Warum sich Ordnungsökonomen auch mit Terrorismusforschung beschäftigen sollten

Ordnungsökonomen beschäftigen sich mit vielen Themen, die im engeren oder weiteren Sinne mit Staats- und/oder Marktordnungspolitik zu tun haben. Dass sie sich dabei auch mit dem Thema Terrorismus beschäftigen könnten, erscheint auf den ersten Blick nicht naheliegend. Und doch kann eine Beschäftigung mit einem solchen, eher exotischen Thema spannende neue Perspektiven aufwerfen, die auch und gerade aus einer ordnungspolitischen Sicht von Interesse sein können. Zugleich ergeben sich hieraus auch Ansatzpunkte, um die Ordnungspolitik fachlich weiterzuentwickeln, indem verstärkt konfliktökonomische Erwägungen integriert werden. Im Folgenden soll dies exemplarisch aufgezeigt werden.

Ordnungspolitik und unfriedlicher Wettbewerb

Auf einer zunächst abstrakten Ebene betrachtet hat die traditionelle Ordnungspolitik stets dazu geneigt, die marktwirtschaftliche Ordnung mit einem friedlichen Wettbewerb in Beziehung zu setzen. Zwar wird gefordert, das Problem der Marktmacht mit Hilfe eines passenden Ordnungsrahmens einzuhegen, aber es scheint, als endeten an dieser Stelle fast alle weiterführenden Überlegungen zur – bereits von Walter Eucken identifizierten – Möglichkeit eines Behinderungs- oder Schädigungswettbewerbs. Dies ist insofern verwunderlich, weil Konflikte jeglicher Art (nicht nur im Zusammenhang mit dem Problem der Wettbewerbsbeschränkung) konstituierend für einen Ordnungsrahmen sein können. Um dies nachvollziehen zu können, bedarf es noch nicht einmal des Verweises auf die eigentumsrechtliche Interpretation von Thomas Hobbes“˜ Leviathan, in dem die (eigentumsrechtliche) Anarchie durch die Übertragung von Ordnungsgewalt an einen Herrscher überwunden wird. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine konflikttheoretische Perspektive in der ordnungspolitischen Diskussion einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Entstehung von Ordnungen leisten kann. Auf einer konkreteren Ebene ist zunächst festzustellen, dass Terrorismus eine spezifische Form von Konflikten ist. Er kann verstanden werden als vorsätzlich durch subnationale (d.h. nicht-staatliche) Akteure begangene Gewaltakte und Einschüchterungsversuche, die darauf abzielen, eine Bevölkerung oder Regierung dazu zu veranlassen, auf bestimmte strategische (d.h. langfristige, politisch-ideologisch motivierte) Ziele der ausführenden Organisationen einzugehen, die in der Regel die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes nachhaltig zu erschüttern, verändern oder zerstören suchen (vgl. z.B. Krieger/Meierrieks, 2013). Mit anderen Worten ist es das Ziel der Terroristen, die bestehende Ordnung einer Gesellschaft zu den eigenen Gunsten zu verändern. Dies kann durchaus auch im Sinne einer Abwehrreaktion verstanden werden: erodiert eine bestehende Ordnung aufgrund exogener Einflüsse und wird sie durch eine neue Ordnung ersetzt, dann können die Verlierer dieses Prozesses versucht sein, die alte Ordnung mit Gewalt wieder herzustellen.

Kapitalismus und anti-amerikanischer Terrorismus

Am Beispiel des anti-amerikanischen Terrorismus lässt sich dieses Phänomen belegen (vgl. Krieger/Meierrieks, 2014). Anti-amerikanischer Terrorismus ist eine spezifische Form des grenzüberschreitenden (bzw. transnationalen) Terrorismus, bei dem nicht-amerikanische Individuen und Gruppen die Interessen der USA in den USA selbst, aber auch anderswo auf der Welt angreifen. Neben Anschlägen auf amerikanischem Boden (wie den Angriffen auf das World Trade Center in den Jahren 1993 und 2001) zählen auch Attentate auf amerikanisches Botschaftspersonal, Touristen und Unternehmen dazu. Die ideologische Motivation der Terroristen ist dabei weit gefächert und reicht von linken über separatistisch-nationalistische bis hin zu islamistischen Gruppen. Abseits der ideologischen Rhetorik findet sich interessanterweise bei fast allen dieser Gruppen auch eine anti-kapitalistische Agenda. Generell gilt vielen Beobachtern der weit verbreitete Anti-Amerikanismus als ein Ausdruck u.a. einer anti-kapitalistischen Einstellung. Vor diesem Hintergrund ist auch das Al Qaeda-Attentat des 9. September 2001 zu sehen, bei dem das World Trade Center in New York als Ikone des Kapitalismus US-amerikanischer Prägung zweifellos bewusst ausgewählt wurde. Entsprechend kann die Erklärung des Kampfes von Al Qaeda gegen die USA, die Osama bin Laden 2003 in einem BBC-Interview gab, nicht verwundern: “They [i.e., the American soldiers] only fight for capitalists, usury takers and the merchants of arms and oil, including the gang of crime at the White House.“

