Die Pandemie von 2020 hat Zentralbanken und Regierungen vor bisher in diesem Ausmaß noch nicht gekannte Herausforderungen gestellt. Selbst für in der Geldpolitik und Geldtheorie ausgebildete Ökonomen drängt sich derzeit die Frage auf, wie die Wirksamkeit der Geldpolitik verbessert und dem gigantischen Schuldenzuwachs weltweit begegnet werden kann. Dieser ist eine Folge des wirtschaftlichen Einbruchs, der die Steuereinnahmen mindert, und der Stützungsmaßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft.
Die vorherrschende Sicht der Geldtheorie und die Praxis der Geldpolitik basieren auf einem kohärenten Rahmen, der geldpolitische Fragestellungen systematisch darstellen und beantworten kann. In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch in den USA eine kleine Gruppe von Ökonomen und ökonomisch Interessierten gebildet, die diese Geldtheorie infrage stellen, und die Beschränkungen, denen der Staatshaushalt unterliegt, als Ideologie darstellt, die einer Lösung gesellschaftlicher Probleme im Wege steht. Sie selbst bezeichnet sich als „moderne Geldtheorie“, ist dabei aber weder modern noch wirklich eine Theorie. Diese „Modern Monetary Theory“ (MMT) hat auch in Deutschland eine gewisse Beachtung und Anklang gefunden. Die MMT suggeriert, dass die gängige Warnung vor einer steigenden Schuldenlast zu ignorieren sei, und dementsprechend wünschenswerte Ausgaben zur Bewältigung sozialer und ökologischer Herausforderungen ohne nennenswerte Kosten für die Allgemeinheit getätigt werden können. Obwohl diese Sichtweise sowohl unter Wirtschaftswissenschaftlern als auch unter Politikern bislang eher eine Nischenstellung einnimmt, ist davon auszugehen, dass sie hier wie in den USA gerade vom eher progressiven politischen Spektrum eingenommen werden wird.[1]
In diesem Artikel befassen wir uns mit einigen Kernaussagen der MMT, unter anderem mit einem Blick auf die laufende Diskussion um die Verteilung der Schuldenlast nach dem Ende der Pandemie. Eine Beschäftigung mit MMT erscheint gerade deshalb so wichtig, weil diese vermeintlich neue Theorie eine extreme Ausprägung unter der Vielzahl von kritischen Positionen darstellt, die auch in abgeschwächter Form derzeit in der öffentlichen Diskussion eingenommen werden. Die kontroversen Beiträge von Christian Bayer und Philip Jung, Moritz Schularick und Jens Südekum, sowie Adalbert Winkler und Holger Sandte jüngst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, decken hier ein breites Spektrum von Positionen ab. Zuletzt haben aus der Politik auch Reiner Hoffmann und Robert Habeck für ein Aushebeln der Schuldenbremse und großzügige Verlängerung der Corona-bedingten Verschuldung plädiert, mit Argumenten, die denen der „modernen Geldtheorie“ ähneln.
Wir beginnen zunächst mit einer Darstellung der fiskalpolitischen Situation infolge des Pandemie-bedingten wirtschaftlichen Einbruchs. Danach arbeiten wir die Ziele, die Logik und die Trugschlüsse (oder auch Irreführungen) der MMT in einem groben Rahmen heraus. Dabei gehen wir auch tiefer auf die konventionelle Sicht der Staatsverschuldung ein, insbesondere die Risiken für Inflation und die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen.
Die Schuldensituation infolge der Pandemie-bedingten Krise von 2020
Was die derzeitige Situation so komplex macht, ist sowohl die Nullzinsgrenze, die noch zum Teil ein Nachhall der Finanzkrise von 2009 bis 2012 ist, als auch die Notwendigkeit von Staaten, zur Milderung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sich zu verschulden. Ein beliebig niedriger (also auch negativer) Zins würde es der Geldpolitik erlauben, so starke Anreize für Konsum und Investitionen zu geben, dass die Wirtschaft schneller aus der Talsohle kommen würde.[2] Eine unbeschränkte Fähigkeit zur Schuldenaufnahme würde es wiederum Regierungen erlauben, durch Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die Wirtschaft zu stützen, insbesondere in Zeiten, in denen die Geldpolitik ihr traditionelles Instrument, den Zins, nicht mehr effektiv nutzen kann.
