Impfstrategie: Jeder Immune zählt!

Die Corona-Krise steuert auf ihren dramatischen Höhepunkt zu. Endlich ist die sehnlichst erwartete Erlösung da: die Impfung. Mit ihr sind die zwei bisherigen Ziele der Freiheitsbeschränkungen – die Risikogruppen vor Infektion und das Gesundheitswesen vor Überlastung zu schützen – bis Ende Februar nachhaltig erreichbar. Wer aber meint, nun würden die für Gesellschaft und Wirtschaft enorm belastenden Beschränkungen schnell aufgehoben, irrt. Die Regierungen haben die Normalisierung zugunsten eines neuen Ziels bis in den späten Sommer zurückgestellt. Zuerst wollen sie Herdenimmunität durch Impfung erreichen. Dieses neue Ziel dürfte ohne die Berücksichtigung der Bedeutung der natürlichen Immunität für die Herdenimmunität scheitern.

Natürliche Immunität gewinnt

Wer Herdenimmunität will, muss auch die natürliche Immunität der Genesenen als weiterhin wachsende Ressource nutzen. Eine vernünftige Impfstrategie zur Erreichung von Herdenimmunität versucht, die Gesamtzahl der Immunen möglichst schnell und mit möglichst wenigen Risiken zu steigern. Dabei ist die derzeitige Knappheit der Impfkapazität immer zu berücksichtigen. Daher sollten jene, die bereits natürlich immun sind, vorerst nicht nochmals künstlich über Impfung immunisiert werden. Auch die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut schreibt im Epidemiologischen Bulletin (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/02_21.pdf?__blob=publicationFile): „Nach überwiegender ExpertInnenmeinung sollten Personen, die eine labordiagnostisch gesicherte Infektion mit SARSCoV-2 durchgemacht haben, zunächst nicht geimpft werden.“ Wer die natürliche Immunität nicht nutzt und alle impft, auch wenn sie schon natürlich immun sind, verschwendet wertvolle Impfkapazität und zahlt einen hohen Preis in Form vieler unnötiger Ansteckungen und Todesfälle sowie längerer Beschränkung der Freiheiten.

Immer mehr Studien in führenden Fachzeitschriften zeigen, dass die von der Infektion Genesenen robuste und neutralisierende Antikörper für nun wenigstens acht Monate aufweisen (z.B. J.M. Dan et al. und A. Wajnberg et al. in Science). Die Genesung schützt ähnlich wie eine sehr gute Impfung (Lumley et al. in New England Journal of Medicine). Über die Dauer der Immunität nach Impfung ist wenig bekannt, aber der BioNTech Mitgründer und CEO Ugur Sahin geht davon aus, dass die Impfung ähnlich lange wirkt wie die natürliche Immunität.

Die Zahl der natürlich Immunen ist bereits hoch und wächst schnell. Aufgrund der hohen Dunkelziffer muss sie geschätzt werden. Dabei wird sie in Antikörperstudien eher unterschätzt, weil manche Genesenen keine Antikörper, sondern «nur» eine zelluläre Abwehr aufweisen. Das Robert Koch Institut kommt für Deutschland auf einen Faktor für die Dunkelziffer von vier bis sechs und das US-Seuchenbekämpfungsamt CDC für die USA auf einen Wert von über sieben. Damit käme man auf eine tatsächliche Durchseuchung und natürliche Immunität von nunmehr wenigstens 23 Prozent für die Schweiz, 18 Prozent für Österreich und 10 Prozent für Deutschland. Dabei steigt der Anteil der Genesenen weiter überall weiter. Kurz: Die natürliche Immunität ist nicht nur eine sichere, sondern eine große Ressource, die gesucht, gefunden und genutzt werden muss.

Falsche Alternativen

Regierungen, die die natürlich Immunen nicht berücksichtigen, bieten sich nur noch zwei schlechte Alternativen.

