Ordnungspolitischer Kommentar
Hohe Trassengebühren als Eintrittshürde im Schienenpersonenfernverkehr?

Der ehemalige Monopolanbieter Deutsche Bahn ist im Schienenpersonenfernverkehr weiterhin fast alleine unterwegs. Mit der Insolvenz von Locomore hat erneut ein Konkurrent aufgegeben, noch bevor die geplante Fernverkehrsverbindung zwischen Berlin und Stuttgart ins Rollen kam. Auch der langjährige Mitbewerber Hamburg-Köln-Express hat kürzlich sein Angebot auf drei wöchentliche Fahrten reduziert. Die Erklärungsansätze sind vielfältig. Im Fokus dieser ausschnittsweisen Betrachtung steht das Argument, dass hohe Trassengebühren den Markteintritt im Fernverkehr erschweren könnten.

Wettbewerb mit einem Anbieter

Die Grundvoraussetzungen für einen Anbieterwettbewerb im Fernverkehr wurden mit der Bahnreform im Jahr 1994 vor 23 Jahren geschaffen. Während der Nahverkehr auf Grundlage von Bedarfsplanungen aus öffentlichen Mitteln bestellt wird, ist der Fernverkehr seither eigenwirtschaftlich zu betreiben. Die im Bundesbesitz verbliebene Fernverkehrssparte der Deutsche Bahn und potentielle Mitbewerber bestimmen eigenständig, welche Verbindungen zu welchen Konditionen angeboten werden. Ein formaler Zwang zum Angebot bestimmter (politisch gewünschter) Fernverkehrsverbindungen besteht nicht. Während die Fernverkehrssparte der Deutsche Bahn seit Jahren in der Gewinnzone fährt, konnte sich kein privater Konkurrent etablieren.

Natürliches Monopol innerhalb der Konzernstruktur der Deutschen Bahn

Trassen und Bahnhöfe haben die Eigenschaften eines natürlichen Monopols. Diese Einrichtungen sind für alle Verkehrsanbieter ein elementares Vorprodukt. Die Bewirtschaftung dieses natürlichen Monopols ist im integrierten Konzern der Deutsche Bahn verblieben. Allen privaten Mitbewerbern ist diskriminierungsfreier Zugang zur Infrastruktur zu gewähren. Da der politische Wille zur Abspaltung einer eigenständigen Infrastrukturgesellschaft fehlt, ergeben sich für die Regulierungsbehörden vielfältige Aufgaben: Zunächst sind die Nutzungsentgelte zu regulieren, wie es auch im Fall einer eigenständigen Infrastrukturgesellschaft erforderlich wäre. Darüber hinaus ist dann aber auch strategischem Verhalten innerhalb des integrierten Gesamtkonzerns vorzubeugen. Unter anderem gilt es zu verhindern, dass die Netzsparte den Infrastrukturzugang oder die Entgeltgestaltung zum Vorteil der konzerneigenen Verkehrsanbieter beeinflussen kann.

Unterschiedliche potentielle Markteintrittshürden

Allerdings zeigt beispielsweise die Monopolkommission in ihren Sondergutachten zum Bahnsektor regelmäßig auf, dass aufgrund der integrierten Konzernstruktur trotz regulatorischer Bemühungen an vielen Stellschrauben Raum für eine potentielle Benachteiligung privater Mitbewerber verbleibt. Es ist jedoch fraglich, inwieweit die integrierte Konzernstruktur ausbleibende Markteintritte im Fernverkehr erklären kann. Nach Aussagen der beaufsichtigenden Bundesnetzagentur stellt zumindest die elementare Frage des Zugangs zum Schienennetz im Fernverkehr gegenwärtig keine große Eintrittshürde da. Vereinfacht dargestellt können alle Fernverkehrsanbieter bei der Netzsparte der Deutsche Bahn ihre Wunschstrecken anmelden. Bei konkurrierenden Wünschen wird zunächst in einem Koordinierungsverfahren eine Lösung im Sinne aller Beteiligten gesucht. Erst wenn keine Lösung möglich ist, werden Kriterien herangezogen. Ein Kriterium ist beispielsweise die Zuglaufstrecke, um einer Zerstückelung der Fernverkehrsverbindungen entgegenzuwirken. Sofern diese Kriterien keine eindeutige Entscheidung erlauben, ist eine Auktion vorgesehen. Im Fernverkehr seien bisher jedoch immer einvernehmliche Lösungen möglich gewesen sein. Allerdings musste sich hier der Vergabemechanismus aufgrund der geringen Meldungen von konkurrierenden privaten Anbietern bisher auch noch kaum beweisen.

