Mit der Covid-Pandemie wurde für den Infektionsschutz das Arbeiten von daheim statt im Büro, das sogenannte Home-Office, plötzlich populär. Am 19. Januar 2021 (in Kraft getreten am 27. Januar 2021) beschloss die Bund-Länder Konferenz sogar übergangsweise eine sogenannte „Homeoffice-Pflicht“ für die Arbeitgeber. Mit dieser Regelung wurden die Arbeitgeber verpflichtet, ihren Beschäftigten die Möglichkeit des Homeoffice anzubieten, soweit keine betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. Die Home-Office-Quote (überwiegend oder vollständig im Homeoffice arbeitender Erwerbstätiger), die im April 2020 wegen der Schließung vieler Betriebe in der ersten Covid-Welle schon einmal deutlich zugenommen hatte, erreichte daraufhin im Frühjahr 2021 erneut 25 Prozent (infas & ifo, 2021).
Infas & Ifo (2021) führen in einem gemeinsam erstellten Themenreport vom Juli 2021 aus, dass damit der mögliche Spielraum für Home-Office in Deutschland noch keinesfalls ausgeschöpft sei. Sie verweisen auf die Studien zum einen von Alipour et al. (2020), die gestützt auf Umfrageergebnisse für mehr als 17.000 Befragte insgesamt 56 Prozent der Arbeitsplätze zumindest teilweise als ins Homeoffice verlagerungsfähig ausweisen, und auf zum anderen Ergebnisse aus der 4. Welle der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung vom Januar 2021, nach der zumindest 53 Prozent der Beschäftigten ganz oder teilweise im Homeoffice arbeiten könnten.
Da erscheint der tatsächliche Anteil der im Home-Office stattfindenden Erwerbsarbeit in Deutschland natürlich als eher bescheiden. Dies gilt vor allem für die Anteile an Home-Office, die vor Beginn der Covid-Sondersituation beobachtbar waren.
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Abbildung 1 – entnommen aus einem Forschungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – zeigt, dass der Anteil von Erwerbstätigen, die gewöhnlich oder gelegentlich von zu Hause arbeiten, in Deutschland seit dem Jahr 2008 sogar zurückgegangen ist. Im Jahr 2002 lag der Anteil in Deutschland bei 12,4 Prozent, im Jahr 2008 lag er bei immerhin bereits 14,4 Prozent, ging aber dann bis 2017 kontinuierlich auf 11,0 Prozent zurück. In der gesamten EU stieg der durchschnittliche Anteil an Erwerbstätigen, die von zu Hause arbeiten, hingegen seit dem Jahr 2002 von 11,5 Prozent kontinuierlich auf 15,2 Prozent an (Bonin et al., 2020).
Im europäischen Vergleich, siehe hierzu Abbildung 2 aus dem gleichen Forschungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, liegt Deutschland bezogen auf den Anteil der Erwerbstätigen, die zumindest gelegentlich von zu Hause arbeiten, damit unterhalb des EU-Durchschnitts im Mittelfeld. Der EU-Durchschnitt lag im Jahr 2017 in der Gruppe der 20- bis 64-ja?hrigen Erwerbstätigen bei 14,8 Prozent und im Jahr 2018 bei 15,2 Prozent. Insbesondere in den Niederlanden und in den skandinavischen Ländern ist das Arbeiten im Homeoffice stark verbreitet. Aber auch in Frankreich und im Vereinigten Königreich ist das Arbeiten im Homeoffice deutlich verbreiteter als in Deutschland (Bonin et al., 2020).
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Auch wenn der Anteil der Verbreitung von Home-Office deutlich angestiegen ist, hat sich die Platzierung im Mittelfeld der europäischen Staaten in der Zeit der Pandemie nicht geändert.
Warum aber ist in Deutschland die Arbeit von daheim so unpopulär?
