Glückwünsche zum neuen Jahr waren zuletzt allgegenwärtig. Neben dem Vertrauen auf gute Vorsätze mag der ein oder andere seinem Glück vielleicht auch auf anderem Wege auf die Sprünge helfen: Gut ein Fünftel der inländischen Bevölkerung wird zur Gruppe regelmäßiger Glücksspielkonsumenten gezählt. Trotz dieser salopp formulierten Sätze zum Einstieg ist die Regulierung des Glücksspiels ein ernstes Thema, da einige Spielformen nicht unerhebliche Suchtrisiken bergen. Seit der Europäische Gerichtshof vor über sieben Jahren eine Neuordnung der deutschen Regulierung eingefordert hat, ringt die Politik um eine europarechtskonforme Lösung. Der EuGH hatte seinerzeit hinterfragt, wie ein stark beworbenes staatliches Glücksspielangebot und ein Komplettverbot privater Anbieter konsistent dem Ziel der Suchtprävention dienen sollen. Den vorerst letzten Reformversuch des Glücksspielstaatsvertrags hat der EuGH letztes Jahr gekippt. Mit weiterhin sehr restriktiven Regeln wollen die zuständigen Bundesländer die Konsumenten vor sich selber schützen – und verkennen dabei die Realität grenzüberschreitender Spielangebote. Leidtragende der fortwährenden Regelungslücke könnten die Konsumenten sein, die bei Angeboten aus dem Ausland oft keine wirksamen Mechanismen zum Spielerschutz vorfinden.
Glücksspielsucht in Deutschland
Glücksspielsucht ist ein anerkanntes Krankheitsbild mit ungefähr 215.000 Betroffenen in Deutschland (BZgA). Damit pflegt die breite Mehrheit der Konsumenten zwar einen problemlosen Umgang mit dem Glücksspiel – für die Betroffenen sind die Folgen der Krankheit aber nicht selten verheerend: Überschuldung, Arbeitsplatzverlust, Isolation im privaten Umfeld bis hin zu Suizidversuchen sind Begleiterscheinungen. Vor diesem Hintergrund nennt der Gesetzgeber den Schutz der Konsumenten vor einer Suchterkrankung als oberstes Regulierungsziel. Zur Zielerreichung wird bisher auf Verbote von Spielformen mit erhöhter Suchtgefahr wie internetbasierten Casinospielen und Poker oder Echtzeit-Wetten zurückgegriffen.
Suchtpräventionen aus ökonomischer Perspektive: Ein Widerspruch zur Konsumentensouveränität?
Aus ökonomischer Perspektive ist das Ziel, Konsumenten vor den Folgen ihrer eigenen Konsumentscheidungen zu schützen, nicht so einfach zu greifen. Entsprechenden Konsumverboten liegt oft die These zu Grunde, dass der Gesetzgeber den Nutzen oder Schaden individueller Konsumvorlieben besser als das betroffene Individuum selbst beurteilen kann. Folgt man aber dem methodologischen Individualismus als zentraler normativer Wertsetzung der Ökonomik, entscheidet das mündige Individuum alleine über den Wert einer Konsummöglichkeit für sein eigenes Befinden. Diese Wertsetzung baut auf der Überlegung auf, dass es keinen objektiven Maßstab für den erfahrenen Nutzen einer Sache oder einer Situation gibt. Und so stehen auch gut gemeinte Beschränkungen der individuellen Entscheidungsfreiheit zum Schutz vor Suchtkrankheiten als Eingriff in die Konsumentensouveränität in einem Spannungsverhältnis zur Wertbasis der Ökonomik.
Vertragstheoretische Überlegungen…
Findige Ökonomen versuchen diesen Widerspruch aufzulösen, indem sie staatliche Konsumverbote als einen hypothetischen Vertrag eines repräsentativen Individuums mit sich selbst interpretieren. Dazu wird plausibilisiert, dass bei Gütern mit Suchtpotential eine Korrektur individueller Konsumentscheidungen eigentlich im langfristigen Eigeninteresse der betroffenen Individuen liegen müsste. Es wird die Annahme getroffen, dass der langfristige Nutzen aus einem suchtfreien Leben höher wiegt als der Nutzen aus dem Gegenwartskonsum von Gütern mit Suchtpotential. Unter dieser Annahme lässt sich dann ein Tauschgewinn herleiten, wenn ein Individuum seine unbeschränkten Konsummöglichkeiten gegen ein langfristig suchtfreies Leben „eintauscht“. Immer dort, wo ein Individuum diesen Tauschgewinn aufgrund von Selbstbindungsproblemen langfristig nicht auf sich allein gestellt realisieren kann, wäre dann eine hypothetische Zustimmung zu einem staatlichen Konsumverbot denkbar.
… lösen diesen Widerspruch nicht sauber auf …
Diese potentielle Vorteilhaftigkeit eines Konsumverbots ist sicher nicht aus der Luft gegriffen und könnte bei einigen Personen auch auf tatsächliche Zustimmung stoßen. Andersherum erlaubt diese hypothetisch hergeleitete Vorteilhaftigkeit jedoch keinen logischen Rückschluss auf die tatsächliche Vorteilhaftigkeit eines Verbots für alle betroffenen Individuen: Je nach individueller Risikoneigung, Wertschätzung kurzfristigen Vergnügens, vermuteten Fähigkeiten zur Selbstkontrolle oder individueller Freiheitsliebe muss ein gut gemeintes Verbot nicht im Interesse aller Mitglieder einer Gesellschaft liegen. Und so mag ein anderer Teil der Gesellschaft die Position vertreten, dass Eingriffe in die Konsumentscheidungen mündiger Bürger so lange unterbleiben sollten, wie unter den Konsequenzen der Handlungen nicht unbeteiligte Dritte zu leiden haben.
