Die deutsche Wirtschaft befindet sich seit Anfang 2013 in einem robusten Aufschwung. Durch ein stärkeres Anspringen der Ausrüstungsinvestitionen hat sich die bislang vorwiegend vom privaten und öffentlichen Konsum sowie von den Bauinvestitionen getragene Aufwärtsbewegung im vergangenen Jahr weiter verbreitert. Diese breite binnenwirtschaftliche Fundierung des Aufschwungs stärkt derzeit die Resilienz gegen eine Reihe von sich abzeichnenden konkreten und relevanten Risiken.
Wie im Jahr 2017 stützt auch weiterhin eine höhere Dynamik der weltwirtschaftlichen Entwicklung die deutschen Exporte. Weltwirtschaft und Welthandel wachsen seit dem vergangenen Jahr wieder etwas stärker als in der Phase zwischen 2012 und 2016. Getragen wird diese höhere Dynamik gleichermaßen von den Industrie- und Schwellenländern. Damit einher geht auch eine wieder kräftiger werdende globale Investitionstätigkeit. Teilweise stehen dahinter allerdings staatliche Fiskalprogramme, deren Nachhaltigkeit sich mittelfristig erst noch erweisen muss.
Aller Voraussicht nach bleibt die wirtschaftliche Dynamik auch im nächsten Jahr hoch und die deutsche Wirtschaft wird – nach gut 2 Prozent in 2018 – nochmals um rund 2 Prozent zulegen. Eine konjunkturelle Wende ist gemäß der Frühjahresprognose des Instituts der deutschen Wirtschaft derzeit nicht in Sicht. Im Basisszenario kommt es nur zu eng begrenzten Auswirkungen der aktuellen protektionistischen Maßnahmen auf die deutsche Wirtschaft. Die Sorgen vor einem Handelskrieg gehen aber auch im Basisszenario nicht spurlos an der Konjunktur vorbei, sie wirken sich leicht dämpfend auf das Investitionsklima und die in Gang kommende Investitionsdynamik aus. Der gegenwärtige Protektionismus hat Opportunitätskosten. Es wird in der aktuellen Frühjahrsprognose des Instituts der deutschen Wirtschaft davon ausgegangen, dass sich konkrete und relevante Risiken für die globale und deutsche Wirtschaftsentwicklung im Prognosezeitraum nicht materialisieren. Diese Risiken bestehen aber gleichwohl:
- Der Protektionismus des US-Präsidenten hat das Potenzial, einen Handelskrieg auszulösen und die Rolle der WTO als Hüterin der Welthandelsregeln zu untergraben. Die Europäische Union und auch andere Staaten können Vergeltungsmaßnahmen gegen US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium ergreifen. In Reaktion darauf hat Donald Trump angekündigt, höhere Zölle auch auf die Einfuhr von Autos aus der EU zu erheben. Noch mehr droht im Handel der USA mit China eine protektionistische Eskalation. Das Szenario eines Handelskrieges ist damit sowohl greifbar als auch potenziell gravierend in seinen wirtschaftlichen Folgewirkungen.
- Es kann im Zuge einer schnelleren und stärkeren Zinswende zu erneuten Bankenkrisen Die Europäische Zentralbank (EZB) wird zwar erst frühestens im Jahr 2019 beginnen, die sehr niedrigen kurzfristigen Zinsen zu erhöhen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Finanzmärkte die langfristigen Marktzinsen schneller in die Höhe treiben, als von der EZB erwünscht. Verschiedene Ursachen können dazu führen: Es mag der EZB nicht gelingen, die Zinswende adäquat zu kommunizieren. Die Wirtschaftsdynamik im Euroraum könnte sich so stark verbessern, dass schneller als gedacht die Inflationsraten stark ansteigen. Die absehbaren Zinsanstiege in den USA führen über Arbitrage-Effekte zu höheren Marktzinsen im Euroraum. Eine Überreaktion der Finanzmärkte (zum Beispiel ausgelöste durch eine Verkaufswelle am Anleihenmarkt) mag den Zinsanstieg noch weiter verschärfen. In einer solchen Situation drohen Solvenzprobleme für Banken und andere Finanzmarktakteure, die sich kurzfristig finanzieren, aber langfristige Kredite zu sehr niedrigen Zinsen vergeben haben. Dieses Risiko betrifft in Deutschland auch kleinere Banken. Auch andere Assetpreise könnten unter Druck geraten. Die gesamtwirtschaftliche Investitionstätigkeit würde dadurch in Mitleidenschaft gezogen.
- Es kann zu einer neuen Schuldenkrise in Italien kommen, die die dortige Wirtschaft in eine tiefe Krise stürzt und auch die ökonomische Entwicklung im Euroraum bremst. Ein solcher Fall könnte eintreten, falls die Zinsen rascher steigen als erwartet, eine populistisch orientierte Regierung die großzügigen Wahlversprechen realisiert und deutlich gegen die europäischen Fiskalregeln verstößt. Mit einer Staatsverschuldung von rund 130 Prozent des BIP ist Italien anfällig für eine Schuldenkrise. Verschärfend dürfte bei einer Eskalation wirken, dass die neu geschaffenen Krisenmechanismen im Euroraum mit der Größe Italien überfordert wären. Dies wäre relevant für die deutsche Wirtschaft, da Italien mit gut 5 Prozent der sechstwichtigste Exportpartner im Warenhandel ist.
