Ordoliberalismus-Kritik: Ein Kochbuchrezept

Sie brauchen noch eine wissenschaftliche Publikation, um Ihren Lebenslauf zu schmücken? Es gibt ein Thema, das gerade schwer angesagt ist und noch zahlreiche Publikationen verspricht, wenn man es richtig angeht: die Fundamentalkritik an Ordoliberalismus und Ordnungspolitik. Auch wer sich mit dem Thema noch nie beschäftigt hat (oder die Ordnungsökonomik eigentlich für etwas Sinnvolles hält), kann mit dem nachfolgenden, gänzlich narrensicheren „Kochbuchrezept“ zur Ordoliberalismus-Kritik noch auf den Zug aufspringen. Eine Garantie, dass einem das Ergebnis nicht schwer im Magen liegt, gibt es allerdings nicht.

Ordoliberalismus-Bashing ist en vogue!

Was früher einigen deutschen Sozialwissenschaftlern vorbehalten war, die meinten, die Idee einer liberalen Wirtschaftsordnung bekämpfen zu müssen, ist seit der Eurokrise international ein Renner. Wie sollte man die ungeliebte Haltung der Bundesregierung zur Eurokrise erklären? Deutscher Pragmatismus, Egoismus oder gar Neoliberalismus wollten als Erklärungen oder Kritik nicht so recht passen. Da war es wie ein Sechser im Lotto, als man den Ordoliberalismus als die vermeintlich ultimative Erklärung fand.

Ist der Ordoliberalismus nicht irgendwie sehr deutsch und gleichzeitig sehr regelversessen? Waren ihre Freiburger Begründer nicht sehr protestantisch und neigt der Protestant (gerne in Form der pietistischen schwäbischen Hausfrau) nicht generell zum übertriebenen Sparen? Liegen nicht die Ursprünge des Ordoliberalismus im Deutschland der 1930er Jahren, woraus sich noch immer wirkungsvolle Vorwürfe haben konstruieren lassen? Wer hieraus keine Ordoliberalismus-Kritik machen kann, hat im Kampf der Ideen nicht genügend Fantasie walten lassen.

Daher frisch ans Werk! Welche Zutaten verlangt das Kochrezept? Nicht viel: nur Titel, Thesen und Temperamente. Oder etwas genauer: ein passendes Thema, ein knackiger Titel und eine ausreichende Menge Furor gegen liberale Grundwerte, Deutschland, die Ordnungsökonomik und dergleichen mehr. Nun aber Schritt für Schritt…

Das Thema

Internationale Sichtbarkeit ist ein Muss in der heutigen Forschungslandschaft, weshalb das Thema des Beitrags idealerweise zumindest eine europäische Dimension haben sollte. Jenseits dieser Tatsache ist man bei der Themenwahl frei, auch wenn eine gewisse Aktualität publikationsstrategische Vorteile mit sich bringt. Andererseits: die Eurokrise ist ein Dauerbrennerthema, das noch viele Jahre beackert werden kann.

Letztlich lässt sich alles, was in Europa oder einem EU-Mitgliedsstaat nicht richtig funktioniert, zum Thema machen. Entscheidend ist nur, dass etwas nicht funktioniert – und davon gibt es eine Menge in Europa. Wie man daraus eine Schuld des Ordoliberalismus konstruieren kann, sei im Folgenden noch näher erläutert. Weil aber ein Kochbuchrezept am besten funktioniert, wenn es etwas Greifbares zum Nachkochen gibt, sei an dieser Stelle ein konkretes Beispiel genannt: die Corona-Pandemie. Dass hier – europaweit – die Dinge nicht gut funktioniert haben, ist für jedermann offensichtlich. Damit ist der Boden für erfolgreiches Ordoliberalismus-Bashing bereitet.

Der Titel

Titel sind wichtig, wichtig, wichtig. Titel verkaufen Fachartikel und generieren Zitationen. Wer sich an dieser Stelle keine Mühe gibt, fällt im Kampf um die Ideen weit zurück. Der Titel ist vermutlich die einzige Stelle in dieser Kochanleitung, an der Koch oder Köchin etwas Zeit investieren muss. Der Titel muss funkeln und er muss einen hohen Wiederkennungswert – zumindest für Gleichgesinnte – haben: Der lange Schatten des Ordoliberalismus. Der ordoliberale Eisenkäfig. Ordoarithmetik. Schrullige deutsche Ökonomen im Paralleluniversium. Allesamt längst Klassiker der Ordo-Bashing-Literatur.

