Die Gesetzliche Rente
Zu wichtig, um sie den Wahlkämpfern zu überlassen

Die gesetzliche Rente droht zum Wahlkampfthema für die Bundestagswahl 2017 zu werden. Das verheißt nichts Gutes, denn das Medianalter der Wahlberechtigten liegt schon heute bei 55 Jahren. Im Ringen um die Wählergunst werden die Parteien sich daher sicherlich so Einiges an vermeintlichen Leistungsverbesserungen für Rentner und rentennahe Jahrgänge einfallen lassen – ohne Rücksicht darauf, dass diese Leistungsverbesserungen von der erwerbsfähigen Generation ja auch künftig finanziert werden müssen. Unmittelbar besteht vor allem die Gefahr, dass damit die Rentenreformen der vergangenen 20 Jahre verwässert, wenn nicht gar rückgängig gemacht werden, obwohl selbst diese noch lange nicht ausreichen, die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) auch langfristig zu stabilisieren.

Handlungsbedarf im Bereich der GRV besteht schon, aber anders als es heute in der Öffentlichkeit zumeist diskutiert wird. Es sind im Wesentlichen zwei Probleme, die einer Lösung bedürfen – nämlich zum einen die Sicherung der Nachhaltigkeit in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) auch über das Jahr 2030 hinaus, zum anderen die Bekämpfung drohender Altersarmut. Hierüber wird man sich daher Gedanken machen müssen – auch wenn das im Wahlkampf kaum Stimmengewinne bringen wird.

Lösungsansätze für das drohende Finanzierungsproblem der Gesetzlichen Rentenversicherung

Die Finanzierung der GRV ist bedroht, weil in Folge des Geburtenrückgangs nach 1965 jede nachfolgende Generation nur noch rund zwei Drittel ihrer Elterngeneration umfasst. Damit sind auch entsprechend weniger Beitragszahler vorhanden, die die nach dem Umlageverfahren finanzierten Rentenansprüche der Älteren decken können. Auch eine zusätzliche Steuerfinanzierung der Rente führt nicht aus diesem Dilemma heraus, weil auch die Steuern überwiegend von der erwerbsaktiven Bevölkerung aufgebracht werden müssen. Und ebenso wenig würde die Einbeziehung weiterer Gruppen von Beitragszahlern (wie Beamte oder Selbständige) langfristig weiterhelfen, da mit der Ausweitung des Versichertenkreises zeitverzögert auch die Zahl der Anspruchsberechtigten ansteigen würde.

Insoweit gibt es im Rahmen der GRV nur zwei grundlegende Lösungsmöglichkeiten: Entweder müssen die Jüngeren mehr von ihren Einkommen abgeben, um damit die Rentner zu alimentieren, oder aber die Rentenansprüche der Älteren werden in entsprechenden Umfang gekürzt, um eine Überforderung der erwerbsfähigen Bevölkerung zu verhindern. Mit den Rentenreformen zu Beginn des letzten Jahrzehnts wurde ein Mittelweg zwischen beiden Alternativen gewählt, indem das Rentenniveau allmählich abgesenkt werden soll, um auf diese Weise den Anstieg des Beitragssatzes auf maximal 22% bis 2030 zu begrenzen. Die Absenkung des Rentenniveaus bezieht sich dabei auf die Relation zwischen Standardrente und Standardeinkommen; die Renten werden daher auch weiterhin steigen, nur eben nicht so schnell wie die Löhne. Als weitere Maßnahme wurde überdies vereinbart, das reguläre Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre anzuheben. Die dadurch bedingte Verlängerung von Beitragszeiten trägt ebenfalls zu einer Stabilisierung des GRV-Beitragssatzes bei; gleichzeitig erwerben die Erwerbspersonen in dieser Zeit aber auch höhere Rentenansprüche. Da die verbleibende Rentenbezugsdauer jedoch stärker zurückgeht als der Anstieg der monatlichen Rentenansprüche, führt die „Rente mit 67“ in ihrem Ergebnis daher auch zu einer Kürzung der insgesamt zu erwartenden Rentenzahlungen – anders wäre ein Einspareffekt ja auch nicht zu erzielen.[1]

Forderungen nach einer Abkehr von der allmählichen Absenkung des relativen Rentenniveaus oder einer Rücknahme des erhöhten Renteneintrittsalters würden zwar die rentennahen Jahrgänge begünstigen, doch geschähe dies zwangsläufig zu Lasten der erwerbsaktiven Bevölkerung, die dann entsprechend höhere Steuer- oder Beitragsbelastungen hinzunehmen hätten.[2] Der Rentenkonsens der frühen 2000er Jahre würde also zulasten der jüngeren Kohorten aufgekündigt – was nicht nur „ungerecht“ erscheint (denn für die absehbaren Probleme der GRV sind die älteren Generationen verantwortlich, die zu wenig Kinder bekommen haben), sondern auch negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum (und damit auf die Basis der Rentenfinanzierung) haben kann.

