle Steuertheorie: Sobald wir davon ausgehen, daß politischer Wettbewerb nicht perfekt funktioniert, muß man sich sehr genau überlegen, ob man den öffentlichen Sektor mit den nötigen Kompetenzen zur Durchsetzung einer im wohlfahrtsökonomischen Sinn effizienten Politik ausstatten will. Hinter diese zentrale Einsicht Buchanans will ich lieber nicht mehr zurückfallen.
„Abgesehen davon ist es unbefriedigend, Eucken und Hayek in diesem Kontext in einen Topf zu werfen – die normativen und praktisch-politischen Implikationen beider Varianten liberalen Ordnungsdenkens unterscheiden sich signifikant.“
Keine Frage. Aber in dem Punkt, daß ein staatliches Mikromanagement des Marktprozesses weder wünschenswert noch möglich ist, waren sie sich einig. Auch wenn sie es unterschiedlich begründet haben.
„Wenn “vernünftige“ Verteilungsmuster gefordert werden, mag man das verurteilen, aber “vernünftig“ mit “optimal“ zu übersetzen ist schlicht unfair.“
In diesem Kontext nicht, denke ich. Wenn Du den Artikel von Wiebe liest, dann wird ziemlich klar, daß er einen Tradeoff im Hinterkopf hat. Einerseits die Wettbewerbsfähigkeit, andererseits Kaufkraft, und wenn man beides berücksichtigt, ist irgendwo das optimale Maß an Umverteilung. Von Verteilungs*präferenzen* ist da gar nicht die Rede, dazu ist der Ansatz viel zu technokratisch.
„Falsch. Es geht um Methoden und um Konzepte der Theorie der Wirtschaftspolitik.“
Ja, Konzepte der Theorie der Wirtschaftspolitik. Aber nicht um praktische wirtschaftspolitische Empfehlungen, und um die ging es oben. Wie dort geschrieben: Mit quantitativen Methoden kann man liberale Positionen ebenso begründen, und viele quantitative Ökonomen tun eben dies. Wir sollten nicht so tun, als ginge es hier um einen Konflikt zwischen Liberalen und Interventionisten. Darum geht es nicht. Es vertritt ja auch umgekehrt nicht jeder Ordnungsökonom einen unverwässerten Marktliberalismus. In diesem Konflikt geht’s um Forschungs-, nicht um Wirtschaftspolitik.
Lieber Jan,
viele der Debatten in diesem Blog leiden unter einer gewissen Unklarheit der Begriffe. Lassen wir die Wiebe-Exegese, einigen wir uns darauf, daß der Handelsblatt-Artikel keine journalistische Glanzleistung ist, v.a. aber, daß es doch niemandem hier (vermutlich auch nicht Wiebe; das Adjektiv „optimal“ habe ich auch beim zweiten Lesen nicht entdeckt) ernsthaft um ein „Mikromanagement“ oder um eine „Detailsteuerung“ von Marktprozessen geht. Lassen wir das hinter uns, schauen wir auf die Regeln: wie sollten die gestaltet werden? Da gibt es jede Menge viel interessanterer Kontroversen – grob gesprochen im Spannungsfeld zwischen dem in diesem Blog ja offenbar sehr populären Evolutionismus des späten Hayek und dem sozialvertragstheoretischen Liberalismus.
Du schreibst, man müsse „sich sehr genau überlegen, ob man den öffentlichen Sektor mit den nötigen Kompetenzen zur Durchsetzung einer im wohlfahrtsökonomischen Sinn effizienten Politik ausstatten will…“
Ja, das ist doch wohl der Sinn wissenschaftlichen, ordnungspolitischen Arbeitens, daß man sich sowas „sehr genau überlegt“ – nämlich, ob man den Staat mit den Kompetenzen ausstattet, eine aus kontraktualistischer Sicht wünschenswerte Politik (im Sinne von: Institutionendesign) durchzusetzen.
