Die von Bundeskanzler Olaf Scholz beschworene „Zeitenwende“ soll eine neue außenpolitische Ära einläuten. Nicht zuletzt geht es bei dieser Neuorientierung darum, die Zusammenarbeit mit solchen Staaten zu stärken, die bislang oft kaum auf dem Radar unserer außenpolitischen Wahrnehmung waren und die Herausforderung der strategisch angelegten politischen Präsenz globaler Wettbewerber – allen voran Chinas – endlich anzunehmen. Um hier Akzente zu setzen hatte der deutsche Vorsitz zum G7-Gipfel nach Elmau fünf demokratische Gastländer geladen – darunter mit Südafrika und Senegal auch zwei afrikanische Staaten. Die damit verbundenen Ziele klingen ambitioniert, und die finanziellen Zusicherungen nehmen immer neue Höhen an – vom Bündnis für globale Ernährungssicherheit, über den Klimaclub bis hin zu den angekündigten 600 Mrd. $ für die Partnerschaft für globale Infrastruktur.
Infrastruktur baut sich nicht von Ankündigungen
Der Enthusiasmus über das 600 Mrd. $ Infrastrukturpaket hält sich jedoch – sowohl bei den Entwicklungs- und Schwellenländern, in die das Geld fließen soll, als auch bei den Institutionen und Unternehmen, die Geldgeber oder Durchführer werden könnten – in Grenzen. Denn in der Vergangenheit sind den großen Worten und Zahlen oftmals nur kleine Taten und Projekte gefolgt. China im Gegenzug hat mit dem Projekt der „Neuen Seidenstraße“ nicht nur politisch, sondern insbesondere wirtschaftlich große Profite aus den immensen Infrastrukturbedarfen insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent gemacht. Um mit der „Partnerschaft für globale Infrastruktur“ ein echtes Gegengewicht zur „neuen Seidenstraße“ zu schaffen, braucht es in den westlichen Industrieländern einen grundlegenden politischen Sinneswandel. Denn es mangelt nicht nur an Kapital und Finanzierungsmöglichkeiten. Es mangelt zumindest in der EU und Deutschland an der Bereitschaft, Finanzierungsstrukturen zu schaffen, welche zu einer spürbar größeren Präsenz deutscher und europäischer Unternehmen in den potenziellen Zielländern vor allem in Afrika führen könnten. Zudem fehlt es an der systematischen politischen Flankierung großer Projekte.
Neuer Wein in alte Schläuche?
Noch ist nicht klar, woher die versprochenen 600 Milliarden $ kommen sollen. Es ist absehbar, dass Gelder aus bestehenden Initiativen mit einem neuen Label versehen werden – darunter die bereits vorgestellten Initiativen „Build Back Better“ des G7-Gipfels 2021 und „Gobal Gateway“ des EU-Afrika-Gipfels 2022. Zudem scheint es so, dass wieder die üblichen Finanzierungsstrukturen für die geplanten Investitionen genutzt werden. Dem Vernehmen nach will die EU-Kommission über ihre Delegationen in Afrika Projekte der „Global Gateway“- Initiative international ausschreiben. In der Praxis ist es leider oft so, dass dann nur wenige Projekte an europäische und insbesondere deutsche – geschweige denn mittelständische – Unternehmen vergeben werden, da chinesische, türkische oder andere Akteure in Ausschreibungen die Nase vorn haben. Es kann aber nicht weiter sein, dass westliche Staaten Geld ins Schaufenster stellen und sich am Ende chinesische Akteure und andere Wettbewerber bedienen, die geringere Standards einhalten und niedrigere Qualität liefern, diese aber zu einem günstigeren Preis anbieten. Und das in einer Zeit in der Deutschland und die EU ihren, für Standards viel sensibleren, Firmen ständig neue und teure Auflagen zur Kontrolle ihrer Lieferketten machen. Um hier eine Veränderung zu bewirken, braucht es endlich Änderungen der Kriterien bei den geldgebenden Institutionen und Reformen der überkommenen Rahmenwerke aus den 90er Jahren wie dem OECD-Konsensus oder dem starren Festhalten an ODA-Quoten. Nur so kann sichergestellt werden, dass die 600 Mrd $ der G7 und die Gelder des „Global Gateway“ für wirtschaftlich nachhaltige Projekte an europäische oder afrikanische Unternehmen vergeben werden, die gute Arbeitsplätze und nachhaltige Wertschöpfung auf dem Kontinent schaffen.
Mobilisierung von Privatkapital ist größter Katalysator für Entwicklung
Bei der Partnerschaft für Infrastruktur bleibt auch unklar, wie das angekündigte private Investitionskapital generiert werden soll. Privates Kapital ist dringend notwendig, um die wirtschaftliche Entwicklung, Einkommen für die Bevölkerung und Unternehmertum auf dem afrikanischen Kontinent zu fördern. Aus der Praxis wissen wir, dass es beispielsweise in Deutschland kaum wirkungsvolle Instrumente zur Mobilisierung privaten Kapitals gibt. Um europäische und insbesondere deutsche Unternehmen und Investoren dazu zu motivieren, die unbestreitbar großen Chancen auf dem afrikanischen Kontinent höher zu gewichten als die Risiken, müssen wirkungsvolle Investitionsanreize geschaffen werden.