Ohnehin: Die eigentlichen Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung werden erst nach dem Jahr 2030 deutlich sichtbar – zu einem Zeitpunkt also, der erst nach dem Horizont der offiziellen Rentenvorausschätzungen der Bundesregierung liegt. Dann nämlich werden die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre in Rente gehen, so dass das Verhältnis von erwerbsfähiger Bevölkerung zu Rentnern von derzeit rund 3:1 auf dann 2:1 steigt und bis wenigstens 2060 auch in etwa auf diesem Niveau verharrt. Projektionsrechnungen von Werding[3] zeigen, dass selbst bei weiterer Absenkung des Rentenniveaus auf nur noch 41% des Standardeinkommens im Jahr 2060 der Beitragssatz dann auf rund 27% steigen muss, um die Finanzierung der laufenden Rentenzahlungen zu sichern. Selbst eine deutliche Zunahme der Geburtenrate, die Anwerbung qualifizierter Zuwanderer oder eine Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus in Deutschland würden hieran nur wenig zu ändern vermögen – denn die Ursachen für die zu erwartenden Schwierigkeiten der umlagefinanzierten Rente liegen allesamt in einer weit entfernten Vergangenheit und sind daher heute kaum mehr zu beheben.

Welche Kombination aus höherem Beitragssatz und geringerem Rentenniveau in den Jahren nach 2030 realisiert werden soll, ist letzten Endes eine politische Entscheidung. Tatsächlich wird man aber wohl auch eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeiten in Betracht ziehen müssen, um die Finanzierbarkeit der GRV auch in Zukunft sichern zu können. Heutige Begründungen dazu lauten zumeist, dass mit steigender Lebenserwartung auch das Verhältnis zwischen Arbeits- und Rentenzeiten proportional angepasst werden müsse, was zwar intuitiv plausibel erscheint, aber in einem umlagefinanzierten System zumindest dann nicht zwangsläufig ist, wenn der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung wächst. Zu der gleichen Schlussfolgerung führt aber auch die Argumentation, dass es im Interesse eines Lastenausgleichs zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern notwendig ist, das zahlenmäßige Verhältnis beider Gruppen im Gleichgewicht zu halten: Will man den Altenkoeffizienten auf dem Niveau des Jahres 2030 stabilisieren (d.h., bei einem Wert von 40 Rentnern je 100 Erwerbsfähigen), so müsste das Renteneintrittsalter in den Jahren bis 2040 sukzessive auf 70 Jahre steigen, kann dann aber bis zum Jahr 2060 auch auf diesem Wert verbleiben. Die Diskussion über eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit wird dabei bald zu führen sein, damit die Betroffenen – das sind alle Geburtsjahrgänge ab 1970 – ihre weitere Lebensplanung darauf einstellen können.[4]

Die Absenkung des Rentenniveaus in der GRV kann zumindest bei individueller Betrachtung auch durch privates Vorsorgesparen kompensiert werden. Tatsächlich wird die private Altersvorsorge aus diesem Grund ja auch schon seit längerem in erheblichem Maße beworben und staatlich gefördert. Allerdings deutet die Entwicklung der (gesamtwirtschaftlichen) Sparquote darauf hin, dass die Subventionierung der „Riester-Rente“ wohl eher Mitnahmeeffekte provoziert hat und nur wenig zu einer zusätzlichen Ersparnisbildung beigetragen hat – und hieran würde sich vermutlich auch nicht so sehr viel ändern, wenn, wie jüngst von Vertretern der hessischen Landesregierung vorgeschlagen, privates Vorsorgesparen obligatorisch vorgeschrieben würde. Trotzdem ist eine vermehrte private Altersvorsorge aus ökonomischer Sicht wohl der einzige Weg, wie auch bei sinkenden Rentenanwartschaften aus der GRV das individuelle Niveau der Alterseinkommen aufrechterhalten werden kann. Ein vollständiger Übergang zu einer kapitalgedeckten Rentenversicherung, wie zuweilen postuliert, wird jedoch nicht mehr möglich sein, da während des Übergangs die beitragszahlende Generation immer doppelt belastet wäre – kapitalgedeckte Elemente können insoweit das System der umlagefinanzierten Rente im Rahmen der GRV nur ergänzen, nicht aber ersetzen.

Lösungsansätze zur Bekämpfung von Altersarmut

Als zweites Problem, das mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft in Deutschland verbunden ist, wird eine drohende Zunahme von Altersarmut identifiziert. Personen, die keine privaten Ersparnisse aufweisen und auch nicht anderweitig (zum Beispiel über Familienangehörige) abgesichert sind, gelten dann als betroffen, wenn sie im Laufe ihres Erwerbslebens weniger als 30 Entgeltpunkte in der GRV erworben haben, zum Beispiel wegen längerer Zeiten der Arbeitslosigkeit oder einer Beschäftigung im Niedriglohnsektor. Die gesetzliche Rente liegt dann entsprechend der geltenden Rentenformel unterhalb des gesetzlich anerkannten Mindestbedarfs. In diesem Fall besteht, sofern Bedürftigkeit nachgewiesen wird, ein Anspruch auf ergänzende Sozialleistungen in Form der Grundsicherung im Alter. Diese entspricht dem Hartz-IV-Regelsatz zuzüglich Kosten der Unterkunft und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung; sonstige Einkommen und Vermögen werden allerdings hierauf angerechnet.

Derzeit liegt der Anteil der Empfänger von Grundsicherung im Alter bei nur rund 3% aller Personen im Rentenalter; dieser Anteil dürfte in den kommenden Jahren zwar steigen, aber weiterhin nur im mittleren einstelligen Bereich liegen. Wesentlicher Grund für die doch eher geringe Betroffenheit ist, dass Einkommensarmut immer im Haushaltskontext gesehen werden muss – auf keinen Fall kann daher von einer hohen Zahl von Personen mit geringen Rentenansprüchen an die GRV auch auf eine starke Verbreitung von Altersarmut geschlossen werden.

Auch wenn mit der Grundsicherung im Alter bereits eine Absicherung gegen (existenzbedrohende) Altersarmut besteht, scheint es politischer Wille zu sein, die Betroffenen zusätzlich zu unterstützen. Zumindest insoweit scheint dies auch gerechtfertigt, als dass bei ohnehin geringen Rentenanwartschaften (unterhalb der Grundsicherung) kein Anreiz zum Aufbau weiterer Altersvorsorgeansprüche besteht, da diese vollständig auf die Grundsicherung im Alter angerechnet werden – ob es darüber hinaus auch aus sozialpolitischen Gründen gewollt ist, muss hingegen politisch entschieden werden.

Grundsätzlich ist eine Besserstellung von Personen mit geringen Alterseinkünften durch Umverteilung innerhalb der GRV möglich, indem beispielsweise niedrige Anwartschaften auf Kosten höherer Anwartschaften aufgewertet werden.[5] Die Besserstellung von Rentnern mit geringen Renteneinkünften würde in diesem Fall von den Rentnern mit höheren Renteneinkünften bezahlt. Alternativ wäre es aber auch möglich, Rentnern mit geringen Rentenansprüchen zusätzliche staatliche Transfers über die bestehende Grundsicherung im Alter hinaus zu gewähren; diese wären in diesem Fall durch die Gemeinschaft der Steuerpflichtigen zu finanzieren. In diese Richtung bewegen sich die vorliegenden Vorschläge der großen politischen Parteien in Deutschland, so auch die von der aktuellen Regierung verfolgte Idee einer „Lebensleistungsrente“.

Dass in beiden Fällen die der GRV in Deutschland zugrundeliegenden Prinzipien der Teilhabe- und der Beitragsäquivalenz verletzt werden, erscheint dabei nachrangig; diese Prinzipien widerspricht auch schon durch die aus sozialstaatlichen Gründen gewährte Grundsicherung im Alter.[6] Akzeptiert man also den politischen Willen, Altersarmut über das bisherige Ausmaß hinaus zu bekämpfen, so scheint es aus anreiztheoretischer Sicht sinnvoller, den Weg über zusätzliche (steuerfinanzierte) Einkommenstransfers zu gehen, höhere Renten also unangetastet zu lassen. Zudem kann auf diese – und nur auf diese – Weise weiterhin eine Bedürftigkeitsprüfung durchgeführt werden, die notwendig ist, um Altersarmut zielgenau zu bekämpfen, denn niedrige Rentenansprüche an die GRV allein führen, wie gezeigt, nicht notwendigerweise auch zu geringen Einkünften im Alter. Diese Transfers sollten dann aber so ausgestaltet werden, dass anders als bei der bisherigen Grundsicherung im Alter zusätzlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit, Vermögen oder gesetzlicher Rente nicht länger zu 100 % auf die Grundsicherungsleistung angerechnet werden, sondern nur zu einem geringeren Prozentsatz. Damit würde analog zum dem Modell des „Aufstockens“ beim Arbeitslosengeld II erreicht, dass bereits in der Erwerbsphase ein zusätzlicher Anreiz zum Erwerb höherer Rentenansprüche durch höhere Einkommen oder durch private Vorsorge entstünde, der heute wegen der Vollanrechnung sämtlicher Zusatzeinkommen auf die Grundsicherung im Alter nicht besteht.[7]

