Konjunkturprogramme – oft nur politischer Aktionismus

Die deutsche Wirtschaft hat im zweiten Quartal 2008 deutlich an Schwung verloren. Im Vergleich zum vorhergehenden Quartal sank die preis-, saison- und arbeitstäglich bereinigte Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent. Grund genug für manche, auf eine unausweichliche Rezession hinzuweisen. Dabei muss aber Folgendes berücksichtigt werden:


1. Im ersten Quartal wurde ein überaus hoher Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) verzeichnet – einer der höchsten im laufenden Konjunkturzyklus. Der Rückgang im zweiten Quartal ist zum Teil auch eine technische Reaktion auf die hohe Schlagzahl im ersten Quartal.

2. Die deutsche Wirtschaft befindet sich noch in einer Situation hoch ausgelasteter Produktionsfaktoren. In den letzten Jahren konnten für deutsche Verhältnisse hohe Produktionszuwächse realisiert werden. Ein Rückgang des BIP vor dem Hintergrund voll genutzter Kapazitäten – verstärkt durch einen Fachkräftemangel – ist noch kein Absturz.

3. Sicherlich wird sich der konjunkturelle Schwung der letzten Jahre in diesem und wahrscheinlich auch im nächsten Jahr nicht fortsetzen. Die hohen Energie- und Rohstoffpreise fordern ihren Tribut beim Konsum. Die langsamer tendierende Weltwirtschaft dämpft die Exporttätigkeit und schließlich auch die Investitionstätigkeit. Letzteres ist aber auch eine normale zyklische Reaktion nach Jahren mit einem sehr hohen globalen Tempo.

Akuter konjunkturpolitischer Handlungsbedarf ist also derzeit nicht geboten. Und selbst wenn dies der Fall wäre, dann stellt sich die Frage, ob die immer wieder gern ins Spiel gebrachten Konjunkturprogramme auch tatsächlich helfen oder vielmehr sogar schaden. Einige Vorschläge zielen darauf ab, die Wachstums- und Angebotskräfte zu stärken. Das ist generell zu begrüßen, auch wenn sich die wirtschaftlichen Folgen nicht sofort einstellen dürften. Konjunkturpolitische Maßnahmen, die darauf abzielen, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch höhere Staatsausgaben anzuschieben, sind nicht nötig, sie sind aus folgenden Gründen möglicherweise sogar gefährlich. So alt und vertraut einige der folgenden Argumente auch für den einen oder anderen klingen mögen, sie haben jedoch bei der praktischen Umsetzung von Konjunkturprogrammen nicht an Relevanz eingebüßt. Vielmehr zeigt die Gesamtheit aller Argumente den beschränkten Spielraum für eine nachfrageorientierte und schuldenfinanzierte Stabilisierungspolitik auf.

1. Bei Strukturproblemen sind nachfrageorientierte Maßnahmen wenig hilfreich, manchmal sogar schädlich. Nachfragepolitik bleibt dann unwirksam, wenn das Wachstum durch eine fehlende Investitions- und Innovationsbereitschaft sowie durch nicht ausreichende Strukturanpassungen gehemmt wird. Vielmehr läuft eine nachfrageorientierte Stabilisierungspolitik Gefahr, die eigentlichen Probleme der Wachstumsschwäche zu ignorieren und ursachenadäquate Reformen zu verschleppen.

Japan ist ein überaus anschauliches Beispiel für die Wirkungslosigkeit einer expansiven Fiskalpolitik bei einer andauernden Wachstumsschwäche infolge ungelöster Strukturprobleme. Im Zeitraum 1992 bis 2000 wurden in Japan zehn Konjunkturprogramme mit einem Umfang von insgesamt rund 1.300 Milliarden Euro aufgelegt. Diese Konjunkturprogramme stützten zwar notleidende Unternehmen, gleichzeitig wurden Überkapazitäten und überkommene Strukturen konserviert. Das Bild von den Zombi-Unternehmen machte die Runde. Vor allem aber kam die Wirtschaft nicht in Fahrt.

2. Bei Reallohnrigidität besteht die Gefahr einer Inflationsbeschleunigung ohne positive Effekte auf Output und Beschäftigung. Zusätzliche staatliche Ausgaben erhöhen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, und dies wirkt preistreibend. Wenn sich aber die Nominallöhne vergleichsweise schnell so anpassen, dass der ursprüngliche Reallohn immer konstant bleibt, dann geschieht beim gesamtwirtschaftlichen Arbeitseinsatz und letztlich beim BIP nichts. Das Konjunkturprogramm hat keine realwirtschaftlichen Effekte.

