Vermeidbarer Frust
Konjunkturelle Unsicherheiten und Risiken nehmen zu

Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal 2019 leicht geschrumpft. Dabei konnten die Zuwächse bei den konsumorientierten Branchen den Rückgang der industriellen Wertschöpfung nahezu noch kompensieren. Die Aussichten für das laufende Quartal sind nicht viel besser. Deutschland stagniert. Dabei befindet sich die deutsche Industrie schon seit Anfang des Jahres 2018 in der Rückwärtsbewegung. Die vergleichsweise gute wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Jahren ist damit nicht einfach so vorbei. Das erreichte Konsumniveau ist in der Breite der Volkswirtschaft hoch. Es mehren sich aber die Signale, dass es so wie bisher nicht weiter nach oben geht.

Das war schon sehr beachtlich, was sich hierzulande an wirtschaftlicher Dynamik – vor allem am Arbeitsmarkt und in den letzten Jahren auch beim Konsum – entfaltet hat. Das macht ein einfacher Vergleich der Arbeitsmarktdaten für die Jahre 2005 und 2018 deutlich (Abbildung):

  • Am Ende der langen wirtschaftlichen Frustphase von 2001 bis 2004 lag die Anzahl der registrierten Arbeitslosen in Deutschland bei knapp 5 Millionen, was einer Arbeitslosenquote von 13 Prozent entsprach. Die Anzahl der Erwerbstätigen lag bei gut 39 Millionen.
  • Im vergangenen Jahr waren 2,3 Millionen Menschen als arbeitslos registriert. Die Arbeitslosenquote belief sich auf 5,2 Prozent, was derzeit im internationalen Vergleich als hervorragend gewertet werden kann. Die Zahl der Erwerbstätigen lag im Jahresdurchschnitt 2018 bei knapp 45 Millionen. Trotz der zwischenzeitlichen globalen Finanzmarktkrise und der darauf folgenden Staatsschuldenkrise wurden hierzulande seit 2005 rund 5,5 Millionen Arbeitsplätze geschaffen – für alle Qualifikationen und Arbeitszeiten.

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Derzeit liegen die Hoffnungen brach, dass sich dieser Arbeitsmarkterfolg fortsetzen wird. Als Grund für dieses eingetrübte Erwartungsbild wird das weltweit hohe Ausmaß an Verunsicherungen genannt.

Unsicherheit kann aus ganz unterschiedlichen Quellen resultieren, zum Beispiel aus erratischen Schwankungen von wichtigen Rohstoffpreisen infolge von natürlichen Ereignissen (z. B. Hurrikan) oder kriegerischen Auseinandersetzungen (z. B. im Persischen Golf). Wichtig ist es, die eigentlichen Quellen oder Auslöser von Verunsicherung zu erkennen. In der Institutionenökonomik wird hierzu etwa zwischen der Umweltunsicherheit und der Verhaltensunsicherheit unterschieden. Diese Unterscheidung ist insofern bedeutsam, als die Identifikation der Auslöser von Unsicherheit wichtig ist für die Gestaltung von institutionellen Vorkehrungen und wirtschaftspolitischen Reaktionen.

  • Die Umweltunsicherheit bezieht sich auf die künftigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Dazu können tatsächliche Umwelt- oder Klimabedingungen genannt werden, die etwa über ein Erdbeben (Fukushima) oder unwetterbedingte Infrastrukturbeeinträchtigungen international aufgestellte Wertschöpfungsketten beeinträchtigen. Auch die natürliche Verfügbarkeit von Rohstoffen, die Einflüsse von technologischen Neuerungen – wie derzeit infolge der digitalen Revolution – oder Arbeitskräfteengpässe können hier genannt werden.
  • Bei der Verhaltensunsicherheit geht es dagegen um das konkrete Verhalten besonders von politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern. Als Beispiel können Protektionismus, ein ungeordneter Brexit oder bestimmte Ausprägungen der Klimapolitik genannt werden.

Diese Risiken beeinflussen die Kostenstruktur der Unternehmen, ihre mittel- und langfristigen Absatzchancen und damit auch die Investitionsneigung. Ausgeprägte und vor allem permanente verhaltensbedingte Verunsicherungen belasten nicht nur kurzfristig die wirtschaftliche Entwicklung.

Wie hoch die mit bestimmten Ereignissen verbundene Unsicherheit ist, kann in der Regel nicht direkt gemessen werden. Um das Ausmaß an Unsicherheit abzuschätzen, werden eine Reihe von ganz unterschiedlichen Ansätzen – wie Börsenkurse, Medienanalysen oder Prognosedivergenzen – herangezogen (siehe hierzu Bloom, 2014; Deutsche Bundesbank, 2018). Auch Befragungen, die ein direktes Meinungsbild und Risikoprofil der Unternehmen wiedergeben, können als empirische Evidenz für Verunsicherung – vor allem mit Blick auf die konkreten Ursachen – genutzt werden. So wurden etwa im Rahmen der regelmäßigen Konjunkturumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft vom Frühjahr 2019 knapp 2.400 Firmen danach befragt, ob derzeitig ihre eigenen Geschäftsabläufe durch bestimmte Unsicherheitstatbestände bedroht werden.

