Kennen Sie auch jemanden in ihrem Bekanntenkreis, der in Praktika steckengeblieben zu sein scheint? Immer wieder hört und liest man von einer umherziehenden Schar hoch qualifizierter, hart arbeitender, aber schlecht bezahlter Praktikanten, die trotz zahlreicher, langer und einschlägiger Praktika keinen Job finden. In den Medien spricht man gar von der „Generation Praktikum“. Arbeitsministerin Andrea Nahles versucht diesem Phänomen durch den Mindestlohn ein Ende zu setzen: Es gibt zwar Ausnahmen, zum Beispiel für in der Studienordnung verpflichtend vorgeschriebene Praktika und für solche, die während des Studiums absolviert werden und nicht länger als drei Monate dauern. Für die meisten anderen Praktika aber greift der seit dem Jahreswechsel allgemein gültige gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Ob dies den Betroffenen hilft und welche Praktikanten überhaupt schutzbedürftig sind, ist einer genaueren Betrachtung wert.
Was motiviert zum Praktikum?
Es gibt zweifellos viele Gründe, die für die Aufnahme eines Praktikums sprechen können. Beispielsweise ermöglicht es als Orientierungspraktikum, schon vor der Ausbildung oder während und nach dem Studium, in ein Berufsfeld oder Unternehmen hineinzuschauen, um zu prüfen, wo die eigenen Interessen liegen. Weiter fortgeschritten bietet es Gelegenheit, um berufliche Fertigkeiten und Erfahrungen zu erwerben, ohne dass es sich um eine geregelte Berufsausbildung handelt. Praktikanten können außerdem einschlägiges Interesse an bestimmten Tätigkeiten signalisieren und Kompetenzen erwerben, die sich später positiv auf ihre Chancen auswirken, einen begehrten Arbeitsplatz zu finden. Sehr konkret wird es, wenn man aufgrund eines Praktikums auf eine spätere Übernahme in eine Festanstellung beim gleichen Arbeitgeber hofft. Je nachdem, ob man im Praktikum überhaupt entlohnt wird und in Abhängigkeit von der Höhe der Entlohnung kann selbstverständlich auch ein monetärer Anreiz bestehen.
Wie sieht es auf der Seite der Unternehmen aus? Natürlich kann die durch die Praktikanten erbrachte Arbeitsleitung eine Rolle spielen. Es liegt allerdings wohl auf der Hand, dass die durch die Unternehmen unmittelbar verwertbare Arbeitsleistung der Praktikanten unterschiedlich wertvoll sein wird. Je eher die Orientierung und der Einblick in Berufsfelder im Vordergrund stehen, desto geringer wird die Erwartung wertvoller Arbeitsleistung. Im Regelfall werden Unternehmen mit der Aufnahme von Praktikanten also weitere Ziele verfolgen. So versuchen Unternehmen sich beispielsweise als attraktive Arbeitgeber zu präsentieren, um qualifizierte Bewerber später als Mitarbeiter gewinnen zu können. Darüber hinaus ist denkbar, dass das Angebot von Praktikumsplätzen in der Öffentlichkeit als Teil des sozialen Engagements des Unternehmens betrachtet wird.
Aus den unterschiedlichen Kombinationen der beiderseitigen Motive resultieren entsprechend verschiedene Vereinbarungen. In einigen Fällen werden durchaus hohe Praktikantengehälter gezahlt. Dies ist u. a. umso naheliegender, je mehr Wert das Unternehmen auf besonders gute Praktikanten legt, je unattraktiver oder unbekannter das Unternehmen ist, je geringer die Investitionen des Unternehmens in die Einarbeitung und Betreuung der Praktikanten und je wertvoller die unmittelbare Arbeitsleistung der Praktikanten erwartet wird. Das Gehalt steht aber bei vielen Praktika nicht im Vordergrund. Es ist aufgrund der Bewerberzahlen unzweifelhaft, dass beispielsweise Praktikumsplätze bei internationalen Institutionen, Ministerien, Forschungsinstituten oder bekannten NGOs trotz geringer Vergütung äußerst begehrt sind.
Investitionen sind immer risikobehaftet
Der Idee nach tätigen die Praktikanten eine Investition in ihre eigene berufliche Zukunft. Insofern ein Praktikant die Ziele erreicht, die ihn zur Aufnahme des Praktikums bewogen haben, hat sich die Investition auch gelohnt. Wie bei jeder Investition besteht allerdings auch beim Praktikum das Risiko, dass sich die Erwartungen nicht erfüllen. Natürlich gibt es Betroffene, deren Hoffnung enttäuscht wurde, durch Praktika den Einstieg ins Berufsleben oder eine spezifische Branche zu schaffen, und die sich ausgebeutet fühlen.