- Auch die zunehmende private und staatliche Verschuldung in China birgt das Risiko einer Finanz- und Wirtschaftskrise. Aufgrund der großen Relevanz Chinas für die weltwirtschaftliche Entwicklung und für den deutschen Außenhandel (Warenexportanteil. 6,7 Prozent) würde eine Realisierung dieses schwer kalkulierbaren Risikos nennenswerte Rückwirkungen auf die deutsche Konjunktur haben.
- Derzeit weniger wahrscheinlich erscheint ein Scheitern der Brexit-Verhandlungen. Ein No-Deal-Szenario ist aber angesichts der Unstimmigkeiten innerhalb der britischen Regierung auch nicht auszuschließen. Im Fall eines ungeregelten Austritts ohne Übergangsphase und Abkommen über die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich drohen vorübergehend chaotische Verhältnisse im bilateralen Handel, weil ein rechtliches Vakuum entstehen würde. Zudem dürfte es zu einer weiteren deutlichen Abwertung des britischen Pfund gegenüber dem Euro kommen, was die deutschen Warenexporte erneut belasten würde. Nach der Etablierung verlässlicher neuer Handelsregeln käme es schon im Jahr 2019 zu höheren Handelskosten, weil Zollabwicklungsverfahren, Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse relevant würden. Sollte sich dieses Risiko realisieren, wäre es relevant für die deutsche Wirtschaft, da das UK der fünftwichtigste Exportpartner im Warenhandel ist und im vergangenen Jahr 6,6 Prozent der deutschen Warenexporte dort abgesetzt wurden. Im Zuge eines No-Deal-Szenarios beim Brexit – und in Kombination mit einer Schuldenkrise in Italien – könnten neben den erwähnten direkten realwirtschaftlichen Effekten auch Finanzmarktturbulenzen entstehen.
Die jüngere Vergangenheit hat zwar gezeigt, dass der anhaltende Aufschwung in Deutschland relativ resistent gegen zahlreiche durchaus nennenswerte Risiken im Umfeld war. Auch ein Gewöhnungseffekt mag bei den Unternehmen eine Rolle spielen, wenn sich Risiken letztlich doch nicht realisieren oder ihre Effekte nur begrenzt bleiben. Gleichwohl sind einige der aufgezeigten Risiken konkret und sie können auch relevante Wirkungen entfalten. Das größte Risiko besteht im Protektionismus der Trump-Administration. Zudem kann dieses Risiko zum Brandbeschleuniger für einige der anderen aufgeführten Gefahrenherde werden. Eine verschärfte Gangart gegenüber China kann dort zu einem Ausbruch einer Finanzkrise und zu einem Wachstumseinbruch führen, der sich auch durch staatliche Eingriffe nur teilweise abfedern lässt.
Neben dem angedrohten Protektionismus kann auch die avisierte expansive Fiskalpolitik in den USA zu einer Verschärfung der globalen Risikolage beitragen. Gemäß Consensus Forecast wird die Kombination von Steuersenkungen und Ausgabensteigerungen zu einem starken Anstieg des Defizits des US-Bundeshaushaltes auf mehr als 1.000 Milliarden US-Dollar führen. Eine solche Größenordnung wurde im historischen Kontext nur im Gefolge der Finanzmarktkrise von vor einer Dekade erreicht. Das entspricht rund 5 Prozent des BIP. Zum einen können diese expansiven Fiskalimpulse eine konjunkturelle Überhitzung provozieren – mit dann höheren Inflationserwartungen und stärker ansteigenden längerfristigen Marktzinsen. Angesichts der insgesamt regen Investitionstätigkeit ist auch ein Crowding out von privaten Investitionen denkbar. Ein deutlicher Zinsanstieg in den USA kann wie erläutert über Arbitrage-Effekte auch im Euroraum zu stärker steigenden längerfristigen Marktzinsen führen. Dies stärkt die Gefahren von Bankenproblemen in Europa und vor einem Wiederaufflammen der Staatsschuldenkrise. Vor allem aber muss die USA zur Finanzierung des öffentlichen Haushaltsdefizits auf Kapital aus anderen Ländern zurückgreifen. Der hohe Bedarf an Kapitalimporten treibt den US-Kapitalbilanzüberschuss in die Höhe – und spiegelbildlich das US-Leistungsbilanzdefizit. Die Fiskalpolitik der US-Administration nährt damit ihren eigenen Protektionismus.
Was hieße das für die deutsche Wirtschaft? Der Übertragungsweg wäre eine Verschlechterung der Aussichten für Exporte und Ausrüstungsinvestitionen. Die Investitionen würden darüber hinaus durch Bankenprobleme und eine damit verbundene Einschränkung der Kreditverfügbarkeit gemindert wie durch eine allgemein höhere Unsicherheit, die mit krisenhaften Entwicklungen an den Finanzmärkten einherginge. Die wirtschaftliche Dynamik in Europa würde nachlassen. Alles in allem sackt dann die BIP-Wachstumsrate für 2019 in Deutschland um bis zu einen Prozentpunkt ab. Ohne Dynamik ginge es dann weiter in das Jahr 2020.
Quelle:
IW-Forschungsgruppe Konjunktur, 2018, Hohe Zuversicht der Unternehmen – hohe Risiken durch Protektionismus. IW-Konjunkturprognose Frühjahr 2018, in: IW-Trends. Online-Sonderausgabe Nr. 1.2018.
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