Der schwindende Gewerkschaftszugang im Homeoffice

Telekommunikationsbasierte Arbeitsweisen – ob gesetzlich geregelte Telearbeit, ob mobiles Arbeiten oder ob Homeoffice – verändern die Arbeitswelt, und damit sind sie auch für Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre von hoher Relevanz. Dies betrifft nicht nur deren Engagement für die Beschäftigten als ihre Interessensvertretung und -organisation gegenüber dem Unternehmen, sondern auch die direkte Beziehung zu diesen.

Im Wesentlichen stehen die deutschen Gewerkschaften der Möglichkeit von telekommunikationsbasierten Arbeitsweisen positiv gegenüber. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine acht Mitgliedsgewerkschaften fordern seit Beginn der Covid-Pandemie sogar die Einführung eines Rechts auf selbstbestimmtes mobiles Arbeiten inklusive Homeoffice für die Beschäftigten, wobei sie die konkrete Ausgestaltung dieses Rechtes durch eine Ausarbeitung in Tarifverträgen und in den Mitbestimmungsorganen in Betrieben und Verwaltungen vorschlagen (DGB, 2020).

Für den eigenen Zugang zu ihren Gewerkschaftsmitgliedern stehen hingegen aus der Sicht des DGB der persönliche Kontakt und die direkte Interaktion in Präsenz mit den Beschäftigten auch in Zukunft im Zentrum der Tätigkeit von Betriebsräten und Gewerkschaftlern. Sowohl Gewerkschaftsarbeit als auch die Arbeit der Personalvertretungen stützten sich, so die Analyse des DGB, traditionell und auch in Zukunft weiterhin zu einem nicht unwesentlichen Teil auf persönliche Ansprache und den unmittelbaren persönlichen Kontakt untereinander. Auch die Mitgliedsgewerkschaften des DGB fordern insofern unisono, dass Homeoffice den Zugang zu den Gewerkschaften nicht beschränken dürfe.

Genau dieser gewünschte persönliche Kontakt wird aber im Homeoffice dadurch erschwert, dass bei häufiger Nutzung dieser Option viele Beschäftigte nicht mehr oft in ihrem Büro auftauchen. Dies gilt insbesondere in jenen Branchen, die Homeoffice intensiv nutzen. Hier wird die persönliche Kontaktpflege schwieriger. Damit hilft den Gewerkschaftsvertretern das im Betriebsverfassungsgesetz vorgeschriebene Zutrittsrecht zu ihren Mitgliedern im Betrieb nicht mehr. Im Gesetz ist festgeschrieben, dass Gewerkschaftsvertreter in Ausübung ihrer Tätigkeit nach Unterrichtung des Arbeitsgebers Zugang zum Betrieb und damit zu den Beschäftigten gewährt werden muss. Für das Homeoffice existiert genau dieses Recht eines Zugangs zu den Beschäftigten nicht. Damit ist für die Kontaktaufnahme auf digitale Medien, üblicherweise auf E-Mails oder Intranet abzustellen, und das macht angesichts der täglichen Flut an Mails in den meisten Arbeitsverhältnissen im Homeoffice vor allem die Gewinnung neuer Gewerkschaftsmitglieder schwer. Zudem ist gesetzlich noch weitgehend unklar, ob Akquise-Tätigkeiten zu jenen Gewerkschaftsaufgaben zählen, für die eine Nutzung dienstlicher E-Mail-Kanäle oder des betrieblichen Intranets zulässig ist. Denn die arbeitgeberseitige Duldungspflicht eines Informationsaustausches bezieht sich eigentlich nur auf bereits registrierte Gewerkschaftsmitglieder. Und für eine direkte digitale Ansprache sind zumeist zusätzlich auch noch Datenschutzhürden zu überwinden.

Nun sehen sich der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften ohnehin einem ungünstigen Trend gegenüber. Vor allem in den 90er Jahren kam es zu einem deutlichen Rückgang der Mitgliederzahlen, und auch wenn in den letzten 15 Jahren die Kurve etwas flacher wurde, so ist der Trend doch ungebrochen (vgl. Abb.1).