… und Argumentationen über externe Effekte beziehen die individuellen Folgen einer Sucht nicht ein.
Da sich ein Konsumverbot allein zum Selbstschutz ökonomisch kaum konsistent begründen lässt, rechtfertigen andere Ökonomen Konsumkorrekturen über negative Auswirkungen des Glücksspiels auf unbeteiligte Dritte. In den Sinn kommen vor allem Kosten der Glücksspielsucht, die über die Sozialsysteme der Gesellschaft angelastet werden. Eine solche Argumentation lässt sich innerhalb des ökonomischen Gedankengerüsts konsistent aufbauen, sie geht am Kern des hier aufgeworfenen Problems gleichwohl etwas vorbei: Argumentiert man ausschließlich über die Folgen einer Suchtkrankheit für unbeteiligte Dritte, ist der Schutz des Individuums vor einer eigenen Suchtkrankheit streng genommen nur ein Nebenprodukt.
Ein wirksamer Mechanismus zur Selbstsperre ist ein vielversprechender Lösungsansatz…
Welche Rolle könnte der Staat aber in diesem Spannungsfeld einnehmen, wenn man den Schutz der Konsumenten vor einer eigenen Suchterkrankung als Ziel nicht vollständig aufgeben will? Zumindest im Fall des Glücksspiels wären staatlich gesetzte Rahmenbedingungen für einen wirksamen Mechanismus zur freiwilligen Selbstsperre ein vielversprechender Ansatz. Über einen solchen Mechanismus könnten Konsumenten ihre Einsätze temporär oder dauerhaft begrenzen. Je nach Ausgestaltung ist auch die proaktive Freischaltung eines Verfügungsrahmens seitens des Konsumenten vor der Erstnutzung von Spielangeboten denkbar. Mit dieser freiwilligen Begrenzung ist die begründete Hoffnung verbunden, dass ein Suchtproblem im Regelfall ausbleibt. Da die Suchtforschung aber auch bei erkrankten Spielern nur von einem phasenweisen Kontrollverlust ausgeht, kann die Möglichkeit zur freiwilligen Sperre auch hier einen wertvollen Beitrag liefern – ohne die Handlungsfreiheit aller Konsumenten durch ein generelles Verbot einzuschränken.
… scheitert aber an der aktuellen Regulierung.
Es ist nicht so, dass die nationale Politik die Idee einer Sperrdatei schlicht übersehen hätte. Die letzten Fassungen des Glücksspielstaatsvertrags sehen ein entsprechendes Instrument vor. Damit ein solches Instrument aber eine breite Schutzwirkung entfalten kann, müssten alle oder wenigstens möglichst große Teile des genutzten Spielangebots angeschlossen sein. Nun sind jedoch fast alle Spielformen mit erhöhtem Suchtrisiko nach deutschem Recht verboten und in dieser Logik folgerichtig auch nicht Teil der freiwilligen Sperrdatei. Die Verbote betreffen neben Online-Casinospielen und Poker aktuell auch alle privaten Angebote von Sportwetten jenseits des staatlichen Anbieters Oddset. Das dennoch diverse Wettanbieter an vielen Straßenecken ihre Produkte anbieten, liegt an der mangelnden Konformität des deutschen Komplettverbots privater Anbieter mit europäischem Recht. Die Ladenlokale fungieren als Vermittler zu Spielanbietern, die im europäischen Ausland gültige Glücksspiellizenzen besitzen. Die gängigen Lizenzen aus Gibraltar und Malta verzichten zwar auf Mechanismen zum Spielerschutz -solange Deutschland aber keine eigene europarechtskonforme Regelung für den Marktzugang gefunden hat, können sich die Vermittler auf die Dienstleistungsfreiheit im europäischen Binnenmarkt berufen. Gleiches gilt für Onlineanbieter von Wetten, Poker und Casinospielen, deren Angebote auf den deutschen Markt abzielen. Im Ergebnis führen die gut gemeinten Verbote dazu, dass sich ein immer größerer Teil des deutschen Glücksspielmarkts auf kaum regulierten Plattformen ohne Spielerschutz abspielt.
Ausblick: Nur in einem legalen Marktumfeld ist ein wirksamer Spielerschutz möglich
Falls sich die zuständigen Bundesländer im erneuten Reformprozess auf die Vergabe von eigenen Lizenzen einigen könnten, wäre auch die verpflichtende Anbindung an eine Sperrdatei möglich. Juristen sind sich weitestgehend einig, dass man in diesem Fall auch Spielangebote aus dem europäischen Ausland ohne entsprechende Instrumente zum Spielerschutz rechtssicher unterbinden könnte – wenn der Zugang zu inländischen Lizenzen unter Einhaltung der nationalen Vorgaben offen stünde. Sofern die Lizenzvergabe das inländische Glücksspiel nicht vollständig in ein legales Marktumfeld überführen sollte, besteht durch Seitensperren und die Unterbindung von Zahlungsströmen durchaus auch eine Handhabe gegen verbleibende illegale Spielanbieter. Die Mehrheit der Bundesländer will bisher dennoch kaum von der bestehenden restriktiven Regulierung abweichen. Einzig Schleswig-Holstein und jüngst NRW scheren aus der Reihe: Beide Länder wollen eine erneute Reform des Glücksspielstaatsvertrags nur dann mittragen, wenn die Neuregelung auch eine sachgerechte Lösung für die immer populäreren Live-Sportwetten, Online-Casinospiele und Poker umfasst. Im Sinne einer wirksamen Suchtprävention wäre wohl zu hoffen, dass sich weitere Bundesländer dem Vorstoß anschließen…
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