Terrorismus und die Theorie ökonomischer Normen

Wie kann nun der Zusammenhang von Kapitalismus und Konflikten erklärt werden? Es sei dabei unterstellt, dass beim zu betrachtenden Fall des anti-amerikanischen Terrorismus zumindest ein Teil des Konfliktpotenzials aus einem anti-kapitalistischen Impetus erwachsen ist. Ein möglicher Erklärungsansatz  ist dann die auf Michael Mousseau zurückgehende „Theorie ökonomischer Normen“ (z.B. Mousseau, 2002-03), die von einem „marktkapitalistischen Frieden“ ausgeht (in einem empirischen Vergleich von Krieger/Meierrieks, 2014, liefert dieser Ansatz einen deutlich besseren Erklärungsgehalt als die in den Politikwissenschaften ebenfalls verbreitete und auf Eric Gartzke zurückgehende alternative „Hypothese des kapitalistischen Friedens“, vgl. Gartzke, 2007). Mousseau definiert Kapitalismus als eine Art Lebenseinstellung, die dadurch geprägt ist, dass eine generelle Bereitschaft in der Bevölkerung besteht, auf Märkten mit Fremden Verträge abzuschließen, um bestimmte Güter, Dienstleistungen und Einkommen zu beziehen. Anders als beim Ansatz des kapitalistischen Friedens von Gartzke werden hier weder (außenwirtschaftliche) Offenheit noch eine geringe staatliche Regulierung benötigt, um Kapitalismus zu beschreiben. Entscheidend ist lediglich eine hohe Kontraktintensität, aus der sich wiederum über die Märkte (länderspezifische) Werte und Normen entwickeln. Wer es gewohnt ist, so Mousseau, dass er ständig bei Vertragsschlüssen vom Verhalten Fremder abhängig ist, der wird sich nicht nur angewöhnen, Fremden zu (ver)trauen, sondern auch den Wunsch nach universellen Rechten, einem unparteiischen Rechtswesen und einem liberalen demokratischen Staatswesen entwickeln. Dies befördert zugleich die Entstehung weiterer liberaler Institutionen, die den unpersönlichen vertraglichen Tausch stärken, etwa Rechtsstaatlichkeit, nachhaltige demokratische Institutionen und einen starken Schutz der Eigentumsrechte. Die liberalen Werte und Normen des Marktkapitalismus sorgen somit insgesamt für ein gesellschaftliches, politisches und ökonomisches Umfeld, das auch für die Entwicklung von Konfliktfreiheit und Frieden förderlich ist und dies – zumindest zwischen marktkapitalistisch geprägten Volkswirtschaften – auch über Ländergrenzen hinweg, weil die beteiligten Länder die gleichen Werte teilen (bzw. dem kulturell-ökonomischen Modell der USA folgen) und kulturelle oder Identitätsunterschiede eingeebnet sind. Zugleich ist dies ein Umfeld, in dem Terrorismus im Allgemeinen und anti-amerikanischer Terrorismus im Speziellen nicht länger auf einen fruchtbaren Boden fällt. Die Beteiligten des marktkapitalistischen Systems sind sich der Interdependenzen (im Sinne eines Positiv-Summen-Spiels) bewusst und wissen um die (besonders) hohen Opportunitätskosten eines Konflikts mit den USA. In einer solchen Situation ist kaum anzunehmen, dass Länder und ihre Bürger, die ähnlich marktkapitalistisch wie die USA sind, den Konflikt mit den USA (z.B. in Form von anti-amerikanischem Terrorismus) suchen. Selbst wenn es zu Anschlägen gegen die Interessen der USA kommt, werden die dahinter stehenden Anliegen von der breiten Bevölkerung kaum geteilt, so dass die Terrorkampagne mittelfristig ins Leere laufen wird. Empirisch lässt sich die Hypothese, dass zwischen marktkapitalistischen Ländern Frieden herrscht und anti-amerikanischer Terrorismus nahezu keine Rolle spielt, bestätigen.