Laut einer Auswertung von Schnabel (2016) haben sich die Mitgliederzahlen der deutschen Gewerkschaften sogar bereits seit 1960 stark rückläufig entwickelt; der Anteil der Beschäftigten, die in Gewerkschaften organisiert waren, sank in diesem Zeitraum von 34,7% auf 17,7% (vergleiche hierzu meinen Beitrag von 2020 bei https://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=27809). Der Trend zum Homeoffice stellt nun eine neue Herausforderung für die Mitgliedergewinnung in den Gewerkschaften dar, die ein weiteres Schwinden der Mitgliederanzahl befürchten lässt.

Interessant ist insofern, inwiefern betroffene Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre selbst das Problem wahrnehmen. In den Interviews einer jüngst im Rahmen des EU-Projektes „The Labour Market as a Consequence of Teleworking: Challenges for Full Integration (TELECHAIN)“ durchgeführten Fallstudie (mit Befragungen im Sommer 2023) wurden Personen interviewt, die als Führungskräfte, Betriebsräte und Beschäftigte in der W&W-Gruppe tätig sind – unter den Betriebsräten unter anderem der Konzernbetriebsratsvorsitzende und seine Stellvertretung. Von den fünf Betriebsräten sind vier in der Gewerkschaft ver.di und eine Betriebsrätin bei der DHV-Die Berufsgewerkschaft organisiert.

Die W&W-Gruppe ist eine Finanzdienstleistungsgruppe. Sie ist 1999 aus der Fusion der Unternehmen Wüstenrot und Württembergische hervorgegangen. Kern der Geschäftstätigkeit ist die Vorsorge. Hauptgeschäftsfelder sind Bausparkasse (Housing) und Versicherung (Insurance). Mittlerweile sind zwei Geschäftsfelder, acht Marken und 16 Unternehmen Teil der W&W-Gruppe. Die W&W-Gruppe hat rund sechs Millionen Kunden und rund 13.000 Beschäftigte.

Die W&W-Gruppe hat in einer Konzernbetriebsvereinbarung eine 60/40-Regelung getroffen: 60 Prozent der Arbeitszeit sind in Präsenzarbeit zu leisten, damit sind maximal 40 Prozent Homeoffice erlaubt. Dies wird indes nicht in jedem Unternehmen des Konzerns gleichermaßen starr angewendet. Die durchschnittliche Nutzung von eben zwei Tagen Homeoffice unter den Befragten deutet daraufhin, dass viele Beschäftigte die Möglichkeit zum Homeoffice bis zur erlaubten Obergrenze ausnutzen. Dabei wurde bereits zum Zeitpunkt der Befragung über eine weitreichendere Nutzung von Homeoffice diskutiert.

Die Aussage der Betriebsräte ist gerade im Hinblick auf jene Themen, welche die zukünftige Stellung und Bedeutung der Gewerkschaften betreffen, von Belang. Die Befragten waren alle schon seit über zehn Jahren, die meisten sogar schon seit über 30 Jahren Mitglieder in ihrer Gewerkschaft. Teilweise sitzen die Betriebsräte auch im Aufsichtsrat ihres Unternehmens oder des Konzerns, haben folglich einen guten Einblick sowohl über die Unternehmensperspektive als auch über die Sichtweise der Gewerkschaftsseite.

Drei der fünf befragten Betriebsräte denken, dass sich die Mitgliedschaften in der Gewerkschaft durch die Zunahme von Telearbeit oder Homeoffice nicht verändern werde. Zwei sind hingegen der Meinung, dass sich die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder aufgrund dieses Trends verringern wird. Hier ist also noch längst kein Konsens vorhanden. Auf die Frage, warum sie dieser Meinung sind, hieß es bei den beiden Befragten, die von einem Effekt auf die Mitgliederzahlen ausgehen, unter anderem:

„Fehlender direkter Kontakt zur Belegschaft und damit geringeres Bewusstsein für die Tätigkeiten der Gewerkschaften ist ein Grund; es ist zudem auch schwieriger, im Homeoffice Streikbereitschaft zu erzeugen“.

Auch wurde geantwortet:

„Mangelnder Kontakt ist ein Grund. Aber was die Streikbereitschaft betrifft: Die Leute kommen zwar nicht mehr zum Streik, aber sie arbeiten einfach nicht. Sie melden sich über die sozialen Netzwerke für den Streik an. Und weil man von seinem Vorgesetzten nicht gesehen wird, wenn man streikt, steigt die Streikbereitschaft sogar“.

