Wenn es um Regulierungsfragen geht, ist jede Branche etwas Besonderes. Jedenfalls behaupten Branchenvertreter gern, ihr Wirtschaftszweig funktioniere nach eigenen Gesetzen und deshalb sei für ihn eine Sonderbehandlung vonnöten. Auch Fußballfunktionäre weisen seit Langem auf produktionstheoretische Besonderheiten hin, aufgrund derer der Profifußball kein Wirtschaftszweig wie jeder andere sei. So hat sich das Bundeskartellamt im Zusammenhang mit der Zentralvermarktung der Bundesliga-Fernsehrechte intensiv mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob ein wettbewerblich organisierter, dezentraler Verkauf der Rechte durch die einzelnen Klubs den sportlichen Wettbewerb schädigen würde. Freier Wettbewerb mache die reichen Klubs reicher und die armen Klubs ärmer – und am Ende werde immer nur der FC Bayern München Deutscher Meister. Deshalb – so die weitere Argumentation der Liga-Funktionäre – müssten die Fernsehrechte durch ein Liga-Kartell zentral verkauft werden, so wie es heute der Fall ist. Nur auf diese Weise ließen sich die erlösten Fernsehgelder vergleichsweise egalitär auf die Vereine verteilen, wodurch die Liga letztlich spannend bleibe. So weit, so gut. Nun wird der FC Bayern aber trotz des Vermarktungskartells und trotz des Finanzausgleichs ständig Deutscher Meister. Was direkt zu der Frage führt: Wie kann das finanzielle (und damit sportliche) Gleichgewicht in der Liga wieder hergestellt werden? Viele Beobachter setzen heute ihre Hoffnung auf externe Geldgeber.
Phasen der Kommerzialisierung
Externe Geldgeber sorgen seit einigen Jahren im europäischen Fußball für Schlagzeilen.[i] Mäzene, strategische Partner und Investoren mischen die Ligen auf und lehren manchen Traditionsverein das Fürchten. Damit hat der Fußball die letzte Stufe der Kommerzialisierung erreicht. Die Kommerzialisierung des Sports lässt sich nämlich in vier Phasen einteilen.[ii]
- In der Nullphase geht es noch ausschließlich um den Sport, kommerzielle Einflüsse sind noch nicht vorhanden.
- In der Instrumentalisierungsphase 1 wird der Sport durch gesundheitsbezogene oder politische Interessen vereinnahmt.
- Die Instrumentalisierungsphase 2 ist die Vermarktungsphase, in der sich der Sport zur Show zu entwickeln beginnt.
- Schließlich folgt die Produktionsphase, in der sportfremde Investoren in die Produktion sportlicher Leistungen einsteigen.
Auch wenn der Prozess noch nicht vollständig abgeschlossen ist, zeigt sich anhand diverser Beispiele sehr deutlich: die Produktionsphase ist erreicht. Beispielsweise würde die TSG Hoffenheim ohne die finanziellen Mittel ihres Mäzens heute sicher nicht in der Bundesliga spielen. In der zweiten Liga kann RB Leipzig als Investoren-Projekt gesehen werden, das Ambitionen hat, möglichst bald in die Bundesliga aufzusteigen, um sich dann dort zu etablieren. Im Ausland gibt es ebenfalls eine Reihe bekannter Klubs (FC Chelsea, Manchester City, Paris St. Germain, AS Monaco etc.), die ihr aktuelles sportliches Niveau den massiven Zuwendungen externer Geldgeber verdanken.
„Emporkömmlinge“ vs. Traditionsvereine
Ist die zu beobachtende Entwicklung positiv oder negativ? (Sport-) Ökonomen vertreten oft die Position, dass kleinere Vereine nur dank externer Geldgeber in die Lage kommen können, sportlich zu den etablierten Klubs aufzuschließen. Der sportliche Wettbewerb nehme zu, der Ligafußball werde dadurch spannender. Für die Situation der Fußball-Bundesliga bedeutet dies konkret: Die sportliche (und wirtschaftliche) Dominanz des FC Bayern München lässt sich praktisch nur durch den Einstieg finanzkräftiger Geldgeber brechen. Aus sportökonomischer Perspektive, sind Investoren und Mäzene deshalb ein Segen. Folglich ist Finanzregulierung im Profifußball, die den Einstieg externer Geldgeber behindert, abzulehnen. [iii]
Das Argument, der Wettbewerb würde intensiviert, weil auch Außenseiter eine Chance auf den sportlichen Aufstieg bekommen, ist durchaus zutreffend. Die oben genannten Klubs sind ein klarer Beleg dafür, dass externe Geldgeber gewachsene Liga-Strukturen gehörig durcheinander wirbeln können. Was den Ökonomen freut, treibt allerdings die sogenannten Traditionsvereine auf die Barrikaden, wird doch ihr angestammtes Revier plötzlich bedroht. Aus Sicht vieler Traditionsvereine handelt es sich um unfairen Wettbewerb, wenn Vereine quasi aus dem Nichts von schwerreichen Geldgebern bis in die oberen Regionen der Bundesliga oder gar in die europäischen Klubwettbewerbe geführt werden und dabei etablierte Kräfte verdrängen.
Nun kann man lange darüber streiten, welchen Unterschied es macht, ob auf der einen Seite Traditionsvereine lukrative Sponsoring-Verträge abschließen oder auf der anderen Seite „Emporkömmlinge“ einen starken Geldgeber haben. In beiden Fällen regiert das Geld die Fußballwelt. Während im ersten Fall zunächst der sportliche Erfolg und – daraus resultierend – anschließend das Geld kam, ist es im zweiten Fall genau umgekehrt: erst das Geld, dann der sportliche Erfolg. Ob der eine oder aber der andere Fall besser ist, soll an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. In wettbewerbsökonomischer Terminologie geht es primär darum, die Liga offen zu halten und dadurch den Marktzutritt von Outsidern zu ermöglichen. Regeln, die den Insidern (den Traditionsvereinen) das Leben erleichtern, widersprechen dem Wettbewerbsgedanken. Insofern ist Finanzregulierung, die den etablierten Klubs Wettbewerbsvorteile verschafft, prinzipiell mit Argusaugen zu betrachten. Dies gilt prinzipiell sowohl für die deutsche 50+1-Regel, mit der verhindert werden soll, dass Investoren die Mehrheit der Stimmrechte an einer Kapitalgesellschaft erwerben, als auch für das europäische Financial Fair Play, mit dem die UEFA den Einfluss externer Geldgeber und finanzielle Exzesse im Fußball allgemein zu begrenzen versucht.[iv]
Fußballfans sind keine gewöhnlichen Konsumenten
Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Doch wäre die Geschichte zu kurz erzählt, denn sie enthält noch nicht die Eigenarten der Fans. Fußballfans sind keine Konsumenten, wie man sie aus dem Lehrbuch kennt. Konsumenten haben Wahlmöglichkeiten, für sie sind Produkte weitgehend austauschbar.[v] Fans hingegen haben solche Wahlmöglichkeiten nicht, denn sie sind – quasi lebenslang – festgelegt auf einen bestimmten Klub. Kein Fan wechselt zu einem anderen Verein, nur weil sein Lieblingsklub schlechte Leistungen abliefert oder in der sportlichen Versenkung verschwindet. So ist zum Beispiel das Stadion des Bundesliga-Gründungsmitglieds HSV praktisch immer ausverkauft, obwohl die sportlichen Leistungen schon lange nicht mehr den Ansprüchen des Klubs und seiner Fans genügen. Mehrere Tausend HSV-Fans begleiten ihre Mannschaft auch zu den Auswärtsspielen. Dagegen haben sportlich wesentlich erfolgreichere Bundesliga-Neulinge wie die TSG Hoffenheim eine vergleichsweise vernachlässigbare Fan-Basis – bei Auswärtsspielen lassen sich die mitgereisten Fans oft an wenigen Händen abzählen. Auch die TV-Einschaltquoten zeigen, dass das Fan-Interesse stark vereinsgebunden ist und nicht primär vom aktuellen sportlichen Erfolg abhängt. Daraus folgt: Für den wirtschaftlichen Erfolg einer Liga ist es keineswegs unerheblich, aus welchen Vereinen die Liga zusammengesetzt ist. Würden im Extremfall alle etablierten Fußballclubs von Investorenprojekten aus der Liga gedrängt, dann würde das Zuschauerinteresse erlahmen, denn ein Großteil der Fans würde sich von einer Liga abwenden, in der ihr Lieblingsclub nicht mehr zuhause ist.
Die These „Wir sind die Traditionsvereine von morgen“, die man aus den aufstrebenden, kapitalstarken Klubs gelegentlich hört, klingt zwar gut, aber sie ist nicht gut begründet. Schöpferische Zerstörung funktioniert in der herkömmlichen Wirtschaft, im Fußball ist das Konzept kaum tauglich. Aufstrebende Klubs haben kurz-, mittel- und vermutlich sogar langfristig allenfalls die Möglichkeit, bei den mehr oder minder neutralen Fußballinteressierten zu punkten. Im Gegensatz zu den Fans sind neutrale Fußballinteressierte nicht auf einen bestimmten Klub festgelegt und entsprechen damit eher dem klassischen Konsumenten, für den in erster Linie eine hohe Produktqualität wichtig ist.
Ohne die Leidenschaft der echten Fans, die maßgeblich zum Unterhaltungswert beitragen, wäre der Fußball nicht das Massenspektakel, das er heute ist. Emotionslose Fußball-Interessierte, die geräuschlos einfach nur guten Fußball sehen wollen, denen aber sonst alles egal ist, reichen nicht aus. Zugespitzt kann man formulieren: Der Fußballfan ist Verbraucher und Produzent zugleich – denn die Fans steuern einen wichtigen Teil zum Unterhaltungsprodukt Fußball bei. Deshalb konnte sich der Fußball noch nie leisten, die Fans im Zuge der Kommerzialisierung nachhaltig vor den Kopf zu stoßen. Eine nachhaltige, intertemporale Maximierung der Liga-Gesamterlöse geschieht über die Stärkung der langfristigen Fan-Basis und nicht über wankelmütige Investoren.