Wem das zu plakativ ist, der kann auch eine sich unschuldig anschleichende, dann aber umso heftiger zustoßende Variante eines Titels wählen: „The German rescue of the Eurozone: How Germany is getting the Europe it always wanted”. Oder etwas Geheimnisvolles und zugleich Anspielungsreiches wie „When one religious extremism unmasks another: Reflections on Europe’s states of emergency as a legacy of ordo-liberal de-hermeneuticisation“. Titel wie diese krönen jeden Artikel und überdecken damit jede inhaltliche Unzulänglichkeit.

Wie könnte nun ein Titel zur Corona-Pandemie aussehen? Vieles ist vorstellbar, etwa „How the Coronavirus turned ordoliberal“, „Spreading and harming like a virus: Ordoliberalism in Europe” oder einfach nur „The ordoliberal pandemic“. So einfach, so genial! Man stutzt kurz angesichts der wirtschaftspolitischen Orientierung des Virus, um dann Heerscharen von gestrengen Ordnungsökonomen, die penibel Impfdosen abzählen, vor seinem geistigen Auge aufmarschieren zu sehen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – Hauptsache, es knallt.

Die Ingredienzien

Erfahrene Blattmacher wissen: Tiere, Kinder und Prominente laufen immer und man muss ran an den Menschen. Hier kann sich auch der Ordoliberalismus-Kritiker einiges abschauen. Die Kritik wird viel greifbarer, wenn sie mit realen Personen verbunden werden kann. Insofern könnte das Glück nicht größer sein, dass Ursula von der Leyen derzeit EU-Kommissionspräsidentin ist. Nicht so sehr, weil die Kommission eine mehr als unglückliche Figur bei der Impfstoffbeschaffung macht (das ist für den Artikel sowieso eingepreist), sondern weil sie Ursula von der Leyen ist: deutsch(!), (teutonisch) blond, Protestantin (wie Walter Eucken und die Freiburger Ordoliberalen), in Brüssel geboren (das spielt bestimmt irgendeine Rolle), Mitglied der Partei Ludwig Erhards (im weitesten Sinne ordoliberal), Duz-Freundin der Kanzlerin (Beschwörerin der schwäbischen Hausfrau)  und  Mutter von sieben Kindern, was Sparsamkeit lehrt und marketingmäßig einfach super ist.

Damit hat man alle relevanten Bestandteile beisammen … Wie? Es fehlt noch die eigentliche Story des Artikels? Ach so. Die ist schnell erzählt, denn sie folgt einfach dem Standardaufbau eines ordokritischen Artikels. Dieser besteht aus einer Extrapolation einzelner Beobachtung über 80-90 Jahre in die Zukunft. Die Ausgangsbeobachtung liegt ungefähr in den 1930er und in den ersten Jahren der Nachkriegszeit und dient als direkte Erklärung für die Euro- oder Coronakrise. Der Zeitraum dazwischen kann ausgeblendet werden, weil das in den erfolgreichen Publikationen zur Ordoliberalismus-Kritik auch gemacht worden ist. Da Zeit kostbar ist, sollte man sich mit den Spitzfindigkeiten der Zwischenzeit nicht aufhalten.

Konkret sollten die – protestantischen – Freiburger Ordoliberalen, die sich in den 1930er Jahren selbst zunächst noch als Neoliberale (wichtiges Catchword!) bezeichnet hatten, stets der Ausgangspunkt der Argumentationslinie sein. Weil sie Protestanten waren, folgten sie der Idee eines sparsamen Lebens und Wirtschaftens (protestantische Ethik!). Und weil sie auch irgendetwas mit der Sozialen Marktwirtschaft zu tun hatten und diese bis heute in Deutschland existiert, ist Deutschland zwangsläufig einem Sparwahn verfallen (siehe auch: hohe Sparquote in Deutschland). Damit ist eine hinreichend simple argumentative Grundlage für die Analyse der gegenwärtigen Entwicklungen gelegt. (Kenner der Materie können diesen Teil noch mit einigen Schmankerln der Ordokritik ausschmücken: Skepsis gegenüber der „Massendemokratie“ und Expertokratie – antidemokratisch! Der „starke Staat“ – Carl Schmitt!).

