Ein einzelnes Land, das seine CO2-Emissionen mit den heute üblichen Politikansätzen zu senken versucht, hat sehr hohe Kosten aber kaum Einfluss auf den globalen Klimawandel. Deshalb warnen manche Stimmen in Deutschland vor klimapolitischen Alleingängen. Sie fordern, Klimaschutzmaßnahmen nur gemeinsam mit möglichst vielen Ländern im Rahmen eines Klimaclubs durchzuführen und die Importe aus Nicht-Clubländern mit einem Klimazoll zu belasten.
Vor dieser Strategie raten wir ab. Stattdessen sollte Deutschland den Alleingang wagen – aber richtig! Ein erfolgreicher Alleingang bedingt die konsequente Verwirklichung echter Kostenwahrheit anstelle der bisherigen kontraproduktiven klimapolitischen Regulierungen, Verbote und Subventionen. Mit Kostenwahrheit könnte Deutschland seine Emissionen stärker und günstiger reduzieren sowie Wachstumspotenziale realisieren, was andere Länder überzeugen würde mitzuziehen.
Echte Kostenwahrheit wirkt
Echte Kostenwahrheit umfasst dreierlei:
1. Treibausgase bepreisen: Die von den heutigen Treibhausgasemissionen verursachten Nettokosten müssen wissenschaftlich fundiert geschätzt und den Emittenten ausnahmslos über einen expliziten CO2-Preis in Rechnung gestellt werden. Das würde allen Verbrauchern und Produzenten die richtigen Anreize zur Emissionsminderung und zur Entwicklung umweltfreundlicher Technologien setzen. Bei der Berechnung des optimalen Preises muss berücksichtigt werden, dass Treibhausgasemissionen über sehr lange Zeit kumulieren und wirken, ihre Reduktion über die Jahre dank dem technologischen Fortschritt billiger wird, und letzterer umso schneller erfolgt, je höher der erwartete CO2-Preis ist. Das klingt kompliziert, ist aber einfacher als eine Vielzahl von Verboten und Vorschriften optimal auszugestalten und besten Zukunftstechnologien richtig zu identifizieren und zu subventionieren. Die aktuellen Schätzungen eines optimalen CO2-Preiseses belaufen sich gemäß dem Nobelpreisträger William D. Nordhaus auf rund 50-55 Euro pro Tonne CO2. Unter Berücksichtigung von inländischer Produktion und Energieverbrauch entspricht dies Bruttokosten von rund 450 Euro pro Bürger und Jahr. Um nachhaltig Kostenwahrheit zu gewährleisten, wäre ein moderater stetiger Anstieg bis 2050 auf rund 130 Euro (zuzüglich Inflationsausgleich) pro Tonne CO2 notwendig, bei dann aber viel kleineren Emissionen.
2. Arbeit entlasten: Echte Kostenwahrheit verlangt, dass die durch den CO2-Preis generierten Einnahmen an die Bürger zurückgegeben werden. CO2 entsteht bei Produktion und Konsum von Gütern und Dienstleistungen. Folglich besteht zwischen dem individuellen Einkommen, Konsum und CO2-Ausstoss ein enger Zusammenhang. CO2-Preise sind insofern indirekte Steuern auf Einkommen und Konsum, senken das reale Einkommen der Bürger und setzen neben ihren positiven Anreizen zur Emissionsminderung leider negative Leistungsanreize. Deshalb ist es sinnvoll, die Rückführung der Einnahmen aus dem CO2-Preis über eine Senkung leistungsfeindlicher Steuern, also insbesondere der Einkommensteuer, vorzunehmen. Durch Rückführung an die Bürger über Steuersenkungen bleibt Leistung gleich stark besteuert, aber Treibhausgasemissionen erhalten den richtigen Preis und werden deshalb kleiner.
3. Bürokratie reduzieren: Schließlich können die bisherigen klimapolitischen Regulierungen und Subventionen weitgehend abgeschafft werden. Denn bei Kostenwahrheit mit einem optimalen CO2-Preis sind sie überflüssig. Das schafft enormes Entlastungspotential. Von der einhergehenden Entbürokratisierung würden Bürger, Wirtschaft und Staat profitieren. Derzeit verursachen Regulierungen und Subventionen riesige Kosten. Zudem könnten Fachkräfte, die gegenwärtig in Wirtschaft und Verwaltungen mit Umsetzung und Kontrolle von Klimaregulierungen beschäftigt sind, für weit produktivere Tätigkeiten in Unternehmen und Verwaltungen eingesetzt werden.
Zwar sind optimale CO2-Preise schwierig zu schätzen und ihre Klimawirkung hängt von vielerlei Annahmen ab, insbesondere ob andere Länder mitziehen. Aber das gilt für alle anderen Politikeingriffe noch mehr, sobald ihre Nutzen und Kosten ernsthaft abgewogen werden. Verbote und Gebote verursachen hohe Wohlfahrts- und Bürokratiekosten, und Subventionen müssen finanziert werden. Der essenzielle Punkt ist: Mit echter Kostenwahrheit gibt es pro eingesetzten Euro weit mehr Klimaschutz und die Wahrscheinlichkeit, dass immer mehr Länder mitziehen, ist weit größer als bei den bisherigen Maßnahmen.
Deutschlands Chance
Weshalb soll ausgerechnet Deutschland den Alleingang wagen? Tatsächlich fordern gewichtige Vertreter von Kostenwahrheit, etwa das Economists‘ statement on carbon dividends von über 3600 US-Ökonomen und 28 Nobelpreisträgern sowie der Climate Leadership Council in den USA,dass der CO2-Preis gemeinsam mit möglichst vielen Ländern im Rahmen eines Klimaclubs erhoben und die Importe aus Nicht-Clubländern mit einem Klimazoll belastet werden sollen. Aber Vorsicht: Diese Empfehlungen sind stark auf die Probleme der USA zugeschnitten. Die USA hat eine weit höhere Ungleichheit, weit tiefere Steuern und weit weniger klimapolitische Auflagen als Deutschland. Deshalb fordern die Ökonomen eine Rückschüttung pro Kopf und wollen die Verschlechterung der Wettbewerbsposition der USA verhindern, indem andere Länder im Klimaclub zu einer ähnlichen Politik verpflichtet werden.
Deutschland hat andere Probleme. Um im internationalen Wettbewerb mithalten und seinen Wohlstand halten zu können, muss es eine zusätzliche steuerliche Belastung von Leistung dringend verhindern. Zugleich betreibt es die weltweit wohl teuerste Energie- und Klimapolitik. Die Umstellung dieser Politik auf echte Kostenwahrheit bringt deshalb der Wirtschaft nicht Mehrkosten, sondern Entlastung. Damit wäre Kostenwahrheit für die deutsche Wirtschaft problemlos tragbar, würde im Gegensatz zur bisherigen und von der Regierung anvisierten Klimapolitik keine Anreize für weitere Produktionsverlagerungen schaffen, sondern den Standort Deutschland attraktiver machen. Klimapolitik mit echter Kostenwahrheit würde so zu einem wichtigen Element einer effektiven Revitalisierung des deutschen Erfolgsmodells. Ein Bekenntnis der Regierung zur echten Kostenwahrheit und ein klar strukturierter Reformfahrplan würde ihre Glaubwürdigkeit stärken, die sie für die vielen anderen anstehenden Reformen dringend braucht.
Hinweis: Eine leicht modifizierte Version dieses Aufsatzes erschien am 21. September 2023 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung
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