Diese beiden Aspekte sind eng miteinander verknüpft: an der Nullzinsgrenze wird von Seiten der Geldpolitik als Ausweg eine Mengensteuerung durchgeführt, indem Staatsanleihen und andere Wertpapiere direkt in den Märkten aufgekauft werden. Dies lockert gleichzeitig die Budgetbeschränkung für Regierungen, da für die zusätzliche Schuldenaufnahme letztendlich kein privater Investor gefunden werden muss und keine privaten Ersparnisse angelockt werden müssen.[3] Investoren und Sparer mögen durch langfristige Risiken für die Zahlungsfähigkeit von Staaten nur gegen Risikoaufschläge bereit sein, deren Schuldtitel zu halten. Zentralbanken können dagegen diese einfach im Tausch gegen Zentralbankgeld auf ihre Bücher nehmen, trotz eines gewissen Restrisikos.
Für manche in der öffentlichen Diskussion scheint daher hier eine glückliche Vereinigung von Geld- und Fiskalpolitik möglich: warum nicht gerade in der jetzigen Situation, mit Zinsen selbst auf langfristigen Staatspapieren nahe Null und bei drängendem Bedarf nach stimulierender Fiskalpolitik, die Schuldenquote erhöhen, um damit neben der konjunkturellen Stützung auch noch eine Reihe anderer notwendiger Maßnahmen in Angriff zu nehmen? Man ist fast versucht zu glauben, dass sich hier ein goldener Weg aufgetan hat: man braucht einfach nur Schulden aufzunehmen und von der Zentralbank aufkaufen lassen. In normalen Zeiten wären dadurch inflationäre Tendenzen, also ein beschleunigtes Wachstum des allgemeinen Preisniveaus, zu erwarten. Diese haben sich bislang jedoch nicht materialisiert, sodass auch hier keine Gefahr zu drohen scheint, und Geld- und Fiskalpolitik unbeschränkt walten können.
Die unmittelbare Auswirkung auf eine höhere Verschuldung ist derzeit tatsächlich gering, was sich darin zeigt, dass sich langfristige Zinsen auf Staatswertpapiere weltweit auf historisch niedrigem Niveau befinden und selbst typischerweise hochverschuldete Staaten wie Italien nur einen minimalen Risikoaufschlag aufbringen müssen. So scheinen die Staaten nicht nur mehr Spielraum bei gegebenen Einnahmen zu haben, da mehr für eigentliche Ausgaben zur Verfügung steht, sondern können auch ohne Folgen weitere Schulden aufnehmen, um weitere Ausgaben zu tätigen. Für Deutschland prognostiziert die Bundesbank in ihrem Monatsbericht im Dezember 2020 eine durchschnittliche Verzinsung der Staatschulden von einem halben Prozent. Im Jahre 1992 lag diese noch bei 8%. Somit fielen die Zinsausgaben relativ zum Bruttoinlandsprodukt von 3,5% in den 1990er Jahren auf mittlerweile unter 1%. Aus diesem Grund wird auch in Deutschland eine zumindest mittelfristige Aussetzung der Schuldenbremse gefordert, die derzeit zu einem Rückführen der Staatsschulden auf 60% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in relativ kurzer Frist nötigen würde.
