In diesem Jahr verursachte eine extreme Dürre erhebliche Ernteausfälle in den Vereinigten Staaten, Russland und der Ukraine. Die damit verbundene Verringerung des Angebots an Getreide hat zu deutlichen Preissteigerungen geführt. Betrug etwa der Maispreis (Typ: U.S. No.2 Yellow, FOB Gulf of Mexico) im Mai noch 269 $/mt, so stieg er im Juli auf 333 $/mt. Dies entspricht einer Preissteigerung von knapp 24 Prozent innerhalb von zwei Monaten. Ähnliches lässt sich für die Preise von Weizen und Soja zeigen. Seitdem sind die Preise geringfügig zurückgegangen.
Ein großes Maß an Preisschwankungen wird ganz allgemein schon als unerwünscht angesehen. Im Fall von Getreide können die Auswirkungen jedoch besonders negativ sein, da gerade die ärmsten Menschen auf der Welt hiervon betroffen sind. Jim Yong Kim, Präsident der Weltbank, unterstreicht dies wie folgt: „Höhere Lebensmittelpreise bedeuten für manche Familien, sie können ihre Kinder nicht mehr in Schulen schicken, und sie essen weniger gesunde Nahrung. Dies hat einen lebenslangen Einfluss auf die soziale und körperliche Situation von Millionen Jugendlichen.“
Was hat diese dramatische Entwicklung mit dem Biokraftstoff E10 zu tun? Zur Gewinnung von Biokraftstoffen werden diverse Getreidesorten genutzt. Diese Form der Kraftstoffgewinnung ist teurer als der direkte Bezug von Benzin oder Diesel. Eine umfassende staatliche Förderpolitik hat jedoch zu einer erheblichen Zunahme des Einsatzes von Biokraftstoffen geführt. In Deutschland wurde das Biokraftstoffquotengesetz eingeführt, das die Anbieter von Benzin und Diesel bis 2014 verpflichtet, 6,25 Prozent der Treibstoffe in Form von Biokraftstoffen zu verkaufen. Im Wesentlichen erfolgt dies durch eine Mischung der Biokraftstoffe (Bioethanol) mit herkömmlichem Super-Benzin, im Allgemeinen bekannt als Treibstoff E10. Ab 2015 soll der Einsatz von Biokraftstoffen weiter ausgebaut werden, sodass ab 2020 der Einsatz von Biokraftstoffen eine Senkung der CO2-Emissionen von 7 Prozent bewirkt. Es wird geschätzt, dass dies durch einen Anteil des Biokraftstoffs von etwa 12 Prozent am gesamten Kraftstoffverkauf erreicht werden kann.
Die Produktion von Biokraftstoffen führt zu einer erhöhten Nachfrage nach den entsprechenden Getreidesorten und wirkt damit preiserhöhend. In Zeiten von Missernten kommt die dunkle Seite der Biokraftstoffe – Getreidepreiserhöhungen und deren Folgewirkungen Armut, Hunger in Entwicklungsländern – überdeutlich zum Ausdruck. Dies ruft diverse Politiker auf die Bühne. Neben Entwicklungsminister Dirk Niebel stellen auch Renate Künast und der Greenpeace-Experte Martin Hofstetter die Biokraftstoffquotenregelung in Frage.
Unabhängig davon, dass es nicht sinnvoll erscheint, die langfristige Konzeption einer Biokraftstoffpolitik am singulären Ereignis einer extremen Dürre auszurichten, kann man sich dennoch berechtigt der Frage widmen, ob eine staatlich festgeschriebene Biokraftstoffquote der Umwelt, der Energieversorgung oder der Gesellschaft insgesamt dienlich ist.