Die Übergangsproblematik

Man könnte nun – ganz im normativen Sinne der Ordnungspolitik – erwägen, den Schädigungs- und Behinderungswettbewerb (oder sein konfliktträchtiges Pendant im internationalen Systemwettbewerb unterschiedlich marktkapitalistischer Länder) politisch einzugrenzen und die Welt durch eine allgemeine Politik zur Verbreitung des Marktkapitalismus in einen Zustand des friedlichen Leistungswettbewerbs zwischen gleich marktkapitalistischen Ländern zu überführen. Dies ignoriert jedoch den fundamentalen Unterschied zwischen Niveaueffekten und Veränderungsrateneffekten. Befinden sich alle Länder auf demselben Marktkapitalismus-Niveau, so sind Konflikte tatsächlich unwahrscheinlich. Problematisch ist es dagegen, wenn zunächst ein einheitliches Niveau erreicht werden muss. Der Veränderungsprozess selbst kann dann der Auslöser für Konflikte und in diesem Fall von anti-amerikanischem Terrorismus sein. Die Theorie der ökonomischen Normen liefert hierzu erneut interessante Einsichten. Wendet man sich dem Gegenteil von Marktkapitalismus zu, also einer Situation mit sehr geringer Kontraktintensität zwischen Fremden, dann befindet man sich in einer Klientelwirtschaft. In einem solchen Wirtschaftssystem ist der Markt unbedeutend und ökonomische Transaktionen finden vornehmlich innerhalb von engen sozialen Netzwerken statt. Diese Netzwerke zeichnen sich durch eine fein abgestimmte soziale Strukturierung und Hierarchisierung aus und werden von traditionell wohlhabenden und politisch einflussreichen Personen und Gruppen kontrolliert. Wirken auf diese – auf persönlichen Beziehungen beruhende – Ordnung exogene Kräfte ein, die die traditionellen Beziehungen auflösen und durch z.B. die unpersönlichen Transaktionsmechanismen des Marktkapitalismus ersetzen, dann verursacht dies ein Konfliktpotenzial, da die traditionellen gesellschaftlichen Hierarchien und Privilegien untergraben werden. Der Abwehrkampf gegen diese Entwicklung kann in Form von Terrorismus ausgelebt werden. In Klientelwirtschaften gelingt es den traditionellen Eliten, politisch-ökonomische Renten zu erzielen, etwa durch die Schaffung künstlicher Monopole. Der Übergang zu einem marktkapitalistischen System gefährdet die Aneignung und den Fortbestand dieser Renten. Terroristisches Handeln kann dann eine Form des Protestes gegen diese – vorgeblich vom ökonomisch-kulturellen Imperialismus der USA ausgelöste – Entwicklung sein. Zugleich ist der Terrorismus aber auch eine Möglichkeit, neue Renten zu generieren. Anti-amerikanischer Terrorismus wäre dann eine durchaus rationale Antwort auf die negativen Verteilungskonsequenzen des Übergangs zum Marktkapitalismus. Neben den Eliten ist auch deren Klientel von der Transformation negativ betroffen, da sie nun nicht mehr in der bekannten Weise von ihren Patronen versorgt wird (etwa mit Arbeit oder Identität). Gerade im Bereich des religiösen Terrorismus werden die Frustrationen durch das sich ändernde ökonomische Umfeld durch eine religiöse Überhöhung aufgefangen und in Protest gegen den vermeintlichen Auslöser des Transformationsprozesses, die USA, kanalisiert. Dieser Effekt wird noch verstärkt, wenn durch den Globalisierungsprozess auch traditionelle und religiöse Weltbilder ins Wanken geraten, weil liberale westliche Werte in eine Gesellschaft einströmen. Terroristische Aktionen gegen die USA sind dann symbolische Attacken gegen Modernität und den westlichen, vom US-Einfluss dominierten Lebensstil. Allgemein lässt sich also festhalten, dass die Profiteure der alten klientelistischen Ordnung durch die Erosion dieser Ordnung und das Hereinbrechen einer marktkapitalistischen Ordnung unter Druck gesetzt werden und mit der Verbreitung von Gewalt und Terrorismus antworten können. Empirisch lässt sich dies gut belegen. Ein großer Niveauunterschied beim Marktkapitalismus, der durch schnelle Anpassungsprozesse reduziert wird, hat eine Zunahme terroristischer Aktivität, die gegen die USA gerichtet ist, zur Folge.

(Ordnungs-)Politikempfehlungen?

Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, überzeugende Politikempfehlungen abzuleiten. Wollen die USA den anti-amerikanischen Terrorismus auf Dauer auf ein Minimum reduzieren, dann könnte dies dadurch gelingen, den Rest der Welt den USA in marktkapitalistischer Sicht ähnlicher zu machen. Dies entspricht durchaus dem Selbstverständnis der USA als einem Rollenmodell für die Welt. Zugleich ist der Übergangsprozess jedoch mit zunehmenden Konflikten verbunden, wie sich trefflich am Beispiel von Ländern wie Irak und Afghanistan zeigen lässt. Letztlich bedarf es eines Transformationsprozesses, bei dem die Mitglieder des traditionellen Klientelsystems entweder kompensiert werden oder in das neue System integriert werden. Beide Möglichkeiten erscheinen aus einem liberal-demokratischen Staatsverständnis heraus wenig erfreulich, allerdings sollte man nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass die USA mit einer solchen pragmatischen Politik durchaus Erfahrungen haben und diese bereits erfolgreich angewendet haben (u.a. im Nachkriegsdeutschland). Bleibt abschließend die Frage zu klären, welche Lehren die Ordnungspolitik aus diesen Überlegungen ziehen kann. Es zeigt sich deutlich, dass sowohl Staats- als auch Marktordnungen – gerade in Zeiten der wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierung – einem stetigen Wandel unterliegen. Dieser Wandel schafft Ordnungsrahmen, die in der langen Frist erfreuliche Ergebnisse im Sinne eines wohlfahrtssteigernden Leistungswettbewerbs zeitigen mögen. In der kurzen Frist können sie jedoch mit einem erheblichen (Verteilungs-)Konfliktpotenzial verbunden sein. Während dieses in demokratischen Gesellschaften „lediglich“ zu politischer Reformblockade führt, kann in Ländern mit schwächerem institutionellem Rahmen echter, teilweise sogar gewalttätiger Konflikt daraus erwachsen. Dies trifft übrigens nicht nur auf Länder in Afrika oder dem Nahen und Mittleren Osten zu, auch der momentane Versuch der Schaffung eines neuen Ordnungsrahmens in den Ländern der europäischen Peripherie ist mit Protesten und Gewalt (in Griechenland teilweise sogar terroristischer Gewalt) verbunden, weil die EU und ihre Mitgliedsstaaten in der Folge der Eurokrise bisher nicht in der Lage waren, die fundamentalen Verteilungskonflikte in Europa zu lösen.

 

Weiterführende Literatur: Gartzke, E. (2007): The Capitalist Peace. American Journal of Political Science 51(1): 166-191. Krieger, T.; Meierrieks, D. (2013): Die ökonomische Theorie des Terrorismus. WiSt – Wirtschaftswissenschaftliches Studium 42(12): 695-700. Krieger, T.; Meierrieks, D. (2014): The Rise of Capitalism and the Roots of Anti-American Terrorism. CESifo Working Paper Nr. 4887. Mousseau, M. (2002-2003): Market Civilization and its Clash with Terror. International Security 27(3): 5-29.

2 Antworten auf „Warum sich Ordnungsökonomen auch mit Terrorismusforschung beschäftigen sollten“

  1. Ein sehr interessanter Beitrag! Vor allem weil er m.E. so schön erfrischend aufzeigt, dass die Ordnungspolitik bei aktuellen Fragen eine hohe Relevanz besitzt, gerade wenn sie den veralteten ideologischen Grabenkampf Markt-Staat hinter sich lässt. Ordnungspolitik wird dann eben nicht nur mit der Herstellung von Privateigentum und Wettbwerb bei vertraglicher Sicherheit gleichgesetzt werden, sondern sich vor allem der Frage widmen müssen, welche Art von Ordnungsrahmen welches Verhalten der Marktaktuere provoziert (Leistungswettbewerb vs. Schädigungswettbewerb). Mouseaus Ansatz des „kapitalistischen Friedens“ erscheint mir hierbei (bei aller naiv-positiven Vereinfachung) einen fruchtbaren Zugang zur normativen Rechtfertigungen von (sozialen) Marktwirtschaften zu liefern. Toll!

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