Hohe Trassengebühren als Markteintrittshürde im unteren Qualitäts- und Preissegment

Die Deutsche Bahn bedient im Fernverkehr mit sehr modernen Zügen und möglichst kurzen Reisezeiten vorrangig ein hochpreisiges Marktsegment. Größenvorteile ermöglichen es der Deutsche Bahn zudem schneller auf technische Probleme und Zugausfälle zu reagieren als kleinere Anbieter dies können, was die Position der Deutsche Bahn in diesem hochqualitativen Marktsegment weiter festigt. Da Bahnverbindungen jedoch auch jenseits spezieller Hochgeschwindigkeitstrassen gegenüber dem Fernbus deutliche Zeitersparnisse versprechen, zielten Konkurrenzanbieter bisher mit gebrauchtem Wagenmaterial und möglichst günstigen Preisen auf Kunden mit mittlerer oder geringer Zahlungsbereitschaft und Zeitsensibilität. Das können unter anderem Kunden sein, die die Deutsche Bahn bisher nur im Fall von Sparangeboten nutzen. Aber auch bisherige Nutzer anderer Verkehrsmittel kommen in den Sinn. Gerade in diesem preissensibleren Marktsegment können nun aber hohe Trassengebühren eine Hürde für neue Anbieter sein: In der Gesamtkalkulation fällt der Fixkostenblock hoher Trassengebühren hier überproportional ins Gewicht und verringert den Preissetzungsspielraum zum etablierten Anbieter.

Vollkostendeckung als politisches Ziel

Gegenwärtig sind die Trassengebühren ein zentraler Kostenblock für Fernverkehrsanbieter. Bei der Deutsche Bahn machen die Gebühren trotz des kostenintensiven Wagenmaterials und hoher Lohnkosten ca. ein Viertel der Gesamtkosten aus. Im europäischen Vergleich gehört Deutschland zu einer kleinen Gruppe mit deutlich überdurchschnittlichen Trassengebühren. Das liegt vor allem daran, dass der Gesetzgeber unter dem Schlagwort „Finanzierungskreislauf Schiene“ das Ziel einer Vollkostendeckung für die Nutzung der Infrastruktur verfolgt. Die Netzsparte der Deutsche Bahn muss daher einen Preis setzen, der neben den unmittelbaren Grenzkosten des Zugbetriebes (z.B. Instandhaltung der Trasse, Administration, ggf. Knappheitskosten) auch die Fixkosten für den Bau neuer Trassen umschließt. Auf die Fixkosten entfällt dabei der höhere Anteil. Mit der jüngsten Tarifreform erfolgt die Anlastung der Fix- und Grenzkosten vereinfacht erläutert nach „Marktsegmenten“, bei deren Ausgestaltung Nachfrageelastizitäten anhand von Kriterien berücksichtigt werden sollen (z.B. Tageszeit, Art des Zuges, Zentrums- vs. Peripherieverkehr). Bei dieser Bepreisung aus Grenzkosten und Fixkostenumlage anhand von geschätzten Nachfrageelastizitäten spricht man der Tendenz nach von Ramsey-Preisen.

Regulierung zu Grenzkosten?