Der Rest der Argumentation ist denkbar einfach: Weil ordoliberales Denken zur DNA des politischen Establishments in Deutschland gehört, wird Sparen zur höchsten Tugend erkoren bzw. „kein Kaufen, nur Sparen” als Motto ausgerufen (Zitat von Mark Blyth, das auf keinen Fall fehlen darf). Das gilt natürlich auch für den Impfstoff, der – unter der harten Knute Deutschlands – für die ganze EU organisiert worden ist, damit die EU-Kommission dank größerer Verhandlungsmacht den Preis drücken kann. Und – jauchzet, frohlocket! (Bach, Protestant) – tatsächlich bekommen die EU-Mitgliedsstaaten die Impfdosen etwas günstiger als Briten, Amerikaner und Israelis. Dafür nimmt das ordoliberalisierte Europa die längere Wartezeit bis zu den ersten Impfstofflieferungen gerne als Ausdruck innerweltlicher Askese in Kauf. Natürlich gilt auch hier, dass jegliche zweckdienliche Ausschmückung erlaubt ist. Wie wäre es mit der Tatsache, dass Freiburg, die Wiege des Ordoliberalismus, traditionell eher impfmuffelig eingestellt ist? Oder damit, dass die kaputt gesparten Gesundheitssysteme Europas schlichtweg keine Kapazitäten zum Impfen haben? Die Stoßrichtung der Argumentationslinie sollte klargeworden sein.

Die Publikationsstrategie

Bleibt abschließend zu klären, wie man mit seinem Aufschrieb in eine passende Fachzeitschrift gelangt. Hier sind nur wenige Dinge zu beachten. Zum einen sollte man durch eine geschickte Literaturauswahl „Einschlägigkeit“ dokumentieren und zugleich die Auswahl der „richtigen“ Gutachter (es soll ja eine Veröffentlichung mit „peer review“ sein) steuern. Wichtig ist dabei, konsequent und ausschließlich die ordokritische Literatur zu zitieren. Praktisch ist dabei, dass in dieser Literatur regelmäßig Autorinnen und Autoren zitiert werden, die über keine größere Detailkenntnis ordnungsökonomischer Grundlagen verfügen. Damit ist man stets auf der sicheren Seite.

Gleichzeitig sollte man keinesfalls ökonomische Literatur heranziehen oder auch wirtschaftswissenschaftliche Fachzeitschriften für die Einreichung wählen, denn hier könnten versehentlich Gutachter mit einem Verständnis für Ordnungsökonomik ausgewählt werden. Dies könnte zu kritischen Rückfragen, Extraarbeit und Verzögerungen bei der Veröffentlichung führen – daran kann niemand Interesse haben. Stattdessen sollten gediegene sozialwissenschaftliche Journals mit europapolitischer Ausrichtung und einer Historie von ordokritischen Veröffentlichungen die erste Wahl sein.

Viel Erfolg!

Die Fachwelt wartet auf weitere Ordoliberalismus-Kritik. Wer sich dies klar macht und jetzt zügig an den Schreibtisch geht, wird reichlich belohnt werden. Die Themen liegen auf der Hand und das „ordoliberale Corona-Virus“ ist nur eines von ihnen, ein besonders offensichtliches. Mit Hilfe des hier vorgestellten Kochbuchrezepts sollte auch wissenschaftsfernen, aber ehrgeizigen Menschen der Einstieg in den Elfenbeinturm gelingen. Und wer weiß, ob nicht sogar noch ein Doktortitel bei einem der beteiligten ordokritischen Wissenschaftler dabei herausspringt … so ein „Dr.“ auf der Visitenkarte sieht einfach verdammt gut aus.

Feigenblatt-, äh weiterführende Literatur zum Zitieren:

Dold, M.; Krieger, T. (Hrsg.)(2019). Ordoliberalism and European Economic Policy: Between Realpolitik and Economic Utopia. Routledge, Abingdon und New York.

Dold, M.; Krieger, T. (im Druck). The Ideological Use and Abuse of Freiburg’s Ordoliberalism. Public Choice (open access).

Eine Antwort auf „Ordoliberalismus-Kritik: Ein Kochbuchrezept“

  1. Ist der Bashing-Doktor eigentlich ein Dr. in Ordologie? Wenn das Eucken-Institut mit dem Postillon keine Forschungskooperation eingeht, wäre eine Kolumne eine Alternative: Neues aus der Wirtschaftswissenschaft vom Ordollon. Ergänzen ließe sich noch populärwissenschaftlich die geheimen Verbindungen zwischen Ordoliberalen und Bilderbergern, zu Skulls and Bones und zu Area 51 – alles Seller mit Ansage.
    Im Ernst: gelungener Artikel! Humor ist hilfreich und wird auch von Ordo-Liberalen als Mittel unterschätzt. Bis jetzt.
    Zusatz: Ein selbstkritischer Beitrag zum Ordoliberalismus wäre zugleich auch einmal ein gutes Zeichen oder gab es den hier bereits?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert