Die Hängepartie wird sich noch eine Weile hinziehen. Griechenland benötigt dringend die Auszahlung weiterer Hilfsgelder, aber es wird sie erst erhalten, wenn die Reformliste die Geberländer überzeugt. Oder wenn diese aus übergeordneten europapolitischen Motiven zustimmen, auch ohne überzeugt zu sein. Voraussichtlich wird es am 24. April, beim Treffen der europäischen Finanzminister in Riga, zu einer Entscheidung kommen.
Bisher testet die griechische Regierung, wie weit sie gehen kann. Sie liefert unvollständige, oberflächliche und skizzenhafte Listen von geplanten Reformen, teils verbunden mit unrealistischen Erwartungen an deren fiskalische Auswirkungen. Hinzu kommt das alte Problem der Umsetzung solcher Listen, das auch bei den Vorgängerregierungen schon existierte: Was angekündigt ist, ist noch lange nicht Gesetz, und was Gesetz ist, ist noch lange nicht von der Exekutiven durchgesetzt.
Immerhin: Wirft man einen Blick auf die bisher öffentlich gewordenen Vorhaben, so ist ein Schwerpunkt erkennbar. Die griechische Regierung legt, nicht ungewöhnlich für linke Amtsinhaber, ein besonderes Augenmerk auf die Verbesserung der Staatseinnahmen. Hier wiederum liegt der Schwerpunkt kaum auf der Erhöhungen von Steuersätzen, die unpopulär wäre, sondern auf der Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich will die Regierung auf diesem Weg mobilisieren, das wären immerhin gut drei Prozent des jährlichen Steueraufkommens in Griechenland.
Nun ist die Sache aber natürlich nicht ganz so einfach. Die empirische Forschung zum Thema macht sehr deutlich, daß man mit einer Verschärfung der Strafverfolgung zwar etwas erreichen kann, aber nicht sehr viel. Selbst mit zahlreichen neuen Steuerfahndern wäre aus Sicht des einzelnen Bürgers die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, noch relativ klein. Bei völlig emotionslosem Entscheiden bliebe die Steuerhinterziehung für die meisten Bürger verlockend.
Der Staat ist, nicht nur in Griechenland, auf die Kooperation seiner Bürger angewiesen. Er muß Steuerzahlungen mit Zwang durchsetzen, aber er kann sich nicht nur auf diesen Zwang verlassen. Tatsächlich neigen zahlreiche Bürger dazu, ihre Steuern ehrlich zu zahlen. Sie machen sich keine Gedanken über Entdeckungswahrscheinlichkeiten, sondern bleiben einfach ehrlich. Manche tun dies vielleicht, weil sie für den Fall der Entdeckung nicht nur strafrechtliche Konsequenzen fürchten, sondern auch gesellschaftliche Ächtung. Bei manchen Steuerzahlern spielt aber tatsächlich auch so etwas wie bürgerliches Pflichtbewußtsein seine Rolle.
Das Problem ist, daß die Neigung zur Steuerehrlichkeit sich bei ungünstigen Bedingungen wesentlich schneller verflüchtigen kann, als sie sich durch politische Maßnahmen wieder aufbauen läßt. Und in diesem Punkt sind in Griechenland in der Vergangenheit sehr große Fehler gemacht worden. Die verfassungsmäßige Privilegierung der Gewinne von Reedern ist beispielsweise in aller Munde. Diese führt aber nicht nur zu einem unmittelbaren Ausfall von Steuerzahlungen von griechischen Reedern, sondern auch dazu, daß manch ein Kleinunternehmer sich fragt: Wieso sollte ich eine Bürgerpflicht zur Steuerehrlichkeit verspüren, wenn Milliardäre legal steuerfrei arbeiten?
Auch die Ausgabenseite des Budgets spielt eine Rolle. Steuermoral nimmt zu, wenn die Bürger das Gefühl haben, ein angemessenes Angebot öffentlicher Güter als Gegenleistung zu erhalten. Hat man es aber mit einem Staat zu tun, der schon längst zur Beute verschiedenster Interessengruppen geworden ist, dann stellt man sich wiederum andere Fragen: Kriege ich mehr heraus als ich zahle? Erhält mein Nachbar unterm Strich noch mehr? Die gefühlte Bürgerpflicht zur Finanzierung eines grosso modo für alle vorteilhaften Gemeinwesens wird verdrängt durch die Sorge, man könnte am Ende der Dumme sein, der zahlt, während andere profitieren.
Vor diesem Hintergrund erscheint es als relativ aussichtsloses Unterfangen, die Steuermoral in Griechenland kurzfristig erhöhen zu wollen. Steuermoral hängt weniger von kurzfristigem, tagespolitischem Aktivismus ab als von der grundsätzlichen Art und Weise, wie Bürger ihr Gemeinwesen wahrnehmen. Das bedeutet nicht, daß alle von der griechischen Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen sinnlos sind. Es gab beispielsweise in der deutschen Presse einiges an Häme für den Vorschlag, die Hinterziehung von Umsatzsteuer zu bekämpfen, indem Rechnungen einen zufälligen Zahlencode aufgedruckt bekommen sollen, mit dem sie gleichzeitig Lose in einer staatlichen Lotterie sind. Das soll für die Kunden den Anreiz erhöhen, auf das Aushändigen einer Rechnung zu bestehen.
Tatsächlich hat sich die griechische Regierung das nicht ad hoc ausgedacht, sondern es gibt Vorbilder, sowohl in Europa (etwa Portugal), als auch weltweit, wo man mit solchen einfachen Mitteln durchaus ansehnliche Ergebnisse bei der Bekämpfung der Umsatzsteuer-Hinterziehung erreicht hat. Aber im Gesamtbild wären das eben doch nur kleine Schritte, mit denen Griechenland weder seinen Haushalt sanieren, noch unmittelbar die Steuermoral drastisch erhöhen würde.
Realistischer wäre es, eine Erhöhung der Steuermoral als langfristigen Kollateralnutzen einer ansonsten konsequenten und erfolgreichen Reformpolitik zu erwarten. Privatisierungen, Korruptionsbekämpfung, Konzentration auf die Bereitstellung öffentlicher Güter anstelle von Verteilungskämpfen, Vereinfachungen des Steuersystems – all dies hätte positive Wachstumseffekte und es würde den Blick ändern, mit dem die Griechen ihren Staat wahrnehmen. Steuermoral verordnet man als Regierung nicht. Man erarbeitet sie sich durch eine Reformpolitik, die mühsam ist, aber dann doch Anerkennung findet.
Leider signalisiert die aktuelle griechische Regierung aber bisher keine Bereitschaft, diesen Weg zu gehen. Sie bringt schlicht die Reihenfolge durcheinander, in der Reformen sinnvoll implementiert werden sollten: Erst erarbeitet man sich Vertrauen, dann kommt die Steuermoral.
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Die Antwort auf die Frage nach der Steuermoral kann nicht einfach mit ja oder nein beantworten. Ich finde, damit die Menschen wieder freiwillig Steuern zahlen, muß in einem Land in allen Ebenen Gerechtigkeit herrschen. Gerechtigkeit seitens der Politik und der Justiz, oder auch keine Korruption in einem Land zu haben dauert im Normalfall Jahre. Hier muß sich auch in den Köpfen aller Bürger was ändern. Der Egoismus muß dem Gemeinwohl weichen. Griechenland ist aus meiner Sicht mitten in diesem Wandel und das wird noch einige Jahre dauern, bis diese Transformation abgeschlossen ist.
Gruß Aderius