Bei einer solchen Reform der Grundsicherung im Alter würden allerdings nicht nur die bisherigen Empfänger von Grundsicherung begünstigt; vielmehr müsste – um Sprungstellen im Tarifverlauf zu vermeiden – auch der Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeweitet werden. Insoweit ist gegenüber dem heutigen System auf jeden Fall mit deutlichen Mehrausgaben zu rechnen. Deren genaue Höhe hängt dabei von der konkreten Ausgestaltung ab und kann ohne ein explizites Simulationsmodell nicht bestimmt werden.

Selbst wenn man den hier skizzierten Weg wählt, muss klar sein, dass es dabei nur um die Reparatur von Entwicklungen handeln kann, deren Ursache in der Vergangenheit liegt – nämlich in der ungünstigen Erwerbsbiographie der Betroffenen. Auf lange Sicht wird sich Altersarmut nur bekämpfen lassen, indem gerade auch Personen mit geringer Qualifikation und daraus resultierend niedrigen Einkommen bzw. hohen beitragslosen Zeiten besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Noch besser wäre es, durch verstärkte Bildungsanstrengungen die Zahl der Geringqualifizierten zu verringern, da sich dann deren Arbeitsmarktchancen automatisch verbessern dürften. Für diejenigen, die in den kommenden Jahren in Rente gehen und dann von Altersarmut bedroht sind, kommt dieser Ratschlag allerdings zu spät.

[1] Vgl. Schubert, A., Rente mit 67: Auswirkungen auf die Höhe des Rentenanspruchs, in: ifo Dresden berichtet, Heft 6/2012, S. 9-13.

[2] Die Vorstellung, Leistungsverbesserungen zugunsten der Rentner könnten durch Produktivitätssteigerungen abgefedert werden, ändert nichts an diesem Zusammenhang.

[3] Vgl. Werding, M., Alterssicherung, Arbeitsmarktdynamik und neue Reformen: Wie das Rentensystem stabilisiert werden kann, Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 2013.

[4] Das immer wieder angeführte Gegenargument, dass man älteren Arbeitnehmern schon aus gesundheitlichen Gründen ein längeres Arbeiten nicht zumuten dürfe, überzeugt in diesem Zusammenhang gar nicht – immerhin sind die meisten Beschäftigten heute im Dienstleistungssektor tätig, wo das Argument abnehmender körperlicher Leistungsfähigkeit von eher geringer Relevanz ist. Wenn gesundheitliche Einschränkungen ein längeres Arbeiten tatsächlich verhindern sollten, so ist dieses Problem im Rahmen der Erwerbsminderungsrente und nicht im Rahmen der allgemeinen Altersrenten zu lösen.

[5] Vgl. zu entsprechenden Vorschlägen z.B. Fehr, H., M. Kallweit und F. Kindermann (2013), Should Pensions Be Progressive?, in: European Economic Review, vol. 63 (2013), S. 94 – 116 oder auch Breyer, F. und S. Hupfeld (2009), Fairness of Public Pensions and Old-Age Poverty, in: Finanz-Archiv, vol. 65, S. 358 – 380.

[6] Man kann sogar argumentieren, dass die fehlende Berücksichtigung unterschiedlicher Lebenserwartung bestimmter Gruppen von Versicherten den beiden genannten Prinzipien widerspricht; vgl. Breyer, F., Gesetzliche Rente: Bedeutet Teilhabeäquivalenz Verteilungsneutralität? – Ein weiterer Irrtum, in: Wirtschaftsdienst 2/2013, S. 117-119.

[7] Vgl. zu diesem und anderen Modellen einer „Mindestrente“ z.B. Strengmann-Kuhn, W., Grundrente und Grundsicherung im Alter, in: Opielka, Michael (Hrsg.): Grundrente in Deutschland, Perspektiven der Sozialpolitik, Band 6, Berlin/Heidelberg 2004, S. 99-118.

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