Freilich ignoriert diese Betrachtungsweise die langfristig sehr wohl herrschenden gesamtwirtschaftlichen Beschränkungen, denen Zentralbanken und Regierungen unterliegen. Ihnen werden sie sich früher oder später beugen müssen, es sei denn, man will einen Zusammenbruch der Staatsfinanzen riskieren, der dann entweder durch einen Schuldenschnitt oder (Hyper-)Inflation „gelöst“ wird, wie allzu oft in der Vergangenheit erlebt. So raten die meisten Ökonomen von einer unbeschränkten Ausdehnung der Verschuldung ab und mahnen zu einer zumindest mittelfristigen Rückführung der Schulden auf ein Niveau, das neuen Spielraum für angemessene Reaktionen auf mögliche zukünftige Krisen schafft. Für Deutschland hatte sich diese Strategie, trotz vielfältiger Kritik an seiner Austeritätspolitik, im Nachgang der Finanzkrise bewährt. Dass Deutschland, und indirekt die EU, einen größeren fiskalischen Handlungsspielraum hatten und so flexibler auf die Pandemiekrise reagieren konnten, kann als unmittelbare Folge dieses vorausschauenden Verhaltens gewertet werden. Gleichzeitig wird mit einer niedrigen Schuldenquote fast automatisch verhindert, dass sich bei höheren Zinsen die Refinanzierungskosten erhöhen und der Schuldendienst umso stärker die fiskalischen Handlungsmöglichkeiten einschränkt.
Vor diesem Hintergrund scheint es überraschend, dass neuerdings eine „moderne Geldtheorie“ propagiert wird, die solche Beschränkungen für irrelevant hält. In der Diskussion um diese Zukunftsaufgaben wird unter Berufung auf MMT ökonomisches Denken ausgehebelt und man entzieht sich gleichzeitig der Notwendigkeit, Zielkonflikte zwischen den Ausgabenwünschen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen lösen zu müssen. Das Füllhorn sei ja (endlich) offen – in der Sichtweise der MMT. In diesem Zusammenhang lässt sich MMT auch weniger als ein Beitrag zur Wirtschaftswissenschaft verstehen, sondern als ein politischer Wunschzettel.
Die „moderne Geldtheorie“ (MMT)
Das Kern-Postulat der MMT besteht darin, dass Defizite in den Staatshaushalten keine Rolle spielen, woraus gefolgert wird, dass Geld vorrangig als unbegrenzt verfügbares und konsequenzloses Zahlungsmittel für den Staat dient, um Ressourcen zu erwerben. Sie beruft sich im deutschen Sprachraum insbesondere auf Georg-Friedrich Knapp und in den USA auf Abba Lerner. Knapp hat am Anfang des 20. Jahrhunderts mittels eines sogenannten chartalistischen Ansatzes argumentiert, dass der Wert des Geldes allein auf dem Staat beruht, der es emittiert. So wird Geld nur gehalten, um der Verpflichtung nachzukommen, an den Staat Steuern zu zahlen. Daraus wird in der MMT geschlossen, dass die Schöpfung von Geld immer der Besteuerung vorausgehen muss. Der Staat muss also nur deshalb Geld drucken und ausgeben, damit es später besteuert werden kann. Noch deutlicher ausgedrückt: ohne Gelddrucken gibt es keine Steuereinahmen. Hier wird folglich unterstellt, dass Geld nur deshalb gehalten wird, weil es per fiat (oder „Charta“) von Regierungen zu Geld erklärt wird, und weil es als einziges Zahlungsmittel zur Begleichung von Steuern akzeptiert wird.[4] Zudem könnte eine derartige Sichtweise suggerieren, dass reale Güter durch reines Gelddrucken erschaffen werden können. Falls dem so wäre, hätte es wohl der Industriellen Revolution nicht bedurft, die die Menschheit letztendlich durch technologischen Fortschritt aus der Subsistenz befreit hat.
Hinzu kommt in der MMT eine Idee des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Abba Lerner aus den 1940er Jahren. Eine Regierung, die Geld selbst drucken kann, kann es damit zur Finanzierung sinnvoller Funktionen nutzen, um so zum Beispiel soziale Sicherung und gerechte Entlohnung zu ermöglichen, und ein Recht auf Arbeit zu verwirklichen. Dafür prägte Lerner den Begriff „functional finance“. Insbesondere solange Arbeitslosigkeit und Ungleichheit hoch sind, und es an Investitionen in Infrastruktur und anderen staatlichen Leistungen zu mangeln scheint, soll und kann die Druckerpresse zum Zwecke der Staatsfinanzierung genutzt werden. Solange Kapazitäten ungenutzt bleiben, wird es auch nicht zu Inflation kommen. Die Welt scheint mit den Ansätzen von Knapp und Lerner einfach zu erklären und wichtige Probleme ebenso einfach zu lösen zu sein, sofern man sich von dem (angeblich lediglich in der Neoklassik existierenden) Denkkorsett befreit, wonach auch Staaten haushalten müssen.
Irrtümer der MMT
Eine der wesentlichen Trugschlüsse der MMT besteht aus unserer Sicht darin, dass sie die Handlungen von ihrem Eigeninteresse folgenden wirtschaftlichen Akteuren nicht in Betracht zieht, was gerade die Stärke der von Anhängern der MMT belächelten neoklassischen Wirtschaftstheorie ist. In der MMT gibt es keine agierenden Individuen. Vielmehr wird die Wirtschaft als ein System von Identitätsbeziehungen angesehen, die als Ergebnisgleichungen interpretiert werden. Es ist buchhalterisch gesehen schon wahr, dass eine Erhöhung des Zentralbankgeldes mehr Ressourcen für den Fiskus bereitstellen kann. Dies ist die wohlbekannte Seigniorage, d.h. die durch das Monopol des Staates in der Ausgabe des Zahlungsmittels erlangten Gewinne. Wenn dieses jedoch missbraucht wird, und durch übermäßige Geldausweitung der Geldwert durch Inflation schwindet, oder dies vom Privatsektor – also den Haushalten und Unternehmen erwartet wird – werden diese immer nach Möglichkeiten suchen, auf Alternativen zum staatlichen Geld auszuweichen.
Die moderne Wirtschaftstheorie hat erhebliche Fortschritte dabei erzielt, zu verstehen, wie sich Zahlungsmittel endogen entwickeln können, die vom staatlich geschaffenen Geld abweichen. Die Entstehung von digitaler Währung, wie Bitcoins, ist nur ein Beispiel, die Entstehung von Parallelwährungen in Ländern wo der Austausch von Zahlungsmitteln staatlich kontrolliert ist, wie in Kuba, ein anderes. Eine Kernidee der Geldtheorie ist das Gresham‘sche Gesetz („schlechtes Geld verdrängt gutes Geld“) und dessen tiefere Ursachen. So beschreibt „Debasement“, wie Feudalherren sich über ihre Fähigkeit, Geld minderer Qualität zu schaffen Ressourcen aneignen, indem sie bestehendes Münzgeld einschmelzen und gleichzeitig den Wert ihrer ausgegebenen Münzen schmälern. Das hat irgendwann zur Folge, dass Kaufleute und Arbeiter derartiges Geld nicht mehr für den Zahlungsverkehr verwenden wollen, da eine konstante Werterhaltung nicht sichergestellt werden kann. Der Versuch der permanenten Zentralbankgeldschöpfung, wie die MMT es fordert, hat daher durchaus Parallelen zum Debasement im Mittelalter. Das heisst, es ist offizielle Politik der Herrschenden, oder des Staates, durch Entnahme des Edelmetalgehaltes Einkünfte zu erzielen, was im Verständnis der MMT das Äquivalent zum Geldrucken ist.
Die neoklassische Geldtheorie hat auch ein Verständnis dafür entwickelt, wie ein Zahlungsmittel spontan entstehen kann, wenn ein Bedarf besteht. Das klassische Beispiel dazu sind Zigaretten, die oft in Kriegsgefangenenlagern diese Funktion erfüllten. Ein anderes Beispiel sind Währungsreformen, die nur funktionieren, wenn sie das Vertrauen der Bürger geniessen. Ein weiteres Beispiel ist, dass auch die Bürger in der ehemaligen DDR nicht mehr die Ostmark haben wollten, sondern die „gute alte“ D-Mark, die von der Bundesbank in nicht allzu großen Mengen und daher wertbeständig gedruckt wurde.
