Ordnungspolitischer Kommentar
Nachwuchssorgen im Handwerk

In vielen Bereichen des Handwerks warten Kunden teilweise mehrere Wochen auf einen Termin. Dennoch fehlt in vielen handwerklichen Berufen der Nachwuchs. Interessensverbände und Teile der Politik machen auch die Teilabschaffung der Meisterplicht für die Nachwuchssorgen verantwortlich und fordern eine Rückabwicklung der Reform. Was ist dran an diesem Argument?

Der Meisterbrief ist nur noch in einem Teil des Handwerks Voraussetzung zur Selbstständigkeit

Seit der Reform der Handwerksordnung (HWO) im Jahr 2004 ist der Meisterbrief nicht mehr in allen Handwerken die Voraussetzung zur Selbstständigkeit. Anlage A der HWO umfasst alle Handwerke, für die eine erfolgreiche Meisterprüfung weiterhin Voraussetzung zur Selbstständigkeit ist („A-Handwerk“). Ausnahmen sind für Gesellen möglich, die Berufserfahrung in leitender Position und weitere vergleichbare Qualifikationen nachweisen können. Anlage B1 nennt alle Handwerke, in denen die Meisterprüfung freiwillig abgelegt werden kann („B-Handwerk“). Die Ausbildung neuer Gesellen darf sowohl im A- als auch im B-Handwerk weiterhin nur in meistergeführten Betrieben erfolgen. Die Einteilung in A- und B-Handwerk hat der Gesetzgeber vorrangig anhand einer Gefahrenbewertung vorgenommen. Demnach sind die Tätigkeiten der meisterpflichtigen A-Handwerke mit einem besonders hohen Maß an potenziellen Gefahren assoziiert. Die jeweilige Eingruppierung der Handwerkszweige war Gegenstand ausgeprägter politischer Auseinandersetzungen. Gemessen am gesamten Marktvolumen wurden letztlich ungefähr 90 Prozent des Handwerks dem gefahrengeneigten A-Handwerk zugeordnet.

Ein gutes Argument für die Meisterpflicht ist das Ziel der Gefahrenabwehr …

In der Tat kann von einigen handwerklichen Tätigkeiten bei unsachgemäßer Ausführung eine besonders große Gefahr ausgehen. Einige Beispiele sind Arbeiten an Elektro- oder Gasinstallationen, die Errichtung tragender Mauern oder Dachdeckerarbeiten. Die verpflichtende Meisterausbildung des Betriebsinhabers soll diese Gefahren zumindest mittelbar minimieren, in dem sie den Inhaber in die Lage versetzt, Gefahren zu erkennen und eigene Mitarbeiter fortlaufend zu instruieren und zu beaufsichtigen. Wäre von den potenziellen Gefahren nur der jeweilige Auftraggeber betroffen, könnte man diesem womöglich die Wahl überlassen, ob er einen Meisterbetrieb oder einen tendenziell günstigeren Handwerker ohne entsprechenden Qualifikationsnachweis wählt. Allerdings sind regelmäßig auch unbeteiligte Dritte von möglichen Gefahren unsachgemäß ausgeführter Arbeiten betroffen (z.B. Passanten durch herabstürzende Dachziegel), die durch den Meisterzwang ebenfalls geschützt werden sollen. Im Sinne einer präventiven Gefahrenabwehr finden sich daher gute Argumente für eine verpflichtende Mindestqualifikation bei gefahrengeneigten Arbeiten, die darüber hinaus bestehende Haftungsregeln sinnvoll ergänzen können.

… während das Argument der Verdrängung hoher Qualität wenig stichhaltig ist.

