Viele sehen im Klimawandel das größte Problem der Menschheit und wollen die Erderwärmung auf 1,5 oder höchstens 2 Grad begrenzen. Dafür müsste die gesamte Welt bis rund 2050 klimaneutral sein. Die dazu notwendige Dekarbonisierung verlangt einen präzedenzlosen politischen und wirtschaftlichen Kraftakt. Während sich ihre Vertreter fast ausschließlich auf die Klimawissenschaften berufen, betrachten wir die heutige Klimapolitik auch aus politisch-ökonomischer Perspektive. Dabei zeigt sich: Sie vernachlässigt das Konzept der Nachhaltigkeit sowie das reale menschliche Verhalten in Wirtschaft und Politik und ist insofern „klimanaiv“.
Ignorierte Nachhaltigkeit
Die derzeit geplanten Klimamaßnahmen wirken sich stark auf andere Bereiche aus, etwa auf die staatlichen Finanzen, die Wirtschaft, das soziale Zusammenleben, die Ernährung, persönliche Freiheiten oder Landschaftsschutz. Dies alles, um ein Ziel zu erreichen, das mit 1,5 Grad sehr unrealistisch ist. Denn die Erde hat sich gemessen am Referenzniveau – der Temperatur zu Beginn der Industrialisierung um 1850 bis 1880 – schon um 1,1 Grad erwärmt. 1,5 Grad bedeuten also praktisch einen Vollstopp der Erwärmung, der aber wegen der Eigendynamik des Klimasystems im Grunde nicht mehr erreicht werden kann.
Das Konzept der Nachhaltigkeit zielt auf eine anhaltende und ausgewogene Entwicklung in den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt. Die Entwicklung in einem Bereich soll keine unverhältnismäßigen Kosten für andere Bereiche sowie zukünftige Entwicklungschancen haben.
Für ihre Politik berufen sich die Regierungen stets auf die Weltklimaberichte. Dabei zeigen sowohl diese wie auch die einschlägige wissenschaftliche Literatur, dass die Kosten des Klimawandels verglichen mit anderen Veränderungen wenig relevant sind. Zwar erscheinen die Schäden durch Hitze, Wind, Sturmfluten, Meeresspiegelanstieg, etc. in absoluten Zahlen riesig, erst recht, wenn sie über Jahrzehnte summiert werden, wie kürzlich in den Auftragsstudien des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Doch relativ zur Wirtschaftsleistung betragen sie gemäß den allermeisten Studien im Jahr 2100 «nur» 2 bis 6 Prozent, selbst in schlimmsten Szenarien. Und die Schreckzahlen im extremsten Szenario der Auftragsstudie des Bundesministeriums belaufen sich ohne jegliche Anpassung auf «nur» rund 0.5 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2030 und etwa 1.5 Prozent im Jahr 2050. Da diese Studien in verschiedener Weise die bisherigen Auswirkungen von relativ kurzfristigen und lokalen Klima- und Wetterveränderungen erfassen und dann auf Klimaszenarien extrapolieren, unterschätzen sie die Anpassung von Mensch und Technik an den langfristigen und globalen Klimawandel. So überschätzen sie eher die zu erwartenden zukünftigen Schäden. Erst recht aber verblassen die Schäden im Vergleich mit all den anderen Entwicklungen bis 2100. So wird der Wohlstand gemessen im Bruttoinlandprodukt pro Kopf in reichen Ländern um wenigstens 80 Prozent und in Entwicklungsländern bei guten politischen Rahmenbedingungen um über 2000 Prozent wachsen, was auch im Weltklimabericht nicht im Geringsten in Frage gestellt wird.
Es gibt unzählige weit ertragreichere Reformen für Umwelt, Wirtschaft und Politik, die billiger, einfacher und sicherer umgesetzt werden können als die heutigen Pläne der Regierungen für die schnelle Dekarbonisierung der Weltwirtschaft. In der Politik liegen die größten Reformchancen. So erleiden heute die Einwohner vieler Ländern infolge schlechter Politik bzw. schlechter politischer Institutionen einen Wohlstandsverlust von 95 Prozent und mehr gegenüber Ländern mit besonders guten politischen Rahmenbedingungen.
