Das Nachhaltigkeitsziel und die freie Marktwirtschaft

Nachhaltig zu wirtschaften bedeutet, das Naturkapital zu erhalten und die Substitutionsmöglichkeiten von Naturkapital durch Sach-, Human- und Sozialkapital zu verbessern. Hierzu gilt es, drei ökologische Managementregeln zu beachten:

  • Der Verbrauch von reproduzierbarem Naturkapital, also zum Beispiel von Holz- oder von Fischbeständen, darf dessen Regenerationsrate dauerhaft nicht überschreiten. Das Ziel ist ein regelmäßiger Fluss an natürlichen Ressourcen ohne Vernichtung des Bestandes.
  • Der Verbrauch von nicht reproduzierbarem Naturkapital zum Beispiel durch die Nutzung fossiler Energieträger darf auf Dauer nicht größer sein als die Substitution seiner Funktionen durch andere Kapitalarten. Diese Substitutionsmöglichkeit ist erstens durch technischen Fortschritt voranzutreiben. Zweitens müssen zur Substitution geeignete andere Kapitalarten (aus-)gebildet werden.
  • Senken – Orte der Lagerung des verbrauchten und damit zumeist transformierten Naturkapitals – dürfen nur so weit belastet werden, dass ihre natürliche Funktions- und Regenerationsfähigkeit erhalten bleibt.

Der Verbrauch fossiler Ressourcen darf also die Anpassungsfähigkeit der natürlichen Umwelt dauerhaft nicht überschreiten. Ein kurzer Blick in unsere Wirtschaftsgeschichte lehrt, dass diese ökologischen Managementregeln zu selten und zu wenig befolgt worden sind. Das Aussterben verschiedener Tierarten (Vernichtung des Bestandes an reproduzierbarem Naturkapital), der steigende Verbrauch fossiler Energieträger und das Entstehen des Ozonlochs oder die Erderwärmung (übermäßige Nutzung der Senken) sind einschlägige Beispiele für solche Regelverstöße. Die Frage, ob unsere derzeitige Ausgestaltung der westlichen Marktwirtschaften geeignet ist, den Wert Nachhaltigkeit erfolgreich zu verfolgen, ist damit schon mit einem Nein beantwortet. Es stellt sich aber die Frage, ob eine Marktwirtschaft so umgestaltet werden kann, dass die Menschen die Management-Regeln befolgen, oder ob eine Marktwirtschaft hierzu systemimmanent ungeeignet ist.

Hier hilft ein Blick auf die wesentlichen Merkmale einer funktionierenden Marktwirtschaft weiter:

  • Erstens spiegeln in einer Marktwirtschaft die Preise die Knappheitsverhältnisse der Güter Dies führt dazu, dass bei übermäßigem Verbrauch von Naturkapital dieses knapper wird und der Preis von Naturkapital steigen wird. Analog gilt dies für den Preis der Nutzung von Senken.
  • Zweitens sind in einer Marktwirtschaft Güter und Ressourcen als Privateigentum in der Hand einzelner Wirtschaftssubjekte. Wenn der Preis von Naturkapital im Zeitverlauf knappheitsbedingt steigt, so entsteht bei diesen ein Anreiz, dem Markt das Naturkapital zunächst vorzuenthalten und es erst später im Produktionsprozess einzusetzen. So kann Naturkapital auch mit der Absicht auf eine spätere Nutzung gehandelt und gehortet werden.
  • Drittens gilt der Haftungsgrundsatz: Wer Schaden anrichtet, muss die Kosten des angerichteten Schadens selbst tragen. Die übermäßige Nutzung von Senken verbietet sich damit von selbst.
  • Viertens ist insbesondere der Prozess der schöpferischen Zerstörung, der dem Wettbewerbsgedanken einer Marktwirtschaft innewohnt, ein Treiber des Fortschritts.