Ein anderes Argument stellt darauf ab, dass bei ungleich verteilten Informationen zwischen Anbietern und Nachfragern gute Qualität vom Markt verdrängt werden könnte: Sofern die Nachfrager eine fachmännisch ausgeführte Arbeit von einer minderwertigen Leistung nicht unterscheiden können, wären sie nicht bereit für überdurchschnittliche Qualität zu zahlen. Daher könnten hochwertige Dienstleistungen nicht mehr kostendeckend angeboten werden und würden vom Markt verdrängt. Ein anerkannter Meisterbrief soll als Qualitätssignal dienen und die Zahlungsbereitschaft auch für hochwertige Arbeiten sichern. Allerdings ist diese Signalfunktion auch dann gewährleistet, wenn Handwerksbetriebe den Meisterbrief optional als Qualitätsindikator bzw. Unterscheidungsmerkmal nutzen können, wie es im B-Handwerk der Fall ist. Durch den optionalen Meisterbrief entsteht für den Kunden im nicht gefahrengeneigten B-Handwerk zudem die Wahlmöglichkeit, ob er beispielsweise im Fall des Parkettlegerhandwerks für einen neuen Bodenbelag auf einem bewährten Meisterbetrieb oder einen Quereinsteiger ohne entsprechende Reputation zugreift. Im ersten Fall kommt die erhoffte höhere Qualität regelmäßig auch zu einem höheren Preis, die Preisersparnis im zweiten Fall geht womöglich mit einer etwas unsauberen Ausführung und dem höheres Risiko einher, dass der Quereinsteiger vor Ablauf möglicher Gewährleistungspflichten vom Markt verschwunden sein könnte.

Rückläufige Ausbildungszahlen im B-Handwerk als alternatives Argument für die Meisterpflicht?

Die Gefahrenabwehr und die Sicherung hoher Qualität sind im nicht gefahrengeneigten B-Handwerk keine guten Argumente zur Wiedereinführung der Meisterpflicht. Vielleicht verweisen Befürworter auch daher verstärkt auf einen möglichen Zusammenhang zwischen rückläufigen Ausbildungszahlen und der Abschaffung der Meisterplicht. Das zentrale Argument für diesen möglichen Zusammenhang ist der Attraktivitätsverlust gegenüber dem weiterhin meisterpflichtigen A-Handwerk. Als Gründe für die geringere Attraktivität werden unter anderem Reputationsverluste als vermeintliches Handwerk „Zweiter-Klasse“ sowie die stärkere Preiskonkurrenz (zugunsten der Nachfrager) im Zuge der Marktöffnung für Nicht-Meisterbetriebe genannt. Wettbewerbspolitisch lassen sich kaum stichhaltige Argumente für eine Berufsbeschränkung zur bloßen Sicherung des Auskommens der Anbieter bzw. zur „Attraktivitätssteigerung“ konstruieren. Spannend ist aber auch, ob der diskutierte Zusammenhang überhaupt besteht.

Absolventenzahlen deuten bisher nicht auf Zusammenhang zwischen Nachwuchs und Meisterpflicht hin

Die Statistik des Zentralverbands des deutschen Handwerks zeigt, dass in den Jahren nach der Reform die Anzahl an abgeschlossenen Gesellen- und Abschlussprüfungen im B-Handwerk von 6.322 Absolventen im Jahr 2005 auf 4.067 Absolventen im Jahr 2017 gesunken ist.[1] Das entspricht einer jährlichen negativen Veränderungsrate von 2,7 Prozent bzw. einem gesamten Rückgang von gut 35 Prozent. Lässt man diese Zahlen für sich stehen, mag tatsächlich der Eindruck einer massiven Auswirkung der letzten HWO-Reform auf die Ausbildungszahlen entstehen. Rückt man die Zahlen jedoch in einen breiteren Kontext, zeigt sich ein anderes Bild. Auch in den Jahren vor der Reform waren die Ausbildungszahlen im späteren B-Handwerk bereits stark rückläufig. Zwischen dem Jahr 1998 (9.788 Absolventen) und dem Jahr 2005 nahm die Anzahl der Absolventen jährlich sogar um durchschnittlich 4,4 Prozent ab. Das deutlich volumenstärkere A-Handwerk war sowohl vor als auch nach der Reform von einem etwas schwächeren Rückgang betroffen. Der Rückgang von 137.900 (1998) über 101.546 (2005) auf nun 75.096 (2017) Absolventen entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Rückgang von 3,3 Prozent vor und 2,0 Prozent nach der Reform. Aus diesen Zahlen kann man lesen, dass das gesamte Handwerk schon lange vor der HWO-Reform von deutlich rückläufigen Nachwuchszahlen betroffen war und dass der relative Bedeutungszuwachs des späteren A-Handwerks mit seinen etwas geringeren Rückgängen gegenüber dem späterem B-Handwerk ebenfalls ein langfristiger Trend ist, der von der HWO-Reform unberührt scheint.