Zu den Möglichkeiten alternativer Geldentstehung und Geldvermeidung schweigt MMT. Ihre Anhänger verstehen Geld lediglich als buchhalterischen Eintrag in einem Zentralbankkonto, dem der Privatsektor nicht entrinnen kann. In diesem Sinne huldigt MMT einer Fetischisierung des Geldes und weist ihm eine fast mythische Rolle zu. Für den neoklassischen Ökonomen ist Geld lediglich Mittel zum Zweck, nämlich dem der Wertaufbewahrung, einer Rolle als Zahlungsmittel und Wertmaßstab. Die staatliche Geldschöpfung ist jedoch immer vom Wohlwollen und der Akzeptanz der privaten Akteure abhängig.
Gefahren einer Politik, die auf MMT aufbaut
Jeglicher Versuch einer von den Anhängern der „modernen Geldtheorie“ propagierten Geldschöpfung im Rahmen der Staatsfinanzierung wird dazu führen müssen, dass sie eine gegenteilige Anlagereaktion von Haushalten hervorruft.[5] Irgendwann werden Haushalte und Investoren die Staatsanleihen nicht mehr kaufen wollen, da deren Wert zum Rückzahlungszeitpunkt zweifelhaft erscheint. Zu Beginn der Weimarer Republik wurde Staatsfinanzierung betrieben, indem die Staatswertpapiere mit neugeschaffenem Geld, ganz im Sinne der MMT, zurückgekauft wurden. Die Folgen sind ja bekannt.
Vertreter der MMT werden entgegnen, dass dieser Zusammenhang irrelevant sei, da der Staat immer Geld drucken kann, um Käufe zu tätigen. Der Privatsektor sei daher als Finanzier des Staates entbehrlich. Diese Sichtweise zieht nicht in Betracht, dass Haushalte und Firmen letztendlich auf eine Parallelwährung zurückgreifen werden, die endogen als Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel entsteht und agiert. Der Staat kann daher den Gebrauch der von ihm selbst ausgegebenen Fiat-Währung nur durch Repressalien durchsetzen. Diese Situation ist auch in jüngerer Geschichte wohlbekannt aus Ländern wie Argentinien, Kuba, Venezuela und Zimbabwe, deren Staaten die Druckerpresse zur Finanzierung ihrer Ausgaben ausgenutzt haben und ihren Bürger verwehrt haben, auf Alternativen auszuweichen – wie den stabileren US-Dollar – oder überhaupt Ersparnisse im Ausland anzulegen.
Die MMT sieht in diesem Zusammenhang das im Umlauf befindliche Geld als äquivalent zu Staatspapier an, da es keinen Unterschied zwischen Fiskal- und Geldpolitik mehr gibt. Dies ist natürlich insofern in einer Situation richtig, in der die Nullzinsgrenze gilt und die Zentralbank auf Einlagen der Geschäftsbanken Zinsen bezahlt. Sehr kurzfristige Staatspapiere sind dann tatsächlich äquivalent zu Zentralbankgeld (sieht man dabei von der unterschiedlichen Stückelung ab), unterliegen aber dennoch Risiko- und Liquiditätsprämien. Das kommt daher, dass die Teilnehmer in Finanzmärkten in die Zukunft schauende Akteure sind und den Ablauf der Entwicklung von durch MMT geleiteten Politikern antizipieren können. Vertretern der MMT scheint dieser Zusammenhang der Erwartungsbildung und der Fähigkeit von wirtschaftlichen Akteuren, Entscheidungen zu treffen, allerdings nicht relevant zu erscheinen. MMT geht implizit davon aus, dass in einer Welt in der Politiker gemäß der Prämissen der MMT handeln, private Akteure gleichfalls von destabilisierenden Konsequenzen von MMT abstrahieren oder ihr individuelles Handeln freiwillig dem Gemeinwohl unterordnen.[6]
Inflationsgefahren
MMT ignoriert außerdem die Inflation, wobei reale und nominale Größen scheinbar nicht unterschieden werden. Es lässt sich natürlich nicht bestreiten, dass in den letzten Jahren die Inflation weltweit hinter den Zentralbankvorgaben geblieben ist. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es ist jedoch ein Trugschluss, zu meinen, dass eine niedrige Inflationsrate ein Datum ist, das Geld- und Fiskalpolitiker als gegeben unterstellen dürfen. Der historische und empirische Schluss ist eindeutig: „Inflation is always and everywhere a monetary phenomenon“ (nach Milton Friedmann). Der Versuch, in den Anfängen der Weimarer Republik letztendlich gemäß der MMT die Notenbank zu nutzen, kann nicht gerade als Erfolg gewertet werden, da sie zu einer der größten Hyperinflationen der Geschichte führte. Der Nobelpreisträger Thomas Sargent hat hierzu akribische empirische Arbeit geleistet und dokumentiert, dass Hyperinflationen auf eine dominante Fiskalpolitik zurückzuführen sind, die die Geldpolitik und die Geldpresse eigenen Zielen untergeordnet hat.