Einen echten Widerspruch kann ich mir jedoch nicht verkneifen: „Mit quantitativen Methoden kann man liberale Positionen ebenso begründen“ – aber um derlei tatsächlich nachvollziehbar *begründen* zu können, bedarf es doch eines Konzepts, einer Theorie und eines Maßes für „Wohlfahrt“. Der Kernbeitrag der Ordoliberalen war es, hier der axiomatischen „New Welfare Economics“ Paroli zu bieten, da sie richtig ahnten, daß jene ihre Verwender systematisch zu dirigistischen Empfehlungen verleitet. Die Wahl unserer Begriffe und Konzepte ist nie neutral hinsichtlich der Ableitung praktischer Politikempfehlungen. Genau deswegen argumentiert ja z.B. Bruno Frey im ordoliberalen Geist gegen die Verwendung von Gross National Happiness“-Indikatoren. Wenn sie die forschungspolitische Niederlage abwenden wollen, sollten die Ordoliberalen diese Stärke ihres Ansatzes erkennen und dem Publikum vermitteln.
Herr Braunberger,
ich habe nicht den Eindruck, dass wir in verschiedenen Welten leben, allerdings trennen unsere geistigen Haltungen Welten. „Liberalismus“ und „Mainstream“ sind für mich deutlich unterschiedliche Positionen, aber kein Problem. Das träte erst dann auf, wenn Sie den Status quo der Empiriedominanz per se als der Ordnungsökonomik überlegen darstellen würden – sie plädieren ja aber gerade für eine Verknüpfung.
Ich stimme Ihnen zu, dass es eine einmalige Wohlfahrtsentwicklung gegeben hat. Sollten allerdings der Erste Weltkrieg, der Zweite Weltkrieg, die Hyperinflation, die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre, ihre interventionsbedingte Verlängerung zur Großen Depression (Robert Higgs), die Papiergeldillusionen und die aktuelle Weltwirtschaftskrise nur Krisen sein, die einem eindeutigen Trend nichts anhaben, hielte ich das für eine zynische Position. Konsequente Liberale kämpfen gerade im Angesicht dieser zwangsläufig dem Interventionismus entspringenden Krisen für eine Verfassung der Freiheit, die auf „Human Action“ beruht. Liberal ist dabei mehr als marktwirtschaftsfreundlich: http://www.cafehayek.com/hayek/2009/03/i-am-a-liberal.html
Ich stimme Ihnen zu, dass es überall einen Dritten Weg gegeben hat. Allerdings bleibt Ihre Vermutung, Markt und Interventionismus würden sich ergänzen, unbegründet. Mindestlöhne verursachen Arbeitslosigkeit, Regulierung der Arbeitsmärkte führt zur Massenarbeitslosigkeit; Zinsmanipulationen stören den Strom der Güter und Leistungen; Bürokratie lässt keine Wahl usw. Ihre positivistische Argumentation, der „Dritte Weg“ sei gut, weil er bestehe, will nicht so recht zu Ihrer wenig später geäußerten „Economic Freedom Index“-Aussage passen. Im Übrigen laufen Sie hier Gefahr, der „Bastiat-Fallacy“ aufzusitzen: Was man sieht, und was man nicht sieht. Hier erkenne ich in der Tat ein Problem: Sie selbst sind der Ansicht, dass weniger Interventionismus mehr Wohlfahrt für die Menschen bedeutet. Wieso unterstützen Sie dann den Interventionismus eines Dritten Weges? Dies gilt umso mehr im Angesicht der oben erwähnten Krisen.
Ich vermute Sie können Hayeks – bewährtem – Diktum nicht viel abgewinnen, dass es nicht auf das politisch Machbare, sondern das sachlich Notwendige ankomme. Wer hätte 1947 an das „Wirtschaftswunder“ geglaubt, wer an 1988 an die Freiheitsrevolution in der DDR, wer 1922 an den zwangsläufigen Zusammenbruch der Sowjetunion? Dass sich kein Staat, besser eine Regierung ein Minimalstaatskonzept verordnet, liegt auf der Hand. Dennoch ist die Geschichte einer Verfassung der Freiheit reich an Elementen, die es zu erneuern, zu erweitern und zu verbinden gilt.