Die Einschätzungen der befragten Unternehmen liefern ein sehr differenziertes Bild – auch mit Blick auf die Unterscheidung nach Umwelt- oder Verhaltensunsicherheit (siehe hierzu Grömling/Matthes, 2019). Hier ein Blick auf die Top-5-Risien aus Sicht der deutschen Unternehmen:

  1. Mit weitem Abstand nennen die vom IW befragten Unternehmen die fehlende Verfügbarkeit von Fachkräften als ein aktuelles Risiko für ihre Geschäftsabläufe. 61 Prozent der Unternehmen in Deutschland stufen dieses Risiko als hoch ein, weitere 29 Prozent als gering und nur 10 Prozent sehen darin keine Gefahr für ihre Betriebsabläufe.
  2. Ein Drittel der Unternehmen nennt höhere Arbeitskosten infolge einer intensiveren Verteilungspolitik als ein unternehmerisches Risiko. Weitere 45 Prozent stufen dieses Risiko immerhin als gering ein.
  3. Die Abschwächung der Inlandsnachfrage, etwa durch eine nachlassende Konsumdynamik im Gefolge einer stockenden Beschäftigungsentwicklung, stellt für 29 Prozent einen hohen Unsicherheitsfaktor dar.
  4. Knapp ein Viertel der Betriebe beurteilt die Verschlechterung der Kosten beziehungsweise die eingeschränkte Verfügbarkeit von Energie und Rohstoffen als ein hohes Risiko für ihre derzeitigen Betriebsabläufe.
  5. Auch die Beeinträchtigungen durch Cyber-Kriminalität stellt mittlerweile für 22 Prozent der befragten Firmen ein hohes Risiko dar, weitere 46 Prozent beurteilen dieses Risiko als gering und nur knapp ein Drittel sieht darin keine Bedrohung.

Die verhaltensbedingten Risiken durch den Protektionismus – etwa ausgelöst durch die Zollpolitik der aktuellen US-Administration – oder durch einen No-Deal-Brexit erscheinen dagegen eher als überschaubar eingeschätzt zu werden: Ein Siebtel der befragten Firmen sieht eine Beeinträchtigung der eigenen Exporte durch Protektionismus als ein hohes Risiko, ein Zehntel die Verteuerung von importierten Vorleistungen infolge von Zöllen und Handelsbeschränkungen. In einem ungeordneten Brexit erwarten 18 Prozent der Firmen ein hohes Risiko.

Das mag auf den ersten Blick beruhigen und den verhaltensbedingten Verunsicherungen – zu denen auch die Verteilungspolitik gehört – eine eher untergeordnete Bedeutung beimessen. Dabei gilt natürlich zu beachten, dass nur ein Teil der deutschen Wirtschaft über direkte Auslandsbeziehungen verfügt und damit unmittelbar vom Protektionismus beeinträchtigt wird. Die international aufgestellten Firmen werden möglicherweise heftig von den mit dem Protektionismus einhergehenden Verhaltensunsicherheiten getroffen. Die eher in einem regionalen Wirtschaftsraum aktiven Unternehmen, die selbst in der weltmarktoffenen deutschen Wirtschaft den Großteil der Betriebe stellen, dagegen überhaupt nicht. Das gilt zumindest auf direktem Weg. Die IW-Umfrage zeigt aber auch, dass die mit dem Protektionismus und dem Brexit einhergehenden Risiken spürbar mit der Unternehmensgröße ansteigen und von den Industrieunternehmen merklich höher eingestuft werden als von den Dienstleistern und Baufirmen.

Das Wesen des Unternehmertums liegt darin, tagtäglich mit den unterschiedlichsten Risiken und Unsicherheiten umzugehen. Schließlich ergeben sich aus Risiken immer wieder auch Chancen. Derzeit sind die Firmen mit vielzähligen und vielfältigen Verunsicherungen konfrontiert. Einige Risiken scheinen unvermeidbar und überraschen die Unternehmen auch nicht. Andere Risiken stellen dagegen von Menschen verursachte Anpassungslasten für die Unternehmen und die dort Beschäftigten dar. Die Abflachung der weltwirtschaftlichen Dynamik, die schwache Gangart in Europa sind das Ergebnis von politischen Entscheidungen. Der daraus erwachsende wirtschaftliche Frust ist vermeidbar. Er wird aber von den Protektionisten in Kauf genommen.

Literatur:

Bloom, Nicholas, 2014, Fluctuations in uncertainty, in: Journal of Economic Perspectives, Jg. 28, Nr. 2, S. 153 –176

Deutsche Bundesbank, 2018, Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen von Unsicherheit, in: Deutsche Bundesbank Monatsbericht Oktober, Frankfurt am Main, S. 49-65

Grömling, Michael / Matthes, Jürgen, 2019, Welche Risiken gefährden die deutsche Wirtschaft? IW-Kurzbericht, Köln

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