Verlässliche und günstige Energie ist zwar unbestritten ein wichtiger Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung und für unseren Wohlstand, ihre günstige Verfügbarkeit ist aber keinesfalls ein unverzichtbarer Eckpfeiler für unsere Marktwirtschaft: Unser Wohlstand wie auch unser Wachstum sind nicht notwendigerweise von günstiger Energie abhängig. Denn es gehört ja zum Wesen der Marktwirtschaft, die Produktionsprozesse an sich ändernde Knappheitsverhältnissen anzupassen. Werden fossile Energieträger knapper, so steigen deren Preise. Damit steigen aber auch die Kosten für Energie, und so werden energieintensiv hergestellte Konsumgüter eben entsprechend teurer und in Folge dessen von den Konsumenten weniger nachgefragt. Dies führt aber keineswegs zu einem generellen Konsumverzicht; es werden lediglich Substitutionsprozesse zwischen den Gütern stattfinden. Zudem setzen höhere Energiekosten Anreize, in Richtung einer Substitution des Faktors Energie im Produktionsprozess zu forschen. Dieses Zusammenspiel zwischen Preisbildung, Privateigentum, Haftungsgrundsatz und Fortschritt könnte und sollte auf einem funktionierenden Markt für eine effiziente Nutzung der fossilen Energieträger sorgen.

Technischer Fortschritt könnte dann bei rasch steigenden Preisen für fossile Energieträger statt auf eine möglichst intensive Nutzung von Energie (wie bisher, da Energie relativ günstig ist) auf eine energiesparende Produktion ausgerichtet sein. Ein solcher Fortschritt ist aber nicht zu erwarten, solange die nicht erneuerbaren Rohstoffe so günstig sind wie derzeit. Fortschritt ergibt sich aus Notwendigkeiten. Er erfolgt, wenn Bedarf entsteht. Derzeit signalisieren die Preise keinen erhöhten Bedarf, energiesparend produzieren zu wollen. Wachstum kann jedoch auch weniger klimaschädlich erfolgen, und es muss keineswegs zwingend auf einer zunehmenden Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen basieren. Dafür müssen die nicht erneuerbaren Ressourcen aber erst teurer werden.

Die institutionellen Regeln unserer Rahmenordnung verhindern aber derzeit weitgehend, dass Naturkapital tatsächlich auf funktionierenden Wettbewerbsmärkten gehandelt wird:

  • Für die meisten nicht reproduzierbaren Ressourcen liegen keine privaten Eigentumsrechte Für den Abbau von Erzen, Metallen und fossilen Brennstoffen gilt in Deutschland das Bundesberggesetz (BBergG). Es beruht auf dem Prinzip der Bergfreiheit. Die meisten Erze, Metalle (Gold, Silber, Eisen, etc.) sowie fossilen Energieträger (Kohle, Braunkohle, Erdöl, Erdgas) sind solche bergfreien Bodenschätze. Alle im Gesetz aufgeführten sogenannten bergfreien Bodenschätze sind dem Eigentum am privaten Grundbesitz entzogen. Die bergfreien Bodenschätze sind damit zunächst herrenlos, Privateigentum an ihnen kann jedoch durch ein staatlich kontrolliertes Verleihungsverfahren erworben werden. Das Gesetz schreibt indes einen Vorrang der Sicherstellung der Versorgung mit Rohstoffen gegenüber anderen übergeordneten Interessen des Gemeinwohls vor. Das bedeutet, dass Grundbesitzer auf staatliche Anordnung hin gegen eine Entschädigung enteignet werden können, wenn der Staat den Abbau von Ressourcen auf seinem Grundbesitz anordnet. Wenn aber Lizenzen oder Schürfrechte vergeben werden, so gelten diese auf Zeit. Eine Hortung macht damit für das lizenznehmende Unternehmen keinen Sinn.
  • Für viele natürliche Ressourcen gibt es keinen Markt und damit auch keinen Marktpreis. Für die Nutzung von Naturkapital wird kein Preis gezahlt, welcher der Knappheit der Ressourcen entspricht. Mitunter lassen sich Unternehmen sogar noch für den Abbau durch staatliche Subventionen unterstützen, statt einen (Markt-)Preis für die Ressourcen zu zahlen. Die in Deutschland jahrzehntelang gezahlten Kohlesubventionen sind ein gutes Beispiel hierfür.
Laut der Berechnung der Greenpeace Energy eG und dem Bundesverband WindEnergie e.V. (BWE) wurden zwischen 1970 und 2012 Subventionen in Höhe von fast 430 Milliarden Euro für fossile Energien vergeben. Ein großer Anteil dieser Subventionen entfiel auf den Steinkohlenbergbau. Der deutsche Steinkohlenbergbau befindet sich bereits seit Jahrzehnten im Strukturwandel.  Die Steinkohlenförderung in Deutschland ist schon lange international nicht wettbewerbsfähig und wird aus diesem Grund vom Staat subventioniert; ihre Subventionierung wurde mit Aspekten der Versorgungssicherheit begründet.