Insbesondere wurden die Betriebsräte gefragt, ob die physische Entfernung zu den Gewerkschaftsvertretern, welche das Homeoffice mit sich bringe, ein Hindernis für eine effektive Kommunikation darstelle. Diese Frage wurde wiederum auch fünf Beschäftigten der Führungsebene 1 (darunter auch der CEO und der CIO des Konzerns) sowie vier im Konzern Beschäftigten ohne Führungsverantwortung gestellt (vgl. Tabelle 1). Von den fünf Führungskräften beantworteten vier die Frage mit einem „Ja“. Auch drei der Betriebsratsmitglieder sind der Meinung, dass die effektive Kommunikation durch Homeoffice verloren gehe. Ein Betriebsratsmitglied führte aus:

„Wir vermissen die Korridorgespräche. Das ist eine Hürde für die Vertrauensbildung.“

Die Angestellten hingegen antworteten ausschließlich mit „Nein“, ein Mitarbeiter merkte an, dass es auch in einem Großraumbüro schwierig sei, offen miteinander zu reden.

Ein fehlender persönlicher Kontakt könnte nach Meinung der Interviewten also durchaus den Zugang der Betriebsräte zu den Beschäftigten erschweren und damit langfristig zu einer weiteren schleichenden Erosion der Bedeutung der Gewerkschaften beitragen, und – und dies ist ein durchaus problematisches Signal für die Gewerkschaften – es ist durchaus möglich, dass die Beschäftigten dies nicht einmal besonders wahrnehmen werden oder negativ bewerten würden.

Dies muss nun aber keinesfalls bedeuten, dass die Gewerkschaften bei einem zunehmenden Trend zum Homeoffice einfach in der Bedeutungslosigkeit verschwinden werden. Es ist auch möglich, dass sie ihre Mitgliedergewinnung umstellen werden. Statt im persönlichen Kontakt Mitglieder zu rekrutieren, bleibt der Weg über die Medien, indem Konflikte mit den Arbeitgebern wieder vermehrt öffentlich mit harter Gangart und langen Streiks ausgetragen werden. Der leichte Anstieg der Mitgliederzahlen in der Gewerkschaft Ver.di am aktuellen Rand, der sich vor allem aus den jüngsten harten Arbeitskämpfen speist, deutet daraufhin, dass eine solche Strategie erfolgsversprechend sein könnte.

Damit dürften dann die zuletzt eher streikarmen Jahre dem Ende entgegengehen.

Insofern mag es hoffentlich Gewerkschaftsfunktionäre und Unternehmen beruhigen, dass die Beschäftigten in Deutschland aktuell durchschnittlich nur 17 Prozent ihrer Arbeitszeit zu Hause verbringen (Ifo, 2024) – und über 80 Prozent der Zeit im Büro ermöglichen nach wie vor den direkten, persönlichen Kontakt. Doch für jene Gewerkschaften in den Dienstleistungsbranchen, die Homeoffice als üblichen Arbeitsort einsetzen, wird der Zugang zu den Beschäftigten sicherlich problematisch werden. Und hier dürften dementsprechend die Arbeitskämpfe wieder intensiver werden.

Quellen

Deutscher Gewerkschaftsbund (2020). Positionspapier des DGB für einen gesetzlichen Ordnungsrahmen für selbstbestimmtes mobiles Arbeiten inklusive Homeoffice. https://www.dgb.de/search?display_page=7&end_date=2999-12-31&search_text=positionspapier&start_date=1900-01-01.

Ifo (2024). Ifo-Konjunkturumfrage vom 12. September 2024: Beschäftigte verbringen 17% ihrer Arbeitszeit im Homeoffice. https://www.ifo.de/fakten/2024-09-12/beschaeftigte-verbringen-17-prozent-ihrer-arbeitszeit-im-homeoffice.

Neumann, M. (2024). Home Office in a German Financial Services Company. In: López, M. & Díaz Moreno, A. (Hrsg.): The Labor Market as a Consequence of Teleworking, Challenges for Full Integration, Vol. I, Cizur Menor (Navarra), S. 733–776 (übersetzt auch in Vol. II & Vol. III).

Schnabel, C. (2016). Gewerkschaften auf dem Rückzug? Mythen, Fakten und Herausforderungen, ZBW, Wirtschaftsdienst 2016, S. 426–432.

Michael Neumann

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