Die Kommerzialisierung des Fußballs war immer eine Gratwanderung zwischen den wirtschaftlichen Erfordernissen auf der einen und dem Bewahren der Fußballtradition auf der anderen Seite. Dabei hat sich gezeigt, dass sich auch die Traditionalisten und Fans sukzessive an Veränderungen gewöhnen können. Bislang ist es den Verantwortlichen im deutschen und im internationalen Fußball jedenfalls erstaunlich gut gelungen, das Rad der Veränderung nicht zu überdrehen.[vi] Der steigende Einfluss externer Geldgeber dürfte deshalb auch pauschal weder Fluch noch Segen sein. Ein gangbarer Weg wäre, den Fußball für externe Geldgeber weiter zu öffnen, ohne dabei die Besonderheiten des Fußballs, insbesondere die Besonderheiten der Fans zu vernachlässigen.
Gefangenendilemma?
Letztlich würden die etablierten Klubs wohl ohnehin nicht tatenlos zusehen, wenn sich immer mehr Emporkömmlinge mit Investorengeldern vollsaugen und so die Platzhirsche verdrängen. Je mehr Klubs diesen Weg gehen, desto stärker fallen solche Klubs zurück, die sich – aus Tradition und/oder aus Überzeugung – den externen Geldflüssen verschließen. Nach und nach würden aber wohl auch diese Klubs den Angriff ihrerseits mit Investorengeldern kontern. Es kann also zu einer Situation kommen, die zwar kaum jemand wollte (die also kollektiv irrational ist), die aber aus Sicht des einzelnen Klubs nachvollziehbar (also individuell rational) ist.[vii] Somit ist denkbar, dass in 10 Jahren praktisch alle Erst- und Zweitligisten externe Eigenkapitalgeber haben. Ob sich die finanzielle und sportliche Stabilität der Liga dadurch erhöht oder ob sich die Schere weiter öffnet, ist völlig offen. Sofern sich die Zuschauer nicht massenweise von einer solchen „Investoren-Liga“ mit Schrecken abwenden, ist schon heute sicher, wer die Gewinner sein werden: zuallererst die Fußball-Spieler und die Trainer, aber auch die Betreuerstäbe und Funktionäre. Denn der Geldkreislauf würde durch externe Kapitalgeber noch weiter aufgepumpt und die Gehälter würden weiter in die Höhe schnellen.
[i] Vgl. dazu ausführlich: Chemnitzer/Leißle/Quitzau (2015), Finanzierung im Profifußball – Anleihen, Mäzene, Investoren & Co., Berenberg Wirtschaftstrends vom 21. Januar 2015.
[ii] Vgl. Brandmaier/Schimany (1998), Die Kommerzialisierung des Sports, S. 20.
[iii] Vgl. dazu ausführlich Budzinski/Müller (2013), Finanzregulierung und internationale Wettbewerbsfähigkeit: Der Fall Deutsche Bundesliga, S. 261-290, in: Wettbewerb und Regulierung in Medien, Politik und Märkten, Dewenter/Haucap/Kehder (Hrsg.).
[iv] Vgl. dazu Quitzau (2013), UEFA Financial Fair Play: Katz-und-Maus-Spiel zu erwarten, Â http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=11380
[v] Natürlich gibt es auch bei gewöhnlichen Konsumgütern äußerst starke Präferenzen. So können zum Beispiel Automobilhersteller zumindest bei Teilen ihrer Kunden auf sehr hohe Markentreue setzen. Allerdings ist die Treue bei den Fußballfans noch stärker ausgeprägt (welcher Autofahrer wäre bereit, über mehrere Jahre Woche für Woche von seinem Fahrzeug enttäuscht zu werden, ohne den Hersteller zu wechseln?). Zudem ist der Anteil derer, die sich partout nicht von Preis- und Qualitätsanreizen lenken lassen und der Marke bzw. dem Klub unter allen Umständen treu bleiben, bei Autokäufern deutlich geringer als bei Fußballfans.
[vi] Dabei profitiert der Profifußball selbstverständlich von seinen Monopolstrukturen. Es gibt nur einen Weltverband (FIFA), einen europäischen Ligaverband (UEFA) sowie jeweils nur eine nationale Ligastruktur. Der Fußballfan hat also keine Möglichkeit, auf eine andere, traditioneller orientierte Fußball-Liga auszuweichen, wenn ihm die Veränderungen zu weit gehen.
[vii] Vgl. auch Prigge/Vöpel (2014), Investoren und Mäzene im Fußball – eine Typologie externer Kapitalgeber, HWWI Standpunkt vom 20. Februar 2014.
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