Das Ausmaß der Entgeltstarrheit ist in Deutschland immer noch beträchtlich. Eine Untersuchung der Europäischen Zentralbank (EZB) findet eine signifikante empirische Evidenz für Reallohnrigidität im Euroraum. Dabei zeigen vor allem Deutschland und Italien die geringste Flexibilität bei den Reallöhnen.

3. Steuer- und schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme verdrängen private Nachfrage. Höhere Staatsausgaben zur Schaffung zusätzlicher Nachfrage müssen auch finanziert werden. Durch die Finanzierungsbelastungen kann es zu Verdrängungseffekten kommen. Höhere Steuern vermindern direkt die verfügbaren Einkommen von privaten Haushalten und Unternehmen und dürften deshalb dämpfend auf Konsum und Investitionen wirken. Eine höhere Verschuldung zur Finanzierung der Staatsausgaben kann über zwei Denkmöglichkeiten private Nachfrage verdrängen:

“¢ Eine zusätzliche Kreditaufnahme des Staates kann zu höheren Zinsen führen, was einen Teil der privaten Konsum- und Investitionsnachfrage dämpft.

“¢ Gehen die privaten Haushalte und Unternehmen davon aus, dass die Schulden von heute, die Steuern von morgen bedeuten, dann sparen die privaten Haushalte heute schon mehr und konsumieren damit weniger. Sie tun dies deshalb, um morgen die höheren Steuern zahlen zu können, die benötigt werden, um die Schulden einschließlich Zinsen zurückzuzahlen.

4. Internationale Sickereffekte vermindern oder neutralisieren die Wirkungen einer expansiven Fiskalpolitik. Die Erfolgsaussichten einer nachfrageorientierten Politik können in einer Volkswirtschaft mit intensiven Handelsbeziehungen stark eingeschränkt sein. Die zusätzliche Nachfrage muss zunächst nicht durch inländische Produktion, sondern sie kann durch Importe gedeckt werden. Betreibt ein großes Land einer Währungsunion eine expansive Fiskalpolitik und hat dies Auswirkungen auf die Zins- und Wechselkursentwicklung der Währungsunion, dann kommt es zu einem zins- und währungsbedingten Crowding-out. Die Fiskalpolitik ist dann ebenfalls wirkungslos.

5. Wirkungsverzögerungen können dazu führen, dass konjunkturpolitische Maßnahmen prozyklisch wirken. Nachfrageschocks, die vom privaten Sektor auf die Volkswirtschaft ausgehen, sind oftmals schwer und nicht rechtzeitig zu erkennen. Außerdem sind staatliche Konjunkturprogramme schwerfällig und oftmals unpräzise. Ist ein solches Programm endlich in Gang gesetzt, dann kann es möglicherweise nicht mehr gestoppt werden, selbst wenn sich die auslösende Situation gar nicht eingestellt hat. Konjunkturprogramme heizen die Wirtschaft zusätzlich an und zwingen unter Umständen die Notenbank zu einem späteren Zeitpunkt zu einem restriktiven Kurs, der dann vielleicht ebenfalls zu einem falschen Zeitpunkt zu wirken beginnt.

Als Beispiel können die Verzögerungen während der Ölkrise in den siebziger Jahren genannt werden. Die Ölkrise begann im Oktober 1973, und es kam zu einer Verdreifachung der Ölpreise binnen Jahresfrist. Im Frühjahr 1974 setzte eine Stagnation der wirtschaftlichen Aktivitäten ein. In der zweiten Hälfte des Jahres 1974 kam es dann zu einem Einbruch der Weltkonjunktur und damit auch der deutschen Exporte. Zugleich stieg die Arbeitslosigkeit deutlich an. Erst im Dezember 1974 wurde das erste eigentliche Konjunkturprogramm zur Förderung von Beschäftigung und Wachstum in Höhe von 1,73 Milliarden DM verabschiedet. Schließlich wurde im August 1975 ein zweites und vom Umfang (5,75 Milliarden DM) her deutlich höheres Konjunkturprogramm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen verabschiedet. Allerdings war die Rezession zu dieser Zeit schon überwunden.