Wer auf Herdenimmunität ausschließlich durch Impfung ohne Berücksichtigung der natürlichen Immunität setzt, muss die wirtschaftlichen und persönlichen Freiheiten noch viele Monate hart einschränken. Mit der Dauer der Einschränkungen wachsen aber die Kosten und der Nutzen sinkt. Zudem dürfte die Impfbereitschaft schwinden. Denn das Argument, die Impfung möglichst aller sei wichtig, weil so die Ansteckung von Risikopersonen verhindert werden könne, wird unwichtiger, wenn sich diese durch die Impfung selbst schützen können. Deshalb brächte diese Strategie neben riesigen Kosten wohl am Ende einen Impfzwang.

Wenn hingegen die Freiheitsbeschränkungen wegen ihrer hohen Kosten gelockert werden, wachsen die Ansteckungen und so die Gesundheitsrisiken. Mit der steigenden Immunität sinkt die Impfbereitschaft aber noch zusätzlich, was das Erreichen der Herdenimmunität durch Impfung weiter erschwert. Im Endergebnis besteht das Problem dieser Alternative darin, dass besonders viele Menschen die Infektion durchmachen, bevor sie geimpft werden, was mit viel größeren Risiken verbunden ist.

Schließlich gilt es zu berücksichtigen, dass die Impfbereitschaft sowieso kaum genügt, um Herdenimmunität zu erreichen. Das gilt umso mehr, als dass der Sinn der Impfung von Kindern und Jugendlichen noch umstritten ist. Und es gilt erst recht, wenn die Schwelle für Herdenimmunität infolge der höheren Infektiosität neuer Virusvarianten noch steigt. Herdenimmunität kann ohne Zwang nur gemeinsam durch die Impfung und die Anerkennung der natürlichen Immunität erreicht werden.

Bitte wenden

Weshalb wollen die Regierungen trotzdem die bereits Immunen nicht erfassen und sie sogar nochmals impfen? Manche Entscheidungsträger folgen lieber der Strategie der EU und schwimmen mit der Herde, denn das ist einfacher als einen eigenen Weg zu verteidigen. Manch andere dürften den Aufwand fürchten, die Immunen mithilfe systematischer Antikörpertests zu erfassen. Noch relevanter ist aber, dass die meisten Regierungen von Anfang der Krise an die natürliche Immunität der Genesenen als wichtige Ressource völlig verkannt und sogar schlechtgeredet haben. Wir fordern seit März 2020 in zahlreichen Beiträgen (u.a. auch auf Wirtschaftliche Freiheit, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=27600), die Genesenen zu suchen, zu finden und mit einem Immunitätszertifikat auszustatten, sodass ihre vergangene Erkrankung dokumentiert und ihre Immunität nutzbar wird. Wenn Regierungen nun die natürliche Immunität als den Impfungen weitgehend gleichwertig anerkennen, dürfte ihnen die unangenehme Frage gestellt werden, weshalb sie die natürliche Immunität denn nicht schon viel früher anerkannt und aktiv genutzt haben, zum Beispiel in der Pflege und im medizinischen Bereich.

Trotzdem bleibt zu hoffen, dass manche Regierung den Mut zur Wende finden. Für das Wohl der Bevölkerung und der Volkswirtschaft zählt, dass wir so schnell wie möglich die Risikopersonen impfen und wieder in das normale Leben zurückkehren können. Dafür braucht es die Anerkennung der natürlichen Immunität als Teil der Strategie zur Erreichung einer hohen Immunität in der Bevölkerung. Der zu Beginn der Pandemie vorgebrachte Einwand – die Anerkennung der natürlichen Immunität könnte zu Selbstansteckungen führen – zieht noch viel weniger als damals. Wenn die Immunen gleich wie Geimpfte behandelt würden und von den Auflagen wie Quarantänepflicht bei Kontakt mit Infizierten und im Reiseverkehr befreit werden, lohnt es sich angesichts der bei einer vernünftigen Impfstrategie bald verfügbaren Impfungen nun sicher nicht mehr, sich selbst anzustecken. Vielmehr gäbe die Anerkennung der natürlichen Immunität den Menschen beste Anreize, sich freiwillig auf Immunität testen zu lassen und so die neue vernünftige Strategie der Regierung aktiv zu unterstützen und beschleunigen.

Reiner Eichenberger und David Stadelmann
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