Somit gilt: Klima ist wichtig, aber aus Sicht einer umfassen verstandenen Nachhaltigkeit eben nur ein Teilbereich des Teilbereichs Umwelt. Wer daraus das größte Problem der Menschheit macht, verletzt die grundsätzlichsten Regeln von Nachhaltigkeit, Verhältnismäßigkeit und vernünftigem Abwägen von Nutzen und Kosten bzw. Vor- und Nachteilen.
Ignorierte ökonomische Kräfte
Die Bekämpfung des Klimawandels ist ein globales Gemeingut, das nur unter speziellen Bedingungen bereitgestellt werden kann. Wer seine Emissionen mindert, hat Kosten, aber der Nutzen fällt verteilt über die ganze Welt und so größtenteils bei anderen an. Daraus erwächst die typische Tragik der Gemeingüter: Auch wenn es global betrachtet wünschenswert ist, die Emissionen insgesamt zu reduzieren, ist es für jeden einzelnen Bürger rational, wenn er, seine Gemeinde und sein Land nicht zum Klimaschutz beitragen, weil seine Kosten höher als seine Vorteile aus dem dadurch bewirkten Klimaschutz sind.
Kollektives Handeln könnte Einzelinteressen überwinden. Darauf zielen die vielen globalen Klima-Großkonferenzen und -Verträge, wie man sie seit Jahrzehnten kennt. An ihnen wollen sich die Regierungen gegenseitig verpflichten, in ihren Ländern Klimaschutz zu betreiben. Das droht zu scheitern:
Erstens ist die Tragik des Gemeingutes beim Klimawandel besonders stark ausgeprägt. Die Kosten wirksamer Klimapolitik fallen schnell und gut sichtbar an, die Nutzen aber wegen der Eigendynamik des Klimas infolge der schon bestehenden CO2-Konzentration erst Jahrzehnte später.
Zweitens unterläuft sich aktiver Klimaschutz selbst. Wenn einzelne Länder ihre Wirtschaften dekarbonisieren, senkt das die Anreize der anderen zu Klimaschutz, weil es einerseits die Weltmarktpreise für fossile Energieträger sinken und andererseits die Strompreise sowie die Stromspeicherkosten steigen lässt. Denn bei Dekarbonisierung müssen die meisten Länder mehr Strom importieren oder können weniger exportieren, und die internationalen Speicherkapazitäten (etwa in Speicherseen) sind beschränkt.
Drittens hat der Klimawandel neben Nachteilen auch Vorteile. Nun wird immer klarer, wer viel und wer wenig verliert oder sogar gewinnt. Zugleich können öffentliche Anpassungsmaßnahmen wie Begrünung und Schaffung offener Wasserflächen in Städten oder der Bau von Deichen und Talsperren die Bürger vor Hitze, dem steigenden Meeresspiegel, Starkregen und Stürmen zu einem guten Teil schützen, was auch Studien zu den Anpassungsmöglichkeiten betonen. Doch dadurch wird die Kooperationsbereitschaft zum Klimaschutz vieler Länder abnehmen.
Viertens nimmt die individuelle Anpassung durch bauliche und technische Maßnahmen – Stichwort Klimaanlage – zu. Da individuelle Anpassung ein privates Gut ist, also denen nützt, die sich anpassen, wird sie schnell und stark sein. Menschen aus Ländern, wo die Anpassung eher einfach und billig ist, verlieren die Lust an teurer Emissionsreduktion. Menschen aus Ländern, wo die Anpassung schwierig und teuer ist, verlieren die Lust an teurer Klimapolitik ebenfalls, weil sie die knappen Ressourcen für die Anpassung sparen wollen. Die Anreize für Emissionsreduktionen dürften daher über die Zeit schrumpfen.
Ignorierte politische Kräfte
Viele Bürger wollen Klimaschutz und bekennen sich dazu. Tatsächlich würde internationaler Klimaschutz die Wohlfahrt erhöhen. Deshalb versprechen auch viele Regierungen Klimaschutz. Das heißt aber nicht, dass sie ihn auch liefern werden. Vielmehr haben sie oft gegenteilige Anreize.