Bei natürlichen Monopolen ist die geforderte Vollkostendeckung üblicherweise mit Wohlfahrtsverlusten verbunden. Sofern die Infrastruktur einmal besteht, stellt sich unter der Nebenbedingung der Fixkostenanlastung eine zu geringe Nutzungsmenge ein. Bei den sich ergebenden höheren Preisen scheidet ein Teil der potenziellen Nachfrage aus dem Markt aus, dessen Zahlungsbereitschaft geringer ist. Gerade um diese Nachfrager würde sich ein Deutsche Bahn-Konkurrent mit einem Angebot im unteren Qualitäts- und Preissegment wohl bemühen. Theoretisch wohlfahrtsoptimal wäre daher eine Bepreisung in Höhe der Grenzkosten, da sich nur so die effiziente (höhere) Nutzungsmenge durch eine optimale Auslastung der bestehenden Infrastruktur einstellen kann. Da bei natürlichen Monopolen die Grenzkosten allerdings dauerhaft unterhalb der Durchschnittskosten liegen, ergibt sich eine Deckungslücke. Dieser aus den Baukosten neuer Trassen resultierende Fehlbetrag wäre beim Grenzkostenansatz der Allgemeinheit anzulasten. Aufgrund der potentiell positiven Wohlfahrtseffekte ist eine Bepreisung von Verkehrsinfrastrukturen zu Grenzkosten nach europäischem Beihilferecht ausdrücklich erlaubt und wird in den meisten europäischen Ländern der Tendenz nach praktiziert.

Eine politische Entscheidung

Es ist vorrangig eine politische Abwägung, ob und inwieweit öffentliche Mittel in den Ausbau der Schieneninfrastruktur fließen. Gegenwärtig ist die öffentliche Hand auf verschiedenen Ebenen involviert: Zunächst indirekt über die starke Subventionierung des Nahverkehrs, der dann wiederum aus den öffentlichen Geldern hohe Trassengebühren zahlt. Dann über Sonderzuschüsse, um einen teils über Jahrzehnte entstandenen Investitionsstau an Ersatzinvestitionen aufzulösen. Darüber hinaus hat sich der Bund in der Vergangenheit am Bau neuer Hochgeschwindigkeitsstrecken beteiligt. Diese bisherige Zuteilungspraxis kommt vor allem dem Nahverkehr und dem hochqualitativen Fernverkehr auf den neuen Hochgeschwindigkeitstrassen zu Gute, während die Entscheidungen für Neubauprojekte tendenziell Zulasten des Fernverkehrs auf bestehenden Strecken gehen. Bei der Ausgestaltung künftiger öffentlicher Zuschüsse könnte daher durchaus auch berücksichtigt werden, dass über die Stellschraube der Trassenpreise unter anderem Einfluss auf die Wettbewerbsbedingungen im Fernverkehr genommen werden kann. Eine Bepreisung der Trassennutzung zu Grenzkosten mit entsprechend eingepreisten Rücklagen für Instandhaltungs- und Ersatzinvestitionen könnte dabei die Chance auf Wettbewerb im Fernverkehr erhöhen, indem bisher an Fernbusse, Billigflieger und Mitfahrgelegenheiten verlorene Kunden mehr attraktive Angebote für preisgünstige Zugverbindungen erhalten. Ein Teil der entstehenden Deckungslücke beim Grenzkostenansatz ließe sich über den geringeren Subventionsbedarf im Nahverkehr schließen: Zum einen reduzieren sinkende Trassengebühren den öffentlichen Zuschussbedarf. Zum anderen bieten günstigere Fernverkehrsangebote die Chance, im Fall von langlaufenden Nahverkehrsverbindungen mit Fernverkehrscharakter (z.B. RE6 von Köln nach Minden mit fast 300 km Streckenlänge) die gezielte Subventionierung zu reduzieren, ohne den Daseinsvorsorgeauftrag bezahlbarer und erreichbarer Mobilität zu gefährden.

Hinweis: Dieser Text ist auch als Ausgabe Nr. 6/2017 der Reihe „Der Ordnungspolitische Kommentar“ des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.

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