Bücher, die sich der Lebenshilfe angenommen haben, gibt es reichlich. Das Kochbuch ist so ein Klassiker. Doch nur wenige Investitionen in einen Ratgeber dürften so ertragreich sein wie der Kauf eines Buches über Geldanlage – wenn es denn gut und nicht von der Finanzindustrie gesteuert ist. „Geld denkt nicht“ von Hanno Beck gehört dazu. Es ist keines dieser Hellseher-Pamphlets, die es in der Börsenliteratur leider viel zu häufig gibt. Stattdessen bekommt der Leser schonungslos seinen Spiegel vorgehalten, ohne gleich rot anlaufen zu müssen.
Das Layout des Buchumschlages hat zuletzt eine ungeahnte Aktualität bekommen. Denn darauf sind zwei 500-Euro-Scheine abgebildet, die zu Papierfliegern gefaltet sind. Einer dieser Flieger hat bereits eine Bruchlandung hingelegt. Dem anderen steht der harte Aufschlag auf den Boden der Tatsachen noch bevor. Der am höchsten notierte Euro-Schein sollte April-Gerüchten zufolge tatsächlich aus dem Verkehr gezogen werden, um die Geldfälschung einzudämmen. Doch während der 500-Euro-Schein künftig sowohl original als auch vermutlich gefälscht weiterhin im Umlauf ist, erleiden viele Wertpapierdepots von Anlegern regelmäßig einen Crash in solchen und noch ganz anderen Größenordnungen. Dies müsste nicht unbedingt sein, wenn die Lehren der Behavioral Economics beherzigt würden. Dazu muss man nicht gleich Psychologie oder Volkswirtschaftslehre studiert haben. Wie in Becks Buch deutlich wird, reichen bereits manche wissenschaftliche Erkenntnisse gepaart mit historischen und alltäglichen Anekdoten, um dem Verstand ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Eine Auswahl.
Wie entkommt man dem Ruf der Herde?
Das Phänomen des Rufes der Herde ist nicht erst bekannt, seitdem das Computerspiel „Lemmings“ Anfang der 1990er Jahre auf den Markt gekommen ist. Die kleinen Kreaturen mit den grünen Haaren und dem blauen Gewann laufen blindlings ins Verderben, sofern der Spieler ihnen keinen Weg aus dem Dilemma weist. Beck führt den tragischen Fall einer Sekte auf, die am 18. November 1978 im südamerikanischen Dschungel zu einem großen Teil Selbstmord begangen hat. An der Börse ist der Herdentrieb zwar nicht lebensbedrohlich. Er kann aber zumindest existenzgefährdend sein. Becks Rezept lautet daher: Abstand zum Geschehen an den Kapitalmärkten wahren – so wie die legendären Investoren Warren Buffett und Bill Gross, die weit weg von der hektischen Wall Street residieren. Vielleicht ist es genau diese räumliche Entfernung vom kollektiven Treiben, durch die man dem Lockruf der Herde entsagen kann, meint der Volkswirtschaftsprofessor: „Für Anleger bedeutet das, dass sie sich ganz bewusst ein Stück von der Hektik des Tagesgeschäftes fernhalten sollten. Nicht jeden Tag ins Depot schauen, nicht jeden Tag die Kurse vergleichen, nicht jeden Tag die Börsenzeitschrift mit den neuesten heißen Aktientipps lesen – einfach eine gesunde Distanz zum alltäglichen Irrsinn herstellen.“ (S. 36)
Warum ist Framing so gefährlich?