1. Dies kann an der Wirtschaftsstruktur liegen. Im europäischen Vergleich schneidet Deutschland möglicherweise schlechter ab, weil mobiles Arbeiten in den Jobs vieler Dienstleistungsunternehmen einfacher durchführbar ist als in der Agrarwirtschaft oder in der Industrie. Gerade die Industrie ist in Deutschland ein noch vergleichsweise starker Wirtschaftssektor. Doch auch hierzulande arbeiten mittlerweile über 70 Prozent der Beschäftigten im Dienstleistungssektor. Und da auch die Industrie heutzutage viele Arbeitsstellen aufweist, die für Home-Office geeignet sind, dürfte dies allenfalls einen kleinen Teil der internationalen Unterschiede erklären.
2. Als zweiter Grund wird gerne die Skepsis deutscher Arbeitgeber angeführt. Immerhin hätten sich, so eine Auswertung des IW Köln, über 20 Prozent der Beschäftigten im Jahr 2018 vorstellen können, im Home-Office zu arbeiten, erhielten hierfür aber nicht die Erlaubnis ihres Arbeitgebers, obwohl sie selbst ihre Tätigkeiten für eine Verlagerung ins Home-Office als geeignet einschätzten (Flüter-Hoffmann/ Stettes, 2022). Kontrollwünsche von Vorgesetzten, die in Präsenzarbeit leichter umsetzbar sind, könnten ein mögliches Hindernis darstellen. Doch warum sollten diese unter deutschen Vorgesetzten häufiger auftreten als in den anderen EU-Ländern?
Aus Unternehmenssicht bestehen natürlich Risiken durch eine möglicherweise niedrigere Produktivität von Beschäftigten im Home-Office, denn diese senkt letztlich die Rentabilität des Unternehmens. Zudem kann aber auch die Erlaubnis für Home-Office für nur eine Gruppe der Beschäftigten Unzufriedenheit in der Belegschaft auslösen. Entsprechend böses Blut in der Belegschaft kann ebenfalls nachteilig für die Produktivität im Unternehmen sein.
Viele Quellen deuten indes darauf hin, dass die Produktivität von Beschäftigten im Home-Office unverändert hoch sein oder sogar noch steigen kann. Doch sicherlich gilt dies keinesfalls für jeden Beschäftigten und jede Tätigkeit im Unternehmen. Daher ist eine Differenzierung hier zwar schwierig, aber wichtig. Nicht jeder Job und nicht jeder Beschäftigte sind tauglich zur Verlagerung ins Home-Office.
3. Damit sei der dritte und letzte Punkt angeführt, und es ist der, auf den es vermutlich in erster Linie ankommt, um den noch vergleichsweise geringen Anteil an Home-Office in Deutschland zu erklären: Der gesetzliche Regelungsprozess zum Home-Office ging vor der Pandemie in die Richtung, dem Arbeitgeber die Kosten für die Nutzung von Home-Office ziemlich weitgehend einseitig zuzuschreiben. So wurde 2016 in der der Arbeitsstättenverordnung Telearbeit geregelt; und hiernach sind Telearbeitsplätze
„vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich der Beschäftigten, für die der Arbeitgeber eine mit den Beschäftigten vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer der Einrichtung festgelegt hat. Ein Telearbeitsplatz ist vom Arbeitgeber erst dann eingerichtet, wenn Arbeitgeber und Beschäftigte die Bedingungen der Telearbeit arbeitsvertraglich oder im Rahmen einer Vereinbarung festgelegt haben und die benötigte Ausstattung des Telearbeitsplatzes mit Mobiliar, Arbeitsmitteln einschließlich der Kommunikationseinrichtungen durch den Arbeitgeber oder eine von ihm beauftragte Person im Privatbereich des Beschäftigten bereitgestellt und installiert ist.“
Diese Regelung weist die Bereitstellung des Arbeitsplatzes (und damit auch die Beachtung der Anforderungen von Arbeitsplatzsicherheit und Gesundheitsschutz) eindeutig dem Unternehmen zu – während beim Arbeitnehmer die Pendelkosten und die Pendelzeit zum Betriebsort entfallen, was eine nicht unerhebliche Entlastung für diesen darstellen dürfte. Auch im bislang weitgehend unregulierten Home-Office entstehen den Beschäftigten offenbar kaum zusätzliche Kosten. Home-Office ist aufgrund der geringen Belastung bei den Beschäftigten derzeit bei Arbeitnehmern in Deutschland denn auch im Ergebnis eindeutig beliebter als bei Arbeitgebern. Wenn jetzt Arbeitnehmer mehr Home-Office wünschen als Arbeitgeber, deutet dies daraufhin, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis zwischen den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern nicht sinnvoll austariert ist.