6. Konjunkturprogramme können automatische Stabilisatoren schwächen. Die Argumente für eine diskretionäre Stabilisierungspolitik verlieren an Bedeutung, wenn ein Teil der Konjunkturschwankungen durch automatische Stabilisatoren gedämpft werden kann. Denn wichtige Teile der Staatseinnahmen und Staatsausgaben reagieren automatisch und antizyklisch auf konjunkturelle Veränderungen. Zum Beispiel fallen in der Abschwungphase bei sinkender Beschäftigung und höherer Arbeitslosigkeit höhere Transfers und niedrigere Beitragszahlungen an – und umgekehrt. Diese fiskalpolitischen Verstetigungsmomente haben den Vorteil, dass sie sofort und ohne Informations- und Ausführungsverzögerungen wirken. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Wirkungskraft der automatischen Stabilisatoren teilweise durch eine diskretionäre Fiskalpolitik vermindert wird.

7. Stabilisierungsprogramme können zu Verhaltensänderungen führen und damit unbeabsichtigte Reaktionen auslösen. Der Nobelpreisträger Robert Lucas hat darauf hingewiesen, dass Politikänderungen auch das Verhalten der Wirtschaftssubjekte ändern. Damit sind aber zugleich Aussagen über die Wirksamkeit von Politiken zur Feinsteuerung der Wirtschaft schwer möglich. Vielmehr besteht auch hier die Gefahr, dass Stabilisierungspolitiken unbeabsichtigte Wirkungen haben und das eigentliche Ziel konterkarieren. Eine Investitions- und Konsumzurückhaltung kann sich bei der Befürchtung einstellen, dass die staatlichen Haushaltsdefizite infolge von Konjunkturprogrammen außer Kontrolle geraten und hohe Steuerlasten in der Zukunft bedeuten.

8. Bei Stabilisierungspolitiken besteht der Verdacht, dass sie zeitinkonsistent sind und damit die Erwartungen destabilisieren. Vermuten die Investoren oder privaten Haushalte eine Unbeständigkeit (Zeit-Inkonsistenz) der Politiker, dann werden sie trotz expansiver Nachfragepolitiken nicht zusätzlich investieren oder konsumieren. Die stabilisierungspolitische Maßnahme hat dann keine Wirkung. Die Idee der Zeit-Inkonsistenz geht auf Arbeiten der beiden Nobelpreisträger des Jahres 2004, Finn Kydland und Edward Prescott, zurück. Eine Politik ist allein dann nicht zeitkonsistent, wenn die politischen Entscheidungsträger von einer angekündigten Politik später abweichen können.

Die Fiskalpolitik könnte darauf abzielen, die Investitionstätigkeit der Unternehmen zum Beispiel durch eine Senkung der Körperschaftsteuer anzuregen. Zeigt diese Maßnahme kurzfristig Wirkung und wächst der gesamtwirtschaftliche Kapitalstock, also die Besteuerungsgrundlage, dann besteht zugleich auch die Verlockung für die verantwortlichen Politiker, die Steuer später wieder zu erhöhen. Auf Basis der nun höheren Steuerbasis und eines wieder höheren Steuersatzes können erheblich höhere Steuereinnahmen erzielt werden. Ein ähnlicher Versuch einer antizyklischen Stabilisierungspolitik hätte allerdings dann zu einem späteren Zeitpunkt deutlich weniger Chancen, weil das Vertrauen der Investoren in eine zeitkonsistente Politik möglicherweise beschädigt ist.

9. Nachfragepolitiken können aus wahltaktischem Kalkül eingesetzt werden und dadurch politische Konjunkturzyklen auslösen. Politiker können versucht sein, ein Konjunkturprogramm aufzulegen, um ihre Beliebtheit zu erhöhen oder um Handlungsstärke zu demonstrieren. Das erhöht schließlich auch die Chance, wiedergewählt zu werden. Beispielsweise werden vor einer Wahl die Staatsausgaben erhöht und nach der Wahl zurückgenommen. Im schlimmsten Fall werden die höheren Ausgaben beibehalten, weil besonders Maßnahmen mit Umverteilungscharakter nur sehr schwer rückgängig gemacht werden können. Kennen die verschiedenen Interessengruppen diese Verhaltensweise der Politiker, dann werden nachfrageorientierte Politiken zum Spielball von Politikern und Interessengruppen. Langfristig entstehen zudem ernste Folgen für eine Volkswirtschaft, wenn durch opportunistische Nachfragepolitiken dringend anstehende Reformen verschleppt oder gänzlich ignoriert werden.