Was den Ideen der MMT in den letzten Jahren sicherlich Auftrieb gegeben hat, ist die Tatsache, dass die Inflation in den führenden Industrieländern seit Jahren unterhalb oder bestenfalls genau am Inflationsziel lag. Daher mag der Eindruck entstanden sein, dass Inflation durchaus kein monetäres Phänomen ist. Dies ist jedoch falsch. Zum einen kann die knappe Erreichung des Inflationsziels durchaus als Erfolg der Zentralbanken gesehen werden. Zum Beispiel hat die Federal Reserve in den USA nach dem Ende der Finanzkrise und der graduellen Erholung der Wirtschaft 2015 angefangen, die Zinsen schrittweise zu erhöhen und es dadurch geschafft, Inflationsgefahren einzudämmen.
Zudem ist durch den fallenden Realzins der Eindruck erweckt worden, dass die Geldpolitik zu sehr akkommodiert. Die Aufblähung der Geldmenge in den letzten 10 Jahren ist jedoch kein verlässlicher Indikator für die in der Wirtschaft im Umlauf befindliche Geldmenge mehr. Denn durch die Zahlung von Zinsen durch Zentralbanken auf Einlagen der Geschäftsbanken sind diese letztlich dem Kreislauf entzogen. Es ist mit Zinsen auf Zentralbankgeld mehr oder weniger eine Äquivalenz von Zentralbankgeld und sehr kurzfristigen staatlichen Wertpapieren geschaffen worden.
Schließlich sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die niedrigen Inflationsraten zum Teil auch auf den Verfall des Ölpreises und der Preise anderer Ressourcen, der Globalisierung und dem Eintritt von China in das Welthandelssystem, sowie dem demographischen Wandel zurückzuführen sind. Die englischen Ökonomen Charles Goodhart und Manoj Pradhan gehen davon aus, dass sich diese Trends in der nahen Zukunft umkehren und es dementsprechend zu steigenden Inflationsraten kommen wird. Ausserdem werden Realzinsen steigen, wenn im Rahmen des demographischen Wandels die Generation der Babyboomer in das Rentenalter eintritt, und statt aus ihren Einkommen Ersparnis aufzubauen, beginnen, zur Finanzierung ihres Lebensstandards Vermögen abzubauen.
Die Gefahr einer an MMT orientierten Politik liegt darin, dass irgendwann die erwähnten gesamtwirtschaftlichen Beschränkungen wieder spürbar Gültigkeit haben und die Staatshaushalte unter Druck geraten werden. Dieser Fall wird eintreten, wenn entweder die Inflation von sich aus steigt und Zentralbanken mit höheren Zinsen gegensteuern, oder eine sich erholende Wirtschaft einen Anstieg der Realzinsen induziert, sodass die Geldpolitik mit höheren Nominalzinsen reagieren muss, um keine Inflation zu erzeugen. In beiden Szenarien wird eine hohe Staatsverschuldung Regierungen zwingen, einen größeren Teil ihrer Einnahmen auf die Bedienung der Schulden zu verwenden, zumindest sobald bestehende Schulden fällig werden und zu höheren Marktzinsen refinanziert werden müssen. Als Auswege bleiben Regierungen dann nur Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen oder eben weitere Schulden.