Ich stimme Ihnen schließlich nicht zu, dass prinzipientreue Menschen die Folgen ihrer gewonnenen Erkenntnisse ausblenden. Hier lässt nicht nur Kants „Über den Gemeinspruch“ grüßen. Gerade Menschen mit Verantwortungsgefühl für ein Gemeinwesen können es nicht zulassen, dass der verletzte Athlet mit Schmerzmitteln kuriert wird – und sie denken auch an (Hyper)Inflation und die ungeborenen Steuerzahler. Der Zusammenbruch des Status quo ist bislang ein Mythos Staatsgläubiger. Für mich ist van Suntums Vorschlag zur Bankensanierung mit liberalen Prinzipien vereinbar, Ihre Belohnung von am Markt Gescheiterten indes nicht. Sie ist erst recht nicht mit dem Gemeinwohl vereinbar.
Zu Goldwährung und zum Free Banking liegt Ihrer Zeitung ein gut begründeter Beitrag vor, sehr realitätsnah wie ich finde. Urteilen Sie selbst.
Einer der auch sprachlich brillianten Journalisten des 20. Jahrhunderts hätte Ihre Auffassung geteilt, man müsse sich mit der Welt befassen, wie sie ist. Gleichwohl hätte er unmissverständlich Ihrer Schlussfolgerung widersprochen, man müsse sich im Rahmen des Status quo bewegen. Henry Hazlitt hat das „Failure of the new economics“ überzeugend dargelegt – ich halte seine berufliche Prinzipientreue für vorbildlich.
Da Sie ja doch lieber über den Methodenstreit diskutieren, der fast besser in den Beitrag Prof. Vanberg passt, poste ich hier noch mal einen Auszug aus einem Artikel von Prof. Neumärkers:
„Der Staat ist nicht aufgrund bestimmter Überzeugungen oder Werte („Ideologien“) aus sich heraus legitimiert, sondern nur durch seine funktionale, wiewohl notwendige Rolle für Markt und Gesellschaft. In paralleler Weise wie der Markt in ordoliberaler Sicht nicht als ein natürliches Ereignis, sondern als eine „staatliche Veranstaltung“ (z.B. Miksch) zu verstehen ist, so ist der Staat nicht aufgrund einer bestimmten Wertegemeinschaft o.ä. legitimiert, sondern wegen der notwendigen Funktion für die Errichtung und Erhaltung wettbewerblicher Strukturen: Kapitalismus und moderner Staat sind historisch wie systematisch als komplementär zu begreifen.
In diesem Verständnis liegt das ideologiekritische Potential des Ordoliberalismus: Einer anspruchsvollen Gesellschafts- wie Wirtschaftstheorie und -politik kann es nicht um die Zustimmung oder Ablehnung des Marktes /per se /gehen, sondern um die Aufklärung der Verknüpfungen zwischen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen und (realen) Möglichkeiten der Gestaltung. [Die auf internationaler Ebene – auch wegen der mangelhaften Bereitschaft des wichtigesten Spielers, der USA – bisher gefehlt haben]
„Der Markt“ ist nicht ein unausweichliches „Schicksal“, das es vorbehaltlos anzuerkennen (im Sinne des „laissez-faire“) oder zu bekämpfen gilt („Sozialismus“), sondern marktliche Strukturen sind bedingte Strukturen in dem Sinne, dass sie an gesellschaftliche Vorgaben geknüpft und deshalb (zumindest begrenzt) gestaltbar sind.
Eine solche, integrative Perspektive auf Markt und Staat, die sich als Ordnung des Marktes durch den Staat und in gleicher Weise auch als Ordnung des Staates durch den Markt begreifen lässt, verdeutlicht die Bedeutung des Ordoliberalismus für die gesamte Wirtschaftsordnung. Es geht nicht nur um eine Akzentverschiebung im Verständnis des Liberalismus, sondern um die Ordnung moderner, kapitalistischer Gesellschaften insgesamt: es geht um einen „Ordo-Kapitalismus“ [es geht um Gestaltug und nicht um Interventionismus].
link vergessen:
http://portal.uni-freiburg.de/wiwi/Unterlagen/Neumaerker/gone_ordokapitalismus_freib.pdf
Neumärker & Goldschmidt btw.