Dazu sollten Soft Loans geschaffen werden, wettbewerbsfähigere Exportgarantien und günstigere und erweiterte Risiken einschließende Investitionsgarantien sowie maßgeschneiderte Finanzierungsinstrumente für klimafreundliche Energieprojekte schnellstens angegangen werden. Innovative Instrumente wie Sustainability Linked Bonds müssen auf dem afrikanischen Markt ausgeweitet werden, um nicht nur privates Kapital zu mobilisieren, sondern zugleich auch einen nachhaltigen Fußabdruck zu hinterlassen.
Nur wenn wir neue Wege einschlagen, kann der Westen dem bis jetzt recht erfolgreichen Modell Chinas in Afrika wirklich etwas entgegensetzen und die Partnerschaft mit den Ländern unseres Nachbarkontinents attraktiv gestalten und nachhaltig stärken. Sinnvollerweise sollte dies flankiert werden durch eine diplomatische Offensive in Richtung Afrika. Hochrangige Besuche mit Wirtschaftsbegleitung sollten intensiviert und Gipfeltreffen mit Investorenkonferenzen in Deutschland weiterhin regelmäßig stattfinden, auch wenn das Format des „Compact with Africa“ einer Neujustierung bedarf.
Ein Klimaclub ohne Afrika kann nicht funktionieren
Der von Bundeskanzler Scholz initiierte Klimaclub soll die Staaten der G7 zum globalen Klimavorbild machen, um andere Staaten zum Nachahmen zu bewegen. Doch so recht will das Bild nicht stimmig werden – ausgerechnet einige der größten Verursacher von Treibhausgasen gründen einen Club für ambitionierten Klimaschutz, in dem afrikanische Staaten bislang kaum zu Wort kommen. Dabei ist die afrikanische Bevölkerung von ca. 1,2 Milliarden Menschen nur für knapp 3 % der globalen Emissionen verantwortlich, leiden aber durch Dürren, Überflutungen und Wüstenbildung mit am meisten unter den Folgen des Klimawandels. Dabei können einige afrikanische Länder wie Kenia und Marokko als Vorbilder beim Klimaschutz fungieren. Und vor allem: Afrika kann seine Industrialisierung klimaneutral gestalten und Industrieländer mit klimaneutraler Energie, etwa grünem Wasserstoff versorgen.
Klimapartnerschaften als Investitionspartnerschaften denken
Das Potenzial für die Produktion grünen Wasserstoffs ist für deutsche Unternehmen, welche in dieser Technologie Weltmarktführer sind, und afrikanische Länder mit hervorragenden Produktionsbedingungen mit immensen wirtschaftlichen Chancen verbunden. Mit gezielten Investitionen und geeigneter politischer Flankierung kann der Wasserstoffsektor zu einem wichtigen klimaneutralen Energielieferanten für Afrika und Europa werden und als Katalysator für die Industrialisierung des afrikanischen Kontinents dienen. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, braucht es aber nicht den erhobenen Zeigefinger und gut gemeinte Appelle gegen Kohlekraftwerke, sondern effektive Unterstützung für privatwirtschaftliche Projekte, die in erneuerbare Energien und insbesondere die Produktion von grünem Wasserstoff auf dem afrikanischen Kontinent investieren. Klimafreundliche und nachhaltige Projekte sollten intensiv durch projektbezogene Zuschusselemente und Finanzierungsangebote sowie erweiterte und vergünstige Garantien durch die Bundesregierung gefördert werden. Auch müssen nun viele der erfolgsversprechenden Just Energy Transition Partnerships folgen, die auf die Bedürfnisse und Ressourcen der jeweiligen afrikanischen Partnerländer abgestimmt sind. Denn konkrete Investitionen in erneuerbare Energien zur Dekarbonisierung der Energiewirtschaft sind der richtige Weg zur Einhaltung der globalen Klimaziele.
Investitionen zur Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft
Das Bündnis für globale Ernährungssicherheit und die dafür bereitgestellten Gelder und Appelle gegen Exportstopps von Nahrungsmittel sind kurzfristig sinnvoll und notwendig, um in einigen Regionen akute Ernährungskrisen zu verhindern. Es ist nun wichtig darauf zu drängen, dass die global vorhanden Weizenreserven dort verfügbar gemacht werden, wo aktuell der größte Mangel herrscht. Doch langfristig muss die Nahrungsmittelproduktion auf den afrikanischen Kontinent selbst verlagert werden. Das Potenzial ist da, denn ein Großteil der weltweit noch unbebauten Agrarflächen befindet sich in Afrika und auch die landwirtschaftliche Produktivität kann durch Innovation und Investitionen noch um ein Vielfaches erhöht werden. Zudem müssen wir uns Fragen, inwieweit der europäische Agrarmarkt und seine nichttarifären und tarifären Handelshemmnisse die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen afrikanischen Agrarmarkts einschränkt. Langfristig sollte es keine ambitionierten Bündnisse benötigen, sondern einen Abbau an Handelshemmnissen und nachhaltige Investitionen und Wissenstransfer – auch durch deutsche Unternehmen und Institutionen – in die teilweise wenig produktiven Agrarindustrien auf dem afrikanischen Kontinent. Das Potenzial ist da und jetzt ist die Zeit zu investieren, um die Agrarmärkte und Ernährungssicherheit in afrikanischen Ländern nachhaltig zu stärken.
Auf dem G7-Gipfel wurden neue und erfolgsversprechende Initiativen präsentiert, die nun aber nicht durch die wieder gleichen Strukturen umgesetzt werden dürfen. Eine echte „Zeitenwende“ braucht neue Finanzierungsstrukturen, neue Lieferketten, neue Partnerschaften und eine neue außenpolitische und außenwirtschaftliche Ausrichtung.