Bei internationalen Klimaverträgen sind die Mehrheit der beteiligten Länder keine funktionierenden Demokratien im westlichen Sinn. Viele ihrer Regierungen würdigen Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Demokratie und das Wohl ihrer Bürger bestenfalls auf Papier. Mit Blick auf die obige Feststellung, dass das größte Risiko für viele Menschen eine schlechte Regierung ist, erscheint es „klimanaiv“ zu hoffen, dass sich diese Politiker derzeit ausgerechnet im Klimabereich für das Wohl aller zukünftiger Weltbewohner einsetzen. Notwendig wäre dies aber, denn die Bekämpfung des Klimawandels ist ein globales Gemeingut, weshalb ökonomische und politische Kräfte sowie deren Zusammenspiel nicht ignoriert werden können. Entsprechend sind die bisherigen Erfolge der Klimapolitik wenig eindrücklich. Die weltweiten Emissionen steigen entgegen den Regierungsversprechen und dem praktizierten Aktionismus.
Mit ernsthaftem Kilmaschutz lässt sich all das nicht erklären, wohl aber anders: Erstens dient manchen Regierungen die Klimapolitik dazu, ihre Besteuerungs- und Regulierungsmöglichkeiten unter internationaler Anerkennung auszubauen und gut organisierte Interessengruppen mit Subventionen zu bedienen. Zweitens freuen sich einige, dass ihre „grünen“ Produkte wie Solarpanels, Batterien oder die „Übergangstechnologie“ Erdgas und bald auch „grüner Wasserstoff“ stärker nachgefragt werden. Drittens ist es für manche autokratische Regierung ein Vorteil, dass gewisse Länder des Westens durch Verzicht auf Fracking, Kernenergie und den Aufbau einer alternativen Versorgungsinfrastruktur noch abhängiger von ihren Energielieferungen werden.
Auch die Politik funktionierender Demokratien erscheint klimanaiv. So ist das Ergebnis der demokratisch legitimierten deutschen Klimapolitik ernüchternd: Die Konsumentenpreise für Elektrizität gehörten schon vor dem Krieg in der Ukraine zu den höchsten der industrialisierten Welt. Die Subventionen sogenannter erneuerbarer Energien sind sehr hoch. Die Treibhausgasemissionen pro Kopf sind im europäischen Vergleich hoch und substanziell höher als etwa in Frankreich, Großbritannien, Italien oder Spanien. Die Abhängigkeit von fossilen Energien im Allgemeinen und von Erdgas aus Autokratien im Speziellen ist groß. Trotz alledem ist Deutschland kein besonders wichtiger Exporteur regenerativer Energieproduktionstechnologien oder von Batterietechnologie. Deutsche Kohle scheint für die Regierung eine „neue“ Übergangstechnologie in die vollelektrifizierte Zukunft. Oder kurz: Klimanaivität bringt hohe Kosten ohne nennenswerten Effekt auf die Erderwärmung.
Kostenwahrheit ist Trumpf
Nach unserer Analyse unterliegt die heutige Klimapolitik einer Planungsillusion und ist zum Scheitern verurteilt. Wer die heutige klimatische Situation möglichst bewahren will, muss dringend eine andere Strategie wählen. Sie muss zugleich die klimawirksamen Emissionen schnell reduzieren und günstig sein. Dafür aber bedarf es größter technologischer Innovationen. Nur eine solche Strategie hat Chancen, von den ärmeren Ländern ernsthaft umgesetzt zu werden.
Das Zauberwort dafür heißt: Kostenwahrheit. Die zukünftigen Schäden müssen wissenschaftlich geschätzt und den heutigen Verursachern über CO2-Abgaben in Rechnung gestellt werden. Das eingenommene Geld muss möglichst wohlfahrtfördernd wieder zurück an die Bürger fließen, was vor allem über die Senkung anderer Steuern und den Ausbau der Grundlagenforschung zu alternativen Energien erfolgen kann. Kostenwahrheit gibt den Konsumenten und Produzenten die richtigen Anreize, Emissionen zu mindern und klimafreundliche Technologien zu entwickeln. Damit erübrigen sich die meisten Regulierungen und Subventionen zum Klimaschutz. Die Minderausgaben erlauben es, andere Steuern noch stärker zu senken, sodass die Bürger weiter entlastet werden. Eine optimale CO2-Abgabe sollte international möglichst einheitlich sein, ausnahmslos alle Emissionen erfassen und gemäß den nobelpreisgekrönten Arbeiten von William Nordhaus sowie dem den Empfehlungen des Climate Leadership Councils, die von über 3600 U.S. Ökonomen und 28 Nobelpreisträgern unterstützt werden, heute rund 50-55 Euro pro Tonne CO2 betragen. Bis 2030 sollte sie auf 75 Euro (ohne Berücksichtigung der Inflation) steigen.