Meisternachwuchs bisher auch relativ stabil

Darüber hinaus wird die Sorge geäußert, dass im Zuge der rückläufigen Gesellenzahlen auch der Meisternachwuchs für die Ausbildung kommender Generationen ausbleiben könnte. Die im A und B-Handwerk schon länger rückläufige Anzahl neuer Meister ist mit der HWO-Reform im B-Handwerk nochmals sprungartig zurückgegangen, da der Titel fortan nicht mehr Bedingung zur Selbstständigkeit war (2004: 1.729 neue Meister; 2005: 1.111). Seitdem ist der Meisternachwuchs mit aktuell 883 erfolgreichen Meisterprüfungen (2017) im B-Handwerk verglichen mit dem Gesellennachwuchs weniger stark rückläufig. Von den fertigen Gesellen entscheidet sich also ein leicht steigender Anteil für die Meisterprüfung. Ein ähnliches Bild mit einer gestiegenen Meister-Quote zeigt sich auch im A-Handwerk.

Alternative Handlungsoptionen

Aktuell deuten die unbesetzten Lehrstellen im B-Handwerk nicht auf einen generellen Mangel an ausbildenden Betrieben hin. Sollte es in Zukunft aber zu Engpässen bei ausbildenden Meisterbetrieben kommen, stünden dem Gesetzgeber unterschiedliche Alternativen zu einer Wiedereinführung der Meisterpflicht zur Verfügung. Beispielsweise könnte man zur Stärkung der Attraktivität einer Karriere im Bereich des Handwerks über die Ungleichbehandlung zwischen oftmals gebührenfreiem Hochschulstudium und kostenpflichtigen Meisterschulen nachdenken. Darüber hinaus könnte auch eine gezielte Bezuschussung ausbildender Betriebe Anreize setzen und so zur Sicherung des bewährten dualen Ausbildungssystems beitragen.

Ausblick

Es gibt gute Argumente für die Meisterpflicht in einem Teil des Handwerks. Rückläufige Ausbildungszahlen zählen nicht dazu. Der diskutierte Zusammenhang zwischen Meisterpflicht und Nachwuchsproblemen scheint sich in den Absolventenzahlen bisher auch nicht abzuzeichnen. Vielmehr ist das gesamte Handwerk wie andere Ausbildungsberufe vom anhaltenden (und politisch forcierten) Akademisierungstrend in Deutschland betroffen. Für eine Trendwende beim Nachwuchs in den gut ausgelasteten Zweigen des Handwerks könnten mittelfristig allerdings die Preissignale sorgen, die der Arbeitsmarkt immer deutlicher sendet: Die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten in leitender Position im Handwerk übersteigen inzwischen die unteren Einkommensklassen von Hochschulabsolventen deutlich. Aus Sicht des Handwerks gilt es, auch diese Information noch stärker an die jungen Menschen heranzutragen.

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[1] Das Jahr 2005 bietet sich als Referenz an, da die Reform hier frühestens einen plausiblen Einfluss auf die Absolventenzahlen gehabt haben kann. Eine spätere Referenz (z.B. 2006) verändert die Befunde nicht.

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Hinweis: Der Beitrag erschien am 4. September 2018 als „Der ordnungspolitische Kommentar“ des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln

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