Nach einer Definition seines Erfinders Erving Goffmann bedeutet Framing das Einbetten eines Themas in ein bestimmtes Bedeutungsumfeld. Was relativ abstrakt klingt, kann an der Börse viel Geld kosten. Denn wenn ein Investor dem Phänomen des Framing aufliegt, betrachtet er nicht nur die – für seine Investition eigentlich alleine entscheidenden – Fakten, sondern auch deren Verpackung. Beck nennt unter anderem ein Beispiel aus der Versicherungswirtschaft. Dabei bietet die Versicherung zum einen einen Vertrag mit einer hohen Prämie und einer Rückzahlung bei Schadenfreiheit, zum anderen einen Kontrakt mit niedriger Prämie und Selbstbeteiligung. Beide Offerten sind von der Logik her identisch – und dennoch entscheiden sich die meisten Versicherten für die erste Variante. Dabei ist diese wegen des entgangenen Zinses in Wirklichkeit sogar teurer. Framing in Reinkultur. Dieser versuchten Beeinflussung ist nur schwer beizukommen. Beck empfiehlt, Dinge immer aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und anschließend entschlossen zu handeln.
Wie kann man sich die geistige Kontenführung zunutze machen?
Menschen führen bisweilen eine eigenartige Buchhaltung, die mit der eines ehrbaren Kaufmanns wenig gemein hat. Oder wie lässt sich sonst erklären, dass viele Girokonten trotz horrender Zinsen im Minus sind, obgleich sich noch Geld auf dem alles andere als üppig verzinsten Sparbuch befindet? Genau wie viele Menschen zwischen ihren Konten chinesische Mauern hochgezogen haben, gibt es oftmals auch für alle möglichen Ausgabenarten einen eigenen Posten – bis hin zum Gemischtwarenladen. Das schränkt uns in unserer Flexibilität ein, kann aber auch – Stichwort Altersvorsorge – sein Gutes haben. Denn die Spardisziplin lässt sich mit mentalen Konten erhöhen. Beck spricht sich dafür aus, eine Zeit lang zu warten, ehe man unverhoffte Geldeingänge wie einen Lottogewinn oder eine Steuerrückzahlung verbucht bzw. ausgibt. Dann besteht eine Chance, dass dieses Geld nicht auf dem häufig umgesetzten Konto für Glücksfälle, sondern auf dem lange währenden Altersvorsorgekonto landet. Damit Kleinstbeträge nicht ständig im Gemischtwarenladen landen, rät Beck diese groß zu rechnen. Fünf Euro für eine Packung Zigaretten täglich klingen überschaubar an. 150 Euro pro Monat sind dagegen schon eine andere Hausnummer.
Mit welchen Vorkehrungen kann man den Besitztumseffekt austricksen?
Den wenigsten gelingt es, keinerlei Emotionen zu seinem Hab und Gut aufzubauen. Wenn etwas in unseren Besitz gewandert ist, betrachten wir es als unser Eigentum und geben es nur ungern wieder her. An der Börse kann dieses Phänomen zum Nichtstun (ver-)führen – und viel Geld vernichten. Es ist allerdings unklar, in welchem Ausmaß der Besitztumseffekt auch bei Gutscheinen und Wertpapieren zuschlägt. Eine liebgewonnene Kaffeetasse mag unverkäuflich sein; bei einem abstrakten Gut auf dem Wertpapierkonto ist dies vermutlich anders. Und dennoch: Auch bei „seiner“ Aktie wird ein Investor vom Besitztumseffekt eingenommen; er lässt sie – womöglich zu lange – unangetastet. Dies ist eine Erklärung für den Beharrungsirrtum; die Angst, seine aktive Handlung später zu bereuen eine andere. Beck rät: „Auf lange Sicht bereuen wir eher das, was wir nicht getan haben – wer sich diese Lehre vergegenwärtigt, springt leichter über den Schatten der Entscheidungsparalyse.“ (S. 188) Dabei hülfe die Vorstellung, dass es besser sei, etwas zu wagen, als ein Leben lang mit der Unsicherheit zu reisen, was gewesen wäre, wenn wir gewagt hätten. Eine weitere Überwindungsstrategie ist, sich die Opportunitätskosten zu vergegenwärtigen. Denn mit jedem Tag, an dem das Geld auf dem mager verzinsten Sparbuch herumliegt, hätte es bei einer anderen Verwendung mehr Rendite erwirtschaften können.