1. Das ökonomische Problem
Menschen sind im Allgemeinen nicht dazu in der Lage, Dinge völlig neu zu erzeugen, sondern sie beschränken sich darauf, die vorhandenen Ressourcen zu transformieren. So werden Baumstämme in Tische und Stühle, und Steinkohle in elektrische Energie gewandelt. Die Ökonomik beschäftigt sich mit der Frage, welche Formen der Verwendung und Verwandlung der knappen Ressourcen den übrigen Formen vorzuziehen sind. Grundsätzlich sollten diejenigen Güter oder Dienstleistungen bereitgestellt werden, die den größten Wert (Nutzen) aufweisen. Dieser Wert wird u.a. von der Knappheit eines Gutes bestimmt. Nehmen wir etwa einen durchschnittlichen Erwachsenen in einer deutschen Großstadt und fragen ihn, was er für wertvoller hält, ein Notebook oder einen Liter Wasser, so wird er sich zumeist für das Notebook entscheiden. Um einen Liter des reichlich vorhandenen Wassers weniger zu konsumieren, muss er nur einige wenige Sekunden an einem bestimmten Tag kürzer duschen. Das Opfer ist nicht sehr groß. Der Verzicht auf ein Notebook, von denen die typische Einzelperson nur ein einziges besitzt, ginge jedoch mit einer sehr großen Nutzeneinbuße einher. Wie anders würde seine Entscheidung allerdings ausfallen, wenn er in der Wüste gestrandet wäre und Wasser plötzlich eine lebensbedrohliche Knappheit aufwiese. Doch auch ein Einsiedler, der in einer Holzhütte ohne Stromanschluss lebt, mag den Liter Wasser für wertvoller halten als das Notebook.
Was soll damit gesagt werden? Nun, der Wert bestimmter Konsumgüter hängt eben nicht nur von der Knappheit, sondern auch von den Vorlieben und den spezifischen Umweltbedingungen eines jeden Einzelnen ab. Werte (und auch Kosten) basieren auf subjektiven Bewertungen und sind einem Einsatz in der staatlichen Planung nicht zugänglich. Im Gegensatz dazu liefern Märkte, an denen frei gehandelt werden kann, verlässliche Anhaltspunkte für die relativen Wertschätzungen von Gütern. Solange Individuen bereit sind, den Preis für eine weitere Menge eines Gutes zu zahlen, verzichten sie gleichzeitig auf eine anderweitige Verwendung ihres Geldes. Sie dokumentieren damit ihre Wertschätzungen. Entscheidet sich etwa ein Student, viermal im Monat zum Preis von 5 EUR ins Kino und viermal im Monat zum Preis von 10 EUR Squashspielen zu gehen (und den Rest des Geldes für andere Zwecke auszugeben), so ist klar, dass ihm die letzten beiden Kinobesuche mehr wert sind als ein fünfter Termin zum Squashspielen. Gleichzeitig ist ihm der vierte Squashtermin mehr wert als zwei zusätzliche Kinobesuche, die er dafür austauschen könnte. Der am Markt entstandene relative Preis pKino/pSquash = 0,5 verdeutlicht somit näherungsweise seine relativen Wertschätzungen.
Übertragen auf das Problem des Biokraftstoffs bedeutet dies, dass es abzuwägen gilt, welche relativen Wertschätzungen für die Nutzung von Landschaftsflächen vorliegen. Diese können auf vielfältigste Weise genutzt werden: Anbau von Mais, Gerste, Weizen, oder Raps, die Einrichtung von Naturparkanlagen, Wohn- oder Gewerbefläche und vieles mehr. Der deutsche Gesetzgeber gibt vor zu wissen, es sei optimal, bis 2014 zumindest 6,25 Prozent des Kraftstoffverbrauchs durch Biokraftstoffe zu decken. Eine diesem Ziel entsprechende Landschaftsfläche wäre demnach für den Anbau von Energiepflanzen einzusetzen.
Ist diese Einschätzung richtig oder falsch? Die Antwort lautet: Niemand weiß es! Aus dem vorher Gesagten sollte klar sein, dass solche Fragen allenfalls durch einen weitgehend freien Marktprozess beantwortet werden können. Da es diesen weder im Bereich der Energie- noch der Agrarwirtschaft gibt – der Staat nimmt in beiden massiven Einfluss – helfen uns hier auch die aktuellen Handelspreise kaum weiter. Sowohl die „traditionelle“ deutsche Landwirtschaft als auch der Anbau von Energiepflanzen könnten ohne die jeweiligen Privilegien (Subventionen, Handelshemmnisse, …) in der heutigen Form nicht überleben.
Ohne Zweifel gibt es in der EU derzeit kein Nahrungsmittelproblem, und auf dem Weltmarkt sind die europäischen Landwirte ohne Exporthilfen kaum wettbewerbsfähig. Dies spricht für die Nutzung von Agrarflächen zum Anbau für Energiepflanzen. Andererseits kommt auch der Energiepflanzenanbau nicht ohne Subventionen aus, und auch das Wachstum der Weltbevölkerung sowie die sich daraus ergebenden Ernährungsprobleme legt die Nutzung zur Nahrungsmittelproduktion nahe. Dabei bleibt allerdings unklar, ob die in der EU zusätzlich produzierten Lebensmittel den Weg zu den Hungernden in Afrika oder Asien finden werden. Schließlich dürfen wir auch die weiteren Verwendungsmöglichkeiten (Naturparks, …) für die Landschaftsflächen nicht außer Acht lassen. Müsste ich mich für eine Form der Flächenverwendung entscheiden, würde die Wahl vermutlich nicht auf den Energiepflanzenanbau fallen. Doch diese Entscheidung wäre– wie oben erläutert – spekulativ-willkürlicher Natur.
Als politischer Lösungsvorschlag dieses Bewertungsproblems bietet sich allenfalls die Empfehlung an, die Märkte für Agrarprodukte weiter zu öffnen und die Biokraftstoffquote abzuschaffen. Ein dann deutlich freierer Marktprozess würde vermutlich später die Antwort liefern. Doch dazu wird es sicher nicht kommen.
2. Erhöht E10 die Preisschwankungen auf den Getreidemärkten?
Ein weiterer Vorwurf, der der Biokraftstoffquote gemacht wird, ist ihr vermeintlicher Einfluss auf die Preisausschläge. Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der Handelspreise von Mais und Weizen in den letzten zehn Jahren.
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In den Jahren 2008, 2011 und 2012 finden sich deutliche Preisausschläge. Da der Biokraftstoffeinsatz in 2008 noch keine so große Rolle gespielt hat, wird deutlich, dass es noch andere Gründe für die großen Preisschwankungen geben muss.
Ein wesentlicher Grund besteht in der geringen Preiselastizität der Nachfrage. Damit ist gemeint, dass die nachgefragten Mengen nach den diversen Getreidearten nur relativ schwach auf Preisänderungen reagieren. Lebensmittel gelten als Paradebeispiel für Güter mit geringer Preiselastizität. Auf solchen Märkten haben Angebotsschwankungen starke Auswirkung auf den Marktpreis, wie nachfolgende Abbildung zeigt.
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –
Im üblichen Preis-Mengen-Diagramm mit dem Preis p auf der vertikalen Achse verläuft eine preisunelastische Nachfrage N vergleichsweise steil. Ausgehend von einem Anfangsgleichgewicht – hier dem Schnittpunkt der Angebotskurve A mit der Nachfragekurve N – sei nun der Fall betrachtet, dass die angebotene Menge auf Grund einer Missernte zurückgehe. Dies wird durch die Verschiebung der Angebotskurve nach links (zu Aneu) zum Ausdruck gebracht. Das neue Marktgleichgewicht liegt nun bei einem viel höheren Preis. Würde die Nachfrage flacher („elastischer“) verlaufen, wäre hingegen nur eine geringere Preiserhöhung erforderlich, um den Markt zum Gleichgewicht zu bringen.
Damit erklärt der Umstand der geringen Preiselastizität der Nachfrage, dass Fehlernten zu großen Preisausschlägen führen können. Genau dies dürfte gegenwärtig die Entwicklung auf den Getreidemärkten wiedergeben. Insofern sind Preisausschläge an Märkten für Getreide nichts Unbekanntes.
Die Biokraftstoffquote trägt jedoch dazu bei, die geringe Preiselastizität der Nachfrage noch weiter zu senken, da die Anbieter von Benzin und Diesel unter Androhung empfindlicher Strafen verpflichtet sind, ihre Quote einzuhalten. Aus diesem Grund verringern sie ihre Nachfrage nach Biokraftstoff auch bei spürbar steigenden Preisen nicht, sodass die Preisreagibilität sinkt und damit potentiell das Ausmaß der Ausschläge erhöht.
3. Vermindert E10 den globalen Ausstoß von Treibhausgasen?
Ein zentrales Argument für die Förderung der Biokraftstoffe besteht in ihrer CO2-Neutralität. Zunächst einmal ist es richtig, dass Biokraftstoffe nur genau die Menge an CO2 freisetzen, die sie während ihres Wachstums zuvor aufgenommen haben. Damit weisen sie einen deutlichen Vorteil gegenüber fossilen Energieträgern (Erdöl, Erdgas) auf. Zwar kann sich dieser Vorzug durch den Einsatz von Stickstoffdüngern oder die Rodung von Wäldern vermindern, doch bleibt er als solcher erhalten. Da der Einsatz von Biokraftstoffen die Nachfrage nach fossilen Energieträgern senkt, wäre somit grundsätzlich ein geringerer globaler CO2-Ausstoß denkbar.
Der globale Verbrauch von Öl und Gas hängt jedoch von Nachfrage und Angebot ab. Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass die Erdölanbieter (auf globaler Ebene) ihr Angebot vom Einsatz der Biokraftstoffe abhängig machen. Geht man davon aus, dass ihr Angebot unverändert bleibt, dann führt die verringerte Nachfrage nach Öl und Gas nur zu Preis- nicht aber zu Mengensenkungen. Der globale CO2-Ausstoß bliebe damit völlig unverändert, er würde nur in anderen Regionen oder anderen Sektoren anfallen. Dies zeigt sich auch sehr deutlich an den Zahlen des globalen Erdölverbrauchs. Nur in zwei Jahren seit 1996 ist der Konsum des Öls gesunken: in 2008 und 2009. Dieser Einbruch ist jedoch durch die Wirtschaftskrise zu erklären, denn schon in 2010 überstieg der Weltölkonsum wieder den Wert von 2007, dem letzten Jahr vor der Wirtschaftskrise.
Doch selbst wenn die CO2-Emissionsreduzierung von allen Ländern der Welt mit Nachdruck verfolgt würde, stellt sich die Frage, ob der Einsatz von Biokraftstoffen ein effizientes Instrument der Klimapolitik ist. Dazu müssten die bei den Konsumenten anfallenden Konsumverzichte durch Biokraftstoffe geringer ausfallen als bei anderen Instrumenten. Ein globaler und alle Sektoren umfassender Emissionszertifikatemarkt oder eine einheitliche CO2-Steuer hätten die Eigenschaft einer positiven Selbstselektion. Damit ist gemeint, dass Unternehmen und Konsumenten die Emissionssenkung von sich aus durch Nichtbereitstellung derjenigen Güter und Dienstleistungen realisieren würden, die mit der geringsten Nutzeneinbuße verbunden wären. Es wäre schon ein ganz außergewöhnlicher Zufall, wenn die staatlich verordneten Biokraftstoffquoten diesem Kriterium entsprächen. Dementsprechend muss davon ausgegangen werden, dass die derzeitige Regelung mit einem erheblichen Ausmaß an unnötigen Kosten verbunden ist.
Kommen wir zum Fazit: Auch wenn es wenig sinnvoll erscheint, die langfristige Konzeptionierung der Energiepolitik an den kurzfristigen Symptomen einer außergewöhnlichen Dürre auszurichten, wirft die aktuell praktizierte Biokraftstoffpolitik doch einige Fragen auf: (1) Es ist unklar, ob die Nutzung von Agrarflächen zur Gewinnung von Biokraftstoffen einer anderen Verwendung, insbesondere der Nahrungsmittelproduktion, vorzuziehen ist. Auch wenn manche Argumente gegen die Produktion von Biokraftstoffen sprechen, kann diese Frage letzten Endes nur über den Marktprozess beantwortet werden. (2) Selbst wenn der Anbau von Energiepflanzen zu Gunsten anderer Verwendungen beendet wird, bleibt offen, ob die hungernden Menschen in den ärmsten Nationen dieser Welt hiervon profitieren würden. (3) Der staatlich verordnete Bedarf an Biokraftstoffen dürfte einen Einfluss auf das Ausmaß der Schwankungen der Getreidepreise haben. Es ist jedoch anzunehmen, dass dieser eher gering ausfällt. (4) Biokraftstoffe als Instrument der Klimapolitik dürften im Allgemeinen wenig wirksam und unnötig teuer sein.
Das Biokraftstoffquotengesetz ist folglich eines von vielen unverbundenen Elementen einer wenig konsistenten und ineffizienten Umwelt- und Energiepolitik, auf das die Gesellschaft wohl eher verzichten kann.
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Wer ist eigentlich Jim Young Kim ??? Hmm … .
Ich habe den Tippfehler korrigieren lassen. Danke für den Hinweis.
Ha, ja ich meinte das eigentlich fachlich. Aber da es ja nun korrigiert wurde können Sie meinen Eintrag jetzt gern wieder entfernen.
Einen schönen, sonnigen und friedlichen Tag !