Die Sorgen der Arbeitgeber bilden sich dabei mehrdimensional. Sie betreffen keineswegs nur die Produktivität ihrer Beschäftigten., auch die Risiken von Cyberkriminalität sind für das Unternehmen hoch (Flüter-Hoffmann/ Stettes, 2022). Jeden privaten Arbeitsplatz außerhalb des Unternehmens sicher zu gestalten ist daher ohnehin kostenintensiv. Auch der Gesundheitsschutz stellt das Unternehmen vor Herausforderungen. Das deutsche Arbeitsschutzgesetz sieht die Unternehmen schließlich auch bei mobilem Arbeiten in der Pflicht, für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten Sorge zu tragen.
Nun ist es nachvollziehbar, dass, wenn Home-Office dem Arbeitgeber zu viele zusätzliche Kosten oder zusätzliche Risiken aufbürdet, viele mögliche Tätigkeiten für Home-Office weiterhin im Betrieb ausgeübt werden, weil dem Arbeitgeber die zusätzlichen Kosten oder die Risiken zu hoch sind. Wollen nun mehr Beschäftigte Teile ihrer Arbeit ins Home-Office verlagern, so ergibt sich hieraus primär keine Effizienz-, sondern eine Verteilungsfrage. Konkret wäre es sinnvoll, Teile der Kosten und Risiken den Beschäftigten, die ins Home-Office wechseln wollen, selbst aufzubürden (gegebenenfalls auch in Form von Lohnverzicht). Dies würde auch den Betriebsfrieden im Hinblick auf jene Beschäftigten sicherstellen, denen ein Wechsel ins Home-Office angesichts ihres Tätigkeitsprofils verwehrt bleibt.
Die derzeitigen Regelungen sehen indes keine zusätzliche Belastung der Beschäftigten im Home-Office vor. Auch eine Differenzierung über unterschiedliche Entlohnung zwischen Beschäftigten im Büro und im Home-Office wird nicht diskutiert, weil dies der Gleichbehandlung widersprechen könnte.
Doch nur, wenn die gesetzlichen Regeln die Lasten des Home-Office nicht einseitig dem Arbeitgeber aufbürden, während die Vorteile eher dem Arbeitnehmer zugutekommen, wird die Bereitschaft der Arbeitgeber für Home-Office weiter steigen. In der Pandemie mit dem eher überstürzten Umzug ins Home-Office ist dies immerhin teilweise geschehen – die Beschäftigten mussten zumeist selbst für die Ausstattung ihrer Arbeitsplätze daheim Sorge tragen. Eine solche permanente Verschiebung würde auch der Nutzung von Home-Office in Deutschland sicherlich nochmal einen Aufschwung geben.
Quellen
Alipour, J.-V., O. Falck und S. Schüller (2020), Germany’s Capacity to Work from Home, CESifo Working Paper 8227, https://www.cesifo.org/DocDL/cesifo1_wp8227.pdf
Bonin, H., Eichhorst, W., Kaczynska, J., Kümmerling, A., Rinne, U., Scholten, A. und S. Steffes (2020): Verbreitung und Auswirkungen von mobiler Arbeit und Homeoffice, Forschungsbericht 549 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Forschungsberichte/fb-549-pdf-verbreitung-auswirkung-mobiles-arbeiten.pdf?__blob=publicationFile&v=1
Flüter-Hoffmann, C. und O. Stettes (2022): Homeoffice nach fast zwei Jahren Pandemie, IW Report 2/2022, https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Report/PDF/2022/IW-Report_2022-Homeoffice-nach-Pandemie.pdf
Infas & Ifo Institut: Homeoffice im Verlauf der Corona-Pandemie, Themenreport Corona-Datenplattform, Ausgabe Juli 2021, Bonn https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/I/infas-corona-datenplattform-homeoffice.pdf?__blob=publicationFile&v=4
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