10. Fehlende Finanzierungsdisziplin kann zur Überschuldung führen und die staatlichen Handlungsspielräume einschränken. Eine antizyklische Fiskalpolitik setzt eine glaubwürdige Handhabung des Budgets voraus. Zeitweilige Defizite in wirtschaftlich schlechten Zeiten zur Finanzierung der zusätzlichen Staatsausgaben müssen in besseren Zeiten abgebaut werden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Schulden in besseren Zeiten oftmals nicht mehr abgebaut werden. Ohne Unterbrechung ist die Staatsverschuldung je Einwohner in Deutschland in den letzten Dekaden angestiegen – auch leicht in den zuletzt wirtschaftlich guten Jahren.

Vor dem Hintergrund der hohen Verschuldung vieler Länder und der in manchen Ländern zu beobachtenden Konsolidierungsbemühungen resultiert eine weitere Kritik an einer kreditfinanzierten Stabilisierungspolitik: Erfolgreiche Konsolidierungen haben gezeigt, dass sie keine negativen, sondern eher positive Effekte auf Produktion und Beschäftigung haben. Diese nicht-keynesianischen Effekte treten auf, wenn Konsumenten und Investoren in ihrer Erwartungsbildung zukünftige finanzpolitische Entwicklungen antizipieren. Positive Vertrauenseffekte infolge zukünftig gesünderer Staatsfinanzen stärken dann die private Investitions- und Konsumtätigkeit. Möglicherweise sind diese Effekte stärker als die ursprünglichen und negativ wirkenden Konsolidierungseffekte infolge der geringeren Staatsausgaben.

4 Antworten auf „Konjunkturprogramme – oft nur politischer Aktionismus“

  1. Stellt sich nur die Frage, warum man selbst im Kernland der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Wirtschaftsweise, den USA, staatliche Konjunkturprogramme zur Ankurbelung und Stützung der ins Schlingern geratenen US-Ökonomie auflegt? – Oder ist keynesianische Nachfrage- und Konjunkturpolitik in den USA nur etwa auf „pragmatische“ Ohren gestoßen? Vielleicht wird man im „alten Europa“ der Angebotsdogmatiker noch nachfolgen (müssen), wenn die Wirtschaftskrise schlimmer wird und sich zu einer destabilisierenden Gesellschaftskrise auswächst.

  2. @Markus:
    Siehe Punkt 9: Auch amerikanische Politiker wollen gewählt werden.

    Deren Konjunkturprogramme haben sich aber meist als genauso wirklunglos erwiesen wie jene europäischer Staaten, obwohl die USA die nötigen Voraussetzungen für eine wirksame Nachfragepolitik eher erfüllen als bspw. Deutschland (siehe: Lohnrigidität, automatische Stabilisatoren, eigener Währungsraum).

  3. Das wäre ja irgendwie beruhigend, wenn deutsche Politiker nicht immer wiedergewählt werden wollten! – Die zu nennenden Einwände gegenüber Konjunkturprogrammen sollen auch nicht einfach beiseite geschoben werden, aber auch nicht unbeachtet bleiben sollte m.E. das zu unflexible Verhalten bei Konjunktureinbrüchen speziell in Deutschland. Haben nicht auch unsere europäischen Nachbarländer bereits etwas für eine gute Konjunktur getan?

  4. @3
    dazu möchte ich 2 Dinge anmerken.
    […] kann zu höheren Zinsen führen […] – warum führt das zu höheren Zinsen? Die Zinsen bestimmt doch Größtenteils die EZB und nicht die nationale Regierung durch ihre Schuldenpolitik. Also wird durch eine Zinserhöhung der EZB Investitionen verdrängt und nicht durch eine erhöhte Verschuldung des Staates (KEIN Crowding out)

    Dann noch etwas zu den Schulden von heute sind die Steuern von morgen: Hier geht man davon aus, dass alle Individuen ihren Nutzen über ihre gesamte Lebenszeit maximieren und Ausschläge im Konsum vermeiden wollen. Ein Blick auf die Realität zeigt aber das dies gerade nicht getan wird, siehe die aktuelle Finanzkrise. Nach der Theorie sollten solche Übertreibungen nie vorkommen, bzw. gehen in das Kalkül der Konsumglättung über den gesamten Lebenszyklus mit ein.
    Man kann ja wenig von Konjunkturprogrammen halten – der 3. Punkt ist auf jeden Fall ein schlechtes Argument dagegen

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