Woran erkennt man Lügen und Halb-Lügen?
Sie wollen nur dein Bestes – dein Geld! Das gilt für den Metzger um die Ecke genau wie für den Friseur des Vertrauens. Doch hier erhält man wenigstens eine direkte Rückmeldung, indem man zu Hause eine Vesper macht oder in den Spiegel schaut. Bei Finanzprodukten kann man indes kein schnelles Feedback erwarten. Nachhaltiger Erfolg stellt sich – wenn überhaupt – meist erst sehr viel später ein. Abstrakte (und nicht selten komplizierte) Finanzprodukte machen eine Entscheidung schwerer als die Wurstauswahl an der Theke. Was also liegt für den Anbieter näher, dem Investor mit Hochglanzbroschüren, vermeintlich atemberaubenden Statistiken und markigen Worten auf die Sprünge zu helfen? Ranglisten, beispielsweise von Fonds, haben dennoch eine anziehende Wirkung auf die Anleger. Dabei müssen Topleistungen aus der Vergangenheit für die Zukunft nichts heißen. Beck spricht vom Gesetz der kleinen Zahl, dem das Gehirn irrtümlicherweise unterliegt. Dabei müsste es, wenn es rational denkt, dem Gesetz der großen Zahl folgen. Es gibt Ausreißer nach oben, die Fonds auf Platz eins von Ranglisten spülen. Es gibt genauso gut aber auch Ausreißer nach unten. Über kurz oder lang werden sich viele Fonds im Durchschnitt einreihen. Beck warnt: „Man muss aufpassen, dass man nicht dem Gesetz der kleinen Zahl verfällt – die statistische Realität erschließt sich nicht aus wenigen Datenpunkten. Wer aus der Tatsache, dass ein Produkt über drei Jahre hinweg ganz vorne ist, schließt, dass dieses Produkt exzellent ist, unterschätzt die Macht des Zufalls und überschätzt die Aussagekraft solcher vereinzelter Datenpunkte.“ (S. 265)
Wie verhindert man zeitinkonsistentes Verhalten?
Die Zeitinkonsistenz in der Geldpolitik kann zu überraschender Inflation führen. Ein Mittel, um diesem Problem Herr zu werden, ist eine unabhängige Notenbank. Ein anderes die Selbstbindung. Letztere hilft auch dem Investor, der ein zeitinkonsistentes Verhalten an den Tag legt, wenn er langfristig richtige Ziele wie die Altersvorsorge verfolgt, aber kurzfristig anders handelt und das Geld lieber ausgibt. Sparpläne können helfen, da man sich in der Regel nur bei deren Einrichtung einmal überwinden muss. Sie haben darüber hinaus einen weiteren positiven Nebeneffekt, wenn man sich vor Augen hält, dass die großen Renditesprünge an den Börsen meist nur an wenigen Tagen im Jahr passieren, wie Beck unter Anführen empirischer Studien zu Bedenken gibt. Wenn man permanent investiert ist, nimmt man diese Tage zwangsläufig mit. Das ist sicher keine Erkenntnis, für die man noch einen Nobelpreis gewinnt. Mehr Ertrag als alle Tipps in manch anderem Ratgeber zusammen bringt sie allemal.
Hinweise: „Geld denkt nicht – Wie wir in Gelddingen klaren Kopf behalten“ ist beim Hanser Verlag erschienen. Autor Prof. Dr. Hanno Beck hat dafür kürzlich den Deutschen Finanzbuchpreis 2013 erhalten.
- BücherMarkt
Wie sich die Sichtweisen von Hans-Werner Sinn und Clemens Fuest unterscheiden
Die Corona-Bücher der beiden Top-Ökonomen in der Rezension - 18. November 2020 - BücherMarkt
Unternehmen neu erfinden
Das Denk- und Arbeitsbuch gegen organisierten Stillstand - 26. Oktober 2018 - BücherMarkt
Hanno Beck: Geld denkt nicht
- 3. Mai 2013