Die MMT würde hier weiteres Drucken von Geld empfehlen oder die Erhöhung von Steuersätzen, um auf dem Wege Geld aus dem Umlauf zu holen. Ersteres würde jedoch die Zinsen weiter sinken lassen und die Inflation weiter anheizen. Die zweite Option würde die Wirtschaft und damit die Steuereinnahmen schrumpfen lassen. Die notwendigen Sparmaßnahmen würden zu dramatischen Kürzungen in Staatsausgaben und Sozialleistungen führen müssen, die dann voraussichtlich diejenigen umso stärker treffen, die keine politische Stimme haben.
Schlussfolgerungen
Zum Abschluss müssen wir konstatieren, dass die Maßnahmen, die auf Basis der „modernen Geldtheorie“ (MMT) vorgeschlagen werden, in ihrer Tragweite unangemessen weit über die zur Lösung der derzeitigen Probleme notwendigen Maßnahmen hinausschlagen. Man kann es schon fast als zynisch ansehen, das MMT ein vollkommenes Umstürzen der Geld- und Finanzmärkte, der Beziehung zwischen dem Bürger und dem Staat, und der Wirtschaftsordnung in Kauf nimmt, um einer theoretischen Proposition willen, die weder durch historische Daten gedeckt, noch theoretisch kohärent und schlüssig ist.
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[1] So war Stephanie Kelton, eine führende Vertreterin der MMT, die ökonomische Beraterin des Demokratischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders. Siehe Bisin (2020) für eine Kritik an Keltons (2020) Buch und der MMT.
[2] Dass dies nicht so einfach ist, haben wir in einem vorigen Kölner Wirtschaftspolitischen Impuls diskutiert.
[3] Viele Zentralbanken, unter anderem auch die EZB und die Federal Reserve unterliegen Restriktionen Staatstitel nicht direkt von der Finanzpolitischen Institution zu kaufen, also direkt zu monetisieren. Diese Verbote sind aber im Zug der Finanzkrise stetig ausgehöhlt worden, sodass sich eine Grauzone dieser vormals klaren Trennung gebildet hat. Zusätzlich sind an der Nullzinsgrenze und vor allem, wenn die Zentralbank Zinsen auf Mindesteinlagen zahlt, eine scharfe Trennung von Geld und Schulden nicht mehr gegeben.
[4] Es sei hier schon einmal angemerkt, dass die endogene Existenz von Geld als Tauschmittel in der MMT ignoriert wird, und gemäß MMT die Geldhaltung ausschließlich dem Zweck dient, Steuern zu zahlen. Dies wiederum gibt Regierungen die Macht, Geld für übergeordnete Zwecke zu nutzen.
[5] Im Prinzip kann MMT ohne Staatswertpapiere auskommen. Es wird einfach Geld gedruckt. Staatschulden haben jedoch noch andere Funktionen, z.B. als Sparanlage der Haushalte, als Sicherheit für Unternehmen, als ein Vehikel Vermögen über Generationen zu verteilen, und generell als „safe asset“. Eine Abschaffung der Staatswertpapiere würde eine Volkswirtschaft hinter den Stand des Mittelalters zurückwerfen.
[6] Wer Böses unterstellen möchte, könnte sogar schlussfolgern, dass Anhänger der MMT implizit davon ausgehen, dass begleitende Zwangsmaßnahmen eingeführt werden, damit die Wirtschaftspolitik gemäß MMT auch tatsächlich funktioniert. Abba Lerner scheint selbst Preis- und Lohnkontrollen befürwortet zu haben, sollten hohe Staatsausgaben zu Inflation führen.