Eine derartige, effiziente Klimapolitik wäre für die deutsche Wirtschaft im Vergleich mit der heutigen Politik problemlos tragbar, und sie würde auch nicht zu größeren Produktionsverlagerungen führen, denn die Kosten sind verglichen mit der gesamten Steuerlast und den derzeitigen Regulierungen klein. In Deutschland würde die CO2-Abgabe in etwa der EEG-Umlage entsprechen, deren Kosten dann wirklich wegfielen und nicht aus dem Staatshaushalt und damit über Steuern weiterfinanziert würden.
Die Stärke von Kostenwahrheit ist, dass sie nicht sofort harte Einschnitte im Gebrauch fossiler Energien erzwingt, sondern wirksame Anreize für den schonenden Ressourceneinsatz und die Entwicklung der für effektiven Klimaschutz notwendigen Technologie setzt. Kostenwahrheit mit CO2-Abgabe und damit verbundener Senkung anderer Steuern, Regulierungen und Subventionen belastet die Volkswirtschaft kaum, ja würde viele sogar entlasten. Anders formuliert: Heute haben wir hohe Steuern, viele Regulierungen und viele Subventionen. Das ist schrecklich teuer und ineffizient. Mit einer CO2-Abgabe lassen sich andere Steuern, Subventionen und Regulierungen reduzieren und zugleich das Klima effizient schützen.
Das Problem an der Kostenwahrheit ist, dass sie die meisten Regierungen nicht ernsthaft wollen, wie wiederum der Fall Deutschland zeigt. Vielmehr reden sie nur dauernd von Kostenwahrheit, liefern aber bloß Kostenscheinwahrheit. Regierung und Parlamente wollen keine CO2-Abgabe, deren Erträge sie gleich an die Bürger zurückgeben. Vielmehr wollen sie die zusätzlichen Mittel für ihre eigenen Zwecke verwenden. Genauso sind sie auch nicht glücklich darüber, wenn die bisherigen Subventionen, Regulierungen, Gebote und Verbote überflüssig werden. Vielmehr haben sie und ihre Vorgängerinnen den Weg ja bewusst gewählt, weil sie damit ihre eigenen Ziele sowie die für sie wichtigen Interessen- und Lobbygruppen am besten befriedigen konnten. Deren Klagen, sie könnten eine allgemeine CO2-Abgabe nicht bezahlen, sind übertrieben, insbesondere wenn die Erträge zur Senkung anderer Abgaben genutzt werden. Tatsächlich zielt das Klagen auf Ausnahmen und weitere Subventionen. Die Behauptung vieler Politiker, die Bevölkerung wolle keine Kostenwahrheit, ist falsch. Was die Bevölkerung nicht will, sind neue Abgaben ohne kompensierende Senkung anderer Abgaben.
Die große Kunst wäre es, einige wenige Regierungen dazu zu bringen, Kostenwahrheit ernsthaft und ehrlich umzusetzen. Dann würde sich zeigen, dass dieser Ansatz wunderbar funktioniert, die Emissionen effektiv senkt, positive Nebenwirkung durch die Reduktion lokaler Umweltprobleme hat, auch für große Emittenten tragbar ist, kaum volkswirtschaftliche Verwerfungen und keine starke Verlagerung der energieintensiven Produktion bringt – und so für einzelne Länder einseitig umsetzbar ist und insgesamt ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Wenn einzelne Länder diesen Weg gingen, würden sie zum echten Klimavorbild. Denn sie zeigten für alle sichtbar, dass die Argumente gegen Kostenwahrheit nicht stimmen. Das würde den Druck auf die Regierungen der anderen Länder erhöhen, ebenfalls auf diese Art der wirksamen Klimapolitik zu wechseln, die nicht klimanaiv, sondern rundum realistisch ist. Kann Deutschland ein solches Vorbild werden, oder ist sein größtes Risiko schon die Politik?
- Die Macht der Kostenwahrheit
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