Trifft diese Beschreibung aber tatsächlich auf eine ganze Generation zu? Mangels belastbarer Zahlen bietet sich eine Plausibilitätsprüfung an: Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass hochqualifizierte junge Leute in Branchen mit akutem Fachkräftemangel in langen Praktikumsphasen ausgebeutet werden. In solchen Branchen kommt es zum Teil zu dem gegenteiligen Phänomen: Gut bezahlte Praktikanten erhalten so attraktive Arbeitsangebote, dass sie sich entgegen ihrer ursprünglichen Absicht zum vorzeitigen Abbruch ihres Studiums entscheiden, um direkt in den Beruf einzusteigen. Die Wahrscheinlichkeit, das absolvierte Praktikum im Nachhinein als Fehlinvestition zu bereuen, steigt hingegen mit dem Ausmaß des Missverhältnisses zwischen wenigen Unternehmen, die Mitarbeiter suchen, und relativ zahlreichen fertig ausgebildeten Bewerbern. Entsprechend oft taucht bei der Nennung von Beispielfällen die Medienbranche auf, wobei es selbst innerhalb dieser Branche natürlich erhebliche Unterschiede je nach Ausbildung und gewünschter Tätigkeit geben wird. Lang andauernde und gering oder gar nicht entlohnte Praktika stellen aus ökonomischer Sicht eine Folge des Auseinanderfallens von Angebot und Nachfrage dar, jedenfalls sofern es sich branchen-, ausbildungs- oder tätigkeitsspezifisch um ein Massenphänomen handelt. Praktikanten, die in beliebten Branchen arbeiten wollen aber über keine besonders stark gesuchte aber seltene Qualifikation verfügen, müssen im Wettbewerb um solche offensichtlich begehrten Arbeitsplätze eventuell entsprechend höhere und riskantere Investitionen in Form längerer und gering entlohnter Praktika leisten. Ganz offensichtlich sind sie dazu auch bereit und halten die Investition angesichts der Alternative dennoch für einen lohnenden Versuch. Denn als Alternative zum schlecht bezahlten Praktikum bietet sich im Regelfall keine gut bezahlte Festanstellung in der gleichen Tätigkeit an, sondern die endgültige Verabschiedung vom Traumberuf.
Warum greift die Politik ein?
Oft wird argumentiert, die Praktikanten könnten mit der geringen Entlohnung kein würdiges Leben fristen und die Unternehmen würden die Praktikanten ausnutzen. Mit derselben Argumentation wurde schließlich auch der gesetzliche Mindestlohn für reguläre Arbeitsverhältnisse eingeführt. Allerdings unterscheiden sich die Fälle natürlich in gravierenden Punkten: Während reguläre Arbeitsverhältnisse im Regelfall dem Broterwerb dienen, geht es bei einem Praktikum üblicherweise um eine vorübergehende Beschäftigung, bei der die Investition in zukünftige Chancen im Vordergrund steht. Ähnlich wie beim Schulbesuch, bei einer betrieblichen Ausbildung oder bei einem Studium kann der Erfolg des Praktikums also unmöglich alleine oder vorrangig an der Höhe des gezahlten Entgelts bemessen werden. Während gering entlohnte Arbeitskräfte im Notfall durch steuerfinanzierte Transfers Hilfe erhalten, um ein Mindestniveau an Lebensqualität zu erreichen, stehen solche Zahlungen für Praktikanten nicht bereit. Kein Praktikant kann dauerhaft mit der Finanzierung seines Lebensunterhalts durch Arbeitslosengeld II rechnen. Jedenfalls nicht, sofern der zuständige Arbeitsvermittler eine höher entlohnte reguläre Beschäftigung in einer anderen Tätigkeit oder Branche anbieten kann.
Was bewirkt der Mindestlohn für Praktikanten?
Durch die Einführung des Mindestlohns im Praktikum verändert sich das Kalkül der betroffenen Vertragspartner. In vielen Fällen steigen die Kosten des Unternehmens für die Praktikanten erheblich. Zugleich steigt durch die garantierte Vergütung die Attraktivität eines ansonsten unveränderten Praktikumsplatzes für die Bewerber. In der Folge wird es künftig weniger entsprechende Praktikumsplätze, dafür aber (noch) mehr Bewerber geben.
Gewinner sind diejenigen, die einen der weiterhin angebotenen Praktikumsplätze erhalten und sich gleichzeitig über einen höheren Lohn im Praktikum freuen. Verlierer sind in erster Linie jene, die keine Chance mehr haben, ein Praktikum zu absolvieren oder nach ihren Wünschen zu gestalten. Studenten, die zum Beispiel ein längeres Praktikum planen, um ihre Abschlussarbeit in einem Unternehmen zu schreiben oder ein ganzes Praxissemester planen, müssen nun mit deutlich größeren Schwierigkeiten rechnen, eine Stelle zu finden. Wer sich lieber zunächst auf das Fachstudium konzentriert und ein Praktikum erst nach dem Abschluss plant, hat ebenfalls Pech gehabt, weil Frau Nahles Ausnahmen vom Mindestlohn in diesem Fall nur während des Studiums zulässt. Hinzu kommen auf Seiten der Verlierer die Unternehmen, die für die Möglichkeit der Selektion und Bindung qualifizierter potenzieller Nachwuchskräfte nun mehr Kosten aufwenden oder auf diese Möglichkeiten ganz verzichten müssen. Beide Vertragspartner verlieren in den Fällen, in denen die naheliegenden Kompromisslösungen gewählt werden, Praktika kürzer auszugestalten als eigentlich erwünscht oder inhaltlich so umzugestalten, dass ein größerer produktiver Arbeitsbeitrag der Praktikanten die Mehrkosten erwirtschaftet, die Praktikanten aber in weniger Arbeitsbereiche Einblick gewinnen. In beiden Fällen rückt der Investitions- und Ausbildungscharakter weiter in den Hintergrund.
Fest steht, dass der Mindestlohn für Praktikanten diejenigen in ihrer Lebensplanung einschränkt, die ein durch das Gesetz verbotenes gering oder gar nicht entlohntes Praktikum als lohnende Investition zur Erreichung ihrer Ziele angesehen hätten.
Dieser Text ist zugleich als Ausgabe Nr. 04/2015 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.
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