 

  • Verstöße gegen das Haftungsprinzip werden nicht richtig geahndet. Insbesondere bei den Ursachen von Luftverschmutzung und Klimawandel ist dies auch nicht so einfach umzusetzen: Da bei der Nutzung vieler Senken eine Zuteilung von Privateigentum technisch nicht möglich ist, müsste eine andere Art der Haftung greifen. Der Zertifikatshandel ist ein vorsichtiger Beginn eines solchen Haftungsregimes. Doch da die Schädigung nicht an Ländergrenzen haltmacht, müsste der Zertifikatshandel für die Nutzung von Senken auf internationaler Ebene verankert sein. Davon ist aber auch das Pariser Abkommen noch weit entfernt.
  • In vielen Fällen liegt ein Prinzipal-Agenten-Problem Das Handeln insbesondere von Politikern ist zu kurzfristig orientiert. Aber auch in einer Marktwirtschaft stehen Prinzipal-Agenten-Probleme einer nachhaltigen Nutzung des Naturkapitals oft im Wege. Manager schauen eher auf kurzfristige Kennziffern und nicht ausreichend auf langfristigen Unternehmenserfolg, weil ihre Arbeitsverträge und die darin oft enthaltenen Orientierung von Boni und Weiterbeschäftigungschancen an den kurzfristigen Unternehmenserfolg gekoppelt sind. Der verengte Blick von Marktwirtschaft und Kapitalismus auf kurzfristige Erfolge führt aber dazu, dass die richtigen Entscheidungen für das langfristige Wohlergehen nicht rechtzeitig getroffen werden.
  • Es ist von der Verhaltensökonomie bewiesen, dass wir unangenehme Dinge gerne aufschieben. Jeder Mensch leidet an dem Hang zur Prokrastination, aber diejenigen, die diese Schwäche erkannt haben, setzen das Instrument der Selbstverpflichtung zur Überwindung dieser Schwäche ein. Doch der Kampf um Selbstdisziplin ist allgegenwärtig. Viele Ziele werden nicht erreicht, da keine Selbstverpflichtung wahrgenommen wird. Dies gilt auch und zwar in erheblichem Maße für das politische Handeln in Bezug auf das Nachhaltigkeitsziel. Jetzt Reformen einzuleiten, die mit teureren Energiepreisen einhergehen, führt zu konjunkturellen Belastungen, erhöht das Risiko einer Wirtschaftskrise und gefährdet so die eigene politische Karriere. Ein Aufschieben der Problemlösungsansätze auf die Zukunft erscheint da politisch attraktiver.

Es wird deutlich, dass wir einiges an unseren Institutionen ändern könnten, um nachhaltiger zu wirtschaften. Insbesondere die Verteilung der Eigentumsrechte an Naturkapital – soweit dies technisch möglich ist – sowie die Einstellung der Subventionen für den Abbau fossiler Energieträger  würde der heutigen Wachstumskritik schon viele Angriffspunkte nehmen und die Marktwirtschaft erheblich kompatibler zum Nachhaltigkeitsgedanken erscheinen lassen.

4 Antworten auf „Das Nachhaltigkeitsziel und die freie Marktwirtschaft“

  1. Soll nun also die Konstanthaltung des Bestandes an Naturkapital zum Dogma erhoben werden? Kann das wirklich eine sinnvolle Norm sein?

    Wendet man sie auf die Vergangenheit an, so gäbe es bei konsequenter Einhaltung unsere Species gar nicht, denn wir haben im Gegensatz zu anderen homo erectus Varianten in den 200 000 Jahren bei unserer globalen Ausbreitung schon ordentlich Naturkapital gerodet und verbraucht.

    Wendet man sie auf die Zukunft an, so müsste man dafür sorgen, dass das globale Bevölkerungswachstum irgendwie an die Rate des technologischen Fortschritts gekoppelt wird oder die Wertschöpfung global ziemlich heftig umverteilt wird.

    Irgendwas „konstant zu halten“ mag ja intuitiv plausibel sein, aber „intuitiv plausibel“ ist noch kein Ersatz für ein praktikables Handlungskonzept.

  2. Na ja, vielleicht sollte man zuerst mal mit der Lösung des drängendsten Problems, der Klimaerwärmung, beginnen. Scheint ja nicht so einfach zu sein. Da gibt’s noch viel zu tun. Dann sehen wir weiter.

    Wenn man „Nachhaltigkeit“ zu üppig definiert gerät man schnell in den Bereich utopistischer Heilslehren (s. „triple bottom line“)…

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